erschienen auf vice.com/alps

von Verena Bogner

Im vergangenen April haben Mitglieder der sogenannten Identitären die Aufführung von Elfriede Jelineks Theaterstück „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im Audimax gestürmt. Daraufhin wurde das Ensemble für eine Aufführung von der Stadt Wien ins Rathaus eingeladen. Bei eben dieser Aufführung hat die Burschenschaft Hysteria, laut Eigenbeschreibung die älteste Burschenschaft Österreichs, den Saalschutz übernommen. „Wir sind die wahren Hüterinnen der österreichischen Kultur und Tradition“, hieß es damals auf der Hysteria-Seite. Außerdem waren Mitglieder der Hysteria beim Bachmann-Preis anwesend, wo die Autorin Stefanie Sargnagel, die selbst Mitglied der Hysteria ist und im Netz immer wieder von Rechten attackiert wird, den Publikumspreis gewonnen hat.

Am 10. Januar 2016 wurde das erste Mal auf der Facebook-Page der Burschenschaft Hysteria gepostet—und zwar das Bild einer schreienden Hyäne, ihres perfekt ausgewählten Wappentiers. Seitdem finden sich dort regelmäßig Postings zu aktuellen Anlässen wie beispielsweise dem traditionellen Fest zur Sommersonnenwende, das die Hysteria am Donauinselfest gefeiert hatte. Die Burschenschaft Hysteria ist die feministische und längst überfällige Antwort auf deutschnationale Burschenschaften, die in Österreich immer noch Tradition haben und jeden Januar mit dem Akademikerball für Gegenproteste sorgen; und im Zuge dessen auch dafür, dass in der Wiener Innenstadt der eine oder andere umgestoßene Mistkübel wieder aufgestellt werden muss.

Die Burschenschaft Hysteria bewegt sich irgendwo zwischen Satire, Kunstprojekt und radikalem, politischen Aktivismus und macht vor allem eines: Sie zeigt durch diese Zuspitzung auf die deutlichste, brachialste Art die Schwachstellen des Gedankenguts von männerbündlerischen Burschenschaften auf. Mit denen ist sie übrigens eher zu vergleichen als mit klassischen Mädelschaften beziehungsweise Damenverbindungen, von denen es in Österreich aktuell etwas mehr als eine Handvoll gibt. Diese nehmen zwar genau wie die Hysteria nur Frauen auf, aber die Hysteria lehnt sich in ihren Werten, Zielen und Traditionen eindeutig an Männerbünde an.

Die Burschenschaft Hysteria distanziert sich (zumindest offiziell) übrigens von der Behauptung, Satire zu sein, wie sie nach einer Erwähnung im Falter als „satirisch-feministische Burschenschaft“ klarstellt. Auch das gehört zu ihren Kerneigenschaften: Die Hysteria bleibt immer „in character“ und fällt nie aus ihrer öffentlichen Rolle.

Das gilt auch für unsere Anfrage, auf die uns die Burschenschaft Hysteria erklärt, dass sie derzeit keine Interviews gibt und uns bittet, das auf ihrer Facebook-Seite zur Verfügung stehende Material zu verwenden.

Laut der dortigen Eigenbeschreibung steht die Hysteria für starke, ideelle Werte, die Unterdrückung Andersdenkender, aktiven Vaterlandsverrat und bietet neben einer Erweiterung des Horizontes auch lebenslange Freundinnenschaften. Männer sind in der Burschenschaft selbstverständlich nicht erlaubt, denn die gehören laut Hysteria nicht in die Öffentlichkeit, vielmehr sieht sie die Sphäre des Mannes klar im Privaten.

Die Hysteria verlangt von ihren Mitgliedern (und in weiterer Folge auch weltweit) die Angleichung der Zyklen, die Einschränkung des Männerwahlrechts, günstige Abtreibungen, Schleierzwang für Männer und Hodenamputation bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr, bei dem die Frau nicht zum Höhepunkt kommt. Kurz gesagt: Das uneingeschränkte Matriarchat. Die Mitglieder der Hysteria tragen Hyänen-Jacken und rote Deckel. Was auf den ersten Blick lustig und absurd wirkt, trägt in Wahrheit zur Entmystifizierung einer Ideologie mit großem Gefahrenpotenzial bei.


Burschenschaften in Österreich:


Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, die sich als Mitwirkende der „Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit“ intensiv mit Burschen- und Mädelschaften, beziehungsweise Damenverbindungen beschäftigt, sieht zwischen dem Auftreten und der Organisationsform der Hysteria viele Parallelen zu anderen Burschenschaften.

„Die Burschenschaft Hysteria bezieht sich in ihrer Namensgebung, ihrer Organisationsform als geschlechtshomogene Gruppe und historischen Entstehungsgeschichte nicht nur auf burschenschaftliche Traditionen, sondern auch die vertretenen Werte, Ideale und Forderungen orientieren sich an burschenschaftlichen Vorbildern“, sagt Goetz.

Diese Traditionen und Werte sind laut Goetz unter anderem: Die Verwendung von Couleurnamen (wie Sauhilde oder Sprenghilde), die gegenseitige Anrufung als „Burschen“, strenge Verbindungsprinzipien, der gemeinschaftlich organisierte Alkoholkonsum sowie die Bezugnahme auf das Ritual der Mensur zur Absicherung des eigenen Bundes nach außen. Vor allem das Kämpfen von Mensuren unterscheidet die Hysteria laut Goetz außerdem von gängigen Mädelschaften und Frauenverbindungen, da Frauen dem Weltbild von Burschenschaften zufolge nicht satisfaktionsfähig sind. Im Nichtburschi-Sprech: Sie können nach einer Ehrverletzung die Ehre nicht durch Duellieren wiederherstellen.

Themen, denen sich die Burschenschaft Hysteria immer wieder annimmt, sind auch Sexismus und veraltete Geschlechterrollen—also Konzepte, die Burschenschaften und andere rechte Gruppierungen häufig promoten und beispielsweise mit Kampagnen zum Schutz „unserer Frauen“ vor der Belästigung durch fremde Männer zu festigen versuchen.

Hier sieht Goetz auch die Besonderheit der Hysteria: „Insbesondere der von Burschenschaftern vertretene Sexismus wird von der Hysteria zugespitzt ins Gegenteil verkehrt. Anstelle der Ablehnung von Frauen*-Quoten wird beispielsweise eine Frauen*- und Transgender-Quote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern gefordert. Damit wird auch eine wichtige Kritik am burschenschaftlichen Gedankengut deutlich. Burschenschaften tragen durch ihre männerbündische Organisationsform maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Reproduktion biologistischer und hierarchisch gedachter, geschlechterdualistischer Vorstellungen von Gender bei. Die männerbündische Tradition der Burschenschaften verfolgt nicht zuletzt das Ziel, Frauen* aus dem Bund wie auch der Sphäre der Politik fern zu halten. Die Hysteria macht Aspekte zum Thema, die in der Kritik an Burschenschaften lange Zeit ausgespart oder vernachlässigt geblieben sind—wie eben der burschenschaftliche Sexismus und Antifeminismus sowie auch Homo- und Trans-Feindlichkeit. Gerade weil diese Ideologien auch in der so genannten gesellschaftlichen Mitte tief verankert sind, wird oftmals übersehen, dass sie auch einen fixen Bestandteil extrem rechter Denkmuster ausmachen.“

Wie so oft, wenn es um die Diskussion geht, welche Plattform rechten Gruppierungen wie Burschenschaften oder auch den sogenannten Identitären gegeben werden soll, kann auch hier der Eindruck entstehen, dass die Hysteria durch ihr Aufgreifen von burschenschaftlichen Traditionen eben diesen zu viel Bedeutung zumisst, anstatt ihre Mechanismen zu entlarven.

