Dos & Don’ts im Umgang mit der („neuen“) extremen Rechten

Das folgende Interview mit Bernhard Weidinger (FIPU) wurde im Juli 2014 für ein österreichisches Nachrichtenmagazin geführt, von diesem Magazin letztlich aber nicht publiziert und erscheint daher hier.

Gibt es ein Medium oder Organ, das neuere Entwicklungen der extrem Rechten systematisch beobachtet? Also, mit den Möglichkeiten des Fortschritts neuen Rechtsextremismus überwacht?

In Österreich beobachtet das DÖW Rechtsextremismus auch im Internet, seitdem er sich dort zu zeigen begann, selbiges gilt für den Verfassungsschutz. Allerdings übersteigen bereits die einschlägigen Aktivitäten auf Facebook das, was diese Institutionen personell abzudecken imstande sind. Umso wichtiger ist die zivilgesellschaftliche Beteiligung am Monitoring rechtsextremer Umtriebe durch Blogs wie bawekoll, RFJ-Watch, Heimat ohne Hass und stopptdierechten oder durch Einzelpersonen wie den Datenforensiker Uwe Sailer. Darüber hinaus zu erwähnen ist stopline.at, eine von den österreichischen Internetprovidern eingerichtete Meldestelle (u. a.) für neonazistische Funde im Netz.

Kann man sagen, dass die umfangreichen Online-Aktivitäten der extremen Rechten sich hinter dem Rücken jener Stellen ereignen, die extreme politische Bewegungen monitoren und Bewusstsein schaffen wollen?

Zum Teil vollziehen diese Aktivitäten sich tatsächlich abseits des Zugriffs einer kritischen Öffentlichkeit – in geschlossenen Foren und Facebook-Gruppen etwa. Wo solche Barrieren nicht existieren, sind es eher die schiere Unübersichtlichkeit des WWW und der Umfang des rechtsextremen Online-Aktivismus, die ein einigermaßen umfassendes Monitoring nahezu unmöglich machen.

Sehr oft heißt es ja, diesen paar Einzelnen sollte man nicht so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen. Ist das gerechtfertigt?

Im aktuellen Fall der sogenannten “Identitären” – ein euphemistisches Label für den x-ten, notfürftig modernisierten Aufguss faschistischer Weltdeutung – sind wir inzwischen an einem Punkt angelangt, wo die Grenze zwischen notwendigem awareness raising und ungewollter Werbung bereits überschritten sein könnte. Generell würde ich aber davor warnen, Rechtsextremismus durch Ignorieren bekämpfen zu wollen. Problematischer als mögliche unerwünschte Werbeeffekte von Bewusstseinsbildung erscheint mir die Inkonsistenz im Verhalten vieler selbsterklärter GegnerInnen des Rechtsextremismus. Rassismus an neofaschistischen Gruppen zu verurteilen, ihn aber in der “Mitte” der Gesellschaft zu ignorieren oder gar zu teilen, wenn er sich gegen breit akzeptierte Feindbilder – Muslime/-as, AsylwerberInnen, BettlerInnen – richtet, arbeitet letztlich dem Rechtsextremismus zu. Die Inkonsistenz verleiht einerseits rechtsextremen Agenden und ihren TrägerInnen eine Teillegitimation, zum anderen lässt sie die eigene Kritik als floskelhaft erscheinen und unterfüttert so die rechtsextreme Selbstinszenierung als mutige KämpferInnen gegen vermeintliche “Denkverbote” und “political correctness”.

Sind die Identitären eine Gruppe einzelner weniger oder haben sie nicht das Potential, auch über ihre digitale Vernetzung eine große Anzahl zu mobilisieren?

Die „Identitären“ sind personell schwach und werden es aller Wahrscheinlichkeit nach auch bleiben. In einem Land, in dem eine Partei mit denselben Anliegen und Botschaften am Sprung zur stärksten Kraft ist, fehlt ihrem Angebot schlicht die Nachfrage. Ihre einzige Funktion besteht darin, den Durchlauferhitzer für zornige junge Männer zu geben, denen ihre Burschenschaften, FPÖ und RFJ momentan zu wenig aktionistisch und/oder zu theorieavers sind. Das schließt einzelne breitenwirksame Online-Aktivitäten nicht aus, eine nachhaltig relevante politische Kraft wird daraus aber kaum entstehen, solange die FPÖ rechts von sich keinen Platz freigibt.

Was macht die Identitären extrem? Sie behalten sich ja immer vor, den großen, schweigenden Teil der Bevölkerung zu repräsentieren und grenzen sich ganz gezielt von „totalitären Ideologien“ ab.

