erschienen auf vice.com/alps

von Verena Bogner

Im vergangenen April haben Mitglieder der sogenannten Identitären die Aufführung von Elfriede Jelineks Theaterstück „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im Audimax gestürmt. Daraufhin wurde das Ensemble für eine Aufführung von der Stadt Wien ins Rathaus eingeladen. Bei eben dieser Aufführung hat die Burschenschaft Hysteria, laut Eigenbeschreibung die älteste Burschenschaft Österreichs, den Saalschutz übernommen. „Wir sind die wahren Hüterinnen der österreichischen Kultur und Tradition“, hieß es damals auf der Hysteria-Seite. Außerdem waren Mitglieder der Hysteria beim Bachmann-Preis anwesend, wo die Autorin Stefanie Sargnagel, die selbst Mitglied der Hysteria ist und im Netz immer wieder von Rechten attackiert wird, den Publikumspreis gewonnen hat.

Am 10. Januar 2016 wurde das erste Mal auf der Facebook-Page der Burschenschaft Hysteria gepostet—und zwar das Bild einer schreienden Hyäne, ihres perfekt ausgewählten Wappentiers. Seitdem finden sich dort regelmäßig Postings zu aktuellen Anlässen wie beispielsweise dem traditionellen Fest zur Sommersonnenwende, das die Hysteria am Donauinselfest gefeiert hatte. Die Burschenschaft Hysteria ist die feministische und längst überfällige Antwort auf deutschnationale Burschenschaften, die in Österreich immer noch Tradition haben und jeden Januar mit dem Akademikerball für Gegenproteste sorgen; und im Zuge dessen auch dafür, dass in der Wiener Innenstadt der eine oder andere umgestoßene Mistkübel wieder aufgestellt werden muss.

Die Burschenschaft Hysteria bewegt sich irgendwo zwischen Satire, Kunstprojekt und radikalem, politischen Aktivismus und macht vor allem eines: Sie zeigt durch diese Zuspitzung auf die deutlichste, brachialste Art die Schwachstellen des Gedankenguts von männerbündlerischen Burschenschaften auf. Mit denen ist sie übrigens eher zu vergleichen als mit klassischen Mädelschaften beziehungsweise Damenverbindungen, von denen es in Österreich aktuell etwas mehr als eine Handvoll gibt. Diese nehmen zwar genau wie die Hysteria nur Frauen auf, aber die Hysteria lehnt sich in ihren Werten, Zielen und Traditionen eindeutig an Männerbünde an.

Die Burschenschaft Hysteria distanziert sich (zumindest offiziell) übrigens von der Behauptung, Satire zu sein, wie sie nach einer Erwähnung im Falter als „satirisch-feministische Burschenschaft“ klarstellt. Auch das gehört zu ihren Kerneigenschaften: Die Hysteria bleibt immer „in character“ und fällt nie aus ihrer öffentlichen Rolle.

Das gilt auch für unsere Anfrage, auf die uns die Burschenschaft Hysteria erklärt, dass sie derzeit keine Interviews gibt und uns bittet, das auf ihrer Facebook-Seite zur Verfügung stehende Material zu verwenden.

Laut der dortigen Eigenbeschreibung steht die Hysteria für starke, ideelle Werte, die Unterdrückung Andersdenkender, aktiven Vaterlandsverrat und bietet neben einer Erweiterung des Horizontes auch lebenslange Freundinnenschaften. Männer sind in der Burschenschaft selbstverständlich nicht erlaubt, denn die gehören laut Hysteria nicht in die Öffentlichkeit, vielmehr sieht sie die Sphäre des Mannes klar im Privaten.

Die Hysteria verlangt von ihren Mitgliedern (und in weiterer Folge auch weltweit) die Angleichung der Zyklen, die Einschränkung des Männerwahlrechts, günstige Abtreibungen, Schleierzwang für Männer und Hodenamputation bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr, bei dem die Frau nicht zum Höhepunkt kommt. Kurz gesagt: Das uneingeschränkte Matriarchat. Die Mitglieder der Hysteria tragen Hyänen-Jacken und rote Deckel. Was auf den ersten Blick lustig und absurd wirkt, trägt in Wahrheit zur Entmystifizierung einer Ideologie mit großem Gefahrenpotenzial bei.


Burschenschaften in Österreich:


Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, die sich als Mitwirkende der „Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit“ intensiv mit Burschen- und Mädelschaften, beziehungsweise Damenverbindungen beschäftigt, sieht zwischen dem Auftreten und der Organisationsform der Hysteria viele Parallelen zu anderen Burschenschaften.

„Die Burschenschaft Hysteria bezieht sich in ihrer Namensgebung, ihrer Organisationsform als geschlechtshomogene Gruppe und historischen Entstehungsgeschichte nicht nur auf burschenschaftliche Traditionen, sondern auch die vertretenen Werte, Ideale und Forderungen orientieren sich an burschenschaftlichen Vorbildern“, sagt Goetz.

Diese Traditionen und Werte sind laut Goetz unter anderem: Die Verwendung von Couleurnamen (wie Sauhilde oder Sprenghilde), die gegenseitige Anrufung als „Burschen“, strenge Verbindungsprinzipien, der gemeinschaftlich organisierte Alkoholkonsum sowie die Bezugnahme auf das Ritual der Mensur zur Absicherung des eigenen Bundes nach außen. Vor allem das Kämpfen von Mensuren unterscheidet die Hysteria laut Goetz außerdem von gängigen Mädelschaften und Frauenverbindungen, da Frauen dem Weltbild von Burschenschaften zufolge nicht satisfaktionsfähig sind. Im Nichtburschi-Sprech: Sie können nach einer Ehrverletzung die Ehre nicht durch Duellieren wiederherstellen.