Laut Goetz schenkt die Hysteria Burschenschaften jedoch eben die Aufmerksamkeit, die den oftmals unterschätzten Männerbünden zusteht: „Deutschnationale Burschenschaften wurden und werden in Bezug auf ihre gesellschaftliche wie auch politische Bedeutung bis heute unterschätzt und oftmals als marginalisierte Gruppe Ewiggestriger abgetan. Insofern wird ihnen von Seiten der Hysteria jene Aufmerksamkeit zugemessen, die ihnen tatsächlich auch zukommen sollte.“

Aufgrund ihrer provokanten Inszenierung hat nicht nur Stefanie Sargnagel als Person des öffentlichen Lebens, sondern auch die Hysteria als Ganzes mit Anfeindungen von Rechts zu kämpfen. Erst kürzlich hat die Burschenschaft Hansea zu Wien ein Foto der Hysteria mit dem Text „Besucherinnen vom Planeten der Unbeschlafenen“ und dem Hashtag #linkeweiberausknocken geteilt, was nicht nur das sexistische Gedankengut der Burschenschaft deutlich werden lässt, sondern auch zeigt, dass die Inszenierung der Hysteria am großen Ego der Burschenschaft kratzt. Die Hysteria hat der Burschenschaft daraufhin einen Besuch bei ihrer Bude abgestattet.

Der Hashtag #linkeweiberausknocken hat übrigens eine Vorgeschichte: Auf einer gleichnamigen Webseite wurden Gewaltaufrufe gegen Frauen veröffentlicht, die sich antifaschistisch engagieren, zum Beispiel gegen Natascha Strobl. Außerdem wurden Sticker mit der Aufschrift und ihrem Gesicht darauf in Wien verteilt.

Derartige Untergriffigkeiten von Burschenschaften gegenüber Frauen generell und der Hysteria im Besonderen seien laut Goetz der Versuch, das Fortbestehen der Geschlechterdifferenz und der eigenen Privilegien zu sichern, das durch Gruppierungen wie die Burschenschaft Hysteria mehr denn je infrage gestellt werde: „Mädelschaften und Damenverbindung stellten bislang keine Bedrohung dar, da sie im Rahmen strenger Geschlechterhierachien und klaren Aufgabenverteilungen bestehen. Aufweichungen dieser männerbündischen Strukturen, wie sie jedoch beispielsweise durch die Öffnung von Burschenschaften für Frauen* von statten gehen würden, werden folglich mit einer Bedrohung sowohl für den Fortbestand antiquierter Geschlechterbeziehungen als auch für die eigenen Privilegien in Verbindung gebracht und aktiv bekämpft.“

Die Burschenschaft Hysteria findet einen Weg, Rechte zu entlarven, ohne sich selbst (zumindest was Social Media betrifft) angreifbar zu machen. Sie spielt gezielt mit den Werten und Ansichten „weißer Männer“—denjenigen, die „unsere“ Frauen schützen wollen, aber im nächsten Moment Vergewaltigungsdrohungen auf Facebook verfassen oder die, für die weibliche Emanzipation immer noch der Feind der traditionellen Familie ist. So schafft sie es nicht nur, zu entlarven und uns bewusst zu machen, welches Welt- und Frauenbild ein Teil unserer Gesellschaft eigentlich vertritt, sondern motiviert junge Frauen auch, etwas gegen eben dieses Weltbild zu tun. Nach eigenen Angaben der Hysteria häufen sich inzwischen die Mitgliedsanfragen. Um es mit ihren Worten zu sagen: Noch nie hat Vaterlandsverrat so gut geschmeckt.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

Von Judith Goetz

Erschienen in progress 2/16

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Kirsten Achtelik im Interview mit Judith Goetz über Probleme pränataler Diagnostik

erschienen in MALMOE 1/2016

Im kürzlich erschienenen Buch „Selbstbestimmte Norm“ analysiert Kirsten Achtelik die Forderung nach Selbstbestimmung und dem Recht auf Abtreibung innerhalb der autonomen Frauen*- und Behinderten- bzw. Krüppelbewegungen sowie die Geschichte der pränatalen Diagnostik (PND) in Deutschland. MALMOE sprach mit der Sozialwissenschaftlerin und Journalistin über behindertenfeindliche Facetten feministischer Politiken, gesellschaftliche Normierungsprozesse sowie die Änderungen im österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz.

Du greifst in deinem Buch eine innerhalb feministischer Debatten lange Zeit tabuisierte Frage auf, nämlich welche Problematiken sich durch die Nichtthematisierung von pränataler Diagnostik und selektiven Abtreibungen innerhalb von Pro-Choice-Kämpfen ergeben. Welche Erklärungen hast du bei deinen Recherchen für die mangelnde Bereitschaft von Feminist_innen, sich damit auseinanderzusetzen, gefunden?

Das Thema wird entweder marginalisiert oder dem unbedingten Recht der Frau, über ihren eigenen Körper und ihre Lebensgestaltung zu entscheiden, untergeordnet. Die Forderung geht bei manchen Feminist_innen so weit, dass sie das Recht auf ein genetisch eigenes, gesundes Kind beinhaltet. Das Argument kam auch bei der österreichischen Debatte um das 2015 in Kraft getretene, sehr liberale Fortpflanzungsmedizingesetz.

Ein anderer Grund ist, dass die neue Frauenbewegung in den westlichen Ländern argumentative Strategien entwickelt hat gegen die Infantilisierung von Frauen, deren Entscheidungen als wertlos galten. In den Kampagnen gegen die Abtreibungsparagraphen hat sich der Topos herausgebildet, dass die Schwangere jene Entscheidung treffen wird, die für sie selbst am besten ist. Die Frau muss nicht über ihre Gründe sprechen, soll sich nicht rechtfertigen müssen. Daher wird jede Diskussion darüber, warum abgetrieben wird, abgelehnt und als Infragestellung der Entscheidungsbefugnis der Frau empfunden. Über einen Abbruch nach der pränatalen Feststellung einer Behinderung des Fötus und Fragen wie „Warum will die Frau* überhaupt durch PND eine mögliche Behinderung wissen?“ oder „Was findet sie so schlimm an der Vorstellung eines Lebens mit einem behinderten Kind?“ kann man dann logischerweise auch nicht sprechen.

Du zeigst auf, dass die Forderung nach Selbstbestimmung und jene nach dem Recht auf Abtreibung nicht notwendigerweise das Gleiche bedeuten, sondern sich gerade daran die Widersprüchlichkeiten feministischer Diskussionen aufzeigen lassen. Welche behindertenfeindlichen Komponenten sind (bis heute) innerhalb feministischer Debatten anzutreffen?

Die Idee der Selbstbestimmung ist häufig mit der Vorstellung von einem autonomen Subjekt verbunden, das frei und alleine über sein Leben bestimmt. Ein solches Subjekt gibt es ja aber nun gar nicht und ich finde das auch nicht besonders erstrebenswert. Menschen sind immer aufeinander angewiesen, sind soziale Wesen. Dieses Aufeinander-Angewiesensein zu problematisieren, wertet offensichtlich die Menschen ab, die stärker als andere auf Unterstützung angewiesen sind.

Daneben gibt es das gesellschaftlich tatsächlich vorhandene Problem, dass vor allem Mütter die Verantwortung für die Kinder übernehmen und dass es eine enorme Herausforderung sein kann, ein Kind mit einer Beeinträchtigung zu haben. Dieses Problem zu umgehen, indem man versucht, ein Kind mit Behinderung zu vermeiden, mag individuell verständlich sein, besonders feministisch ist es nicht. Diese Bestrebung aber im Sinne der „Selbstbestimmung“ aufzuwerten, statt für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von behinderten Menschen, Kindern mit Behinderung und deren Familien zu kämpfen, ist eher neoliberal als emanzipatorisch.

Feminist_innen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen, sind entsetzt, wenn es um Abtreibungen aufgrund des Geschlechts geht, und sagen, dass das Diskriminierung sei. Abtreibungen wegen einer diagnostizierten Behinderung würden sie aber nicht als diskriminierend empfinden. Warum? Weil ein Kind mit einer Behinderung eine objektive Belastung sei, ein Mädchen aber nicht. Hier einen Unterschied zu machen, finde ich behindertenfeindlich.

