Bernhard Weidinger

Der Suhrkamp-Verlag hat jüngst einen bislang nur auf Tonträger vorgelegenen Adorno-Vortrag aus 1967 veröffentlicht. Er enthält wenig, das Adorno nicht anderswo schon gesagt oder geschrieben hätte. Zitabel ist er trotzdem.

Sie kennen das: Sie sitzen an der Proseminararbeit aus Politikwissenschaft, dem kulturkritischen Essay für die Wochenendbeilage oder dem längst überfälligen Eintrag für ihren antifaschistischen Blog, oder befinden sich auf einer Studierendenparty in einem angeregten Gespräch über die triste Lage der Welt. Plötzlich dämmert Ihnen siedendheiß, dass sie schon seit 3000 Zeichen oder 15 Minuten kein Adorno-Zitat mehr gedroppt haben – und die drei oder vier, die Sie kennen, erscheinen Ihnen so ausgelutscht, dass sie nur mehr Augenrollen zu ernten geeignet sind anstelle des eigentlich angestrebten, anerkennenden Kopfnickens.

58737Hier schafft der Suhrkamp-Verlag nun Abhilfe: „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ lautet der Titel der von Adorno 1967 im Neuen Institutsgebäude in Wien (also jenem Ort, an dem manche von Ihnen Ihre Proseminararbeiten einzureichen pflegen) abgestatteten Wortspende. Es handelt sich dabei gleichzeitig um einen Vorabdruck aus einem im Herbst erscheinenden Sammelband von Adorno-Vorträgen. Das Bändchen hat gleich mehrere Vorteile: es ist angesichts seines dünnen Umfangs in Windeseile gelesen, für Adorno-Verhältnisse – dem gesprochenen Wort sei Dank – locker-flockig formuliert und bietet vom Großmeister der Kritischen Theorie anderswo schon entwickelte Gedanken in teils neuer (im Sinne von: so noch nicht gelesener) Formulierung. Der perfekte Fundus also, um mit wenig Aufwand das Arsenal an Adornismen aufzufrischen. Für jene, die selbst diesen Aufwand scheuen, ist die nachfolgende, sanft kommentierte Auswahl gedacht, bei welcher besonderer Wert auf hohe Alltagstauglichkeit gelegt wurde.


  • Wenn Sie in einer Buzzword-Bingo-Session gefangen sind und jemand „Digitalisierung“ sagt (was fraglos passieren wird), so replizieren Sie:

„Die Technologie mag neu sein, der Prozess samt seiner gesellschaftlichen und sozialpsychologischen Implikationen ist es nicht. Hat doch Adorno schon 1967 ‚das Gespenst der technologischen Arbeitslosigkeit‘ benannt, das damals bereits unter dem Schlagwort der ‚Automatisierung‘ umging. Die Konsequenz ist diesselbe, nämlich dass ‚die Menschen, die im Produktionsprozeß drinstehen, sich bereits als potentiell überflüssig […], sich als potentielle Arbeitslose eigentlich fühlen.‘” (Adorno 2019, S. 11f.; kursive Textstellen unter einfachen Anführungszeichen markieren Zitate aus Adornos Vortrag)

  • Wenn jemand Unverständnis darüber äußert, dass ausgerechnet in einer globalisierten Welt und der fortgeschrittenen europäischen Integration der Nationalismus wieder seine hässliche Fratze reckt – das sei doch paradox! –, so reagieren sie souverän:

Tatsächlich hat ‚der neue Nationalismus oder Rechtsradikalismus […] angesichts der Gruppierung der Welt heute […] etwas Fiktives. Es glaubt eigentlich niemand mehr so ganz daran. Die einzelne Nation ist in ihrer Bewegungsfreiheit […] außerordentlich beschränkt.‘ Die nationalistische Reaktion muss nicht wunder nehmen, ist es doch ’sehr oft so, daß Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr recht substantiell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen.‘ (S. 13) ‚Ähnliches dürfte es mit dem, wenn ich es so nennen darf, „pathischen“ Nationalismus heute auch auf sich haben.‘ (S. 14)

  • Wenn Ihnen jemand einreden will, Rechtsextremismus sei eben eine „pathologische Normalität“ liberaler Demokratien und vielmehr Beleg für deren Funktionieren als für das Gegenteil, so kontern Sie ebenso respektvoll wie treffsicher:

Der empirische Gehalt Ihrer Aussage ist zu bejahen – doch gleichzeitig, bei aller Wertschätzung, steckt doch ‚darin so ein gewisses quietistisch bürgerlich Tröstendes, wenn man sich das so vorsagt.‘ Ja, das von Ihnen benannte Phänomen existiert allenthalben – ‚aber doch nur als Ausdruck dessen, daß dem Inhalt nach, dem gesellschaftlich-ökonomischen Inhalt nach, die Demokratie eben bis heute nirgends wirklich und ganz sich konkretisiert hat, sondern formal geblieben ist. Und die faschistischen Bewegungen konnte man in diesem Sinn als die Wundmale, als die Narben einer Demokratie bezeichnen, die ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch nicht voll gerecht wird.‘” (S. 17f.)

  • Wenn eine Erörterung des Katastrophischen als Merkmal rechter bis rechtsextremer Diskurse sich bereits erschöpft zu haben scheint, sind Sie noch lange nicht fertig:

Dass Rechte ständig den Untergang von allem beschwören, das wahr, gut und schön ist, und sich gleichzeitig als jene inszenieren, die allein im Stande wären, eben diese Entwicklung aufzuhalten, ist trivial. Der entscheidende Punkt ist doch, dass sie ‚in gewisser Weise die Katastrophe wollen, daß sie von Weltuntergangsphantasien sich nähren‘. (S. 19f.) Psychoanalytisch gesprochen, appellieren sie ‚an den unbewußten Wunsch nach Unheil, nach Katastrophe‘. Und weil ich den Widerspruch schon aus Ihren, von Ressentiment gegen die Psychoanalyse triefenden Augen ablesen kann: ja, dieser Wunsch hat, neben der psychologischen Komponente, auch eine ‚objektive Basis‘. Denn ‚[w]er nichts vor sich sieht und wer die Veränderung der gesellschaftlichen Basis nicht will, […] der will aus seiner eigenen sozialen Situation heraus den Untergang, nur eben dann nicht den Untergang der eigenen Gruppe, sondern wenn möglich den Untergang des Ganzen.‘” (S. 20)

  • Wenn jemand wieder einmal mit der „Erkenntnis“ langweilt, dass man eines der FPÖ schon lassen müsse: in ihrer Nutzung der neuen sozialen Medien sei sie allen anderen weit voraus, bringen Sie mit nachfolgendem Zitat etwas gesellschaftstheoretischen Tiefgang in die Runde:

Tatsächlich beruht der Erfolg der Freiheitlichen nicht zuletzt auf einer ‚außerordentliche[n] Perfektion der Mittel, nämlich in erster Linie der propagandistischen Mittel in einem weitesten Sinn‘ – freilich ‚kombiniert mit Blindheit, ja Abstrusität der Zwecke, die dabei verfolgt werden.‘ Und ebenjene Gleichzeitigkeit atmet letztlich den Geist der ‚zivilisatorischen Gesamttendenz, die ja überhaupt auf eine solche Perfektion der Techniken und Mittel hinausläuft, während der gesamtgesellschaftliche Zweck dabei eigentlich unter den Tisch fällt.‘” (S. 23)

  • Wenn Ihnen jemand eine Petition zuleitet, die gegen den rassistischen Normalzustand und seine ExekutorInnen in Regierungsverantwortung mehr „Menschlichkeit“ in Stellung bringen will (oder Sie auf den Donnerstagsdemos gegen Schwarz-Blau III ab Jänner 2020 entsprechender Schilder ansichtig werden), geben Sie mit Adorno die Spielverderberin:

„‘Man soll nicht in erster Linie mit ethischen Appellen, mit Appellen an die Humanität operieren, denn das Wort ‚Humanität‘ selber und alles, was damit zusammenhängt, bringt ja die Menschen, um die es sich handelt, zum Weißglühen, wirkt wie Angst und Schwäche, etwa ähnlich so, wie in bestimmten Vorgängen, die mir bekannt sind, die Erwähnung von Auschwitz zu Rufen wie ‚Hoch Auschwitz‘ geführt hat und die bloße Erwähnung jüdischer Namen bereits zum Gelächter.‘” (S. 27f.)

Dazu eine kleine Fußnote: Adorno spielt hier auf Ereignisse an, die sich wenige Jahre zuvor in Wien zugetragen hatten. Der Mann, der durch die Erwähnung jüdischer Namen in seinen Vorlesungen verlässlich Gelächter geerntet hatte, war Taras Borodajkewycz (Hochschule für Welthandel, heutige WU). „Hoch Auschwitz“ war eine Parole der Alt- und Neonazis gewesen, die sich den antifaschistischen Demonstrationen gegen Borodajkewycz entgegenstellten.

  • Wenn Sie nach Ihrer Intervention über die Sinnlosigkeit von Humanitätsappellen vor die Frage gestellt werden, wie denn sonst der Herausforderung von rechts zu begegnen sei, können Sie es hiermit versuchen:

„‘[D]as einzige, was mir nun wirklich etwas zu versprechen scheint, ist, daß man die potentiellen Anhänger des Rechtsradikalismus warnt vor dessen eigenen Konsequenzen, daß man ihnen klar macht eben, daß diese Politik auch seine eigenen Anhänger unweigerlich ins Unheil führt und daß dieses Unheil von vornherein mitgedacht worden ist […]. Also man muß, wenn man gegen diese Dinge im Ernst angehen will, auf die drastischen Interessen derer verweisen, an die sich die Propaganda wendet.‘” (S. 28)

  • Selbst, wenn Ihr Gegenüber sich dadurch nicht überzeugen lässt und empirische Belege für die Sinnhaftigkeit der von Ihnen ins Spiel gebrachten Strategie fordert, sind Sie vorbereitet (wobei es sich empfiehlt, die Entstehungszeit ihrer empirischen Referenz zu verschweigen):

Es hat sich in den Studien zur autoritären Persönlichkeit gezeigt, ‚daß auch die vorurteilsvollen Persönlichkeiten, die also durchaus autoritär, repressiv, politisch und ökonomisch reaktionär gewesen sind, an der Stelle, wo es sich um ihre eigenen durchsichtigen, für sie selbst durchsichtigen Interessen gehandelt hat, ganz anderes reagieren‘ undsich relativ rational verhalten.‘” (S. 52)

  • Wenn Sie Ihrer Abscheu gegen Gabalier Ausdruck verleihen und Ihr Gegenüber entgegenhält, dass man diesem Trachtenzombie doch bitte nicht soviel Aufmerksamkeit widmen sollte – es gäbe ja nun wirklich politisch relevantere Teilphänomene des allgemeinen Rechtsrucks –, entgegnen Sie, dass

auch unter dem Gesichtspunkt der Politik die Symptome der Kulturreaktion und der angedrehten Provinzialisierung mit besonderer Wachsamkeit beobachtet werden müssen, weil das, einfach weil die außenpolitische Bewegungsfreiheit diesen Bewegungen abgeht, der Bereich ist, in dem sie am meisten sich austoben können und sicherlich versuchen und noch mehr versuchen werden, sich auszutoben.‘” (S. 30)

  • Wenn jemand „Silberstein!“ sagt / Wenn Sie eine beliebige Presseaussendung oder Wortmeldung aus dem Kreis der Neuen Volkspartei vor sich haben, versetzen Sie wissend:

[N]och das Tabu über der Erwähnung der Juden wird zu einem Mittel der antisemitischen Agitation, nämlich so mit diesem Augenzwinkernden: ‚Wir dürfen ja nichts darüber sagen, aber wir verstehen uns unter uns. Wir alle wissen, was wir meinen.‘ Und die bloße Erwähnung etwa eines jüdischen Namens genügt dieser Technik der Anspielung bereits, um bestimmte Effekte hervorzurufen.‘” (S. 35)

  • Wenn Ihnen jemand weismachen will, dass die von rechtsaußen ständig erhobene Forderung nach „mehr (direkter) Demokratie“ wohl doch Zeugnis davon ablege, dass diese Gruppierungen ihre Frontstellung gegen die Demokratie aufgegeben hätten, erinnern Sie daran, dass

„‘diese Ideologie durch die Gesetzgebung an ihrer vollen Äußerung verhindert [ist]. […] [D]er Zwang zur Anpassung an demokratische Spielregeln bedeutet auch eine gewisse Änderung in den Verhaltensweisen, und insofern liegt darin doch auch ein Moment […] der Gebrochenheit, die diese Bewegungen im Stadium ihres Revenanttums nun einmal haben. Das offen Antidemokratische fällt weg. Im Gegenteil: Man beruft sich immer auf die wahre Demokratie und schilt die anderen antidemokratisch.‘” (S. 37)

  • Wenn Ihnen jemand einen Kommentar zu Ibiza abringen will, obwohl dazu doch nun wirklich schon alles gesagt ist (und zwar von jedem), ziehen Sie sich mit Adorno in Tweetlänge aus der Affäre:

Am Ende des Tages haben Strache und Gudenus eindrucksvoll das wenig (mir aber durchaus) bekannte Diktum von Adorno über den Rechtsextremismus bestätigt: ‚ich halte das Ideologische gegenüber dem politischen Willen dranzukommen wirklich für ganz sekundär‘.” (S. 37)

  • Wenn Sie beim Zeitungsstudium im Café das aberhundertste Erklärstück über die vermeintlich so „neuen“ Rechten lesen, seufzen Sie gequält, nehmen einen Schluck aus der Espressotasse und murmeln, für den Nachbar*innentisch gerade noch hörbar:

„‘Es ist erstaunlich, wenn man die Dokumente liest, wie wenig zu dem alten Repertoire an Neuem hinzugekommen ist, wie sekundär und aufgewärmt es ist.‘” (S. 37)

–  Womit Sie sowohl die Geisteswelt von „Identitären“ & Co., als auch das Gros der journalistischen Erzeugnisse über ebenjene treffend charakterisiert hätten.

  • Wenn Ihnen jemand erklärt, Herbert Kickl sei zwar politisch unverträglich, aber sein polit-kommunikatorisches Genie müsse man wohl neidlos anerkennen, werfen Sie relativierend ein, dass es sich bei dem Repertoire des vermeintlich Genius doch

„‘um eine relativ kleine Zahl immer wiederkehrender standardisierter und vollkommen vergegenständlichter Tricks handelt, die ganz arm und dünn sind, die aber auf der anderen Seite gerade durch ihre permanente Wiederholung ihrerseits einen gewissen propagandistischen Wert für diese Bewegungen gewinnen.‘” (S. 43f.)