Themen, denen sich die Burschenschaft Hysteria immer wieder annimmt, sind auch Sexismus und veraltete Geschlechterrollen—also Konzepte, die Burschenschaften und andere rechte Gruppierungen häufig promoten und beispielsweise mit Kampagnen zum Schutz „unserer Frauen“ vor der Belästigung durch fremde Männer zu festigen versuchen.

Hier sieht Goetz auch die Besonderheit der Hysteria: „Insbesondere der von Burschenschaftern vertretene Sexismus wird von der Hysteria zugespitzt ins Gegenteil verkehrt. Anstelle der Ablehnung von Frauen*-Quoten wird beispielsweise eine Frauen*- und Transgender-Quote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern gefordert. Damit wird auch eine wichtige Kritik am burschenschaftlichen Gedankengut deutlich. Burschenschaften tragen durch ihre männerbündische Organisationsform maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Reproduktion biologistischer und hierarchisch gedachter, geschlechterdualistischer Vorstellungen von Gender bei. Die männerbündische Tradition der Burschenschaften verfolgt nicht zuletzt das Ziel, Frauen* aus dem Bund wie auch der Sphäre der Politik fern zu halten. Die Hysteria macht Aspekte zum Thema, die in der Kritik an Burschenschaften lange Zeit ausgespart oder vernachlässigt geblieben sind—wie eben der burschenschaftliche Sexismus und Antifeminismus sowie auch Homo- und Trans-Feindlichkeit. Gerade weil diese Ideologien auch in der so genannten gesellschaftlichen Mitte tief verankert sind, wird oftmals übersehen, dass sie auch einen fixen Bestandteil extrem rechter Denkmuster ausmachen.“

Wie so oft, wenn es um die Diskussion geht, welche Plattform rechten Gruppierungen wie Burschenschaften oder auch den sogenannten Identitären gegeben werden soll, kann auch hier der Eindruck entstehen, dass die Hysteria durch ihr Aufgreifen von burschenschaftlichen Traditionen eben diesen zu viel Bedeutung zumisst, anstatt ihre Mechanismen zu entlarven.

Laut Goetz schenkt die Hysteria Burschenschaften jedoch eben die Aufmerksamkeit, die den oftmals unterschätzten Männerbünden zusteht: „Deutschnationale Burschenschaften wurden und werden in Bezug auf ihre gesellschaftliche wie auch politische Bedeutung bis heute unterschätzt und oftmals als marginalisierte Gruppe Ewiggestriger abgetan. Insofern wird ihnen von Seiten der Hysteria jene Aufmerksamkeit zugemessen, die ihnen tatsächlich auch zukommen sollte.“

Aufgrund ihrer provokanten Inszenierung hat nicht nur Stefanie Sargnagel als Person des öffentlichen Lebens, sondern auch die Hysteria als Ganzes mit Anfeindungen von Rechts zu kämpfen. Erst kürzlich hat die Burschenschaft Hansea zu Wien ein Foto der Hysteria mit dem Text „Besucherinnen vom Planeten der Unbeschlafenen“ und dem Hashtag #linkeweiberausknocken geteilt, was nicht nur das sexistische Gedankengut der Burschenschaft deutlich werden lässt, sondern auch zeigt, dass die Inszenierung der Hysteria am großen Ego der Burschenschaft kratzt. Die Hysteria hat der Burschenschaft daraufhin einen Besuch bei ihrer Bude abgestattet.

Der Hashtag #linkeweiberausknocken hat übrigens eine Vorgeschichte: Auf einer gleichnamigen Webseite wurden Gewaltaufrufe gegen Frauen veröffentlicht, die sich antifaschistisch engagieren, zum Beispiel gegen Natascha Strobl. Außerdem wurden Sticker mit der Aufschrift und ihrem Gesicht darauf in Wien verteilt.

Derartige Untergriffigkeiten von Burschenschaften gegenüber Frauen generell und der Hysteria im Besonderen seien laut Goetz der Versuch, das Fortbestehen der Geschlechterdifferenz und der eigenen Privilegien zu sichern, das durch Gruppierungen wie die Burschenschaft Hysteria mehr denn je infrage gestellt werde: „Mädelschaften und Damenverbindung stellten bislang keine Bedrohung dar, da sie im Rahmen strenger Geschlechterhierachien und klaren Aufgabenverteilungen bestehen. Aufweichungen dieser männerbündischen Strukturen, wie sie jedoch beispielsweise durch die Öffnung von Burschenschaften für Frauen* von statten gehen würden, werden folglich mit einer Bedrohung sowohl für den Fortbestand antiquierter Geschlechterbeziehungen als auch für die eigenen Privilegien in Verbindung gebracht und aktiv bekämpft.“