Zum ersten beschränkt die Abgrenzung der “Identitären” sich auf den Nationalsozialismus an der Macht, während man sich auf zahlreiche Vordenker des NS und anderer europäischer Faschismen ausgesprochen positiv bezieht. Konsequenter Weise kooperiert man auch mit heutigen Neofaschisten, etwa in Italien. Zum zweiten haben die “Identitären” allen Beteuerungen zum Trotz den Rassismus nicht überwunden, sondern nur modernisiert: die deskriptive Einteilung der Welt in von Natur aus unterschiedliche und normativ säuberlich voneinander zu trennende Menschengattungen lebt hier fort, fallengelassen wurden lediglich der Rasse-Begriff und die Behauptung der Ungleichwertigkeit der “Völker” oder “Kulturen”. Zum dritten ist das “identitäre” Demokratieverständnis eng mit dem  Rassismus verkoppelt: wahre Demokratie habe einen homogenen Demos auf einem ethnisch gesäuberten Territorium zur Voraussetzung. Die völkische, einmütige “Gemeinschaft” soll an die Stelle von Individualismus und einer von Interessengegensätzen geprägten Gesellschaft treten. Dazu kommt eine bislang v. a. rhetorisch ausagierte Gewaltorientierung und -faszination, verknüpft mit dem typisch altrechten soldatischen Männlichkeitsideal. Letzteres teilen sie übrigens genauso mit Anders Breivik wie dessen apokalyptische Gegenwartsanalyse, die in letzter Konsequenz noch das drastischste Mittel als legitimen Notwehrakt erscheinen lässt.

Kommen die Identitären so in der Mitte an? Fallen ihre Botschaften in Österreich auf fruchtbaren Boden, oder steht ihnen die vorgebliche Ideologiefreiheit im Weg?

Grundsätzlich ist es strategisch sicher sinnvoll, positive NS-Bezüge und explizite Rassentheorie durch eine Rhetorik der “Kultur”, der “Identität” und des “Rechts auf Differenz” zu ersetzen, ebenso wie es für die FPÖ Sinn macht, “antitotalitär” statt NS-verklärend und österreichchauvinistisch statt deutschnational aufzutreten. Gerade die breite Etabliertheit der FPÖ entzieht der außerparlamentarischen extremen Rechten aber die Erfolgsgrundlage: selbst wenn ihre Botschaften sich mit dem Alltagsrassismus vieler ÖsterreicherInnen treffen mögen, haben letztere wenig Veranlassung, sich für eine Möchtegern-”Bewegung” zu engagieren, wenn ihnen eine Parlamentspartei mit beinahe identem Programm zur Verfügung steht.

Gruppen wie die Identitären, aber auch die Schnittmengen von legalen Parteien und der extremen Rechten legen nahe, dass die NS-Schablone nicht immer passt. Bedarf es eines neuen Kategoriensystems, um die Achtsamkeit in Richtung solcher Phänomene zu schulen? 

Im Grunde stellt die Wissenschaft das nötige begriffliche Instrumentarium zur Verfügung, was freilich in der medialen und politischen Diskussion meist wenig reflektiert wird. Nazismus wäre als eine historisch-konkrete Variante des Faschismus zu verstehen, dieser wiederum als eine spezifische Ausprägung rechtsextremen Denkens. Da letzteres in wesentlichen Teilen als Radikalisierung konservativ-bürgerlicher Prämissen zu begreifen ist, ist auf politischer Ebene stets einen diffuser Übergangsbereich zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus feststellbar, in dem es zum Austausch von Begriffen und Themen und, bei entsprechender polit-ökonomischer Konstellation, auch zu offenen Kooperationen kommt.

Hat die Rede von der „Nazikeule“ insofern eine gewisse Berechtigung? 

Sicher nicht in der larmoyanten, apologetischen Form, in der sie auf der extremen Rechten selbst auftritt. An der Handhabung des NS-Vorwurfs in Österreich ist allerdings zumindest zweierlei problematisch: einerseits die Beschränkung von Problembewusstsein auf Verbotsgesetz-Relevantes nach dem Motto “was nicht verboten ist, wird schon in Ordnung sein”. Nur ein geringer Teil rechtsextremer Aktivitäten wird durch das Verbotsgesetz erfasst – diesseits der Grenze, die es setzt, ist eine antifaschistisch grundierte politische Kultur gefragt, oder wenn Sie so wollen: eine kritische Zivilgesellschaft, die politische Mündigkeit nicht an Gerichte auslagert. Nicht alles, was legal ist, muss eins auch legitim finden. Das zweite Problem besteht in der bisweilen leichtfertigen Verwendung des “Nazi”-Labels, einschließlich damit assoziierter Vorwürfe wie jener der “Gestapo-Methoden” oder von “blockwarthaftem” Verhalten.  Fahrlässiges Hantieren mit solchen Begriffen lässt das öffentliche Sensorium für tatsächlich Nationalsozialistisches weiter abstumpfen und verharmlost – wenn auch oft ungewollt – objektiv die NS-Verbrechen.

Wie kann man Formen von Rechtsextremismus begegnen, die strafrechtlich (noch) irrelevant sind?

Wichtig wäre eine grundsätzliche Verweigerung der Übernahme rechtsextremen Selbstlabelings (“Neue Rechte”) und anderer Marketingmanöver (“100% identitär, 0% rassistisch”). Dem Anschein nach neue Phänomene wären gründlich auf ihren tatsächlichen Novitätscharakter zu prüfen – und zwar ergebnisoffen, denn natürlich kommt es bisweilen tatsächlich vor, dass FaschistInnen zu DemokratInnen werden. Dass Menschen bleiben müssen, was sie (vermeintlich) sind, ist ja selbst eine Setzung rechten Denkens. Das bloße Bekenntnis bzw. die subjektive Überzeugung der Betreffenden, nicht rechtsextrem zu sein – die ich auch einzelnen “Identitären nicht absprechen würde – kann als Transformationsbeleg freilich nicht ausreichen.

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