  • Wenn man daraufhin von Ihnen wissen will, wie diesen Tricks denn zu begegnen sei, haben Sie dank Onkel Teddy auch darauf eine Antwort parat:

Man sollte sie ‚dingfest machen, ihnen sehr drastische Namen geben, sie genau beschreiben, ihre Implikationen beschreiben und gewissermaßen versuchen, dadurch die Massen gegen diese Tricks zu impfen, denn schließlich will niemand ein Dummer sein, oder, wie man in Wien sagt, niemand will die ‚Wurzen‘ sein. Und daß das Ganze auf eine gigantische psychologische Wurztechnik, auf einen gigantischen psychologischen Nepp herausläuft, das ist wohl durchaus zu zeigen.‘” (S. 54)

  • Wenn Ihnen jemand einbläuen will, dass die Linke viel zu lange einen Bogen um die Themen Islam, Einwanderung und Integration gemacht habe und den Erfolgslauf der Rechten nie eindämmen werde können, solange sie sich den Sorgen und Ängsten der Autochthonen über die entstehenden Parallelgesellschaften nicht offensiv zuwende, erinnern Sie daran, dass

„‘dieser ganze Komplex der autoritätsgebundenen Persönlichkeit und der rechtsradikalen Ideologie in Wirklichkeit seine Substanz gar nicht an den designierten Feinden hat, gar nicht an denen hat, gegen die man dabei tobt, sondern daß es sich dabei um projektive Momente handelt, also daß die eigentlichen Subjekte einer Studie, die, die man zu begreifen und zu verändern hätte, die Rechtsradikalen sind und nicht die, gegen die sie ihren Haß mobilisiert haben.‘” (S. 52f.)

  • Wenn jemand – vermutlich derselbe Mensch wie eben – fordert, die Linke müsse selbst populistischer werden, mit denselben Mechanismen operieren wie das politische Gegenüber, eröffnen sie gönnerhaft:

Fürwahr, man muss dem Rechtsextremismus, ‚abgesehen vom politischen Kampf mit rein politischen Mitteln, in seiner eigensten Domäne‘ – jener der Propaganda nämlich – ’sich stellen. Aber nun nicht Lüge gegen Lüge setzen, nicht versuchen, genauso schlau zu sein wie er, sondern nun wirklich mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit dem entgegenarbeiten.’” (S. 54f.)

  • Wenn Ihnen schlussendlich jemand mitteilt – und wenn Sie die vorliegende Handreichung fleißig zum Einsatz bringen, ist das nur eine Frage der Zeit –, Sie mögen bitte nicht ständig so obergescheit daherreden und überdies nicht alle zwei Sätze Adorno zitieren, haben Sie hiermit einen garantierten Winner (der zwar das Gegenüber nicht befrieden, aber doch zumindest eine Weile zähneknirschend schweigen lassen wird):

Wie Adorno schon wusste: ‚vor allem solange man nicht offen antisemitisch sein kann und solange man auch nicht die Juden umbringen kann, weil das ja bereits geschehen ist, sind besonders verhaßt die Intellektuellen‘.” (S. 32)

Da Sie vermutlich auch dem einen oder der anderen Bewegungslinken über den Weg laufen werden, an denen Adorno-Referenzen grundsätzlich abprallen, da dieser doch – anders als Marcuse! – von seinem akademischen Elfenbeinturm aus soziale Bewegungen mit seinen kritischen Einwürfen gelähmt und ihnen eingeredet habe, es lasse sich ohnehin nichts machen, seien Ihnen abschließend noch die folgenden Worte an die Hand gegeben, die Adorno ganz am Schluss seines Wiener Vortrags sprach:

Die Frage, wie es mit dem Rechtsextremismus wohl weitergehe, sei ‚falsch, denn sie ist viel zu kontemplativ. In dieser Art des Denkens, die solche Dinge von vornherein ansieht wie Naturkatastrophen, über die man Voraussagen macht wie über Wirbelwinde oder über Wetterkatastrophen, da steckt bereits eine Art von Resignation drin, durch die man sich selbst als politisches Subjekt eigentlich ausschaltet, es steckt darin ein schlecht zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit. Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns.‘ (S. 55)

Das Buch: Theodor W. Adorno (2019 [1967]), Aspekte des neuen Rechtsradikalismus – Ein Vortrag. Mit einem Nachwort von Volker Weiss. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Zurück zur Startseite

Gastbeitrag von Daniel Herzog

Wie bereits im Mai berichtet, bedient die Monatszeitschrift „Alles roger?“ antisemitische Stereotypen, indem sie George Soros zum einen als „Heuschreckenspekulanten“ (03/2017, S. 22) bezeichnet und zum anderen ihn als „Liebkind mächtiger Kreise wie der Rothschilds“ (05/2018, S. 9) darstellt. Die Familie Rothschild dient der Zeitschrift dabei als antisemitische Projektionsfläche, die es ermöglicht, eine jüdische Weltverschwörung zu insinuieren, ohne dabei umgehend als offen antisemitisch entlarvt zu werden.

George Soros‘ vermeintliche Verbindung zu den ominös-allmächtigen Rothschilds dient dabei nur als Aperitif für einen zumindestens strukturellen Antisemitismus, der sich zu einem Gebilde von Verschwörungstheorien verhärtet. Der vermeintlich von den Rothschilds gesteuerte „Mega-Spekulant“ (05/2018, S. 8) Soros wird in weiterer Folge als „Leiter der Masseneinwanderung“ (09/2017 S. 12) bezeichnet und Verbindungen zu Christian Kern und Sebastian Kurz (09/2017, S. 12 / 04/2017, S. 33) werden unterstellt.
In anderen Fällen muss George Soros nicht als antisemitisches Verbindungsglied herhalten, sondern es werden direkte Verbindungen zwischen Rothschilds und politischen Entscheidungsträgern hergestellt. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird etwa als „Rothschild-Agent“ (06/2017, S. 12) bezeichnet und unmissverständlich festgestellt: „Hinter Macron steht die Familie Rothschild.“ (12/2017, S. 36)

Das Weltverschwörungskonstrukt von „alles roger?“ erschöpft sich jedoch nicht in den Phantasien, dass George Soros, Emmanuel Macron und die „Masseneinwanderung“ von der Familie Rothschild gesteuert werden. Bereits in den frühesten Ausgaben finden sich Artikel wie „Veranstalten die Rothschilds okkulte Zeremonien?“ (Ausgabe #4) und „Zerstören die Rothschilds Afrika?“ (Ausgabe #3). Im fünften Heft treffen Geschichtsrevisionismus und antisemitische Verschwörungstheorie auf besondere Weise aufeinander. Neben leichter Lektüre über den James-Bond-Film „Spectre“, einem Interview mit Heinz-Christian Strache und einer Reportage über die Dating-App „Tinder“ findet sich ein anonym verfasster Artikel mit dem Titel „Der Zynismus des Zionismus“.

In vermeintlich investigativ-journalistischer Manier wird zu Beginn des Textes „aufgedeckt“, dass die Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen von einer „Schweizer Aktiengesellschaft“ betrieben wird. Am Ende einer langen Kette an Beteiligungsverhältnissen würde die Barclays-Bank stehen, die wiederum – man ahnt es schon – „von der Bankier-Familie Rothschild maßgeblich beeinflusst wird.“ Doch der journalistischen Sorgfaltspflicht wäre nicht genüge getan, würde nicht nach den Hintergründen für die Beteiligung der Rothschilds in Traiskirchen gefragt. Profitinteressen als Motiv seien eine „oberflächliche Erklärung.“ Den Rothschilds gehe es vielmehr um Macht. „Sie sind Profis darin, Konflikte zu schüren und diese geopolitisch zu steuern.“ Internationale Flüchtlingsbewegungen würden von der Familie Rothschild orchestriert werden und zwar nicht nur heutzutage, sondern auch schon 1933.

An dieser Stelle beginnt sich der Geschichtsrevisionismus von „Alles roger?“ zu entfalten. So habe die Familie Rothschild sich in den 1920er Jahren als Unterstützerin und Finanzier des Zionismus erwiesen. Im Nahen Osten sollte mithilfe jüdischer Emigranten und Emigrantinnen aus Europa ein neuer Staat entstehen. Laut „Alles roger?“ habe sich bald gezeigt, dass die Bereitschaft vieler Juden und Jüdinnen, einen neuen Staat aufzubauen, nicht den zionistischen Vorstellungen entsprach. „Ein Scheitern war für den Zionismus jedoch nicht vorgesehen. Um der Bewegung zu ihrem großen Erfolg zu verhelfen, musste eine langfristige Bedrohung des Judentums in ganz Europa her.“ Besagte Bedrohung, die demnach erst von außen geschaffen werden musste, sollte in einem „aufgeklärten Land“ in Europa entstehen – in Deutschland. Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sei demnach bewusst von Zionisten wie den Rothschilds eingefädelt worden, um die europäischen Juden und Jüdinnen zur Ausreise in den Nahen Osten zu zwingen. Der verschwörerische Plan der Rothschilds ging auf, ist man sich bei „Alles roger?“ sicher. Denn „viele Menschen auch nichtjüdischer Herkunft, wurden infolge des nationalsozialistischen Rassismus zu Befürwortern des Zionismus. Der Holocaust ließ viele Menschen zum Schluss kommen, Juden müssten einen eigenen Staat haben.“ Den Jüdinnen und Juden wäre schließlich keine andere Wahl geblieben, als, entsprechend der Wünsche der Rothschilds, den heutigen Staat Israel aufzubauen. Doch nicht nur die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sei auf die Rothschilds zurückzuführen, sondern auch die restriktive Flüchtlingspolitik vieler Staaten wie etwa Frankreichs, Neuseelands, Kanadas, Australiens und der USA. „Den deutschen Juden blieben wenig andere Optionen, als ins heutige Israel zu flüchten, so wie der Zionismus sich das vorgestellt hatte.“

Nach dieser Tirade an antisemitischer Geschichtsfälschung stellt der oder die anonyme Autor/in in fast schon zynischer Anmaßung fest: „Autoren, die sich negativ über die Rothschilds äußern, werden oft und gerne als ‚Antisemiten‘ verleumdet.“ Dass die Zuweisung der Schuld am Holocaust an die jüdische Familien Rothschild antisemitisch ist, stößt bei „alles roger?“-Autor/innen anscheinend auf vollkommenes Unverständnis. So wird etwa in einem Artikel mit dem selbstbemitleidenden Titel „Warum alles roger? so bekämpft wird“ festgestellt: „Besonders gerne wird gegen alternative Medien die Nazi-Keule geschwungen. In unserem Fall deshalb, weil wir uns erlaubten, die Familie Rothschild zu kritisieren und nach Hintergründen der Asylanteninvasion zu fragen.“ (05/2017, S. 51)

Finanziert werden solch hetzerische Geistesblitze unter anderem durch Inserate der Regierungspartei FPÖ und Ministerien der FPÖ (alleine in den Ausgaben 01/2018 bis 06/2018 finden sich vier Inserate der FPÖ und zwei von freiheitlichen Ministerien). Aber auch die ÖVP in der Person von Johanna Mikl-Leitner hat zumindestens einmal in der Zeitschrift eine Werbeanzeige geschalten. (01/2018)

Fehlende Berührungsängste mit der offenkundig antisemitischen wie rassistischen Zeitschrift zeigen sich jedoch auch darin, dass Politiker und Politikerinnen immer wieder dem Blatt für Interviews zur Verfügung stehen. So findet man in dem Weltverschwörungsblatt etwa Interviews mit Herbert Kickl (05/2018), Marlene Svazek (04/2018), Norbert Hofer (03/2018), Dominik Nepp (02/2018), Udo Landbauer (01/2018), Heinz-Christian Strache (11/2017), Ursula Stenzel (02/2017), Johanna Mikl-Leitner (06/2017), Werner Amon (04/2017) und Erwin Pröll (Ausgabe 04/2015).

Das besonders hetzerische Potenzial und die damit einhergehende gesellschaftliche Fanatisierungsgefahr von „Alles roger?“ besteht nicht zuletzt drin, dass harmlose Lifestyle-Artikel wie „Robben-Babys auf Helgoland“ (01/2018) oder „Tiergarten Schönbrunn: Warum Tiere Schneemänner lieben“ (12/2017) neben rassistischen und antisemitischen Verschwörungsphantasien abgedruckt werden. Ein genauerer Blick auf die Zeitschrift zeigt, dass sie nicht nur „tendeziell antisemitisch“ ist, sondern vielmehr seit den drei Jahren ihres Bestehens gezielt antisemitische Vorurteile bedient und schürt.

Zurück zur Startseite

Die neue Ausgabe der Aluhut-Postille „alles roger?“ wartet nicht nur mit dem üblichen, antisemitisch grundierten Verschwörungsschmonzes auf, sondern erstmals auch mit Inserateförderung durch gleich zwei österreichische Bundesministerien.

„George Soros – Das Österreich-Netzwerk des Globalisten“, prangt es auf der Titelseite der Mai-Ausgabe von Ronald Seunigs „Querformat für Querdenker“. In ebendieser Zeitschrift hatte Norbert Hofer, inzwischen Infrastrukturminister, vor gut einem halben Jahr bereits erklärt: „Soros steuert mit Sicherheit einiges auf der Welt, auch die Flüchtlingsströme. Das weiß man.“ Was Hofer damals zu wissen glaubte und von Johann Gudenus jüngst zu „stichhaltigen Gerüchten“ downgegradet wurde, präsentiert alles roger? nun als Tatsache: Soros sei der „Lenker der Masseneinwanderung“ (S. 11).

Als wäre das nicht genug, breite sich sein Einfluss „immer mehr in unserem Land aus“ (S. 8). Dem Artikel zufolge steht praktisch die gesamte Polit- und Medienlandschaft Österreichs (mit Ausnahme der FPÖ und wackerer Alternativmedien wie alles roger? selbst) im Sold des „Globalisten“. NGOs wie Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen oder die Armutskonferenz, tun das ohnehin, insbesondere jene, „die bei jeder Gelegenheit für die Zuwanderung von Kulturfremden und gegen die FPÖ mobilmachen“. Selbst das Burgtheater stecke mit Soros unter einer Decke (S. 11).

Was dem einen die Rothschilds…

Während blaue Granden sich nach Gudenus‘ Aussagen bemüßigt zeigten, das Jüdische an Soros zum für ihre Kritik irrelevanten Faktum zu erklären, greift alles roger? tief in den Fundus antisemitischer Topoi. Soros, der als „Mega-Spekulant“ (S. 8), „Paradebeispiel eines ‚gierigen Hedgefondsmanagers'“ (S. 9) und, für die ganz Dummen, als „Sohn jüdischer Eltern“ (S. 10) eingeführt wird, sei „Liebkind mächtiger Kreise wie der Rothschilds“ (S. 9). Grundlage seines Aufstiegs sei eine „Anschub-Finanzierung“ der „britischen Rothschild-Banker“. Seither arbeite er „eng mit der Familie Rothschild zusammen“ (S. 10) und habe ein „metastasenartiges Netzwerk“ gesponnen (ein Zitat der Verschwörungsphantastin Friederike Beck), das die gesamte Welt umspanne (S. 9). Als ultimativer Beleg für Soros‘ üble Machenschaften wird denn auch ins Feld geführt, dass sich „[s]ogar in Israel“ Widerstand gegen ihn rege (S. 12), was offenbar das Welt- oder auch Israelbild des Redakteurs sprengt.