Die Burschenschaft Hysteria findet einen Weg, Rechte zu entlarven, ohne sich selbst (zumindest was Social Media betrifft) angreifbar zu machen. Sie spielt gezielt mit den Werten und Ansichten „weißer Männer“—denjenigen, die „unsere“ Frauen schützen wollen, aber im nächsten Moment Vergewaltigungsdrohungen auf Facebook verfassen oder die, für die weibliche Emanzipation immer noch der Feind der traditionellen Familie ist. So schafft sie es nicht nur, zu entlarven und uns bewusst zu machen, welches Welt- und Frauenbild ein Teil unserer Gesellschaft eigentlich vertritt, sondern motiviert junge Frauen auch, etwas gegen eben dieses Weltbild zu tun. Nach eigenen Angaben der Hysteria häufen sich inzwischen die Mitgliedsanfragen. Um es mit ihren Worten zu sagen: Noch nie hat Vaterlandsverrat so gut geschmeckt.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

Bei allen Kontinuitäten ist der deutsch-österreichische Rechtsextremismus weit davon entfernt, ein statisches Phänomen zu sein. Vielmehr wird er dauernd an die hegemonialen Bedingungen angepasst – jedoch ohne dass dabei sein ideologischer Kern, das antiliberal-völkische Primat, aufgeweicht werden würde. Auf die wachsende Ablehnung, das Scheitern bei Wahlen und – in manchen Ländern – die behördlichen Verbote neonazistischer Artikulationsformen reagierten extreme Rechte in Westeuropa ab den 1960er Jahren mit Distanzierungen gegenüber ihren Vorläufern. Diese, zuerst in Frankreich einsetzenden, Versuche von „Gegen-Intellektuellen“ (Hauke Brunkhorst), faschistisches Gedankengut „von Hitler zu befreien“ (Margret Feit), werden gemeinhin als neurechts bezeichnet. Gegen die unkritische und vorschnelle Übernahme dieser Selbstbezeichnung wandte schon der Klagenfurter Historiker Willibald Holzer ein, dass sich so „manche vorschnell als solche entdeckte programmatische Innovation moderner Gruppierungen […] sehr rasch als oft nur geringfügig modifizierte Aktualisierung faschistischer oder vorfaschistischer Ausprägungen rechtsextremer Ideologie [erweist]“. Tatsächlich sieht die so genannte Neue Rechte sehr alt aus, wenn man ihre Positionen einer genaueren Analyse unterzieht. Gerade in Österreich handelt es sich bei dieser Selbstbezeichnung von Rechtsextremen um einen Begriff, der mehr für neue Strategien und Formen als für neue Inhalte steht. Dies gilt auch für die Abgrenzung vom Neonazismus, die eben nicht umgehend als Ausdruck demokratischer Gesinnung zu gelten hätte, zumal sie doch zumeist strategisch und bloß durch Differenzen hinsichtlich der politischen Strategie (Metapolitik statt Systemüberwindung) und der Zielgruppe (intellektuelle Eliten statt kleine Leute) motiviert ist. Wer demgegenüber etwa wie im Falle der 2012 auf der Bildfläche erscheinenden Identitären unkritisch von Neuen Rechten spricht, geht den Rechtsextremen ein Stück weit auf den Leim.

Schon das erste Auftauchen des Labels Neue Rechte in Österreich verweist auf seine zentrale Funktion – die Verharmlosung. Es waren nämlich militante Neonazis, die sich Anfang der 1970er Jahre als Aktion Neue Rechte (ANR) an den Universitäten zusammenfanden und Terror verbreiteten. In den späten 1980er Jahren begann dann der von Burschenschaftern dominierte Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), die gegenintellektuellen Wortführer der deutschen Neuen Rechten an die Universität Wien einzuladen. Dass es sich dabei neuerlich um bloßen Etikettenschwindel handelte, wurde schon an der Tatsache deutlich, dass der Saalschutz bei diesen Vorträgen von Neonazis verstärkt wurde. Auch Gottfried Küssel, schon damals der ranghöchste österreichische Neonazi, holte sich 1988 beim Versuch, einen Vortrag von Pierre Krebs gegen antifaschistische Proteste abzuschirmen, blutige Schrammen.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das österreichische Verbotsgesetz verschärft, dementsprechend waren Neonazis nun verstärkt dazu angehalten, ihre Propaganda zu modifizieren und vorsichtiger zu agieren. Diejenigen unter ihnen, die Matura oder gar ein Studium vorweisen konnten, versuchten dies auch in Form einer Intellektualisierung. Bei der Suche nach möglichst unverdächtigen Stichwortgebern stießen sie, mehrheitlich deutsch-völkische Korporierte, schnell auf die konservativ-revolutionären Konkurrenzfaschisten wie Arthur Möller van den Bruck und deren neurechte Adepten. Unter Rechtsextremen wirkte daneben der Knick im Aufstieg der FPÖ und Jörg Haiders, der sich dazu verstiegen hatte, öffentlich die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis zu loben, begünstigend für die partielle Übernahme neurechter Politikkonzepte. Es war vor allem der damalige FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer, der nach Haiders erzwungenem Rücktritt als Kärntner Landeshauptmann 1991 und den ersten FPÖ-Niederlagen sich und seinen Kameraden ein Umschwenken auf die „Metapolitik“ und den der politischen Machtübernahme vorausgehenden Kampf um die kulturelle Hegemonie verschrieb. Das Burschenschafter-Zentralorgan Die Aula begann sich nun mit neurechten Autoren wie Alain de Benoist zu füllen. Und im Aula-Verlag erschien Anfang der 1990er Jahre die wohl einzige rechtsextreme Zeitschrift, die das Etikett neurechts nicht nur zur Camouflage trug: Identität. Es war maßgeblich Jürgen Hatzenbichler, der damals über diese Zeitschrift neurechte Theorien aus Frankreich importierte und für das völkisch-korporierte FPÖ-Vorfeld publizistisch aufbereitete. Der pennale Burschenschafter musste sich aber schon Mitte der 1990er Jahre sein Scheitern eingestehen: Nach jahrelanger vergeblicher Missionierungstätigkeit beklagte er resignierend, dass die „Positionen der Alten Rechten […] leider auch im Bereich der Korporationen vielfach noch heruntergeleiert werden.“ Tatsächlich war der alte oder herkömmliche (parteiförmige) Rechtsextremismus längerfristig in Österreich zu erfolgreich, als dass er des metapolitischen Kampfes um die kulturelle Hegemonie bedürfte. Es fehlt hierzulande also ein zentrales Gründungsmoment der Neuen Rechten – die ideologische Vorherrschaft der Linken und Liberalen. Da konnten Rechtsextreme eine links-liberale Hegemonie in Österreich noch so oft behaupten, angesichts der diesen Behauptungen widersprechenden Realität verloren neurechte oder metapolitische Konzeptionen im korporierten Umfeld der FPÖ rasch wieder an Attraktivität.