Ob Kinder oder keine, entscheiden Frauen* alleine“, heißt es oftmals kämpferisch auf Pro-Choice-Demos. Übersehen werden dabei allerdings gesellschaftliche Normierungsprozesse, die sich auf die beschworene Wahlfreiheit auf vielfältige Art und Weise auswirken. Welche Faktoren beeinflussen deiner Meinung nach (selbstbestimmte) Entscheidungsprozesse von Frauen*, wenn es darum geht, Kinder zu bekommen oder abzutreiben, und wie stehen diese in Zusammenhang mit PND?

Die Faktoren sind so vielfältig wie bei den meisten Entscheidungen, die einen großen Einfluss auf das weitere Leben haben werden: Vorstellungen über das eigene Leben, berufliche Pläne, Einkommen, Beziehungen und Partnerschaften…, ob man sich gesettelt fühlt, oder ob man auf der Suche ist. Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch ohne PND sind ja auch recht divers: Abgesehen von dem recht klaren Fall, dass eine Frau einfach keine Kinder haben will, ist es oft nicht der richtige Zeitpunkt. Da liegen ökonomische Zwänge schon auf der Hand, weil es ja nicht zwangsläufig ein Problem sein müsste, während der Ausbildung schwanger zu sein oder Kinder zu haben, bevor frau sich zu einer höheren Position vorgearbeitet hat..

Nach der PND verändern sich diese Gründe. Die Föten, die nach der Diagnostizierung einer Behinderung abgetrieben werden, waren ja gewünscht. Das Kind dann nicht zu bekommen, hat schon viel mit Angst vor Behinderung zu tun, die sich die Beteiligten meist auch in den allerschlimmsten Varianten ausmalen. Eines der Argumente, das ich am bedenklichsten finde, behauptet, man erspare damit dem Kind ein unzumutbares Leben. Das verwenden auch Feminist_innen gerne, weil es zeigen soll, wie verantwortungsbewusst diese Frauen handeln. Was sagt das aber über die vermutete Lebensqualität von Menschen aus, die diese Behinderung haben?

Du zeichnest in deinem Buch auch die Geschichte der deutschsprachigen Krüppel- und späteren Behindertenbewegung nach und zeigst dabei auf, dass es in der Vergangenheit durchaus stärkere Zusammenarbeit mit (autonomen) Frauen*/feministischen Bewegungen gab. Warum scheint dies heute anders zu sein und was kann aus der historischen Zusammenarbeit für künftige Bündnisse und gemeinsame Kämpfe gelernt werden?

Nun, zum einen sind beide Bewegungen heute sehr viel kleiner, weniger dynamisch, dafür institutionalisierter als noch in der 1980er Jahren. Dass sich eine neue Generation von Feminist_innen wieder für das Abtreibungsthema interessiert, ist relativ neu. Als wir 2008 in Berlin angefangen haben, gegen den „Marsch für das Leben“ zu mobilisieren, mussten wir uns das ganze Wissen neu aneignen. Das war ja auch einer der Gründe, warum ich das Buch geschrieben habe: Damit man die Geschichte darin nachschlagen kann und nicht jede Gruppe das selbst ausbuddeln muss. Beide Bewegungen haben sich seit den 1990er Jahren auseinanderentwickelt und ich sehe es schon als Riesenfortschritt, wenn die Aktivist_innen sich jetzt wieder kennen, die jeweiligen Kämpfe auf dem Schirm haben und sich gegenseitig sensibilisieren und unterstützen.

Wie schätzt du aktuelle Entwicklungen in Österreich in Bezug auf die neue Gesetzgebung ein, die zwar einerseits Befruchtungsmöglichkeiten für Lesben regelt, andererseits aber auch Präimplantationsdiagnostik (PID) zulässiger macht?

Der Anlass für die Reform des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes war die Klage von zwei lesbischen Frauen vor dem Verfassungsgerichtshof, die sich durch den Ausschluss von einer Samenspende diskriminiert sahen. Was dann legalisiert wurde, ging allerdings weit über die Nichtdiskriminierung von Lesben hinaus, nämlich Präimplantationsdiagnostik und Eizellen“spende“. Also einerseits eine eindeutig selektive Technik zum Ausschluss von Embryonen mit genetischen Behinderungsdispositionen. Und zum anderen eine Technik, bei der jüngeren Frauen unter starker Hormonbehandlung und mit einem invasiven Eingriff gegen Geld Eizellen entnommen werden. Aber ohne das problematische Ziel eines eigenen, möglichst gesunden Kindes würden alle diese Techniken gar keinen Sinn machen. Diese Art der „reproduktiven Selbstbestimmung“ halte ich nicht für emanzipatorisch, sondern für tendenziell behindertenfeindlich. Schockierend fand ich das Desinteresse der österreichischen Linken, Feminist_innen und Queers an den damit verbundenen Problemen und den Debatten.

In deinem Buch kritisierst du auch, dass Kritik an pränataler Diagnostik nicht christlichen Fundamentalist_innen überlassen werden sollte. Welche Versäumnisse bestehen hier von Feminist_innen, aber auch von Linken allgemein?

Wenn man die radikalen Abtreibungsgegner_innen und „Lebensschützer“ nur mit Selbstbestimmungs-Parolen zu bekämpfen versucht und an PND und PID keinerlei Kritik übt, überlässt man denen das Thema. Menschen mit Behinderung, die eine Kritik an diesen selektiven Techniken haben, aber die Möglichkeiten zu legalen Abtreibungen nicht eingeschränkt sehen wollen, haben dann in den Protesten keinen Platz. „Lebensschützer“ sind konservativ und rechts, Religion und reaktionäre Werte sind keine Antwort auf die Suche nach einem guten Leben für alle.

Wie können und sollten feministische Positionen aussehen, die sich zwar einerseits für Entscheidungsfreiheit und somit für das Recht auf Abtreibung einsetzen, andererseits aber auch gegen selektive Abtreibungen auftreten?

Kurz gesagt: Die Forderung nach der Abschaffung des § 218 in Deutschland bzw. äquivalent des § 96 in Österreich muss zusammen diskutiert werden mit Forderungen nach einem Verbot von selektiven pränataldiagnostischen Untersuchungen. Selektive Untersuchungen haben keinen gesundheitlichen Mehrwert, weder für die Schwangere noch für das spätere Kind, sondern sollen nur „Normabweichungen“ und Anzeichen für Behinderungen aufspüren. Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Untersuchungen angeboten, nachgefragt und in Deutschland auch von den Krankenkassen übernommen werden, zeigt die ableistische gesellschaftliche Grundstruktur. Jeder Mensch sollte über seinen eigenen Körper entscheiden können, dafür müssen wir auf allen Ebenen weiter kämpfen. Wir sollten aber das Konzept von Selbstbestimmung nicht so weit ausdehnen, dass darüber eine individuelle Wunscherfüllung nach eigenen, gesunden Kindern abgeleitet werden kann!

Interview: Judith Goetz

Kirsten Achtelik: „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“, Verbrecher Verlag, Berlin 2015

erschienen in GENDER STUDIES ZEIT-SCHRIFT des gendup

Judith Goetz

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, läuft die sensationsorientierte Berichterstattung über das deutsche Neonazi-Trio auf Hochtouren. Dass sich Beate Zschäpe im November 2011 den Behörden stellte und sich seit Mai 2013 als Hauptangeklagte in einem Prozess zu verantworten hat, bot aber auch den (längst) notwendigen Anlass, sich erneut mit der Bedeutung von Frauen in der extremen Rechten auseinanderzusetzen. Weiterlesen

 

Deutschnationale Burschenschafter fungieren in Österreich sowohl als Sammelbecken für parteiförmig organisierte Rechtsextreme (FPÖ Funktionäre) als auch als Anhänger der militanten Neonazi-Szene und sichern sich durch ihre Männerseilschaften Einfluss, Posten und Privilegien. Die burschenschaftliche Organisation selbst baut dabei auf einer Trias auf, deren Säulen ideologisch aufeinander bezogen und zutiefst antifeministisch und sexistisch konzeptioniert sind.