Zwei weitere Artikel dieser Ausgabe sind Soros gewidmet. Während der eine ihm (und der rot-grünen Wiener Stadtregierung) nur vorwirft, mit der Übersiedlung der Central European University auf das Gelände des Wiener Otto-Wagner-Spitals ein „Baujuwel“ zu gefährden (S. 13), kann der Linzer Online-Rechtsaktivist Florian Machl – der auf Facebook Geflüchtete mit „Bazillen“ vergleicht, über „Unterschiede zwischen Rassen“ philosophiert und die Öffentlichkeit darüber unterrichtet, „ready for war“ zu sein – mit deftigerem Material aufwarten: „Mysteriöser Tod eines Soros-Kritikers“, ist sein Beitrag übertitelt (S. 36f.).

…ist dem andern die blaue Partei

Auch ansonsten bietet das Heft Gewohntes: „Südafrika – Weiße fürchten um ihr Leben“ (S. 24f.), „Russland im Visier“ (S. 42f.), Kolumnen von Geistesgrößen wie Felix Baumgartner, „EU-Bauer“ Manfred Tisal und Andreas Unterberger oder Klagen einer anonymen Lehrerin über „unformbare[s] Schülermaterial […] mit muslimischem Hintergrund“ (S. 44f.). Dazu Werbung für die rechtsextreme Info-DIREKT (S. 70), für ein Buch Udo Ulfkottes (S. 72) und eine redaktionelle Einschaltung für ein heimattreues Modelabel, welches das T-Shirt-Motiv „I schmus nur mit an Unsrigen“ vertreibt (S. 64). Zur Krönung der Ausgabe darf ausgangs ein abgehalfterter Schlagersänger über „Grippewelle durch Chemtrails?“ sinnieren (S. 70).

All das besitzt ebensowenig Neuheitswert wie das – für diese Zeitschrift obligatorische – Interview mit einer freiheitlichen Spitzenkraft. Nach Udo Landbauer (Jänner), Dominik Nepp (Feber), Norbert Hofer (März) und Marlene Svazek (April) ist diesmal Innenminister Herbert Kickl an der Reihe und darf erklären, Österreich müsse und werde „alles tun, um [für Asylwerbende, Anm.] nicht attraktiv zu sein.“ (S. 21) Das tatsächliche Novum: die aktuelle Nummer enthält kein Inserat der FPÖ; dafür gleich zwei „entgeltliche Einschaltungen“ blauer Ministerien: Kickls Innenministerium wirbt für den Eintritt in den Polizeidienst (S. 45), Vizekanzler Straches Ministerium für den Öffentlichen Dienst und Sport für den Erwerb des Österreichischen Sport- und Turnabzeichens (S. 15). Der Weg nach Ungarn, wo Orbán und ihm ergebene Medien Soros seit bereits seit Jahren zum ultimativen Gegenspieler alles Wahren, Guten und Schönen stilisieren, ist soeben wieder ein gutes Stück kürzer geworden.

Zurück zur Startseite

Welchen Stellenwert hat Musik für die neonazistische und extreme Rechte Österreichs heute? Welche Bands sind bedeutend und bestehen Strukturen, die musikalischen Erfolg in Geld für die rechtsextreme Szene umwandeln können?

Bildschirmfoto

Aufgepumpte Muskeln, ein „X“ auf dem Handrücken, Kapuzenpullis und Baseball-Kappen; dazu treibende Beats, melodiöse Refrains zum Mitgröhlen und Texte über Bruderschaft, Reinheit und ‚One family‘. Ganz im Stil der Straight Edge-Hardcore Bands der 1990er Jahre, doch gepaart mit professionellem Videoschnitt und Selbstinszenierung in sozialen Medien: Das sind die Elemente, welche die neue Musik der neonazistischen Szene zunehmend prägen. Während ideologische Versatzstücke oft in den Hintergrund rücken, beteuern die Musiker „anders als die meisten Konsumidioten und Säufer in der Szene“ wirklich hinter der nationalen Sache zu stehen. So stellen es zumindest die Musiker von Terrorsphära, dem österreichischen Exportschlager im Bereich des NS-Hardcore (NS-HC), dar.

Am 15. Oktober 2016 im Schweizer Städtchen Unterwasser: Mehrere tausend Neonazis finden sich in einer Sporthalle ein, um zu neonazistischen Bands wie Frontalkraft oder Stahlgewitter abzufeiern. Medien vermelden das größte Nazi-Konzert der letzten Jahre. Aufgrund der Menge der Besucher_innen, die Behörden sprechen von rund 5000 Menschen, greift die sichtlich überrumpelte Polizei nicht ein. Im Laufe des Abends werden massig rechte Arme zum Hitlergruß erhoben, darunter befinden sich nicht gerade wenige Neonazis aus Österreich. Kein Wunder: Die Grenze ist nur zehn Kilometer von der Sporthalle entfernt. In Feldkirch ist man mit dem Auto in einer halben Stunde.

Blood & Honour

Das Konzert in Unterwasser ist ein Beispiel dafür, wie die extreme Rechte Musik nutzt, um neue Anhänger_innen und Aktivist_innen für ihre Ziele zu begeistern. Zu Demonstrationen aus demselben Lager kommen in der Regel weit weniger Menschen. Musik ist schon lange ein Mittel, um Menschen für politische Ziele zu mobilisieren. Der Welser Journalist Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich seit Langem mit der extremen Rechten, ihrer Musik und ihren Proponent_innen:

„Im jugend- und subkulturellen Bereich hat Musik generell einen zentralen Stellenwert, nicht nur in der extremen Rechten. Musik ist perfekt zum Unterstreichen von Emotionen, egal ob von Liebe, Wut oder Hass, das ist ihr Geheimnis. Damit trägt Musik wesentlich dazu bei, welchem Lifestyle man sich anschließt.“

Zudem sind Konzerte mit tausenden Besucher_innen wirtschaftlich überaus ertragreich. Bei großen Konzerten konnten die Organisator_innen Schätzungen zufolge über hunderttausend Euro Gewinn einfahren.[1]

Als 1982 die EP „White Power“ der britischen Band Screwdriver erschien, war das „ein Schlag in die Fresse des Musik Establishments“, erinnert sich ein Aktivist von damals im Buch „White Noise: Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene“. Ein Schlag in die Fresse – nicht nur wegen der Verherrlichung rassistischer Gewalt in den Texten der Band, sondern auch, weil sich die Szene mit der Gründung eines eigenen Labels für ‚RAC – Rock against Communism‘ von der Musikindustrie unabhängig machte und so erst zu einem wirtschaftlichen Faktor im damals noch übersichtlichen Musikbusiness aufsteigen konnte. RAC war ab sofort ein Synonym für offenen Rassismus und Antisemitismus in der Rockmusik und steht bis heute weniger für musikalische Qualität, dafür umso mehr für den Ausdruck von Menschenfeindlichkeit mit E-Gitarren und Drums. Screwdriver, und vielmehr noch ihr 1993 zu Tode gekommener Leadsänger Ian Stuart Donaldson standen an der Spitze des Netzwerks Blood & Honour, eines in Großbritannien gegründeten neonazistischen Zusammenschlusses. Dessen Funktion bestand darin, Konzerte für Naziskins zu organisieren und mit dem dadurch erwirtschafteten Geld die Bewegung und ihre Aktionen zu finanzieren. Mit Combat18 hat Blood & Honour zugleich einen bewaffneten Arm. C18, die Zahlen stehen für die Initialien Adolf Hitlers, zeichnet verantwortlich für zahlreiche Anschläge auf politische Gegner_innen, Migrant_innen und Journalist_innen in ganz Europa. C18 verfolgt eine Organisierung nach dem Prinzip des „führunglosen Widerstands“, wie etwa der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und ist auch in Deutschland aktiv.[2]

Bis heute reicht das Blood & Honour-Netzwerk in viele europäische Länder, auch nach Österreich, wo es unter seinem an den Hitlerjugend-Slogan „Blut und Ehre“ angelehnten Namen insbesondere Ende der 1990er Jahre sehr umtriebig war. Die aktivsten „Sektionen“ des Netzwerks befanden sich in Vorarlberg, begünstigt durch die unmittelbare Nähe zur Schweiz und Süddeutschland, und in Wien. Trauriger Höhepunkt der Karriere der Neonaziorganisation war ein Skinhead-Konzert im Oktober 2002 in Hohenems mit rund 1000 Besucher_innen. Nach internen Streitigkeiten und polizeilicher Repression gingen die Aktivitäten von Blood & Honour in Österreich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurück, in Ostösterreich erreichten sie schon vor Jahren den Nullpunkt.

Erst 2016 war nach einer längeren Pause wieder von einem kleinen Konzert aus dem Blood & HonourUmfeld in Vorarlberg zu hören: Ein Auftritt einer ungarischen Naziband wurde wegen des Verbots im deutschen Thüringen an einen bisher unbekannten Ort im Ländle verlegt.[3]

Zuletzt machte Blood & Honour Vorarlberg von sich reden, als im Mai 2016 Gregor S. in Nenzing nahe Bludenz bei einem Amoklauf zwei Menschen erschoss und eine große Anzahl weiterer Besucher_innen eines Rockerfestes schwer verletzte. Der schießwütige Mann nahm sich im Anschluss selbst das Leben. Über das Motiv des Amoklaufs ist wenig bekannt, es wird ein Beziehungsstreit kolportiert. Klar ist jedenfalls, dass Gregor S. jahrelang im Umfeld der lokalen Blood & Honour Gruppe war. Außerdem soll er sich an gewalttätigen Aktionen gegen Linke und Andersdenkende beteiligt haben.[4]

Laut Beobachter_innen der Szene sind die österreichischen Nazis aber schon seit längerer Zeit in der Defensive: „Generell waren die österreichischen Bands zahlenmäßig wenige und, mit wenigen Ausnahmen nicht sehr bedeutungsvoll in der internationalen rechtsextremen Szene“, so der Rechtsextremismus-Experte Rammerstorfer. „Die österreichische Szene war immer schon konsumorientiert und wird vor allem vom deutschen Markt völlig dominiert.“

Terrorsphära Konzertflyer2.jpg

 

NS-Hardcore made in Osttirol

Dem dürften die Mitglieder der Osttiroler Metalcore-Band Terrorsphära widersprechen. Die Band avancierte in den letzten zwei Jahren zum Exportschlager, oder zumindest zur einzig aktiven neonazistischen Rockband Österreichs, wobei lediglich ein Teil der Musiker tatsächlich in Osttirol leben. Die Mitglieder von Terrorsphära rekrutieren sich u.a. aus vorbestraften Neonazis aus Sachsen in Deutschland. Die Band rühmt sich bester Kontakte nach Russland und tritt immer wieder auf konspirativ organisierten Konzerten in Deutschland und dem nahen Ausland auf.[5] Erst im Dezember 2017 bestritt die Neonaziband ein Konzert in Portugal. Besonders stolz aber sind die HC-Nazis auf ein 2010 in Osttirol öffentlich beworbenes Nazi-Hardcore-Konzert, das aus dem Umfeld der Band organisiert wurde.[6]

Dem Mainstream im aktuellen Neonazismus folgend, sind auch Terrorsphära gegen den sog. „Bruderkrieg“ innerhalb der internationalen extremen Rechten. Vielmehr befürworten sie eine Vernetzung nationalistischer Gruppierungen, auch außerhalb Europas. Der gemeinsame Nenner österreichischer, polnischer, wie auch russischer Nazis ist heutzutage „white power“.[7]

Anders als die aus der herkömmlichen Rock against Communism-Szene kommenden Nazis sieht sich die Band Terrorsphära als drogenfrei und dem Sport verpflichtet. Bergsteigen, Kraft- und Kampfsport sollen die imaginierten „Krieger für das Volk“ fit halten. So beschwören die Nazis in heroisch-machistischer Pose die eigene Fitness: „Stärke durch Disziplin!“. Textlich arbeitet sich Terrorsphära vor allem an Feindbildern ab: Drogen, Alkohol, Flüchtlinge und Antifa.

„’Refugees welcome‘, dafür kämpft ihr unverhohlen, doch wie sieht es aus,
wenn ‚Refugees‘ in euren Häusern wohnen?! (…)
Euer ‚Kampf‘ gegen uns dient einzig und allein dem Völkerfeind,
der euren Geist verpestet und durch euch am Leben bleibt,
weil ihr sein Symbol tragt und „still loving Volkstod“ schreit! (…)
Doch auch ihr wollt unsre Freiheit, hört heimlich unsre CDs.
Habt ihr die Schnauze voll von Antifa und diesem Dreckssystem?“

Die überhöhte Männlichkeit der Bandmitglieder strotzt nur so vor Pathos und Selbstverliebtheit. Nicht gerade zufällig promotet die Band die Nazi-Bekleidungsmarke Greifvogel Wear[8], für die sie u.a. über die sozialen Medien werben. Greifvogel Wear ist eine rechtsextreme Lifestyle-Marke, die nicht unbeträchtliche Summen abwerfen dürfte. Beim sportlichen „T-Hemden Versand“ der Nazis heißt es nämlich: „Wehrhaftigkeit ist die Pflicht eines jeden einzelnen von uns und euch, die Ihr euch anschickt, einst das germanische Sparta zu errichten.“ Mit dem erwirtschafteten Geld finanziert die Bekleidungsmarke das jährliche Neonazi-Kampfsport-Spektakel ‚Kampf der Nibelungen‘[9], das zuletzt letzten Herbst konspirativ organisiert in Deutschland abgehalten wurde und bei dem in der Vergangenheit auch Mitglieder von Terrorsphära angetreten waren. Zuletzt lassen die HC-Nazis mit ihrer personellen und geschäftlichen Nähe zum rechtsextremen Musiklabel OPOS Records aus Lindenau bei Leipzig keinen Zweifel an ihrer Eingebundenheit in rechtsextreme Kreise.