Dass es dennoch auch in Österreich mit der Gründung der Identitären zu einem neuerlichen Aufflackern neurechter Politikkonzeptionen gekommen ist, scheint mehr der zunehmenden europäischen Vernetzung extremer Rechter als den konkreten hegemonialen Verhältnissen im Land geschuldet zu sein. Vor allem sind der erhöhte Repressionsdruck auf die neonazistische Szene seit Anfang 2011 (Zerschlagung der Alpen-Donau-Gruppe rund um Gottfried Küssel) und massive Rekrutierungsschwierigkeiten vieler deutsch-völkischer Studentenverbindungen als Gründungsmotive auszumachen. Schließlich decken die auf außerparlamentarischen Aktionismus und popkulturelle Inszenierungen spezialisierten Identitären im Gegensatz zum biederen Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) eine gestiegene Nachfrage von Seiten erlebnisorientierter junger Männer ab. Was so mancher Alte Herr als Anpassung an den linken Zeitgeist und die amerikanisierte Massenkultur verdammen mag, ist in Wahrheit eine notwendige Voraussetzung für die Hegemoniefähigkeit unter Jugendlichen.

Im Frühjahr 2012 etablierte der Olympia-Burschenschafter Alexander Markovics mit ein paar Waffenbrüdern eine Wiener Identitäre Richtung als Gegen-Intellektuellen-Zirkel oder Debattierklub, der einen Brückenschlag zum Rechtskonservativismus versuchte. Der nach deutschem Vorbild gestartete Versuch, Teile des politischen Konservativismus zu radikalisieren, kann aber schon als gescheitert gesehen werden: Zu offensichtlich ist die Herkunft eines Großteils der Identitären aus dem Neonazi-Milieu, auf welche sogar der heimische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht hinweist. Das zielt vor allem auf jene Gruppe, die sich um Martin Sellner (ehem. Olympia) im Sommer 2012 bildete und nach dem Vorbild osteuropäischer Neonazis mit ihren „Hardbass“-Aktionen Veranstaltungen politischer Gegner_innen störte. Im Februar 2013 vereinten sich diese beiden Gruppen zur Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ) und „besetzten“ gemeinsam die Votivkirche in Wien, um die damals gerade dort stattfindenden Proteste von Flüchtlingen ins Lächerliche zu ziehen.

Im bereits erwähnten VS-Bericht 2014 werden auch die Warnungen der Identitären vor einer angeblichen „Islamisierung“ als „Deckmantel“ entlarvt, unter welchem „auf einer pseudo-intellektuellen Grundlage“ versucht werde, „das eigene rassistisch/nationalistisch geprägte Weltbild zu verschleiern. […] Was sich vordergründig als ‚Kritik’ und jüngst als ‚islamkritisch’ auf der Ebene der Mobilisierung darstellt, trägt in der tatsächlichen Umsetzung oft islam-, asyl- und fremdenfeindliche Züge.“

Tatsächlich ist es nicht mehr als Mimikry, wenn Rechtsextreme heute versuchen, ihren gerne als Ethnopluralismus verharmlosten Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung kultureller Identität zu verstecken. So schimmert schon beim französischen Identitären-Gründervater Fabrice Robert, im Interview mit der Jungen Freiheit (10/2013), hierbei der alte Rassismus durch: „’100 % Identität, 0 % Rassismus’. Aber mit dem territorialen Imperativ, dass ein Boden einem einzelnen Volk gehört.“

Karin Priester wies bereits 2010 darauf hin, dass „Teile des Rechtsextremismus“ nach „dem ethnopluralistischen Modernisierungsschub der 1980er Jahre versuchen […], über die Umpolung des Feindbildes, eine neue, diesmal antiislamische ‚Modernisierungswelle’ einzuleiten.“ Der antimuslimische Rassismus, der sich als Ausfluss kultur-christlichen Superioritätsdenkens jedoch nicht länger ethnopluralistisch verbrämen lässt, dient auch den Identitären vor allem als Vehikel in den Mainstream-Diskurs: Rassistische Inhalte finden leichter und mehr Gehör, wenn sie im kultur-christlichen oder vermeintlich aufgeklärten Gewand daherkommen. Die sich unter anderem in der Sarrazin-Debatte artikulierende Normalität bis Hegemonie des Feindbildes Moslems oder Islam macht dieses zum idealen Instrument, um aus der Extremismus-Ecke zu kommen.