Neben dem völkischen Nationalismus und dem männerbündischen Prinzip vervollständigen Brauchtumsformen wie das in burschenschaftlichen Kreisen kultivierte Mensurwesen diese Trias. So dient der Männerbund und die dahinter stehenden Vorstellungen biologistisch argumentierter Geschlechterdifferenz als sexistisches Ordnungskonzept, das die vermeintlich „natürliche“ Geschlechtertrennung und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen regelt.

Auch die ideologische wie auch politische, antifeministische Agenda deutschnationaler Burschenschaftern zielt nicht selten auf die Renaturalisierung, also die „Wiederherstellung“ einer vermeintlich „natürlichen“ Geschlechterordnung ab. Dieses strikt duale Geschlechtermodell erfüllt dabei bestimmte Funktionen, wie beispielsweise Einflüsse von vermeintlicher Weiblichkeit aus der Sphäre des Politischen, des Männerbundes oder auch der Gesellschaft fernzuhalten.

Im Vortrag von Judith Goetz und in der anschließenden Diskussion soll der burschenschaftliche Antifeminismus vor dem Hintergrund der Prinzipien des Männerbundes und dem Wesen der Mensur näher beleuchtet werden.

Wann?
Dienstag, 26.01.2016 18:00

Wo?
w23, Wipplingerstrasse 23, 1010 Wien

Das ra.wohnzimmer findet diesmal am letzten Dienstag statt. Vortrag und Diskussion zu „Vergemeinschaftet durch das Abverlangen von Standhalten und Beherrschung“ – Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften.

https://raw.at/texte/2016/maennerbund-mensur-und-antifeminismus/

– Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften

Judith Goetz*

Deutschnationale Burschenschafter fungieren in Österreich sowohl als Sammelbecken für parteiförmig organisierte Rechtsextreme (FPÖ Funktionäre) als auch als Anhänger der militanten Neonazi-Szene und sichern sich durch ihre Männerseilschaften Einfluss, Posten und Privilegien. Die burschenschaftliche Organisation selbst baut dabei auf einer Trias auf, deren Säulen ideologisch aufeinander bezogen und zutiefst antifeministisch und sexistisch konzeptioniert sind. Neben dem völkischen Nationalismus und dem männerbündischen Prinzip vervollständigen Brauchtumsformen wie das in burschenschaftlichen Kreisen kultivierte Mensurwesen diese Trias. So dient der Männerbund und die dahinter stehenden Vorstellungen biologistisch argumentierter Geschlechterdifferenz als sexistisches Ordnungskonzept, das die vermeintlich „natürliche“ Geschlechtertrennung und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen regelt. Auch die ideologische wie auch politische, antifeministische Agenda deutschnationaler Burschenschaftern zielt nicht selten auf die Renaturalisierung, also die „Wiederherstellung“ einer vermeintlich „natürlichen“ Geschlechterordnung ab. Dieses strikt duale Geschlechtermodell erfüllt dabei bestimmte Funktionen, wie beispielsweise Einflüsse von vermeintlicher Weiblichkeit aus der Sphäre des Politischen, des Männerbundes oder auch der Gesellschaft fernzuhalten.

Im Vortrag mit anschließender Diskussion soll der burschenschaftliche Antifeminismus vor dem Hintergrund der Prinzipien des Männerbundes und dem Wesen der Mensur näher beleuchtet werden.

Montag, 25.01.2016, 19 Uhr
Georg-Eisler-Hörsaal (HS3) im Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Str. 1, 5020 Salzburg

Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit dem GendUp, der StV Geschichte und dem flit*z Salzburg statt.
Der Eintritt ist frei, der Hörsaal ist barrierefrei zugänglich.

*Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin sowie Mitglied der Forschungsgruppe FIPU (www.fipu.at), sowie Vizeobfrau der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), Mauthausen-Außenlager-Guide, (Gruppen-)Trainerin, zahlreiche Artikel und Vorträge zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur in Österreich sowie zu feministischen/frauenpolitischen Fragestellungen. Lehraufträge an den Universitäten in Klagenfurt/Celovec, Salzburg und Wien.

Facebook-Link zur Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/444840212391959/

Judith Goetz

erschienen in AEP-Informationen, feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Heft 2/2013

Im März dieses Jahres titelten beinahe alle österreichischen Tageszeitungen damit, dass im vergangenen Jahr im Rahmen von Eingangskontrollen an österreichischen Gerichten 528 Schusswaffen und 49.037 Hieb- und Stichwaffen sichergestellt worden sind. Mit aller Deutlichkeit wurde in der Berichterstattung betont, dass vor allem an Bezirksgerichten, zu deren Zuständigkeit auch Obsorge- und Besuchsrechtsfälle zählen, auch unbewaffnete Besucher immer wieder für gefährliche Situationen, wie Gewalt- oder sogar Morddrohungen sowohl gegen Beteiligte im Verfahren, aber auch RichterInnen, sorgen würden. Wenngleich es gänzlich falsch wäre, diese Vorkommnisse der österreichischen Väterrechtsbewegung zuzuschreiben, zeigt sich doch, mit welcher Vehemenz und welchen Mitteln und Methoden Väter hierzulande versuchen, ihre Anliegen durchzusetzen bzw. wird das gesellschaftliche Klima deutlich, in dem sich die sogenannten Obsorgestreitigkeiten und -debatten, die bis heute maßgeblich von Väterrechtlern mitbestimmt worden sind, ausgefochten werden. Es stellt sich also die Frage, wie es um die österreichische Väterrechtsbewegung bestellt ist, wie sie ihre Anliegen durchsetzen kann und auf welche Unterstützung sie dabei auch aufbauen kann.

Österreichische Väterrechtler – kein Thema?

Wenngleich diverse Feministinnen, wie beispielsweise die breite Plattform 20.000 Frauen, die sich anlässlich des 100. Jubiläums des internationalen Frauentags gegründet hat, bereits seit einigen Jahren auf die Gefährlich- und Bedrohlichkeit sogenannter Männer- oder Väterrechtler hinweisen, scheint es in Österreich sowohl um die Forschung als auch um die Auseinandersetzung mit diesen Gruppierungen und Bewegungen noch äußerst schlecht bestellt. Obwohl insbesondere anlässlich der Debatten rund um die neue Obsorgeregelung einige kritische Stimmen lauter wurden, die auf die bedenkliche Bedeutung österreichischer Väterrechtler in dem Gesetzesänderungsprozess hinwiesen und auch in diversen Zeitungen und Zeitschriften kritische Kommentare veröffentlicht wurden, fehlt eine tiefgründigere Beschäftigung mit der Thematik hinsichtlich der Organisierung und Vernetzung, der ideologischen Hintergründe sowie ihrer Methoden und Überschneidungen zur (extremen) Rechten gänzlich. Zu den wenigen Ausnahmen in der Auseinandersetzung zählt beispielsweise auch die Mobilisierung eines breiten antifaschistischen und antisexistischen Bündnisses anlässlich der internationalen „Daddy’s Pride“ 2010 in Wien, Aktionen der oben genannten Plattform, Schwerpunkte feministischer Zeitschriften, wie der an.schläge oder der AEP-Informationen, sowie vereinzelte Tagungen oder Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen. Anders verhält es sich in Deutschland, wo in den letzten Jahren einige umfassendere Studien erschienen. Zu nennen ist an dieser Stelle vor allem Thomas Gesterkamps 2010 in der Friedrich Ebert Stiftung erschienene Studie „Geschlechterkampf von Rechts – Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren“, Andreas Kempers Einführung „[r]echte Kerle. Zur Kumpanei der MännerRECHTSbewegung“ (2011) und der vom selben Autor herausgegebene Sammelband „Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum“ (2012) sowie Hinrich Rosenbrocks von der Heinrich Böll Stiftung veröffentlichte Studie „Die antifeministische Väterrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke, Online-Mobilisierung“. Aber auch in diesen profunden Auseinandersetungen wird kaum bis kein Bezug auf Österreich genommen. Nun mögen die Gründe hierfür vielfältige sein, wie beispielsweise das große Unwissen bzw. unzureichende oder diffuse Kenntnisse über die Inhalte dieser Bewegungen, die weniger große Betroffenheit oder das geringe Interesse für Elternschaftsthemen bzw. Obsorgedebatten und nicht zuletzt auch das immer wieder angeführte Argument, dass jenen Gruppierungen dadurch mehr Aufmerksamkeit zukommen würde als ihnen eigentlich zusteht bzw. sie in der Gesellschaft bekommen. So mag es zwar richtig sein, dass die meisten Väterrechtsgruppierungen in Österreich bislang noch nicht von Anhänger(Inne)n überrannt werden, jedoch darf (und muss) ihr politischer Einfluss bzw. ihre Wirkungsmacht nicht unterschätzt werden. Dieser Einfluss beruht nämlich, wie sich zeigen wird, nicht nur auf der großen Unterstützung, die Väterrechtler hierzulande von der ÖVP und FPÖ bekommen, sondern vor allem auch auf der Hartnäckigkeit, mit der die Protagonisten versuchen, mediale/öffentliche Debatten zu beeinflussen sowie auch ihrer guten Vernetzung. Zudem stellen einzelne Anhänger und Gruppierungen, die nicht davor zurückschrecken, politische GegnerInnen, ExpartnerInnen oder auch VertreterInnen österreichischer Behörden massiv einzuschüchtern, zu bedrohen und anzugreifen, auch eine reale Bedrohung dar. Gerade deshalb scheint auch die Auseinandersetzung mit diesen Gruppierungen schlichtweg notwendig.