Rechte Geschäfte

Anders als in Österreich floriert in Deutschland, ebenso wie in Russland und den USA, das Geschäft mit der rechtsextremen Subkultur. CDs, bedruckte Bekleidung sowie politisches Propagandamaterial bringen den Händler_innen Millionenbeträge ein[10]. In Österreich gibt es im Rockbereich keine nennenswerten Strukturen wie Labels oder Konzertagenturen, die das Nazivolk bedienen würden. Auch was Rock-Konzerte jenseits der Südtiroler Rechtsaußenrocker von Frei.wild[11] angeht, ist hier wenig zu holen für Rechtsextreme, so Thomas Rammerstorfer:

„Die heimische Nazi-Szene organisiert kaum eigene Konzerte, allein aus dem Grund, weil man von überall in Österreich relativ schnell ins Ausland kommt und in Ungarn, der Schweiz und in Deutschland relativ viele Konzerte stattfinden. Demzufolge sind heimische Nazis auch im Konzertbereich eher konsumorientiert.“

Österreichische Rechtsextremisten waren letzten Sommer auch in Thüringen anzutreffen. Das wohl größte neonazistische Musikevent der letzten Jahre in Deutschland fand im vergangenen Juli in Themar/Thüringen statt und lockte 6000 Besucher_innen an.[12] An der neonazistischen Ausrichtung des Events besteht kein Zweifel. Nicht nur aufgrund der T-Shirt-Aufdrucke Teilnehmender, die neben „HKNKRZ“ und „Adolf war der beste“ auch Stilblüten wie den Pärchenaufdruck „Adolf“ und „Eva“ (in Anlehnung an Adolf Hilter und seiner Lebensgefährtin Eva Braun) präsentierten. Bands und Veranstalter_innen sind eindeutig dem neonazistischen Milieu zuzuordnen und das Publikum tat sein übriges dazu, als vor den Augen der Polizei unzählige Besucher_innen den rechten Arm zum Gruß erhoben. Wenig verwunderlich, dass auch Nazis aus dem Umfeld von Terrorsphära anwesend waren, genauso wie bekannte Aktivisten aus den Zusammenhängen von Blood & Honour Vorarlberg.[13]

NSBM: Neonazismus im schwarzen Gewand

Die modernen Hardcore-Nazis von heute haben zwar personelle Überschneidungen mit einer ähnlich gesinnten, aber ansonsten komplett anders ausgerichteten Form der vertonten Menschenverachtung: Dem National Socialist Black Metal (NSBM). Der NSBM ist eine neonazistische Strömung im Black Metal, eine eigentlich durch den Satanismus gekennzeichnete Form des extremen Metal. Schrille Stimmen, rumpelnde Drums und verzerrte Gitarren besingen den Tod und dessen Meister. Etwas anders gestaltet es sich im NSBM: Neben Naturmystizismus und Gewaltverherrlichung orientiert man sich an unterschiedlichsten Auslegungen des Neonazismus; mal in Form eines Blut-und-Boden-Heidentums, ein andermal in der Huldigung deutscher Wehrmachtssoldaten. Auch im Sektor NSBM ist Österreich glücklicherweise kein Land mit breitem Angebot oder Vertriebsstrukturen. Es gibt aber eine Handvoll Projekte, die zumindest hinter vorgehaltener Hand den Ewiggestrigen huldigen und internationale Bekanntheit erlangten.

Eines der explizitesten ist das Ein-Mann-Projekt von Vedran M., der unter dem Bandnamen Totale Vernichtung Black Metal produziert. Songtitel wie „Alle Wege führen nach Auschwitz“, „Beseitigung von lebensunwertem Leben“ oder „Massenmord an Untermenschen“ lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Urheber ist der Wiener M., der alle Instrumente selbst einspielt und unter dem Pseudonym „Der Stacheldrahtzieher“ auftritt. Die Werbung für seine CD, welche bei einem deutschen Neonazi-Label veröffentlicht wurde, titelt mit dem Spruch „Der Stacheldrahtzieher ist wieder da!“. Untermalt wird dies mit einem Bild vom Stacheldrahtzaun eines Konzentrationslagers.[14] M.s Anbindung an das rechtsextreme Milieu besteht auch durch sein zweites Musikprojekt Rostorchester, das er mit dem Schweizer Neonazi Sven B. betreibt. Letzterer macht aus seiner Gesinnung kein Hehl.

Doch auch die Texte des Projekts Totale Vernichtung lassen nicht zweifeln, wie der Verfasser tickt. Im Lied „Ein Blitz kommt selten allein“, eine Anspielung auf den Doppelblitz, das stilisierte Logo von Hitlers Schutzstaffel (SS), heißt es:

„Ein Blitz kommt selten allein.
Zwei sollten es wenigstens sein. (…)
Wie ein Blitz kommt auch ein Blitzkrieg selten allein.
Alle umliegenden Länder werden Teil des Reiches sein.“

Vedran M. wünscht sich offensichtlich Großdeutschland zurück. An Geschmacklosigkeit nicht zu übertreffen ist aber sein Text von „Das blaue Wunder“:

„Blauer Dunst wurde euch vorgemacht,
und blauen Dunst werdet ihr nun bekommen.
Das Blaue vom Himmel wurde euch versprochen
und wird nun von euch aufgenommen.
Ein Element von solcher Macht, kann nur ein Wunder sein.
Fühlt euch geehrt: Wir sperren euch mit diesem Wunder ein.“

Es ist wenig Interpretation von Nöten, um M.s verklausulierte Huldigung der nationalsozialistischen Vergasungen mit Zyklon B zu durchblicken. Das ‚zivile‘ Musikprojekt des Neonazis-Metallers trägt im übrigen den klingenden Namen Angelcunt und ist in der heimischen Metalszene nicht ganz unbekannt.

Screenshot Youtube Hot Shower Fest Band GOATMOON
Hot Shower Festival

Mit der Konzertkultur steht es für rechtsextreme Black Metal-Fans hierzulande, ebenso wie im Bereich NS-Hardcore, schlecht: Einzig im angrenzenden oder ferneren Ausland können sich Fans des neonazistischen Schwarzmetals ihrer Bands auf der Bühne erfreuen. Jährlich strömen fast 1000 rechte Metaller_innen nach Mailand, um beim „Hot Shower Festival“ dabei zu sein, ein neonazistisches Festival, das alljährlich die Stars des NSBM aufspielen lässt. Ähnliches spielt sich seit zwei Jahren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Dass Besucher_innen dieser Veranstaltungen „endlich mal ordentlich abhitlern“ können, schreiben begeisterte User_innen in einschlägigen Foren. Nachdem der Hitlergruß hierzulande große rechtliche Probleme für Nazis nach sich ziehen kann, sind selbstverständlich auch NS-Metaller_innen aus Österreich bereit, eine Reise nach Kiew oder eben Mailand anzutreten. Das Hot Shower Festival, ausgerichtet in Kooperation von deutschen und italienischen Neonazis, zeichnet sich besonders durch seine ironische und menschenverachtende Bewerbung aus. Während der Titel des Festivals noch Zweifel am politischen Gehalt lässt, so verdeutlicht die Symbolik auf dem Merchandise-Material sehr klar die Gesinnung der Organisator_innen und Teilnehmenden: Dort wird Mussolini und dem Ku-Klux-Klan gehuldigt. Schnell wird offensichtlich, worauf der Name Hot Shower anzuspielen versucht: wieder sind es die mörderischen Gaskammern des Nationalsozialismus.

Egal ob NS-Hardcore oder neonazistischer Black Metal: Musik ist nur ein weiteres Vehikel der extremen Rechten, um für ihre Themen zu mobilisieren. Sie versucht, ihre menschenfeindliche Gesinnung (mehr oder weniger) verklausuliert unter die Menschen zu bringen, unter die Musikliebhaber_innen und alle anderen. Wie so oft kommt es einzig auf eine kritische Öffentlichkeit an, dem rechten Treiben ein Ende zu setzen. Dafür müssen aber rechtsextreme Codes erkannt und benannt werden.[15]

Derzeit ist die neonazistische Subkultur in Österreich trotz gegenteiliger Beispiele eindeutig in der Defensive, öffentliche Konzerte sind kaum denkbar. Sorgen wir dafür, dass dies so bleibt!

Zum Weiterlesen

 

Anmerkungen

[1] https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2017/07/26/neonazi-konzert-mit-6-000-besuchern-am-15-juni-in-themar-auswertung-gelder-strukturen-und-der-umgang-der-behoerden

[2] http://www.tagesschau.de/inland/combat-103.html

[3] www.stopptdierechten.at/2016/03/21/vorarlberg-neonazis-formieren-sich-wieder

[4] www.stopptdierechten.at/2016/05/23/nenzing-vlbg-der-amoklauf-eines-neonazi

[5] https://exif-recherche.org/?p=1919

[6]http://oireszene.blogsport.de/2010/06/11/ns-hardcore-jetzt-auch-in-oesterreich

[7] http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/253972/die-neonazistische-musik-szene-transnational-wie-nie?pk_campaign=nl2017-09-06&pk_kwd=253972

[8] http://oireszene.blogsport.de/2014/07/29/greifvogel-wear-rechte-bekleidungsmarke-aus-dresden

[9] http://www.fussball-gegen-nazis.de/artikel/kampf-der-nibelungen-eine-sportveranstaltung-von-und-f%C3%BCr-neonazis-11267

[10] http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/185061/rechtsrock-millionen-mit-hass

[11] https://www.stopptdierechten.at/2013/04/05/die-kohle-hinter-frei-wild

[12] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-07/themar-rechtsrock-konzert-thueringen-neonazis

[13] http://recherchewien.nordost.mobi/2017/07/oesterreichische-beteiligung-am-neonazi-konzert-in-themar

[14] http://www.profil.at/home/black-metal-rechtsextreme-rockmusik-oesterreich-346200

[15] http://www.mobile-beratung-nrw.de/attachments/article/255/Rechts-oder-was_2016-web-1.pdf

 

 

Leicht überarbeitete Version des FIPU-Redebeitrags von Bernhard Weidinger auf der Kundgebung „Gegen jede Diskriminierung“ der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen (JÖH) und der ÖH Uni Wien vor dem Wiener Juridicum am 16. Mai 2017.

Das ist das Schema der antisemitischen Reaktionsweise. Um den Augenblick der autoritären Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren, versammeln sich die Antisemiten, er allein macht sie zum Kollektiv, er konstituiert die Gemeinschaft der Artgenossen. Ihr Getöse ist das organisierte Gelächter.“ (Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung – Elemente des Antisemitismus)

Ich habe in meinem Leben viel Zeit in Fußballteams und ihren Umkleiden verbracht – oder in ‚Männerkollektiven‘, wie es im AGjus-Jargon heißt. Dabei habe ich einiges an locker room talk mitbekommen. Aber nichts, was dort in schweissgeschwängerter Atmosphäre gesagt wurde – ob in der USI-Kurs-Umkleide unter Akademikern oder in der Kabine des Obdachlosen-Fußballteams – kam auch nur nahe dem, was in den internen Chats der AGjus zu sehen und zu lesen war. Bekannt ist mir derartiger Stoff aber durchaus, nämlich aus Neonazi-Foren. Bestürzend an der Causa AG ist nicht nur, dass hier von angehenden Juristen einer vermeintlichen Fraktion der „Mitte“ dieselben Memes verbreitet wurden wie in jenen Foren – sondern auch, dass sie auf dieselbe Weise verhandelt (oder nicht verhandelt) wurden: geteilt, geliket und feixend kommentiert. Ich weiß nicht, ob es sich bei den involvierten Personen um Neonazis handelt oder nur um ganz gewöhnliche [zensiert]. Ersteres halte ich zumindest für möglich, zumal das apolitische Selbstverständnis der AG, das Aktivist_innen nicht abverlangt, sich für oder gegen irgendetwas zu bekennen, Platz für Leute unterschiedlichster Weltanschauung lässt. Ich weiß nicht, ob diese Leute auf Basis eines geschlossen rechtsextremen Weltbildes operierten, oder ob hier nur eine umfassende politisch-moralische Verwahrlosung zum Ausdruck kam; und falls letzteres, ob diese Verwahrlosung sich auf einen Teil der AGjus erstreckt, auf die gesamte AGjus, auf die gesamte AG, oder gar auf Teile des Juridicums. Was ich weiß ist, dass mich der Gedanke zutiefst beunruhigt und verstört, dass diese Leute schon in wenigen Jahren Positionen innehaben könnten, in denen sie Entscheidungen im Bereich des Minderheiten- und Diskriminierungsschutzes zu fällen haben.

Ebenfalls bestürzend an der Causa war und ist der Umgang der AG mit den Vorfällen – ein Umgang, der von Abwiegelung, Verschleierung, Relativierung und Verharmlosung gekennzeichnet ist. Das verstört umso mehr, als es sich bei der AG bekanntlich nicht einmal um den rechten Rand des studierendenpolitischen Spektrums handelt, sondern es da ja noch einen RFS gibt, der sich nicht veranlasst sah, inhaltlich auf Distanz zu den skandalösen Postings zu gehen (wohl im Wissen, wie man selbst kommuniziert und welcher Art der „Satire“ man selbst fröhnt, wenn man unter sich ist). Stattdessen wird von den schmissbewehrten Jungfreiheitlichen lediglich versucht, wahlpolitisches Kapital aus dem Skandal zu schlagen, indem man darauf hinweist, dass die AG im Chaos versinke und eine Stimme für den RFS daher das einzig verlässliche Votum „gegen links“ sei.

Angesichts all dessen verwundert es nicht, dass viele sich aktuell an die 50er oder 60er Jahre erinnert fühlen, in denen die österreichischen Unis Horte der Reaktion waren. Oder gar an die Jahrhundertwende und die Zwischenkriegszeit, wo sie als Nährboden des Menschenhasses bis hin zum Vernichtungsantisemitismus dienten. Ich glaube nicht, dass die österreichischen Unis heute eine solche Funktion erfüllen. Sehr wohl aber ist es notwendig, alles zu tun, damit sie sich nicht wieder dahin zurückentwickeln. In diesem Sinne fordert die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit eine konsequente Aufarbeitung und Ahndung des AGjus-Skandals – und konsequent meint: anders als bisher.

Zurück zur Startseite

Teil 4 unserer Serie zum Aufstieg der FPÖ, den Fehlern im Umgang mit ihr, und Lehren daraus für die Linke (Teil 1 siehe hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier). Diesmal:

Leerstellen und Lehren für die Linke

Als ein Symptom der „österreichischen Zustände“ zeigt sich, dass die Linke einen Großteil ihrer Energie für antifaschistische Abwehrkämpfe aufwendet und damit auch weite Teile jener Arbeit anstößt oder selbst übernimmt, die etwa in Deutschland von staatlichen Institutionen oder der „bunt-gegen-braun“-Zivilgesellschaft erledigt wird. So greift linke Politik mitunter nicht viel weiter als der bürgerliche Antifaschismus. Auch herrscht eine beträchtliche Hemmung vor, die ohnehin spärliche Zivilgesellschaft, wenn sie einmal sich aufzuraffen bequemt, gleich wieder von links unter Druck zu setzen. Dies verdeutlichte sich nicht zuletzt am unsicheren Umgang der radikalen Linken mit der 2015 kurz aufflackernden “Willkommenskultur”. Im autonomen Spektrum begünstigen diese Zustände einen Verbalradikalismus mit Hang zu selbstreferentiellen Obsessionen. Derartige Inszenierungen entspringen nicht zuletzt einem (zum Teil nachvollziehbaren) Ohnmachtsgefühl: so gering ist die Anschlussfähigkeit der eigenen Positionen an breitere Gesellschaftsschichten, dass diesen lieber der Kampf in toto angesagt wird. Dies führt jedoch auch dazu, dass die Theorie und Praxis emanzipatorischer Gegenentwürfe gegenüber Schaukämpfen ins Hintertreffen gerät.