Eine Kontinuität zwischen alten und neuen Rechten stellt der kulturelle Antiamerikanismus dar, eine aktuelle Ausformung des völkischen und über weite Strecken antisemitischen Antiliberalismus. Dieser artikuliert sich aktuell etwa in der Abrechnung der Identitären mit der rechtspopulistischen und liberalen „Islamkritik“. Während es „liberalen Islamkritikern“ um die Verteidigung „westlicher Werte“ gehe, wollen die jungen Völkischen „die gegenwärtige Dekadenz hin zu einem neuen goldenen Zeitalter überwinden“, wie der Grazer Führungskader Patrick Lenart betonte. Im Gegensatz zu den rechtspopulistischen „Islamkritikern“ würden die Identitären „den Islam in seinem angestammten Raum – etwa dem arabischen – als eine fremde Kultur [akzeptieren]“, so Lenart. Als Ursache für das „drohende Ende der europäischen Völker“ wird im programmatischen Text „Wider die liberale Islamkritik“ angegeben, „dass der Liberalismus den Selbsterhaltungstrieb der europäischen Völker derart ausgehebelt hat […]. Eine solche Gesellschaft hat keine Zukunft! Sie degeneriert zwangsläufig und wird dekadent.“ Anstatt von den „Moslems“ zu verlangen, dass sie sich in diese verkommene weil liberal-demokratische Gesellschaft integrieren, wollen die Identitären ihr „Volk wieder bekehren – weg vom Gift des Liberalismus […].“ [1]

Auch die Behauptung einer systematischen Überfremdung oder Umvolkung per Islamisierung und zum Zwecke der leichteren Beherrschbarkeit der in lauter Individuen zerfallenden Gemeinschaft ist fixer Bestandteil antisemitischer Diskurse. Weil die nationale (kulturelle) Identität den (geheimen) Welteinheitsplänen im Weg stehe, werde versucht, das „ethnische Antlitz Europas unwiderruflich“ zu verändern – ein Verschwörungsmythos, der jüngst im Aufdecken vermeintlicher (US-amerikanischer und jüdischer) Hintermänner der Fluchtbewegungen nach Europa fröhliche Urständ im freiheitlichen Milieu feierte. Der Antiamerikanismus schreibt als Zwillingsbruder des Antisemitismus diesen fort. Entsprechend der antisemitischen Figur des jenseits der nationalen Antagonismen stehenden Dritten und alle Identität auflösenden Nicht-Identischen, wird Juden[2] und den von diesen angeblich dominierten USA unterstellt, alle Völker beherrschen zu wollen.

Auch wenn sich weite Teile der extremen Rechten Westeuropas heute als frei von Antisemitismus darstellen und diesen stattdessen nur mehr bei den Moslems sehen wollen, sind sie seinem grundlegenden dichotomischen Muster und seiner verschwörungsmythischen Weltsicht weitgehend treu geblieben. Der antimuslimische Rassismus knüpft gerade in Österreich an antisemitische Traditionen an (vgl. Peham 2010). Dies zeigte sich schon Ende der 1990er Jahre in der freiheitlichen Kampagne gegen das Schächten, mit der antijüdische Blutphantasien fortgeschrieben wurden. Und als die FPÖ 2009 in einem Inserat gegen den angeblich unmittelbar drohenden EU-Beitritt der Türkei und Israels agitierte, bewies sie eindrucksvoll, dass das „christliche Abendland“ immer noch vor Juden und Moslems gleichermaßen beschützt werden muss. Auch die im Verhältnis zur FPÖ arbeitsteilig agierenden Identitären reihen sich ein in die Traditionslinien des völkischen (antiliberalen) Antisemitismus – neu daran ist höchstens die Aufmachung.

Überarbeitete Fassung eines im Rechten Rand 157/2015 erschienenen Textes (https://issuu.com/derrechterand/docs/drr_157).+

Zum Verhältnis der „Identitären“ zu Israel und Antisemitismus siehe hier.

[1]              Beim „Zwischentag“ in Berlin kam es 2012 zum Showdown zwischen rechtspopulistischen Islamfeinden und völkischen Antiwestlern: Der mittlerweile nach Wien zurückgekehrte Identitären-Kader Martin Lichtmesz bestand darauf, „dass die Völker am ‚Liberalismus’ zugrunde gingen und nicht am Islam.“ Womit er in den Augen Michael Stürzenbergers, einem Wortführer angeblich „liberaler Islamkritik“, den Blick frei gegeben hätte „auf eine völkisch-ewiggestrige Weltanschauung, deren geistige Heimat man wohl eher auf dem Nürnberger Zeppelinfeld des vergangenen Jahrhunderts verorten würde.“

[2]               Weil es sich bei den gehassten Objekten um antisemitische Imagines und nicht um reale Jüdinnen und Juden handelt, findet nur die männliche Form Verwendung.

Literatur

Brunkhorst, Hauke: Der Intellektuelle im Land der Mandarine. Frankfurt a. M. 1987

Feit, Margret: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation – Ideologie – Strategie. Frankfurt a. M./New York 1987

Hatzenbichler, Jürgen: Korporation, Tradition und Neue Rechte. In: Mölzer, Andreas (Hg.): Pro Patria. Das deutsche Korporations-Studententum – Randgruppe oder Elite? Graz 1994, S. 251-284.