Väterrechtler – ein Überblick in Österreich

Die Väterrechtsbewegung, wie wir sie heute in Österreich kennen, ist erst wenige Jahre alt. Sogenannte Männerrechtler hatten zwar bereits in den USA in den 1970ern angefangen sich zu organisieren, wobei es anfänglich unterschiedliche Strömungen gab, zu denen beispielsweise in Deutschland in den 1970ern auch eine profeministische Männergruppenszene zählte. Zunehmende Institutionalisierung und Entpolitisierung sowie die Frage, wie sich gegenüber Maskulisten zu verhalten, hatten jedoch auch im deutschsprachigen Raum zu einem Erstarken von Männerrechtlern und Maskulisten geführt, aus denen ab den 1990ern auch väterrechtsbewegte Gruppierungen hervorgingen. In Österreich findet man heute ein unübersichtliches Geflecht an Väterrechtsorganisationen vor, die nicht nur immer mehr werden, sondern sich auch zunehmend besser vernetzen. Zu den bekanntesten zählen u.a. „Väter ohne Rechte“, die u.a. ein Gassenlokal im 20. Bezirk in Wien betreiben, „Vaterverbot“ sowie die österreichische „Männerpartei“, aber auch kleinere, vor allem in den Bundesländern beheimatete Vereine wie „Kindergefühle“, „Im Namen elterlicher Verantwortung“ oder „Papa gib Gas“, die versuchen, ihre Anliegen voran zu treiben. Ein Teil dieser genannten Organisationen hat sich erst kürzlich in einer österreichischen „Väterplattform“ zusammengeschlossen, die sich laut Eigenangaben an „den familienbezogenen Menschenrechten, insbesondere am Recht auf Familienleben“ orientiert. So zeigt sich, dass die Anliegen von Väterrechtsgruppierungen hierzulande wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern auf den ersten Blick durchwegs harmlos erscheinen.

„Wahre Gleichberechtigung“? – Die „Anliegen“ der österreichischen Väterrechtler

Werden die Anliegen jedoch genauer unter die Lupe genommen zeigt sich sehr schnell, dass beispielsweise hinter der oft anzutreffenden Forderung nach „wahrer Gleichberechtigung“ oftmals die Vorstellung von einer vermeintlich „natürlichen“ Verteilung von Macht zwischen den Geschlechtern steht. Das bedeutet nichts anderes als eine klassische Rollenverteilung, der ein biologistisches Verständnis der vermeintlichen natürlichen Aufgaben von Männern und Frauen in dieser Gesellschaft zugrunde liegt. Der Staat würde sich ohnehin viel zu sehr in die Angelegenheit bzw. die Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen einmischen, und so richten sich auch österreichische Väterrechtler gegen vermeintliche staatliche Bevormundung bzw. öffentliche Institutionen. In diesem Sinne heißt es bei „Väter ohne Rechte“ beispielsweise:

„Der Staat mischt sich in unsere Angelegenheiten ein. Er schreibt vor, wann wir unsere Kinder sehen dürfen und wann nicht. Er bestimmt, wie wir unsere Lebenssituation nach einer Trennung zu gestalten haben und gibt Verbote für freie Vereinbarungen zwischen den Eltern aus. Durch das Prinzip der ‚Anspannung’ hat man nicht einmal mehr eine freie Berufswahl oder die Möglichkeit einer Ausbildung. Staatliche Einrichtungen, wie etwa die Jugendwohlfahrt (Jugendamt) sind keine Serviceeinrichtungen für Eltern, sondern Verhinderungsämter, die Eltern und Großeltern vorschreiben, wie sie zu sein haben, oder verhindern, dass sie ihre Kinder sehen.“