Ein aktuelleres Problem stellt die seit Beginn der 2000er Jahre beobachtbare (Teil-)Spaltung antirassistischer und antifaschistischer Perspektiven dar. Schon seit Zusammenbruch des Realsozialismus und der bipolaren Weltordnung wird die Ungerechtigkeit im Weltmaßstab zunehmend anhand der Formel “der Westen” gegen “den Islam” zum ideologischen Spektakel, bei dem auch die Linke leider nicht immer zur Gänze unbeteiligt ist. Die damit einhergehenden Grabenkämpfe und Opferkonkurrenzdebatten zwischen eher hegemonietheoretisch-antirassistisch verorteten sowie ideologie- und antisemitismuskritischen Ansätzen, drehen sich nicht nur um die Frage, ob antimuslimischer Rassismus Antisemitismus als hegemoniales Feindbild abgelöst habe – wie nicht wenige unter Verweis auf die seit 2005 das Feindbild MuslimInnen agitatorisch ins Zentrum rückende und sich gleichzeitig (bislang weitgehend erfolglos) an die israelische Rechte anbiedernde FPÖ argumentieren –, sondern auch darum, ob die Schrecken des Terrors in den westlichen Ländern eurozentristisch überbetont werden bzw. wem für diese die Hauptschuld angelastet werden soll: der islamistischen Ideologie oder vielmehr dem Westen selbst.

Mit der Zunahme islamistischer Anschläge (nicht nur in Europa) scheinen sich die Positionen weiter zu verhärten: Antirassistische Perspektiven reduzieren hierbei Antisemitismuskritik mitunter auf täter_innengesellschaftlichen Eurozentrismus, insbesondere indem dessen aktuelle Formen – sei es struktureller, israelbezogener oder islamisierter Antisemitismus – nicht anerkannt werden. Der FPÖ fällt es vor diesem Hintergrund nicht schwer, sich als entschiedenste Kritikerin eines islamisch verbrämten Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft zu inszenieren. Gleichzeitig werden reaktionäre Einstellungen bei Muslim_innen (bzw. Marginalisierten im Allgemeinen) aufgrund einer paternalistischen (Pseudo-)Rassismuskritik gerne ausgeblendet.i Antirassistische Kontexte müssten essentialisierende Identitätspolitik stärker kritisieren, wie sie etwa in Aufrufen zur Allianzbildung mit “den“ Muslim_innen aufscheint. Ein Faktum, das vom ideologiekritischen Spektrum richtigerweise kritisiert wird, mitunter jedoch dazu führt, die Analyse von antimuslimischem Rassismus zu verabschieden bzw. als Generalangriff auf Antisemitismuskritik abzuwehren.ii Ideologiekritische Kontexte müssten sich zudem von der Idee verabschieden, dass der Hinweis auf die gegenwärtige Breitenwirksamkeit des antimuslimischen Ressentiments einem Belittlement von real existierenden Problemen gleichkomme und vielmehr hinterfragen, inwieweit eine primär auf Koranexegese basierende (Pseudo-)Islamkritik aus den eigenen Reihen essentialisierende Dimensionen beinhaltet, die dem von der FPÖ systematisch befeuerten, aber auch weit ins bürgerliche Zentrum vorgedrungenen antimuslimischen Diskurs zuspielen – etwa, wenn a priori vorausgesetzt wird, dass sich religiöse Ideologie eins zu eins ins Individuum übersetze.iii Derartige Fehlschlüsse hängen einerseits mit einem theoretisch zu eng gefassten Rassismusbegriff zusammen, der differentialistischen oder “kulturalistischen” Rassismus nicht als solchen fasst. Zum anderen berühren sie – als Ausdruck der Opferkonkurrenz-Logik – nicht nur analytische Fragen, sondern auch jene der (Nicht-)Anerkennung politischer Kämpfe.

Aktuell ist antimuslimischer Rassismus jedoch auch deswegen ernst zu nehmen da er, in Kombination mit dem (strukturell antisemitischen) Anti-Establishment-Frame, eine ideologische Basis für die rechten und rechtsextremen Wahlerfolge der letzten Jahre lieferte. Angesichts dessen müsste eine Linke stärker an der Überwindung ihrer Grabenkämpfen arbeiten und die gegenwärtige Verzahnung von Rassismus und Antisemitismus ernst nehmen.

Angesichts der jüngsten Terroranschläge in Europa sowie einer Welt die im Allgemeinen zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint, ist mehr denn je zu befürchten, dass eine Politik mit der Angst das Potenzial hat, Rechtsextreme in ganz Europa in die Regierungen zu bringen. Gleichzeitig setzen auch Linke der Kulturalisierung und Ethnisierung sozialer Fragen – der gemeinsamen Geschäftsgrundlage von Rechtsextremen und Islamist_innen – häufig die falschen Antworten entgegen bzw. nehmen selbst daran teil. Dementgegen müsste Ideologiekritik wieder auf die Höhe der Zeit gehoben – und umgekehrt Identitätspolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Zurück zur Startseite

i Exemplarisch: https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/2015/06/20/gastbeitrag-rassismus-oder-antisemitismuskritik-julia-edthofer/.

ii http://jungle-world.com/artikel/2011/32/43769.html.

iii Exemplarisch: Thomas Maul, Sex, Djihad und Despotie, Freiburg 2010.

Heribert Schiedel

Die von einem kleinen Zirkel um Parteichef Heinz-Christian Strache streng konspirativ vorbereite erste Israel-Reise Ende 2010 gehorchte freiheitlichen Interessen – vor allem dem der Salonfähigkeit. Dass man diese in Israel zu erlangen versucht, spricht Bände über die in der FPÖ herrschenden Vorstellungen von den globalen Machtverhältnissen. So ist bei Andreas Mölzer noch in der Distanzierung vom Antisemitismus Zustimmung zu diesem zu finden: „Was schließlich die Behauptung betrifft, Straches Besuch in Israel sei nichts weiter als eine Demutsgeste angesichts des jüdisch-israelischen Einflusses in der Welt, in Washington ebenso wie im europäischen Bereich, gewesen, so darf man schon fragen, ob es wirklich verboten sein muss, dass eine national-freiheitliche Bewegung wie die FPÖ eine Normalisierung ihres Verhältnisses gegenüber Israel und dem Judentum anstrebt.“[2]

Es war der 2008 tödlich verunglückte Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, der schon in den späten 1990er Jahren unter dem teilweise offenen Murren der Parteibasis versuchte, mit Hilfe des jüdischen FPÖ-Generalsekretärs Peter Sichrovsky, sich und die Freiheitlichen vom Vorwurf des Antisemitismus frei zu spielen. Jedoch erwies sich der antisemitische Unterstrom einmal mehr als stärker: Mit den hetzerischen Angriffen auf den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Ariel Muzicant (2001), und seiner Solidaritäts-Reise zu Saddam Hussein (2002) machte Haider selbst alle kosmetischen Anstrengungen zunichte.[3]

Mittlerweile liegt es an dem Wiener FPÖ-Stadtrat David Lasar, als jüdischer Persilscheingeber zu fungieren und Angriffe auf die IKG zu starten. Lasar, der für die erfolgreiche Kontaktaufnahme zu israelischen Rechten mitverantwortlich ist, unterstellte Anfang 2009 Muzicant als Motiv seiner Kritik an der FPÖ nicht nur „parteipolitische“ (sozialistische) Interessen, sondern vor allem ökonomische: Der große „Baubetreiber“ versuche mittels „Tiraden gegen die FPÖ […] über die Wiener SPÖ neue Großprojekte zu lukrieren“.[4] Im Wiener Wahlkampf 2010 ritt Lasar für die FPÖ wüste Attacken gegen die SPÖ („Islamistenpartei“) und deren Landtagsabgeordneten Omar al Rawi. Dieser wurde für die antiisraelischen und mehrheitlich türkisch-nationalistisch und islamistisch motivierten Proteste auf den Straßen Wiens im Anschluss an die militärische Aufbringung der „Gaza-Solidaritätsflotte“ verantwortlich gemacht. Dass zuvor im Wiener Landtag auch die FPÖ al Rawis Antrag zur einseitigen Verurteilung des dämonisierten Israels zugestimmt hatte, ließen die Freiheitlichen dabei diskret unter den Tisch fallen.[5]

Die plötzliche pro-israelische Begeisterung der FPÖ-Spitze basiert auf dem Irrglauben, der Nahostkonflikt sei auf israelischer Seite vorrangig religiös begründet und Israel daher ein Frontstaat im Kampf gegen den „Islamismus“. Die Entdeckung Israels als Verbündeten im Kampf gegen „Islamismus“ und „Terrorismus“ schien aber manche/n Freiheitliche/n zunächst zu überfordern. Viele fühlten sich angesichts des putschartigen Richtungswechsels, wie er sich in den plötzlichen pro-zionistischen Statements Straches scheinbar ausdrückte, bereits an die späten 1990er Jahre erinnert. Damals begann Jörg Haider, berauscht von seinen Erfolgen, sich mehr und mehr zu verselbständigen. Nun drohe Strache, sich gemeinsam mit einer Gruppe von Vertrauten über die Parteigremien zu stellen und jenseits gültiger Parteibeschlüsse zu agieren. Tatsächlich widerspricht die – eben darum unter strikter Geheimhaltung geplante – Reise und insbesondere die dabei verabschiedete „Jerusalemer Erklärung“ etwa dem FPÖ-Positionspapier „Wir und der Islam“. Dort zollte man 2008 der „geopolitischen Bedeutung des Islam“ noch großen Respekt. Zudem versicherte die FPÖ den „Bestrebungen der islamischen Welt, sich von Fremdbestimmung zu emanzipieren“, ihre Unterstützung. Diese galt insbesondere für die Opfer von Israels „aggressive[r] Unterdrückungspolitik“.[6] Vor allem der plötzliche positive Bezug auf die „jüdisch-christlichen kulturellen Werte[n]“[7] stieß viele an der freiheitlichen Basis übel auf. In Andreas Mölzers Zur Zeit hieß es etwa: „In jüngster Zeit beschwören vor allem Politiker und Intellektuelle das ‚christlich-jüdische Erbe’, das Europa wesentlich geprägt haben soll. Es hat den Anschein, die Begrifflichkeit des Abendlandes, die über Jahrhunderte nur das Christentum implizierte, soll von einer politisch korrekteren Definition abgelöst werden.“[8]

Nach der Israel-Reise hatte die FPÖ-Spitze viel zu tun, um die damalige innerparteiliche Empörung über die „Demutsgeste angesichts des jüdisch-israelischen Einflusses in der Welt“ (Mölzer) zu kalmieren.[9] Man wurde nicht müde zu betonen, dass diese Reise nichts am konsequenten Einsatz der FPÖ „für die Rechte der Palästinenser“ und an den „traditionell positive[n] Beziehungen zur islamischen Welt“ geändert hätte. Schließlich versicherte Mölzer den „Zweiflern aus den Reihen des nationalen Lagers“, dass „Strache […] nicht Gianfranco Fini [ist]! Auch wenn er den Ausgleich mit Israel und dem Judentum sucht, wird er deshalb nicht, wie der Italiener, die eigene Gesinnung und die eigene Gesinnungsgemeinschaft verraten.“[10]

Die ideologischen Hintergründe der plötzlichen Liebe Rechtsextremer zu Israel legte der euro-rechte Netzwerker Patrik Brinkmann bereits vor der Reise dar. Unter dem Titel „Den inneren Kompass finden“ publizierte er im März 2010 seine Pläne für eine „Pilgerreise nach Israel“ 2011.[11] Brinkmann, der von der NPD über die Deutsche Volksunion bis zur pro-„Bewegung“ schon fast alle relevanten rechtsextremen Gruppen in Deutschland unterstützte, freut sich, dass die „echte Rechte“ in der gemeinsamen „Verteidigung des Abendlandes“ vorm Islam endlich ihr einigendes Thema gefunden habe.[12] Dieses verbinde sie eben auch mit Israel, das zwar irgendwie jüdisch ist, aber gleichzeitig doch auch etwas Preußisches an sich habe. In der Tradition der alten, bis Ende der 1960er Jahre pro-zionistischen Rechten äußert Brinkmann in seinem Aufruf Bewunderung für die israelische Aufbauleistung. In den jüdischen Israelis erkennt er die Deutschen wieder, beiden hätten eine „besondere Begabung“, beide würden daher polarisieren. Auf gar keinen Fall seien die Israelreisen als reine „Bußübung zu sehen“, wie dies die immer noch nazistischen Teile der deutsch-österreichischen Rechten kritisierten. Da es laut Brinkmann „trotz der Ereignisse der NS-Zeit“ in „Wirklichkeit nichts [gibt], was die beiden Völker trennt“, bräuchte die Sprache nicht auf deutsch-österreichische Schuld und Verantwortung zu kommen. Tatsächlich bedeutet auch 2010 eine vermeintlich pro-zionistische/-israelische Positionierung unter Rechten nicht automatisch das Verschwinden des Antisemitismus, vielmehr geht beides zusammen. Bei Brinkmann etwa äußert sich dies in Formulierungen wie „Weder Davidstern noch Halbmond!“.[13] Bei den Identitären heißt das heute „Weder Kippa noch Palituch“ (s. u.).

In der von Rechtsextremen und Neonazis heftig kritisierten[14] Kontaktaufnahme mit israelischen Rechtsaußenkräften drückt sich eine gewisse Differenzierung innerhalb der europäischen extremen Rechten aus. Während die neonazistischen Parteien und Gruppen ihren Hauptfeind immer noch in der halluzinierten jüdischen (heute auch gerne US-amerikanischen) Weltherrschaft sehen und manche bei deren Bekämpfung auch Bündnisse mit dem Islamismus eingehen[15], sind die rechtpopulistischen Parteien mehrheitlich als pro-westlich zu charakterisieren. Geert Wilders als einer ihrer Anführer reist regelmäßig nach Israel, wo er schon 2008 auf einem „Anti-Islamisierungskongress“ behauptete, dass er und seinesgleichen Jerusalem „im Blut“ und in den „Genen“ tragen würden.[16] Der niederländische Rechtspopulist war aber bis 2013 darauf bedacht, sich vom antimuslimischen Rassismus der Rechtsextremen abzugrenzen. Während etwa Freiheitliche offen gegen Muslime/as hetzen, richtete sich Wilders’ Ressentiment vorrangig gegen den Islam. Dementsprechend war der niederländische Rechtspopulist zunächst noch um Distanz zum FPÖ-Obmann bemüht, auch in Israel zeigte man sich im Dezember 2010 nicht gemeinsam.