Holzer, Willibald I.: Rechtsextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien 1993, S. 11-96.

Peham, Andreas (2010): Die zwei Seiten des Gemeinschaftsdünkels. Zum antisemitischen Gehalt freiheitlicher Identitätspolitik im Wandel, auf: http://www.gegendenantisemitismus.at/peham_oezp_aktual.pdf

Priester, Karin (2010): Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa?,  http://www.bpb.de/apuz/32423/fliessende-grenzen-zwischen-rechtsextremismus-und-rechtspopulismus-in-europa?p=all

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Von Judith Goetz

Erschienen in progress 2/16

Stärker denn je nehmen Rechtsextreme (staatliche) Gleichstellungspolitiken und sexualpädagogische Maßnahmen ins Visier. Besondere Bedeutung kommt dabei den Debatten rund um vermeintliche „Frühsexualisierung“ zu.

Obgleich die Bedeutung des Schlagworts „Frühsexualisierung“ in rechtskonservativen und rechtsextremen Diskursen zumeist nicht näher ausgeführt wird, scheint sich der Terminus in den letzten Jahren zu einem Kampfbegriff entwickelt zu haben. Er wird dabei vor allem zur Abwehr zeitgemäßer pädagogischer Ansätze der Sexualerziehung im frühen Kindesalter zum Einsatz gebracht, die Kindern ein positives Körpergefühl, Abbau von Schamgefühlen und die Entwicklung einer verantwortungsvollen, selbstbestimmten Sexualität ermöglichen sollen. Die Bestrebungen zielen unter anderem auf die Befähigung ab, (sexualisierte) Gewalt zu erkennen und sich gegen diese zur Wehr zu setzen.

In kindergerechter Weise werden Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit nur als eine von vielen gleichberechtigten Möglichkeiten geschlechtlicher und sexueller Lebens- und Begehrensformen präsentiert, von „natürlichen“ Vorstellungen von Sexualität wird Abstand genommen. Grund genug für konservative und rechte Kräfte, Sturm zu laufen. Anlass für Diskussionen lieferten in Deutschland ein Methodenbuch zur „Sexualpädagogik der Vielfalt“ sowie Bestrebungen, „Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten“ in Sexualkunde-Unterrichtspläne zu integrieren.

In Österreich wiederum stand vor allem die 2012 vom Verein Selbstlaut herausgegebene sexualpädagogische Broschüre „Ganz schön intim“, die Lehrer_innen Anregungen für die Thematisierung von Liebe und Sexualität im Unterricht liefert und unter anderem Selbstbefriedigung, Patchwork-Familien, gleichgeschlechtliche Beziehungen und Intersexualität selbstverständlich behandelt, im Fokus eines vermeintlichen Skandals. Sowohl von ÖVP, FPÖ, BZÖ als auch (rechts-)katholischen Organisationen wurde die in den Medien als „Sex- Fibel“ (Kurier) oder „Sex-Unterlagen“ (Krone) betitelte Broschüre als „verstörend“ kritisiert, da sie homosexuelle Paare heterosexuellen gleichstellt. Dadurch würde, so die homophobe Argumentation, die „Kernfamilie bedroht“ und „Kindern ein irritierendes Bild von Familie und Sexualität“ (Barbara Rosenkranz) vermittelt.

ALTBEKANNTE MUSTER. In der Diskreditierung derartiger pädagogischer Ansätze bedienen sich Rechtsextreme bekannter Methoden, die von selektiven Darstellungen über die Umdeutung von Diskursen bis hin zur Verbreitung von Unwahrheiten reichen. So ist in einschlägigen Veröffentlichungen und Wortbeiträgen von „ideologischer Stimmungsmache“, „staatlicher Umerziehung“, „Indoktrination“, „Manipulation“ oder der „Trans- und Homosexualisierung“ der Kinder und Schulen zu lesen und zu hören.

Nicht selten inszenieren sich die selbsternannten Retter_innen der „Kernfamilien“ dabei als die eigentlichen Diskriminierten, da „Berufsschwule“ und „Genderbeauftragte“, so die beinahe wahnhaften Vorstellungen, bis in die Klassenzimmer die Erziehung ihrer Kinder bestimmen könnten, während die Rechte der Eltern ausgehebelt würden. Der Diskurs fixiere sich zudem zu stark auf „Diskriminierungen, die in der sexuellen Identität begründet sind“, wohingegen andere Benachteiligungen außer Acht gelassen würden. So wird „Frühsexualisierung“ von der Auflösung der Familie bis hin zum Niedergang des Bildungssystems und des (deutschen) Volkes für so ziemlich alles verantwortlich gemacht. Wenig verwunderlich auch, dass in antifeministischer Manier Vaterlosigkeit als schwerwiegenderes Problem in Stellung gebracht und in weiterer Folge bejammert wird, dass (frauenfeindliche) Väterrechtsorganisationen nicht in gleicher Weise an Schulen dürften wie Sexualpädagog_innen. Umschreibungen wie „unnatürlich“, „pervers“ oder gar „pädophil“ zielen zudem nicht nur darauf ab, Homosexualität damit in Verbindung zu bringen, sondern alles von Heterosexualität Abweichende zu stigmatisieren.