„Väter macht- und mittellos“

So wird auch insbesondere die Bedeutung der biologischen Rolle von Vätern immer wieder in den Vordergrund gestellt und ihre Wichtigkeit mit Argumenten wie „Buben dürfen nicht Müttern und Lehrerinnen allein überlassen werden“ untermalt, da es durch die Abwesenheit der Väter und damit auch männlichen Vorbildern zu einer „väter- und männerlosen“ Erziehung kommen würde, die die Burschen verweichlichen und verweiblichen lässt. Zudem wären höhere Kriminalität, Anfälligkeit für Drogen und dergleichen die Folge. Dass die Qualität der Beziehung, die Kinder zu ihren Bezugspersonen haben, viel bedeutender ist als die biologische Elternschaft, wird dabei ebenfalls außer Acht gelassen. Auch stellt sich bei der genaueren Betrachtung der Forderungen die Frage, ob es den aktuellen Väterrechtlern wirklich so sehr um „ihre Kinder“ geht. Sie geben vor, „Väter, die keine Besucher sein wollen“ zu sein, in Wirklichkeit geht es ihnen aber großteils um die finanzielle Absicherung beziehungsweise Besserstellung des Vaters, und das wohl klarerweise auf Kosten derer, die momentan angeblich „zu viel“ bekommen würden. So empört sich „vater“ auf der Webseite von „Vaterverbot“ darüber, dass „Unterhaltsforderungen gegen Väter gerichtet werden können, auch wenn deren Existenzminimum unterschritten wird“. Es ist auch von „Zwangsarbeit“ die Rede, wenn Väter zu Unterhaltszahlungen gezwungen werden. Weiters wird beklagt, dass ein „unterhaltspflichtiger Vater, der in Karenz geht, „… von den Gerichten finanziell ermordet“ würde. Summa summarum: Aus dieser Perspektive sind Väter macht- und mittellos. Als die eigentlichen Scheidungsopfer würden die Väter nicht nur finanziell von Frauen ausgebeutet, auch der Staat begrenze ihren Wirkungsbereich, indem er ihnen die Macht entziehe, über ihre Kinder zu bestimmen und zu verfügen. Auch was in Bezug auf Frauen oftmals als Doppelbelastung (Vereinbarkeit von Beruf und Familie) bezeichnet wird, wissen die armen Väter zu überbieten, indem beispielsweise beim Verein „Vaterverbot“ von einer „verschärften Dreifachbelastung (Unterhalt, Beruf, Zeitaufwand zur Kinderbetreuung) der Väter“ die Rede ist. Auch die Forderung nach der Doppelresidenz von Scheidungskindern, die in der neuen Obsorgeregelung glücklicherweise verhindert werden konnte, zielt letztendlich auf finanzielle Entlastungen für Väter ab, denn wenn Kinder keinen hauptsächlichen Aufenthaltsort mehr haben und offiziell gleichermaßen bei beiden Eltern wohnen, müssen Väter auch keinen Unterhaltsforderungen mehr nachkommen, egal, wie viel Zeit die Kinder de facto bei ihren Vätern verbringen. Aber auch in Bezug auf Rollenbilder haben die engagierten Väter einiges zu sagen. Im Wahlprogramm der Männerpartei hieß es 2010 noch: „Jeder Mann muß die Wahlfreiheit zwischen einer traditionellen Rolle, wie der des Ernährers oder Beschützers, und eher modernen Rollen, wie der des Betreuers, haben.“ Ob Frauen dabei auch etwas mitzureden haben, bleibt fraglich, schließlich wehren sich die Väter gerade gegen diese äußeren „Zwänge“. Nach Scheidungen litten außerdem vor allem die Söhne, da ihnen die männlichen Vorbilder fehlten. „Als männliche Bezugspersonen gibt es dann nur Spiderman und Josef Hickersberger. Das kann man unseren Buben nicht zumuten.“ Außerdem müsste es weniger Lehrerinnen und mehr Lehrer geben und Vaterschaftstests für alle müssten eingeführt werden, weil bislang nur die Mütter entscheiden dürften, wer der biologische Vater eines Kindes sei (um diese dann wiederum auszubeuten, kann angenommen werden). Dass ohnehin nur bei verheirateten Paaren der Ehemann automatisch zum Vater wird, wird bei der Selbstinszenierung außer Acht gelassen. Kaum verwunderlich also, dass Gründer der „Männerpartei“, Oliver Peter Hoffmann, bei einer Demonstration skandierte, Männer seien immer die Schuldigen. Es reiche eine mögliche Gefährdung, um einen Vater aus der Familie zu entfernen. Daraus kann wohl abgelesen werden, dass auch gewalttätige Väter ihre Kinder sehen sollten, was wahrscheinlich sowieso gut so ist, da für die Väterrechtler auch klar ist, dass Gewalt in Wirklichkeit von Frauen ausgeht. So echauffieren sich Väterrechtler außerdem darüber, dass sich Gewaltpräventionskampagnen wie „Verliebt. Verlobt. Verprügelt.“ im Vorfeld der Herren-Fußball-Europameisterschaft gegen Männer und Väter richten würden. Unter dem Titel „Wussten Sie …, dass unser Frauenministerium Millionen in männerfeindliche Werbung steckt?“ belegen sie mit einschlägigen „Studien“, dass mehr als 50 Prozent der häuslichen Gewalt von Frauen ausgehen würde, wohingegen 75 Pozent der SelbstmörderInnen Männer wären. So luden auch „Väter ohne Rechte“ im März dieses Jahres zu einem Vortrag unter dem Titel „Gewalt ist nicht männlich – Warum der Feminismus unrecht hat“ ein. Mit falschen Zahlen wird ein Opferdiskurs geschaffen, der männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder gänzlich ausspart, und damit auch eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Nicht selten wird auch versucht, Gewalt gegen Mütter und Gewalt gegen Kinder als zwei getrennt behandelbare Konflikte darzustellen und dabei zu negieren, dass Gewalt gegen Mütter sehr wohl auch Kinder betrifft und selten alleine auftritt. So heißt es beispielsweise auch auf der Homepage der „Männerpartei“ in einer Presseaussendung der „Väterplattform“, als deren Sprecher sich auch Parteiobmann Oliver Peter Hoffmann auftut: „Gewaltschutz ist mehr als Frauenlobbying. Kinder sind nicht automatisch vor familiärer Gewalt geschützt, wenn sie bei der Mutter sind. Ein Grossteil des Kindesmissbrauchs geht vom neuen Freund oder von der Mutter selbst aus. Wer Obsorgeverfahren gesetzlich mit einem einseitigen Schutz der Frauen vor familiärer Gewalt verknüpfen will, beschädigt das Kindeswohl. Die jüngsten Forderungen der Frauenhäuser sind daher entschieden abzulehnen.“

Opferdiskurse

Väterrechtler schaffen es dabei, sich als Opfer nahezu jeder Lebenslage zu inszenieren, sei es im Bildungswesen, am Arbeitsmarkt, beim Staatsdienst, im Scheidungsrecht, im Gesundheitswesen oder in den Medien. „Um ihre Forderungen vertreten zu können, müssen sich die Männerrechts-Verfechter den Fakten stellen, die normalerweise herangezogen werden, um auf männliche Macht und Privilegien zu verweisen, und diese neu formulieren. Dementsprechend wird die Tatsache, dass Männer das Geld verdienen, umgewandelt in die Tatsache, dass Männer mit der Ernährer-Rolle belastet sind und Frauen das Geld ausgeben; die Tatsache, dass Männer Pornographie benutzen und Prostituierte aufsuchen, wird transformiert in die Tatsache, dass Männer durch diese Erfahrung gedemütigt werden; die Tatsache, dass Männer politische Ämter bekleiden, wird zur Tatsache, dass Frauen entweder diese Männer kontrollieren oder sich vor der Verantwortung drücken; die Tatsache, dass Männer Frauen vergewaltigen ,wird zur Tatsache, dass Frauen Männer ablehnen; und so weiter bis zu einem absurden Grad.“ (Clatterbaugh 1990, 82 zit. nach Kemper 2011, 17) So haben auch Väterrechtler begriffen, dass der Hinweis auf Benachteiligung sowie das Einfordern von Rechten ein potentiell sehr wirkungsmächtiger Diskurs ist, mit dem sich Aufsehen erregen lässt. Indem immer wieder behauptet wird, dass die Benachteiligung von Männern kein Thema in den Medien wäre, wird genau dieser Opferdiskurs inszeniert und propagiert. Dabei wird immer versucht, mit vermeintlichen Tabubrüchen und Diskursen, die sich gegen politische Korrektheit (PC) richten, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es sich bei den meisten inszenierten Tabubrüchen in der Regel gar nicht um solche handelt, da gerade Sexismus, Rassismus oder Homophobie in dieser Gesellschaft keine Tabus im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr tief und fest verankert in der Mitte der Gesellschaft sind. So wird beispielsweise auch versucht, fortschrittliche Forderungen und Errungenschaften für Frauen als vermeintlich „politisch korrekten“ Schwachsinn abzutun und gleichzeitig frauenfeindliches Gedankengut zu normalisieren. So fungieren diese Herangehensweisen nicht zuletzt auch als eine Art männliche Legitimationstrategie zur Aufrechterhaltung männlicher Macht und zur Wahrung männlicher Privilegien, so dass von einem antifeministischen Backlash gesprochen werden kann. Dennoch scheint es Väterrechtlern damit immer wieder zu gelingen, Aufmerksamkeit zu bekommen und ihre Anliegen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So sind Väterrechtler mit ihrem politischen Lobbying durchwegs erfolgreich.

Anhand der ausgewählten Beispiele zeigt sich deutlich, dass von der Vorläuferin der Väterrechtsbewegung, der Männerbewegung, die Anfang der 1970er-Jahre entstand und bei der es um eine profeministische und kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Patriarchat ging, nichts mehr übrig ist.

Antifeministische Denkweisen

Neue oder alternative Familien- oder Elternschaftskonzepte abseits von sexistischen bzw. heterosexistischen Normen, wie dem klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell, wird mensch in den Kreisen von väterrechtsbewegten Gruppen nicht finden. So setzen sich die besagten Väter auch kaum bis gar nicht für bessere Kinderbetreuungseinrichtungen oder den Ausbau der Väterkarenz ein. Zudem wird in den Diskussionsforen von österreichischen Väterrechtsinternetseiten auch immer wieder gegen das aktuelle Scheidungsrecht mobil gemacht oder beispielsweise auch Abtreibung abgelehnt bzw. ein Mitbestimmungsrecht des Mannes gefordert. Gerade bei diesen Beispielen wird deutlich, worum es den meisten Väterrechtlern eigentlich geht: die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Kontrolle über Frauen, insbesondere ihrer Ex-Partnerinnen. So will beispielsweise „Vaterverbot“ Frauen gänzlich die Möglichkeit nehmen, mit ihren Kindern ohne Zustimmung des Vaters einen Wohnortswechsel vorzunehmen.