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache verzieh Wilders seine damalige Distanzierung nicht und versuchte, den Spieß umzudrehen: „Ich halte Geert Wilders für ein Strohfeuer, das bald erlöschen könnte. Eine Zusammenarbeit strebe ich aufgrund seiner undifferenzierten Positionen nicht an. Jemand, der Aussagen tätigt, wie etwa, dass man die Araber hinter den Jordan zurücktreiben müsse, oder der Koran-Verbrennungen initiiert, kann für uns kein Partner sein. Wilders ist ein Selbstdarsteller und eine Ein-Mann-Partei. Seine Aussagen schaden eher einer kritischen Auseinandersetzungen mit dem Islamismus, als dass sie nützen.“[17]

Auch die Zur Zeit-Redaktion um das damalige FPÖ-MEP Andreas Mölzer grenzte sich zunächst deutlich von antiislamischen Kräften und „Israel-Lobbyisten“ ab: Die Vertreter des antimuslimischen Blogs Politically Incorrect (PI) hätten sich über ihre Kontakte zu Wilders und Rene Stadtkewitz (Die Freiheit) in die Israel-Reisegruppe geschummelt. Der von PI propagierte Antiislamismus treibe „bereits bizarre Blüten“ und sei von der – eben antimuslimischen – Agitation der FPÖ zu unterscheiden. So kämen die Freiheitlichen niemals auf die Idee, „die Palästinenser samt und sonders aus dem Westjordanland hinauszuwerfen und in die Wüste zu treiben, den Koran als religiöses Werk zu verbieten und den Islam als monotheistische Weltreligion insgesamt als totalitär zu ahnden“.[18]

Auch wenn manche in der Euro-Rechten im Kampf gegen den „Islamismus“ gegenwärtig Israel für einen Verbündeten halten und vordergründig dem Antisemitismus abschwören, wurde dieser längst nicht vom antimuslimischen Rassismus abgelöst. Antisemitismus und Rassismus erfüllen unterschiedliche Funktionen, ergänzen sich sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene viel zu gut, als dass der eine den anderen erfolgreich ersetzen könnte. Bei aller anhaltenden Differenz von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus bestehen aber auch Ähnlichkeiten und innere Verbindungslinien. Der aktuelle Erfolg des Letzteren lässt sich nicht verstehen ohne die historische Wirkmacht des Ersteren. In der Analyse der Intellektualisierungen des Hasses werden diese Kontinuitäten rasch deutlich.

Die 2005 voll einsetzende antimuslimische Agitation verdrängte auch im Fall der FPÖ den Antisemitismus nicht, vielmehr setzte sie sich gewissermaßen auf ihn drauf. Da der Antisemitismus dem völkischen Programm im Kern, insbesondere der Forderung nach homogener „(Volks-)Gemeinschaft“ eingeschrieben ist, kann er auch nicht so einfach oder nur zum Preis des Selbstverrates aufgegeben werden. Zudem hat er sozial wie psychisch eine andere Funktion als der (antimuslimische) Rassismus. Während die rassistischen Objekte unten, gegenwärtig gerne im finsteren Mittelalter und manchmal gar noch in der Natur verortet werden, handelt es sich bei den antisemitischen Objekten um verfolgende. Dem Juden kommt seit dem über Jahrhunderte behaupteten Gottesmord jene unheimliche Macht zu, gegen die der/die AntisemitIn seinen/ihren autoritären Scheinaufstand richtet.

Bei allen unbestrittenen Parallelen: Nur auf einer sehr allgemeinen Ebene und in einer Forschung, die Antisemitismus und Rassismus als bloßes „Vorurteil“ verkennt, verdecken die Ähnlichkeiten die Unterschiede. Letztere sind jedoch zentral: Der Jude stellt den nahen (unheimlichen) Anderen der (säkularisierten) christlichen Kultur dar, der Moslem ihren fremden Anderen. Im Antisemitismus besteht eine genaue Vorstellung von der Schlechtigkeit des Judentums und die einzelnen Jüdinnen und Juden werden (deduktiv) in diese Vorstellungswelt gepresst, während der Rassismus genau umgekehrt (induktiv) vorgeht: Er verallgemeinert, schließt vom einzelnen oder von mehreren auf alle Muslime/as. Schließlich und vor allem kennt der antimuslimische Rassismus die den Antisemitismus kennzeichnende „doppelte Unterscheidung“ nicht, wonach Jüdinnen und Juden einerseits als gemeinschaftsfremde Gruppe, andererseits mit der Gemeinschaft zersetzenden Moderne und deren Sozialmodell Gesellschaft identifiziert werden.[19]

Analytisch derart zwischen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus zu differenzieren, bedeutet jedoch nicht, die Opfer von beiden gegeneinander auszuspielen. Genau sowenig muss die Bekämpfung des antimuslimischen Rassismus gleichbedeutend mit der Verleugnung des Antisemitismus unter Muslime/as sein.

Identitäre Äquivalenz

Als der FPÖ nahe stehende Gruppierung müssen sich auch die Identitären heute mit der „Frage der Vergangenheit und der Haltung zu Israel“[20] auseinandersetzen. Dabei geht es ihnen „nicht um Geopolitik und große Allianzen, sondern erst einmal um Fragen wie die der Schuld, der Aufarbeitung unserer Geschichte und einer echten Versöhnung. Wir wollen ein gesundes Selbstverhältnis und eine gesunde Beziehung zum jüdischen Volk aufbauen.“ Wie stets, wenn extreme Rechte von Gesundheit reden, ist die Abwehr nicht weit, so auch im Falle der Identitären:  „Wir distanzieren uns klar […] von einer kultischen Politik der Schuld und einem neurotischen Selbsthass, mit dem keinem gedient ist.“ Demgegenüber fordert man „eine echte Aufarbeitung, die in einer echten, dauerhaften Versöhnung ihren Abschluss findet.“ Demgegenüber lehnen die Identitären „die quasi-religiöse Institutionalisierung und den Missbrauch dieser Katastrophe und eine absolut einseitige Betrachtung der deutschen Geschichte ab. Der Holocaust ist für uns […] kein Gründungsmythos und nicht das Zentrum der deutschen Geschichte.“ Anstatt „in einem kulturellen Selbsthass als ‚ewiges Tätervolk’“ zu erscheinen, sollten die Deutschen „im Rahmen einer echten Aufarbeitung zu einer gesunden, selbstbewussten Identität zurückfinden, aus der erst eine ebenso gesunde Beziehung zum jüdischen Volk entspringen kann.“ Schließlich grenzt man sich von der FPÖ ab, ohne aber die Mutterpartei beim Namen zu nennen: „Wir lehnen jeden Antisemitismus ab, ohne in eine pathologische Überidentifikation mit Israel zu kippen. Dass Israel und Teile der US-Politik ein strategisches Interesse daran haben, dass in Europa kein islamisches Kalifat entsteht, ist nur verständlich. Wir haben aber ein identitäres, existenzielles Interesse daran. Wir wollen nicht zu einer willenlosen Schachfigur in einer transatlantischen, westlichen Allianz werden, sondern als Deutschland und Europa selbstbewusst und eigenständig auftreten.“

An dieser Differenz wird das Bündnis zwischen FPÖ und Identitären aber nicht zerbrechen, zumal die völkischen Prinzipienreiter wissen, was sie an Strache haben – einen Eisbrecher am Weg zur politischen Macht.

Vgl. zu den „Identitären“ auch „Neue“ Rechte in Österreich

* Vom Autor überarbeitete Version aus: Schiedel, Heribert: Extreme Rechte in Europa. Wien 2011

[2] http://andreasmoelzer.wordpress.com/2010/12/09/wem-gehort-israel/ (13. 6. 2016)

[3] Schiedel, Heribert (2002): Haider statt Sichrovsky – Die FPÖ wurde, was sie war; auf: http://www.contextxxi.at/context/content/view/222/97/index.html (13. 6. 2016)

[4] APA-OTS, 21. 2. 2009

[5] http://www.stopptdierechten.at/2010/09/01/ikg-bezeichnet-fpo-aussagen-gegen-islamisten-als-%E2%80%9Cheuchlerisch%E2%80%9D/ (13. 6. 2016)

[6] www.fpoe-parlamentsklub.at./fileadmin/Contentpool/Parlament/PDF/Wir_und_der_Islam_-_Freiheitliche_Positionen.pdf (5. 3. 2011)

[7] http://www.strache.at/2011/?id=60&newsid=2392&p=13&s=0 (20. 7. 2011)

[8] Zur Zeit, Nr. 16-17/2011, S. 1. Noch weiter geht wie so oft das „freiheitliche Magazin“ Die Aula und polemisiert auch gegen den Bezug auf die „christlichen Wurzeln“. Diese würden gar nicht existieren, vielmehr handle es sich um „eigenes [„germanisches“, Anm.] Brauchtum mit orientalischen Einflüssen.“ Wird neben dem christlichen dann auch noch gar ein jüdischer Einfluss auf das europäische Geistesleben behauptet, sei dies „gänzlich abwegig“. Denn das „Neue Testament“ sei der „Gegenentwurf“ zum „Alten Testament“, wie „unmissverständlich aus Johannes 8/44 […] hervorgeht: Ihr [die „Juden“, Anm.] habt den Teufel zum Vater“. Während in den vergangenen Jahrhunderten „die Juden gemäß Neuem Testament“ und daher zu Recht „als Gottesmörder wahrgenommen wurden“, sei es „in den letzten Jahren […] auf massiven zionistischen Druck“ hin zu einer Rücknahme der antijüdischen Blutbeschuldigung gekommen. (Die Aula, 11/2010, S. 23)

[9] Das freiheitliche Urgestein Otto Scrinzi gehörte zu den schärfsten (öffentlichen) KritikerInnen von Straches Israel-Reise im Dezember 2010: „Die Wende in der Außenpolitik der FPÖ-Spitze, welche zu einer überraschenden Liebeserklärung für den Staat Israel geführt hat, scheint auf ein Gut-Wetter-Machen hinauszulaufen. Offenbar will man für den Fall des Falles einer Wiederauflage von Sanktionen wie im Frühjahr 2000 vorbeugen. Wie der harte Kern diesen Schwenk aufnehmen wird, ist ebenso ungewiß wie die Frage, ob er am globalen volksfeindlichen Konzept der Einweltler was ändern wird.“ (fakten,12-1/2011, S. 14f)

[10] http://andreasmoelzer.wordpress.com/2010/12/09/wem-gehort-israel/ (13. 6. 2016)

[11] http://www.patrik-brinkmann.de/site/?p=68 (5. 3. 2011)

[12] http://www.freiheitlich.org/2010/12/14/patrik-brinkmann-%E2%80%9Edie-echte-rechte-hat-jetzt-eine-historische-chance%E2%80%9C/ (20. 7. 2011)

[13] http://www.patrik-brinkmann.de/site/?p=68 (5. 3. 2011)

[14] In einer Reaktion von deutschen Neonazis auf die Israel-Reise von Strache und Co. heißt es etwa: „Die Palästina-Reise der populistischen Pseudopatrioten bedeutet eine neue Phase in der politischen Auseinandersetzung. Wer sich gegen die Landnahme fremder Völkerschaften in Europa ausspricht, kann nicht gleichzeitig die Vertreibung anderer Völker aus ihrer angestammten Heimat befürworten. Tut er das doch, sind offensichtlich fremde Interessen im Spiel. Angesichts dieser ideologischen Zuspitzung ist dem linksnationalen Journalisten Jürgen Elsässer zuzustimmen: die Trennlinie verläuft heute nicht mehr »zwischen Linken und Rechten, sondern zwischen Demokraten und Imperialisten«.“ (http://www.deutsche-stimme.de/ds/?p=4056, 20. 7. 2011)

[15] http://www.doew.at/cms/download/b3cc7/re_maegerle_schiedel_allianz.pdf

[16] http://www.myplick.com/view/8czHyOO2JaO/Rede-von-Geert-Wilders-in-Jerusalem (20. 7. 2011)

[17] Zur Zeit, 3/2011, S. 11

[18] Ebd., S. 13

[19] Holz, Klaus: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung. Hamburg 2001, S. 544

[20] „Weder Kippa noch Palituch“; auf: https://identitaerebewegung.wordpress.com/positionierungen/weder-kippa-noch-palituch/ (13. 6. 2016)

Zurück zur Startseite

Bei allen Kontinuitäten ist der deutsch-österreichische Rechtsextremismus weit davon entfernt, ein statisches Phänomen zu sein. Vielmehr wird er dauernd an die hegemonialen Bedingungen angepasst – jedoch ohne dass dabei sein ideologischer Kern, das antiliberal-völkische Primat, aufgeweicht werden würde. Auf die wachsende Ablehnung, das Scheitern bei Wahlen und – in manchen Ländern – die behördlichen Verbote neonazistischer Artikulationsformen reagierten extreme Rechte in Westeuropa ab den 1960er Jahren mit Distanzierungen gegenüber ihren Vorläufern. Diese, zuerst in Frankreich einsetzenden, Versuche von „Gegen-Intellektuellen“ (Hauke Brunkhorst), faschistisches Gedankengut „von Hitler zu befreien“ (Margret Feit), werden gemeinhin als neurechts bezeichnet. Gegen die unkritische und vorschnelle Übernahme dieser Selbstbezeichnung wandte schon der Klagenfurter Historiker Willibald Holzer ein, dass sich so „manche vorschnell als solche entdeckte programmatische Innovation moderner Gruppierungen […] sehr rasch als oft nur geringfügig modifizierte Aktualisierung faschistischer oder vorfaschistischer Ausprägungen rechtsextremer Ideologie [erweist]“. Tatsächlich sieht die so genannte Neue Rechte sehr alt aus, wenn man ihre Positionen einer genaueren Analyse unterzieht. Gerade in Österreich handelt es sich bei dieser Selbstbezeichnung von Rechtsextremen um einen Begriff, der mehr für neue Strategien und Formen als für neue Inhalte steht. Dies gilt auch für die Abgrenzung vom Neonazismus, die eben nicht umgehend als Ausdruck demokratischer Gesinnung zu gelten hätte, zumal sie doch zumeist strategisch und bloß durch Differenzen hinsichtlich der politischen Strategie (Metapolitik statt Systemüberwindung) und der Zielgruppe (intellektuelle Eliten statt kleine Leute) motiviert ist. Wer demgegenüber etwa wie im Falle der 2012 auf der Bildfläche erscheinenden Identitären unkritisch von Neuen Rechten spricht, geht den Rechtsextremen ein Stück weit auf den Leim.