BESORGTE ELTERN. Inszenierte Angst- und Bedrohungsszenarien ermöglichen es der extremen Rechten, ihre Positionen als notwendige, legitime Kritik in öffentlichen und medialen Debatten zu präsentieren. Durch die ohnehin tiefe Verankerung derartiger Denkmuster in der Mitte der Gesellschaft, gelingt es ihnen zudem, ihre antifeministische und homophobe Agenda als mainstreamfähig darzustellen.

Die Hartnäckigkeit, mit der Rechtsextreme hierzulande versuchen, sexualpädagogische Debatten zu beeinflussen, zeigte sich zuletzt auch an Hand einer auf progress-online.at erschienenen Rezension zweier Kinderbücher, „die darauf verzichten, die Mär von Zweigeschlechtlichkeit und Vater- Mutter-Kind-Familien zu zementieren“. Grund genug für manche sowohl auf Facebook wie auch der rechtsextremen, von Martin Graf gegründeten, Internetplattform unzensuriert.at heiß zu laufen und mit biologistischen Argumenten die heterosexuelle Kleinfamilie als einzige zur Reproduktion fähige, „natürliche“ Instanz zu verteidigen.

Der Grund für das unglaubliche Mobilisierungspotential derartiger Diskurse kann vor allem darin gefunden werden, dass durch Sexualerziehung im frühen Kindesalter tatsächlich die Möglichkeit besteht, sexistischen, homo- und transfeindlichen Denkmustern präventiv vorzubeugen. In Aufruhr scheinen Rechtsextreme und ihre Verbündeten jedoch vor allem deswegen zu sein, weil durch derartige Bestrebungen nicht nur dichotome Geschlechtervorstellungen ins Wanken geraten, sondern auch die traditionelle heteronormative, bürgerliche Kleinfamilie. Die Familie wird als „Keimzelle, Rückgrat und Leistungsträger“ der Gesellschaft dagegen in Stellung gebracht, um vermeintlich natürliche Geschlechterordnungen und die damit verbundenen Privilegien aufrechtzuerhalten und abzusichern. Das vermeintliche Wohl der Kinder wird für die eigenen Interessen instrumentalisiert.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

erschienen in GENDER STUDIES ZEIT-SCHRIFT des gendup

Judith Goetz

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, läuft die sensationsorientierte Berichterstattung über das deutsche Neonazi-Trio auf Hochtouren. Dass sich Beate Zschäpe im November 2011 den Behörden stellte und sich seit Mai 2013 als Hauptangeklagte in einem Prozess zu verantworten hat, bot aber auch den (längst) notwendigen Anlass, sich erneut mit der Bedeutung von Frauen in der extremen Rechten auseinanderzusetzen. Weiterlesen

 

in an.schläge I / 2016

BEATE ZSCHÄPE wird medial entweder als unbedarftes „Mädel“ oder als personifiziertes Böses inszeniert. Die Soziologin CHARLIE KAUFHOLD erklärt JUDITH GOETZ im Interview, was feminisierte Darstellungen mit deutschen Schuldabwehrstrategien zu tun haben.

an.schläge: Sie haben in Ihrem Buch zwei mediale Darstellungsweisen von Beate Zschäpe herausgearbeitet: einerseits „dämonisierende Feminisierungen“ und andererseits „bagatellisierende Feminisierungen“. Wodurch zeichnen sich diese aus?

Charlie Kaufhold: Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf zwei Extreme gestoßen: Einerseits gab es in den Medien eine starke Bagatellisierung der Rolle von Zschäpe. Sie wurde aus der Verantwortung genommen und als unpolitische Mitläuferin dargestellt, als naive Hausfrau und teilweise verkindlicht und viktimisiert, das geschah vor allem durch vergeschlechtlichte Bilder. Ein Beispiel hierzu ist, dass sie als „liebes Mädel“ bezeichnet wurde oder nur für den Haushalt zuständig gewesen sein soll.
Das andere Extrem ist, dass Zschäpe als von der Norm abweichend, absonderlich und als personifiziertes Böses dargestellt wurde. Auch diese Darstellungsweise wurde durch vergeschlechtlichte Bilder gestützt. Ein Beispiel hierzu ist die Titelseite der „Bild“ zum Prozessbeginn: Neben einem großen Foto von Zschäpe prangte die Überschrift „Der Teufel hat sich schick gemacht“.

Unterschiedliche Zeitungen stellten Zschäpe immer wieder als „Täuscherin“ und „Fassadenfrau“ dar. Haben sich die Darstellungsweisen nach Zschäpes Aussage Anfang Dezember verändert?

Zschäpes erste Aussage, die sie im Dezember von ihrem Anwalt verlesen ließ, war wenig überraschend. Sie hat genau die bagatellisierenden Darstellungsweisen reproduziert, die ihr bisher durch die mediale Berichterstattung angetragen wurden. Mit vergeschlechtlichten Bildern von sich als emotional instabiler und abhängiger Frau versuchte sie sich zu entlasten, was übrigens eine auch im NSU-Prozess durchaus gängige Aussagestrategie von weiblichen Neonazis ist. Dabei hat sie sich jedoch zu keiner Frage geäußert, die Aufklärung in den NSU-Komplex bringen könnte, keine Details zu den Hintergründen der Morde und der Auswahl der Opfer preisgegeben und bspw. keine_n Neonazi belastet, dessen Beteiligung nicht sowieso schon bekannt war. Erstaunlich fand ich hingegen, dass genau die Medien, die diese bagatellisierenden Bilder zuvor noch produziert hatten, sich nun auch kritisch gegenüber Zschäpes Narrativ äußerten. Trotzdem blieb eine vergeschlechtlichte Darstellung von Zschäpe bestehen, sie wurde weiterhin in Bezug auf ihr Erscheinungsbild und ihre Mimik – z. B. ihr Lächeln – beschrieben, ihre vermeintliche Persönlichkeit und ihr Charakter standen im Vordergrund, keineswegs ihre politische Haltung und Vorgeschichte. Auch wurde im Dezember wiederholt der Kontrast zu der Berichterstattung über Wohlleben deutlich. Dieser wurde durchgehend als politisch überzeugter Neonazi dargestellt. Insoweit würde ich sagen, dass es bestimmte Änderungen in der Berichterstattung gibt, aber dass es weiterhin auch bestimmte Konstanten gibt – den Fokus auf Zschäpes Weiblichkeit.