Es zeigt sich also, dass antifeministische Denkweisen auch im 21. Jahrhundert noch allgegenwärtig sind und Antifeministen bis heute versuchen, Gleichstellungsdebatten zu beeinflussen, zu behindern und die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen bzw. den Feminismus als solchen zu bekämpfen. Sie imaginieren dabei eine feministische Vorherrschaft in der Gesellschaft, die Mädchen und Frauen bevorteile, sodass nun Buben und Männer die eigentlichen benachteiligten Opfer wären, und versuchen diese vermeintliche männliche Opferrolle in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Antifeminismus als politische Strategie gegen Theorien und Politiken zugunsten der Gleichstellung der Geschlechter hat auch im deutschsprachigen Kontext eine lange Tradition. Seit dem Aufkommen der Frauenbewegungen gibt es Männer, die sie bekämpfen, und das – wie sich anhand bestimmter Väterrechtler zeigt – bis heute. So will beispielsweise die österreichische „Männerpartei“ bei den nächsten Nationalratswahlen gegen den „menschenfeindlichen Feminismus“ antreten. Insbesondere in Internetforen und Blogs unter dem Schutz der Anonymität scheinen auch österreichische Väterrechtler immer aggressiver ihre Anliegen deutlich zu machen. Nicht selten vermischt sich das antifeministische Gedankengut auch mit anderen – sexistischen, homophoben, rassistischen und antisemitischen – Denkweisen, so dass Überschneidungen dieser Gruppierungen zur parteiförmigen extremen Rechten sowie auch zu anderen rechtsextremen Gruppierungen kaum verwundern

Rechte Allianzen?

Obgleich sich die meisten österreichischen Väterrechtsorganisationen als parteiunabhängig, überparteilich, teils auch unpolitisch oder zumindest weit in der gesellschaftlichen Mitte verankert präsentieren wollen, und sie dabei ja auch tatsächlich großen Zuspruch finden, zeigen sich bei genauerer Betrachtung sehr wohl bestimmte Allianzen. Während beispielsweise anfänglich keine einzige überparteiliche Frauenorganisation zu den Gesprächen über die Gesetzesnovelle in Bezug auf die gemeinsame Obsorge eingeladen wurde, ging die Initiative dafür sogar von Väterrechtlern aus, und Vertreter der Bewegung waren durch ihre guten Verbindungen zur ehemaligen Justizminiserin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) von Anfang in der zugehörigen Arbeitsgruppe. Dieser „gute Draht“ wurde auch von Nachfolgerin Beatrix Karl (ÖVP) vor allem mit dem politischen Anliegen, dass „Familien wieder mehr in die Verantwortung gezogen werden müssen“, fortgesetzt. Bis heute fungiert jedoch die FPÖ als die wichtigste Bündnispartei für die österreichischen Väterrechtler. Die Formen der Zusammenarbeit sind dabei vielfältig. Beispielsweise greifen einzelne FPÖ-Politiker Anliegen der österreichischen Väterrechtsbewegung auf und bringen diese in politische Debatten ein, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass das freiheitliche Familienbild durchwegs mit den Vorstellungen österreichischer Väterrechtler übereinstimmt. So wurden im Zuge der Obsorgedebatten auch von der FPÖ Väterrechtler als Experten in die zuständigen Arbeitsgruppen nominiert. Zudem betreibt auch der freiheitliche Parteiklub eine vermeintlich „unabhängige“ Plattform mit dem Namen „Trennungsopfer“ (www.trennungsopfer.at). Diese Seite wurde vom FPÖ- Mandatar und stellvertretenden Parteiobmann, der auch zu H.C. Straches „glorreichen Sieben“ zählt, ins Leben gerufen und tritt vor allem mit Diskussionsveranstaltungen im freiheitlichen Parlamentsclub an die Öffentlichkeit. Vor ca. einem Jahr sorgte auch ein E-mail mit einem Dossier zum Thema „Das Netzwerk der Kinderschänder“ für Aufsehen, da es von Thomas Tayenthal aus dem Freiheitlichen Parlamentsclub aus verschickt wurde und darin zahlreiche prominente Persönlichkeiten, wie beispielsweise Heinz Fischer, mit verurteilten Sexualstraftätern in Verbindung gebracht werden. Tayental selbst ist der Betreiber der Webseite „Trennungsopfer“ und immer wieder Vortragender auf Väterrechtsveranstaltungen. Zuvor hatten Väterrechtler auch mit dem inzwischen mehrfach aus der Partei ausgeschlossenen Karlheinz Klement zusammengearbeitet, der beispielsweise wegen Äußerungen wie „Homosexualtität als Kultur des Todes“ aufgefallen war. Die Verbindungen österreichischer Väterrechtler reichen aber auch hin bis zum BZÖ, und so ist Martin Stiglmayr von „Väter ohne Rechte“ inzwischen Büroleiter des Bürgeranwaltsbüros von Ewald Stadler. Norbert Hofer wiederum machte sich auch durch eine Selbstanzeige im Zuge der Ermittlungen wegen §278b gegen einzelne Väterrechtler für diese stark. Herwig B., der im Zuge dieser Ermittlungen für andere Delikte verurteilt wurde, betrieb auch das Forum www.genderwahn.com, das heute aufgrund von wiederholten Verstößen gegen bestehende Gesetze nicht mehr online ist, jedoch lange Zeit durch rechtsextreme, frauenfeindliche Inhalte, die von Usern wie „Frauenhausjäger“ oder „Volks“ gepostet wurden, auffiel. Die Drohungen, Verleumdungen und Diffamierungen werden nun auf der Website www.justizdebakel.com fortgesetzt, wo ebenfalls zutiefst antidemokratische und frauenfeindliche Inhalte veröffentlicht werden, wie beispielsweise eine Auflistung der Adressen aller Wiener Frauenhäuser.

Kein gesellschaftlich marginalisiertes Phänomen

So hat sich nicht nur gezeigt, wie es um die Väterrechtsbewegung hierzulande bestellt ist, sondern vor allem auch, dass es sich bei österreichischen Väterrechtlern keinesfalls um ein gesellschaftlich marginalisiertes Phänomen handelt, sondern im Gegenteil Akteure dieser Bewegung aktiv das politische Geschehen mitgestalten und so antifeministische Denkweisen und frauenfeindliche Inhalte über unterschiedliche Strategien in den politischen Diskurs bringen. Nicht zuletzt können sie sich dabei der Unterstützung von rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien sicher sein. Der gemeinsame Nenner aller Beteiligten ergibt sich dabei vor allem aus dem Anliegen heraus, bestimmte Männlichkeitskonzepte sowie männliche Vorherrschaft aufrecht erhalten zu wollen. Schließlich gäbe es auch genug Möglichkeiten, sich aus einer profeministischen Perspektive mit Benachteiligungen auseinanderzusetzen, dabei jedoch auch die eigene Eingebundenheit in privilegierte Dominanz-Strukturen zu reflektieren und sich gemeinsam mit Feministinnen für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen.

Autorin

Judith Götz (Literatur- und Politikwissenschafterin. Arbeitsschwerpunkte: Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und -kultur in Österreich, feministische/frauenpolitische Fragestellungen).

Antifeminismus wird als Tabubruch inszeniert und von Medien begeistert aufgegriffen. Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Weiss will Spaltungstendenzen mit einer notwendig solidarischen Politik begegnen. Ein Interview von JUDITH GOETZ

an.schläge 2013, Juli/August 2013

http://anschlaege.at/feminismus/2013/06/die-selbstverstandlichkeit-ist-gestort/

an.schläge: In der Auseinandersetzung mit Antifeminismus werden die Begriffe „Maskulinismus“ und „Maskulismus“ immer wieder synonym verwendet. Welche Vorteile bringt eine solche Begriffsdifferenzierung?

