Ein paar Schnellschüsse zur Jungle World-Debatte um „Identitäre“ und „Neue Rechte“ zwischen Natascha Strobl, Kathrin Glösel und Julian Bruns, Autonome Antifa [Wien] und Michael Bonvalot.
1. Es ist zutreffend, dass „Neue Rechte“ sich inzwischen als Analysebegriff in der Fachdiskussion etabliert hat. Dafür gibt es fraglos Argumente, v. a . den Bruch der französischen „Nouvelle Droite“ und ihrer diversen Nachahmer* anderswo mit positiven NS-Bezügen (wie taktisch motiviert auch immer sie im konkreten Fall einzuschätzen ist) und die rhetorische Modernisierung des von ihnen vertretenen Rassismus.
2. Ob diese Unterschiede tatsächlich eine neue Qualität begründen, die ein Abgehen von älteren Analysebegriffen (Rechtsextremismus, [Neo-]Faschismus) nötig bzw. sinnvoll macht, ist zurecht umstritten.
3. Auch bei einem grundsätzlichen Ja zu dieser Frage spricht doch vieles dafür, die Übernahme des „Neue Rechte“-Begriffs – also einer euphemistischen Selbstbezeichnung Rechtsextremer – durch die kritische Wissenschaft als unnötige Konzession zu werten, die rechtsextremer Selbstinszenierung in die Hände spielt, zumal dort, wo sie ohne Anführungszeichen zur Kennzeichnung des Euphemismus auskommt. (Gleiches gilt für das Label „Identitäre“ selbst.)
4. Ungeachtet der jeweiligen Haltung zur Berechtigung des „Neue Rechte“-Begriffs an sich wäre die in Journalismus und teils auch Wissenschaft seit längerem beobachtbare Entgrenzung des Begriffs zu problematisieren. „Neurechts“ ist für viele schon zum Label für jedes rechtsextreme Phänomen geworden, das irgendwie gegenwärtig ist.
5. Wenn der „Neue Rechte“-Begriff Verwendung finden soll, dann für die Epigonen der historischen „Nouvelle Droite“, denen auch die sogenannten „Identitären“ mit einiger Berechtigung zugerechnet werden. Gerade das Beispiel der österreichischen Jünger-Jünger legt (für mich) aber nahe, dem Faschismusbegriff dort, wo er Analysekraft besitzt, auch heute noch den Vorzug vor modischeren Bezeichnungen zu geben (vgl. dazu die Klassifizierung der Gruppierung durch das DÖW).
Bernhard Weidinger (@bweidin)
* Der Gebrauch männlicher Bezeichnungen negiert nicht die Existenz von Frauen (als klare Minorität) in „neurechten“ und „identitären“ Zusammenhängen, sondern trägt deren Charakter als „kriegerische Männerbünde“ (Mathias Wörsching) Rechnung, der schon für den historischen Faschismus prägend war und sich nicht zuletzt im gewohnten soldatischen Männlichkeitsideal einschließlich der üblichen Sekundärtugenden und Todessehnsucht bzw. -faszination („You only die once“) manifestiert.