Schon das erste Auftauchen des Labels Neue Rechte in Österreich verweist auf seine zentrale Funktion – die Verharmlosung. Es waren nämlich militante Neonazis, die sich Anfang der 1970er Jahre als Aktion Neue Rechte (ANR) an den Universitäten zusammenfanden und Terror verbreiteten. In den späten 1980er Jahren begann dann der von Burschenschaftern dominierte Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), die gegenintellektuellen Wortführer der deutschen Neuen Rechten an die Universität Wien einzuladen. Dass es sich dabei neuerlich um bloßen Etikettenschwindel handelte, wurde schon an der Tatsache deutlich, dass der Saalschutz bei diesen Vorträgen von Neonazis verstärkt wurde. Auch Gottfried Küssel, schon damals der ranghöchste österreichische Neonazi, holte sich 1988 beim Versuch, einen Vortrag von Pierre Krebs gegen antifaschistische Proteste abzuschirmen, blutige Schrammen.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das österreichische Verbotsgesetz verschärft, dementsprechend waren Neonazis nun verstärkt dazu angehalten, ihre Propaganda zu modifizieren und vorsichtiger zu agieren. Diejenigen unter ihnen, die Matura oder gar ein Studium vorweisen konnten, versuchten dies auch in Form einer Intellektualisierung. Bei der Suche nach möglichst unverdächtigen Stichwortgebern stießen sie, mehrheitlich deutsch-völkische Korporierte, schnell auf die konservativ-revolutionären Konkurrenzfaschisten wie Arthur Möller van den Bruck und deren neurechte Adepten. Unter Rechtsextremen wirkte daneben der Knick im Aufstieg der FPÖ und Jörg Haiders, der sich dazu verstiegen hatte, öffentlich die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis zu loben, begünstigend für die partielle Übernahme neurechter Politikkonzepte. Es war vor allem der damalige FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer, der nach Haiders erzwungenem Rücktritt als Kärntner Landeshauptmann 1991 und den ersten FPÖ-Niederlagen sich und seinen Kameraden ein Umschwenken auf die „Metapolitik“ und den der politischen Machtübernahme vorausgehenden Kampf um die kulturelle Hegemonie verschrieb. Das Burschenschafter-Zentralorgan Die Aula begann sich nun mit neurechten Autoren wie Alain de Benoist zu füllen. Und im Aula-Verlag erschien Anfang der 1990er Jahre die wohl einzige rechtsextreme Zeitschrift, die das Etikett neurechts nicht nur zur Camouflage trug: Identität. Es war maßgeblich Jürgen Hatzenbichler, der damals über diese Zeitschrift neurechte Theorien aus Frankreich importierte und für das völkisch-korporierte FPÖ-Vorfeld publizistisch aufbereitete. Der pennale Burschenschafter musste sich aber schon Mitte der 1990er Jahre sein Scheitern eingestehen: Nach jahrelanger vergeblicher Missionierungstätigkeit beklagte er resignierend, dass die „Positionen der Alten Rechten […] leider auch im Bereich der Korporationen vielfach noch heruntergeleiert werden.“ Tatsächlich war der alte oder herkömmliche (parteiförmige) Rechtsextremismus längerfristig in Österreich zu erfolgreich, als dass er des metapolitischen Kampfes um die kulturelle Hegemonie bedürfte. Es fehlt hierzulande also ein zentrales Gründungsmoment der Neuen Rechten – die ideologische Vorherrschaft der Linken und Liberalen. Da konnten Rechtsextreme eine links-liberale Hegemonie in Österreich noch so oft behaupten, angesichts der diesen Behauptungen widersprechenden Realität verloren neurechte oder metapolitische Konzeptionen im korporierten Umfeld der FPÖ rasch wieder an Attraktivität.

Dass es dennoch auch in Österreich mit der Gründung der Identitären zu einem neuerlichen Aufflackern neurechter Politikkonzeptionen gekommen ist, scheint mehr der zunehmenden europäischen Vernetzung extremer Rechter als den konkreten hegemonialen Verhältnissen im Land geschuldet zu sein. Vor allem sind der erhöhte Repressionsdruck auf die neonazistische Szene seit Anfang 2011 (Zerschlagung der Alpen-Donau-Gruppe rund um Gottfried Küssel) und massive Rekrutierungsschwierigkeiten vieler deutsch-völkischer Studentenverbindungen als Gründungsmotive auszumachen. Schließlich decken die auf außerparlamentarischen Aktionismus und popkulturelle Inszenierungen spezialisierten Identitären im Gegensatz zum biederen Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) eine gestiegene Nachfrage von Seiten erlebnisorientierter junger Männer ab. Was so mancher Alte Herr als Anpassung an den linken Zeitgeist und die amerikanisierte Massenkultur verdammen mag, ist in Wahrheit eine notwendige Voraussetzung für die Hegemoniefähigkeit unter Jugendlichen.

Im Frühjahr 2012 etablierte der Olympia-Burschenschafter Alexander Markovics mit ein paar Waffenbrüdern eine Wiener Identitäre Richtung als Gegen-Intellektuellen-Zirkel oder Debattierklub, der einen Brückenschlag zum Rechtskonservativismus versuchte. Der nach deutschem Vorbild gestartete Versuch, Teile des politischen Konservativismus zu radikalisieren, kann aber schon als gescheitert gesehen werden: Zu offensichtlich ist die Herkunft eines Großteils der Identitären aus dem Neonazi-Milieu, auf welche sogar der heimische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht hinweist. Das zielt vor allem auf jene Gruppe, die sich um Martin Sellner (ehem. Olympia) im Sommer 2012 bildete und nach dem Vorbild osteuropäischer Neonazis mit ihren „Hardbass“-Aktionen Veranstaltungen politischer Gegner_innen störte. Im Februar 2013 vereinten sich diese beiden Gruppen zur Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ) und „besetzten“ gemeinsam die Votivkirche in Wien, um die damals gerade dort stattfindenden Proteste von Flüchtlingen ins Lächerliche zu ziehen.

Im bereits erwähnten VS-Bericht 2014 werden auch die Warnungen der Identitären vor einer angeblichen „Islamisierung“ als „Deckmantel“ entlarvt, unter welchem „auf einer pseudo-intellektuellen Grundlage“ versucht werde, „das eigene rassistisch/nationalistisch geprägte Weltbild zu verschleiern. […] Was sich vordergründig als ‚Kritik’ und jüngst als ‚islamkritisch’ auf der Ebene der Mobilisierung darstellt, trägt in der tatsächlichen Umsetzung oft islam-, asyl- und fremdenfeindliche Züge.“

Tatsächlich ist es nicht mehr als Mimikry, wenn Rechtsextreme heute versuchen, ihren gerne als Ethnopluralismus verharmlosten Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung kultureller Identität zu verstecken. So schimmert schon beim französischen Identitären-Gründervater Fabrice Robert, im Interview mit der Jungen Freiheit (10/2013), hierbei der alte Rassismus durch: „’100 % Identität, 0 % Rassismus’. Aber mit dem territorialen Imperativ, dass ein Boden einem einzelnen Volk gehört.“

Karin Priester wies bereits 2010 darauf hin, dass „Teile des Rechtsextremismus“ nach „dem ethnopluralistischen Modernisierungsschub der 1980er Jahre versuchen […], über die Umpolung des Feindbildes, eine neue, diesmal antiislamische ‚Modernisierungswelle’ einzuleiten.“ Der antimuslimische Rassismus, der sich als Ausfluss kultur-christlichen Superioritätsdenkens jedoch nicht länger ethnopluralistisch verbrämen lässt, dient auch den Identitären vor allem als Vehikel in den Mainstream-Diskurs: Rassistische Inhalte finden leichter und mehr Gehör, wenn sie im kultur-christlichen oder vermeintlich aufgeklärten Gewand daherkommen. Die sich unter anderem in der Sarrazin-Debatte artikulierende Normalität bis Hegemonie des Feindbildes Moslems oder Islam macht dieses zum idealen Instrument, um aus der Extremismus-Ecke zu kommen.

Eine Kontinuität zwischen alten und neuen Rechten stellt der kulturelle Antiamerikanismus dar, eine aktuelle Ausformung des völkischen und über weite Strecken antisemitischen Antiliberalismus. Dieser artikuliert sich aktuell etwa in der Abrechnung der Identitären mit der rechtspopulistischen und liberalen „Islamkritik“. Während es „liberalen Islamkritikern“ um die Verteidigung „westlicher Werte“ gehe, wollen die jungen Völkischen „die gegenwärtige Dekadenz hin zu einem neuen goldenen Zeitalter überwinden“, wie der Grazer Führungskader Patrick Lenart betonte. Im Gegensatz zu den rechtspopulistischen „Islamkritikern“ würden die Identitären „den Islam in seinem angestammten Raum – etwa dem arabischen – als eine fremde Kultur [akzeptieren]“, so Lenart. Als Ursache für das „drohende Ende der europäischen Völker“ wird im programmatischen Text „Wider die liberale Islamkritik“ angegeben, „dass der Liberalismus den Selbsterhaltungstrieb der europäischen Völker derart ausgehebelt hat […]. Eine solche Gesellschaft hat keine Zukunft! Sie degeneriert zwangsläufig und wird dekadent.“ Anstatt von den „Moslems“ zu verlangen, dass sie sich in diese verkommene weil liberal-demokratische Gesellschaft integrieren, wollen die Identitären ihr „Volk wieder bekehren – weg vom Gift des Liberalismus […].“ [1]

Auch die Behauptung einer systematischen Überfremdung oder Umvolkung per Islamisierung und zum Zwecke der leichteren Beherrschbarkeit der in lauter Individuen zerfallenden Gemeinschaft ist fixer Bestandteil antisemitischer Diskurse. Weil die nationale (kulturelle) Identität den (geheimen) Welteinheitsplänen im Weg stehe, werde versucht, das „ethnische Antlitz Europas unwiderruflich“ zu verändern – ein Verschwörungsmythos, der jüngst im Aufdecken vermeintlicher (US-amerikanischer und jüdischer) Hintermänner der Fluchtbewegungen nach Europa fröhliche Urständ im freiheitlichen Milieu feierte. Der Antiamerikanismus schreibt als Zwillingsbruder des Antisemitismus diesen fort. Entsprechend der antisemitischen Figur des jenseits der nationalen Antagonismen stehenden Dritten und alle Identität auflösenden Nicht-Identischen, wird Juden[2] und den von diesen angeblich dominierten USA unterstellt, alle Völker beherrschen zu wollen.

Auch wenn sich weite Teile der extremen Rechten Westeuropas heute als frei von Antisemitismus darstellen und diesen stattdessen nur mehr bei den Moslems sehen wollen, sind sie seinem grundlegenden dichotomischen Muster und seiner verschwörungsmythischen Weltsicht weitgehend treu geblieben. Der antimuslimische Rassismus knüpft gerade in Österreich an antisemitische Traditionen an (vgl. Peham 2010). Dies zeigte sich schon Ende der 1990er Jahre in der freiheitlichen Kampagne gegen das Schächten, mit der antijüdische Blutphantasien fortgeschrieben wurden. Und als die FPÖ 2009 in einem Inserat gegen den angeblich unmittelbar drohenden EU-Beitritt der Türkei und Israels agitierte, bewies sie eindrucksvoll, dass das „christliche Abendland“ immer noch vor Juden und Moslems gleichermaßen beschützt werden muss. Auch die im Verhältnis zur FPÖ arbeitsteilig agierenden Identitären reihen sich ein in die Traditionslinien des völkischen (antiliberalen) Antisemitismus – neu daran ist höchstens die Aufmachung.

Überarbeitete Fassung eines im Rechten Rand 157/2015 erschienenen Textes (https://issuu.com/derrechterand/docs/drr_157).+

Zum Verhältnis der „Identitären“ zu Israel und Antisemitismus siehe hier.

[1]              Beim „Zwischentag“ in Berlin kam es 2012 zum Showdown zwischen rechtspopulistischen Islamfeinden und völkischen Antiwestlern: Der mittlerweile nach Wien zurückgekehrte Identitären-Kader Martin Lichtmesz bestand darauf, „dass die Völker am ‚Liberalismus’ zugrunde gingen und nicht am Islam.“ Womit er in den Augen Michael Stürzenbergers, einem Wortführer angeblich „liberaler Islamkritik“, den Blick frei gegeben hätte „auf eine völkisch-ewiggestrige Weltanschauung, deren geistige Heimat man wohl eher auf dem Nürnberger Zeppelinfeld des vergangenen Jahrhunderts verorten würde.“

[2]               Weil es sich bei den gehassten Objekten um antisemitische Imagines und nicht um reale Jüdinnen und Juden handelt, findet nur die männliche Form Verwendung.

Literatur

Brunkhorst, Hauke: Der Intellektuelle im Land der Mandarine. Frankfurt a. M. 1987

Feit, Margret: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation – Ideologie – Strategie. Frankfurt a. M./New York 1987

Hatzenbichler, Jürgen: Korporation, Tradition und Neue Rechte. In: Mölzer, Andreas (Hg.): Pro Patria. Das deutsche Korporations-Studententum – Randgruppe oder Elite? Graz 1994, S. 251-284.

Holzer, Willibald I.: Rechtsextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien 1993, S. 11-96.

Peham, Andreas (2010): Die zwei Seiten des Gemeinschaftsdünkels. Zum antisemitischen Gehalt freiheitlicher Identitätspolitik im Wandel, auf: http://www.gegendenantisemitismus.at/peham_oezp_aktual.pdf

Priester, Karin (2010): Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa?,  http://www.bpb.de/apuz/32423/fliessende-grenzen-zwischen-rechtsextremismus-und-rechtspopulismus-in-europa?p=all

Zurück zur Startseite

Anlässlich der heutigen Aussendung von SOS Mitmensch über die Unterstützung der rechtsextremen AULA durch die FPÖ: ein geraffter Rückblick auf einige Lowlights des vergangenen AULA-Jahrgangs.