Alexandra Weiss: „Maskulismus“ ist eine Selbstbezeichnung von Aktivisten der Männerrechtsszene und wurde in Abgrenzung zum „Maskulinismus“ eingeführt. Die Intention ist eine Kritik am oder vielmehr ein Angriff auf den Feminismus, da sich Männerrechtler ja als Opfer eines „überzogenen“ Feminismus und einer „einseitigen“ Geschlechterpolitik betrachten. „Maskulinismus“ ist hingegen ein Begriff aus der feministischen Theorie, der eine politisch, symbolische und ideologische Übersteigerung von Männlichkeit, eine Herrschaftsstruktur und eine Ideologie der (natürlichen) Dominanz von Männern über Frauen bezeichnet. Insofern macht eine Differenzierung der beiden Begriffe Sinn, weil sie mit einer bestimmten Positionierung verbunden sind.

Seit einiger Zeit wird in journalistischen und wissenschaftlichen Kontexten eine Krise der Männlichkeit(en) als Erklärungsmuster für aktuelle Entwicklungen beschworen. Auf welche Männlichkeit(en) bezieht sich die Rede von der „Männlichkeitskrise“?

Diskurse über eine „Krise der Männlichkeit“ tauchen im Kontext von tiefgreifendem gesellschaftlichen Wandel immer wieder auf und sind insofern nicht neu, ebensowenig wie die Verschränkung mit der Rede über die negativen Folgen für die Gesamtgesellschaft. Komplexe ökonomische, soziale und politische Transformationen werden als Folge von Feminismus und „egoistischer“ Frauenemanzipation umgedeutet.

Ich denke, dass der Diskurs um die „Männlichkeitskrise“ weitgehend ein Mittelschicht-Phänomen ist, also eine Krise bürgerlicher, weißer Männlichkeit – auch wenn man beobachtet, in welchen Medien sie vor allem rezipiert wird. Männer in qualifizierten Positionen fühlen sich durch die nachziehenden und ebenso gut qualifizierten Frauen bedroht. Gerade im öffentlichen Dienst gibt es seit geraumer Zeit Gleichstellungsmaßnahmen, die – wenn auch langsam – Wirkung zeigen. Insofern ist es kein Wunder, dass sich insbesondere Wissenschaftler und hochqualifizierte Männer in diesem Diskurs engagieren – die Selbstverständlichkeit der Reproduktion des männlichen Wissenschaftsbetriebes ist gestört. Ähnliches können wir auch bei der Diskussion um Quoten für Aufsichtsräte beobachten, wenngleich das noch weitgehend rein männliche Räume sind. Die Politik ist hingegen ein Feld, das sich für Frauen und homosexuelle Männer geöffnet hat. Hier hat ein Strukturwandel stattgefunden, die Rede von der Krise verweist also vielmehr auf einen Abwehrmechanismus, der die gefährdeten Positionen absichern soll.

Welche Gründe sehen Sie für den antifeministischen Backlash der letzten Jahre und das Erstarken männerrechtsbewegter Gruppen?

Konservative männer- und väterrechtsbewegte Gruppen erhalten angesichts der Krise verstärkt mediale Aufmerksamkeit, weil sie Antifeminismus als Tabubruch inszenieren. Insbesondere das Thema „Väterrechte“ hat eine breite Anschlussfähigkeit. Dabei spielt auch die Veränderung von Medienorganisationen eine Rolle: Zum einen sind sie Unternehmen geworden, die auf „Kapitalversorgung“ durch Unternehmen und Institutionen angewiesen sind. Zum anderen stehen sie heute unter einem verschärften Konkurrenzdruck. Auch sogenannte Qualitätsmedien entfernen sich immer deutlicher vom Ideal der „Information von StaatsbürgerInnen“ und setzen vermehrt auf Unterhaltung. Das geht mit einer Zunahme der Skandalisierungskommunikation einher, in der geschlechterpolitische Fragen im Stil eines Ringkampfes inszeniert werden – eine ernsthafte Auseinandersetzung ist damit kaum intendiert.

Inwiefern tragen die durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise bedingten Veränderungen zur Stärkung antifeministischer Politiken bei?

Die Krise ist ein wesentlicher Auslöser dafür, dass die „Männlichkeitskrise“ verstärkt rezipiert wird und antifeministische Positionen mehr Gehör finden – sie hat sich in den letzten Jahren drastisch verschärft. Zunehmend sind auch Männer von atypischer Beschäftigung betroffen, die seit Jahren sinkenden Löhne sind auch für immer mehr Männer keine „Familienlöhne“ mehr, prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse dehnen sich auf Männer aus.

Vor dem Hintergrund dieser Erschütterungen soll die Familie ein von Frauen herzustellender Ort der Sicherheit sein, Frauen sollen quasi als „Sozial-Puffer“ den Rückzug des Staates aus der sozialen Verantwortung abfedern. Angesichts der steigenden Arbeits-marktintegration von Frauen und auch, weil Existenzsicherung mit nur einem Einkommen kaum zu machen ist, kann das nicht mehr gelingen. Diese Anforderungen an Frauen sind widersprüchlich und auf individueller Ebene nicht zu lösen.

Was macht den Antifeminismus heute so anschlussfähig und populär?

Antifeministische Denkmuster können in unseren von Individualisierung, Entsolidarisierung und Spaltungspolitiken geprägten Gesellschaften leicht Anschluss finden. Statt Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse und -kritik wird eine einfache und monokausale Schuldzuweisung vorgenommen, deren Argumentation logisch und selbstverständlich klingt. Für die Bildungsmisere und zunehmende Gewaltbereitschaft ist dann die „Feminisierung der Erziehung“ verantwortlich und nicht verfehlte Arbeitsmarkt-, Ausbildungs- und Wirtschaftspolitik und die daraus resultierende Perspektivenlosigkeit ganzer Generationen. Der Geburtenrückgang ist auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und ihr Selbstverwirklichungsbedürfnis und nicht auf eine mangelhafte institutionelle Kinderbetreuung zurückzuführen usw.

Außerdem wird Gleichberechtigung in vielen populären Publikationen permanent als längst erreichtes Ziel dargestellt. Wir haben es, wie Angelika Wetterer schon vor zehn Jahren feststellte, mit einer widersprüchlichen Entwicklung zu tun: Während die geschlechtsspezifische Arbeits-teilung und die ungleiche Verteilung der unbezahlten Arbeit bestehen bleibt, verschwindet die Ungleichheit aus dem zeitgenössischen Wissen über die Geschlechterdifferenz. Sie ist nicht mehr als Ergebnis einer geschlechtshierarchischen Struktur thematisierbar. Anti-Emanzipatorische Männerpolitik hat Eingang in Regierungspolitik gefunden und die Position der Männer- und Väterrechtler gestützt.

Welche politischen Maßnahmen könnten den antifeministischen Entwicklungen entgegenwirken?

Ich denke, es geht hier nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern um eine grundsätzlich solidarische Politik, eine, die die Lebensbedingungen für alle Mitglieder der Gesellschaft lebenswert gestaltet. Antifeminismus ist, wie andere Spaltungspolitiken, eine Tendenz, die den Kern der Probleme unserer Gesellschaften verdeckt und traditionelle Herrschaftsstrukturen stützt. Um dem zu begegnen, braucht es nicht nur einen ausgebauten Sozialstaat, der das Konzept sozialer Inklusion um die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen und ImmigrantInnen erweitert und der angesichts der Veränderungen von Arbeitsverhältnissen den neuen Gegebenheiten anzupassen ist. Es braucht auch eine emanzipatorische Kulturpolitik. Politik kann nicht nur auf Maßnahmen, Gesetze, Ver- und Gebote setzen, sondern muss solidarische Werte vermitteln, sie lebbar machen. Sie muss also politische und soziale Teilhabe ermöglichen und unterstützen.

Alexandra Weiss ist Politikwissenschaftlerin und Koordinatorin des Bereichs Gender Studies im Büro für Gleichstellung und Gender Studies der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.

Judith Goetz ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).