Das Zentralorgan der völkischen Verbindungen in Österreich im Besitz der Freiheitlichen Akademikerverbände ist nach wie vor eines der relevantesten publizistischen Foren der extremen Rechten in Österreich. Im Berichtsjahr bot die Grazer Monatszeitschrift das gewohnte Potpourri aus rassistischer Hetze, antisemitischen Verschwörungsphantasien, Verunglimpfung von NS-Opfern und Antifaschist_innen sowie kaum verhohlener NS-Nostalgie. Dargebracht wurde all dies in weiter verschärfter Form, sodass eine Einstufung der Zeitschrift als neonazistisch (statt ’nur‘ rechtsextrem) zumindest diskutabel erscheint. Ergüsse über „die Tatsache, daß es verschiedene Menschenrassen gibt“, über die „bedrohte(n) Europiden“ und die „Abschaffung der Weißen“ (Oktober-Nummer, S. 26f.), über „Rassenmischung – multikulturelle Gesellschaft genannt“ oder „die eurasisch-negroide Umvolkung deutschen Landes und ganz Europas“ (Dezember, S. 32 bzw. S. 17) standen 2015 neben Attacken auf die „egalitäre() Utopie, alle Menschen seien gleich“ (Oktober, S. 26) oder auf den „umtriebigen jüdischen Spekulanten“ George Soros (März, S. 5), der „die Vermischung von Menschenrassen durch die Förderung von Völkerwanderungen“ erstrebe und vermittels der „Rothschild-Herrschaftsmethode“ zusammen mit der restlichen „heimatlose(n) Weltfinanz … die totale Kontrolle über Völker, Staaten und deren Regierungen“ ausübe (ebd., S. 44-46). Den von der AULA affirmativ kolportierten Mythen zufolge steht Israel bzw. der „politische() Zionismus“ hinter dem selbsternannten ‚Islamischen Staat‘ (Februar, S. 42) und „ein Rothschild“ hinter dem Attentat auf Charlie Hebdo, wie Burschenschafter Walter Marinovic (Germania Salzburg) argwöhnte. Dieser bezog sich gleichzeitig positiv auf Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ bezieht, die „deren [der Juden, Anm. B.W.] Geldgier und Wucherzinsen verdammte“ und in die Parole „Darum immer weg mit ihnen!“ gipfelte (ebd., S. 30f.). Über eine „(j)üdische Selbstausgrenzung“ in der abendländischen Geschichte wusste die AULA (in Person des NPD-Kaders Karl Richter) im Mai zu berichten. Die „’christlich-jüdische‘ Symbiose sei „künstlich, unhistorisch“ und müsse „der nichtjüdischen Normalbevölkerung erst auf allen Kanälen suggeriert werden“, nicht zuletzt durch „die Infiltration des globalen ‚Weltgewissens‘ mit dem Holocaust-Dogma“. Der Holocaust sei für das Judentum heute „Quelle der Kraft, wenn auch einer negativen, parasitären“. Auschwitz werde „zum Nasenring, an dem sich die Völker willenlos herumführen lassen“ (Mai, S. 12f.). Auch Gedenkveranstaltungen durch „KZ-Besessene“ (Juni, 32f.) sind AULA-Autoren ein Dorn im Auge, eher ihrem Verständnis von Aufarbeitung der Vergangenheit entsprechen Einlassungen über „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ und „Landplage“ (Juli/August, S. 91). Abgerundet wird das Bild von Klagen über den „giftigen Nektar“ des radikalen Feminismus im Allgemeinen und „selbsternannte() Frauenbefreierinnen wie die US-jüdische Lesbe Shulamith Firestone“ im Besonderen (November, S. 58). In parteipolitischer Hinsicht lässt die AULA (Selbstbezeichnung: „Das freiheitliche Monatsmagazin“) keinen Zweifel an ihrer engen FPÖ-Anbindung, die durch regelmäßige Lobartikel und Gefälligkeitsinterviews ebenso dokumentiert wird wie durch umfangreiche Inserate der nach aktuellen Umfragen stärksten Partei des Landes.

Der Absatz ist ein Preview aus einem Artikel von Bernhard Weidinger (FIPU) für den Rechtsextremismusbericht des Grünen Klubs. [Update: Ende Mai 2016 ist der Bericht erschienen – abrufbar hier.]

Zurück zur Startseite

Entsprechend unserem kritisch intervenierenden Selbstverständnis veröffentlichen wir im Folgenden einen Beitrag, den die Soziologin Julia Edthofer ursprünglich für den mosaik-Blog verfasst hat. Die Gruppe mit dem selbstgegebenen Ziel, „Politik neu zusammen[zu]setzen“ bzw. „linke Politik in Österreich hör- und sichtbar zu machen“, war im Anschluss an den islamistisch-antisemitischen Terror in Paris und Kopenhagen an einem „Beitrag zur neuen Welle des Antisemitismus in Europa“ interessiert. Mit dem Ergebnis war die Redaktion dann jedoch nicht zufrieden – der Text wurde abgelehnt. Begründung: mosaik habe einen „Text zu Antisemitismus im Allgemeinen und nicht zum Antisemitismus einer gesellschaftlichen Gruppe“ bestellt, was der Redaktion „vor allem unter Bezugnahme auf den österreichischen Diskurs“ als „besonders wichtig“ erschien. Unfreiwillig hat die Redaktion damit einen eindrucksvollen Beweis für die von Edthofer analysierte „Pattstellung von Antisemitismus- und Rassismuskritik“ und für die strukturelle Unfähigkeit vieler Linker, den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen begrifflich zu fassen und zu bekämpfen, abgeliefert. Die Leser_innen mögen sich selbst ein Urteil über den Text bilden; den (impliziten) Vorwurf von mosaik-Seite, wonach er antimuslimischen Rassismus befördere, halten wir jedoch für unhaltbar.

Für uns reiht sich dieser Vorfall in eine lange Kette des linken Scheiterns angesichts der doppelten (aber unterschiedlichen) Herausforderung durch den islamistischen Antisemitismus und den antimuslimischen Rassismus ein; ein Scheitern, das sich immer wieder auch in der Ausblendung und Delegitimierung innerlinker Kritik und Selbstreflexion äußert. Bezeichnend und bedauerlich erscheint dies gerade auch vor dem Hintergrund des mosaikschen Selbstverständnisses als Ort, an dem die „Vielfalt“ linker/alternativer Wissensbestände und Erfahrungen „aufeinander treffen“ und die Marginalisierung „linke(r) … politische(r) Positionen in Österreich“ durchbrochen werden soll. Augenscheinlich sind Einförmigkeit und Abgeschlossenheit kein exklusives Merkmal des polit-medialen Mainstreams, sondern auch einem Projekt nicht fremd, das als Alternative zu ebenjenem angetreten ist.
– FIPU, 20. 6. 2015 –

Rassismus- oder Antisemitismuskritik?

Eine antirassistische Perspektive auf den Zusammenhang von Islamismus[1] und Antisemitismus

Im Licht der aktuellen Entwicklungen und Diskussionen seit den Anschlägen in Paris und Kopenhagen hinterfrage ich in meinem Beitrag die aktuelle Pattstellung von Antisemitismus- und Rassismuskritik in antirassistischen Kontexten kritisch.

Julia Edthofer

Das Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo am 7. Jänner 2015 rief weltweit –aber vor allem im globalen Norden–massive Beileids- und Solidaritätsbekundungen hervor. Innerhalb kürzester Zeit avancierte #Je suis Charlie zu einem der meist-getwitterten Hashtags in der Geschichte des Mediums, wobei der Großteil in Europa und den USA online ging. Auch abseits davon war ein symbolischer Schulterschluss für „Demokratie“ und „Redefreiheit“ zu beobachten, der seinesgleichen sucht: Am Pariser Gedenkmarsch für die Opfer nahmen neben 3,7 Millionen Menschen auch über 50 Staatschef_innen teil, die laut medialer Inszenierung den Marsch anführten und neben dem Gedenken der Toten für Toleranz und das Recht auf freie Rede eintraten–darunter auch ausreichend Politiker_innen, bei denen Presse- und Meinungsfreiheit oder Menschenrechte ansonsten nicht ganz so weit oben auf der Agenda stehen. Zudem wurde das massive Ungleichgewicht zwischen globalem Norden und Süden in Bezug auf die Berichterstattung offensichtlich: zeitgleich mit den Anschlägen in Paris kam es in Nigeria zur bislang brutalsten Anschlagserie der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram, die mediale Aufmerksamkeit galt jedoch vor allem den Ereignissen in Frankreich. Wie gewohnt blieb somit außen vor, dass die meisten Opfer islamistischer Gewalt Muslim_innen sind, während gleichzeitig eine massive Bedrohung des „Abendlandes“ postuliert wurde. Insofern wurde aus linker Perspektive zu Recht die Doppelmoral der Inszenierung kritisiert; aus antirassistischer Perspektive noch wichtiger war jedoch die Kritik an der Vereinnahmung von rechts: Victor Orbán, der seit seiner Wahl zum ungarischen Ministerpräsidenten systematisch die Pressefreiheit abschafft, gab am Rand des Trauermarsches ein Interview, in dem er als Konsequenz der Attentate eine Aufrüstung der Festung Europa forderte. Die Vorsitzende des Front National Marine Le Pen sprach von einer (muslimischen) Kriegserklärung an die westliche Welt und deren Werte und verlangte ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe; und auch in Deutschland und Österreich vereinnahmten rechte Bewegungen und Parteien von Pegida bis NPD und FPÖ die Morde für antimuslimische Propaganda. All das ist mehr als bedenklich, jedoch sollen hier natürlich nicht die Demonstrationen für Demokratie und Meinungsfreiheit als solche kritisiert werden, denn sie sind wichtig–in Paris ebenso wie in Abuja. Problematisch ist vielmehr deren rassistische Vereinnahmung und damit der politische Subtext: die „Islamisierung des Abendlandes“ müsse nun endlich gestoppt werden, um die „aufgeklärte westliche Welt“ gegen „muslimische Barbarei und Terror“ zu verteidigen.

Eine antirassistische Kritik an solchen Vereinnahmungen ist notwendig, leider führt sie jedoch auch oft zu einer eigenartigen politischen Pattstellung, in der Dinge, die nicht so ganz ins Bild passen, gerne außen vor gelassen werden. Eine Tatsache, die beispielsweise in linken, antirassistischen Diskussionen komplett aus dem Blick gerät, ist der offensichtliche Zusammenhang von Islamismus und Antisemitismus. Bei dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo wurden gezielt nur Männer ermordet, bis auf eine Ausnahme: die jüdische Psychoanalytikerin und Kolumnistin der Zeitschrift Elsa Cayat. Als Reaktion auf den Anschlag überfiel der IS-Anhänger Amedy Coulibaly den koscheren Supermarkt Hypercacher– allerdings nicht nur, um dort Geiseln zu nehmen, sondern mit dem dezidierten Ziel die dort einkaufenden Menschen zu töten, weil sie Juden waren. Gleiches war in Kopenhagen zu beobachten: nach dem Anschlag auf die Diskussionsveranstaltung zu Rede- und Pressefreiheit im Februar 2015 wurde die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde attackiert und dabei ein (ebenfalls jüdischer) Wachmann erschossen. Jedes Mal, wenn so genannte „westliche Werte“, Demokratie, Meinungsfreiheit etc. in Europa selbst angegriffen werden, geht dies mit einem Angriff auf Jüdinnen, Juden und/oder jüdische Einrichtungen einher–jedes Mal gibt es dabei Tote. Dass dies kein Zufall ist, liegt ebenso auf der Hand, wie es der antimuslimische Rassismus tut. Insofern müsste sich eine antirassistische Linke auch die Frage stellen, warum radikalisierte Personen, die sich zu den verschiedenen aktuell boomenden, meist wahhabitisch oder salafitisch beeinflussten, jihadistisch-islamistischen Ideologien bekennen, offensichtlich ein antisemitisches Weltbild haben. Die Antwort wäre eigentlich recht einfach: sie folgen einer anti-demokratischen Ideologie, die als faschistisch analysiert werden muss: Terrorgruppen wie der IS sind streng hierarchisch nach dem Führerprinzip organisiert, bekämpfen „unislamische“ Gruppen bis hin zu deren Vernichtung und zielen auf einen autoritären Umsturz der bestehenden Verhältnisse ab. Antisemitismus ist ein logischer Bestandteil jeder antidemokratisch-faschistischen Ideologie, da er als (Pseudo-)Erklärungsmodell für die (scheinbar) bekämpften Zustände dient. Wie jede radikale Ideologie wirkt dieser rechte Rand, so er nicht eingedämmt wird, nicht zuletzt auch in die gesellschaftliche Mitte hinein: das wurde beispielsweise im Sommer 2014 offensichtlich, als im Zuge zahlreicher muslimisch geprägter Proteste gegen den Gaza-Krieg auch die zunehmende Islamisierung des antisemitischen Ressentiments deutlich wurde. Antirassistische Kritik konzentriert sich vor allem auf den antimuslimischen Diskurs und weist darauf hin, dass Muslim_innen generell unter Terrorverdacht gestellt oder eben zu den „neuen Faschist_innen“ oder den „neuen Antisemit_innen“ stilisiert werden–und das ist richtig und wichtig. Jedoch wird auf der anderen Seite selten die problematische Ideologie und damit auch das heiße Eisen islamisierter Antisemitismus benannt. Ein Grund dafür ist die Sorge, aufgrund der oft fehlenden Differenzierung zwischen Muslim_innen und Islamist_innen zum antimuslimischen Diskurs beizutragen. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch das Faktum, dass die Täter_innen oft selbst rassistisch ausgegrenzt werden. Ein kurzer Blick auf die Biographien der Attentäter von Paris lässt auch tatsächlich vermuten, dass sie als Nachkommen von Immigrant_innen aus ehemaligen Kolonien im postkolonialen Frankreich massiver Diskriminierung ausgesetzt waren. Diese Ungerechtigkeit sollte jedoch nicht dazu führen, dass zu den ideologischen Grundlagen ihrer Taten geschwiegen wird.

Die Tatsache, dass sich aktuell viele Personen mit ihren faschistischen Ideen auf den Koran berufen und dass ihre Taten antimuslimischem Rassismus neuen Zündstoff geben, sollte uns also nicht daran hindern, eine politische Kritik daran zu formulieren. Ansonsten tappt mensch in eine Kulturalisierungs-Falle, die Politik nicht mehr von Religion trennen kann–und eine solche anti-politische Sichtweise ist eher Teil des Problems, als der Lösung. Denn jedes „Aber“ (… aber die haben doch rassistische Cartoons veröffentlicht) nach der Verurteilung der Anschläge, spielt letztendlich in die Hände konservativer bis faschistischer Kräfte. Wenn jedoch ernst genommen wird, dass Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen ist, sollte dies auch immer gelten–sei es nun in Abuja, Paris, Kobanê oder im kenianischen Garissa, wo jüngst 148 Student_innen ermordet wurden. Gleiches gilt für das Benennen von unterschiedlichen Ressentiments: wenn antirassistische Kritik ernst genommen wird, dann inkludiert das auch eine Kritik an Antisemitismus–und damit auch am Antisemitismus von Personen, die selbst rassistisch ausgegrenzt und diskriminiert werden.

[1] Der Begriff „Islamismus“ meint die politische Vereinnahmung des Islam und ist daher natürlich vom Islam als Religion zu unterscheiden; für eine ausführlichere Differenzierung zwischen politischem Islam, Wahhabismus, Salafismus und Jihadismus ausgehend von einer Kritik des schwammigen Sammelbegriffes „Islamismus“, siehe Thomas Schmidingers Beitrag in den Informationen zur Politischen Bildung No. 37.

Zurück zur Startseite