Sie analysieren in Ihrem Buch außerdem, welche Effekte diese Berichterstattung für die deutsche Dominanzgesellschaft hat …

Mich hatte nicht nur interessiert, welche Bilder produziert wurden und welche Rolle Geschlecht dabei spielte. Daran anknüpfend bin ich auch der Frage nachgegangen, welche Folgen diese vergeschlechtlichte Berichterstattung hat. Was die beiden genannten Darstellungsweisen von Zschäpe angeht, denke ich, dass sie die Möglichkeit bieten, Schuld abzuwehren und mehrheitsgesellschaftliche rassistische Strukturen, innerhalb derer der NSU überhaupt agieren konnte, zu negieren. Das geschieht durch unterschiedliche Mechanismen: Durch die bagatellisierenden Darstellungsweisen können Zschäpe und ihre Taten als irrelevant dargestellt werden. Deshalb muss man sich also auch gar nicht erst damit beschäftigen. Bei den dämonisierenden Darstellungsweisen wird Zschäpe außerhalb des deutschen Kollektivs verortet, sie wird ja als von der Norm abweichend dargestellt. Dadurch muss keine Auseinandersetzung mit ihr und ihren Taten stattfinden, genauso wenig wie mit mehrheitsgesellschaftlichen rassistischen Strukturen – sie wird ja als weit entfernt von der mehrheitsdeutschen Norm dargestellt. Entsprechend wird auch rassistische Gewalt außerhalb des mehrheitsdeutschen Kollektivs angesiedelt.

Inwiefern knüpfen diese Bilder an Vorstellungen von NS-Täterinnen an?

Es gab sowohl vergeschlechtlichte bagatellisierende als auch dämonisierende Darstellungsweisen in der Berichterstattung über angeklagte nationalsozialistische Täterinnen – in der direkten Nachkriegszeit wie auch in späteren Prozessen. In medialen Repräsentationen des Nationalsozialismus, wie bspw. in Filmen wie „Der Untergang“, finden sich die genannten vergeschlechtlichten Darstellungsweisen bis heute, auch in diesen Fällen natürlich verknüpft mit der Möglichkeit der Schuldabwehr.

Wie kommt es zu dieser Schuldabwehr?

Ein Grund ist sicherlich, dass der Nationalsozialismus in Deutschland in keiner auch nur annähernd angemessenen Weise aufgearbeitet wurde. Es gibt Studien zu Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf psychosozialer Ebene. Ganz kurz zusammengefasst ist das zentrale Argument, dass die mehrheitsdeutsche Bevölkerung auch emotional stark mit dem nationalsozialistischen System verstrickt war und sich nach 1945 verschiedener Abwehrmechanismen bediente, um sich nicht mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die dadurch entstandene psychosoziale Struktur ist an die nachfolgenden Generationen weitergegeben worden und auch heute noch wirkmächtig.

Und in diesen Zusammenhang steht auch die Berichterstattung über Zschäpe?

Ja, hier findet sich ein möglicher Ansatz, um die vergeschlechtlichte Berichterstattung über Zschäpe zu erklären: Durch die beschriebenen Folgewirkungen des NS gibt es in Deutschland weiterhin die Neigung, Schuld in Zusammenhang mit faschistischen Taten abzuwehren. Genauso wie also durch vergeschlechtlichte Diskurse Schuld nach dem Nationalsozialismus abgewehrt wurde – z. B. in der Berichterstattung über nationalsozialistische Täterinnen – , wird auch heute noch Schuld in Bezug auf rassistische Strukturen abgewehrt. Und das zeigt sich eben auch in der Berichterstattung über Zschäpe.

Gab es auch andere mediale Darstellungen mit anderen Effekten?

Die Berichterstattung hat sich im Laufe der Zeit verändert und es gibt immer wieder auch Artikel, die sich kritisch mit dem Themenkomplex auseinandersetzen und die genannten Darstellungsweisen nicht reproduzieren. Allerdings ist die Berichterstattung insgesamt nach wie vor weit entfernt von einer emanzipatorischen Auseinandersetzung mit Neonazismus und Geschlecht, ganz zu schweigen von einer Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen der Mehrheitsgesellschaft auf ihren verschiedenen Ebenen. Auch das Leid der Angehörigen der Ermordeten und der Überlebenden der Bombenanschläge findet keine angemessene Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ich finde, dass die Kritik über die konkrete Praxis der Berichterstattung hinausgehen muss: Die Strukturen, die eine solche Berichterstattung nahelegen, müssten verändert werden. Eine tiefgreifende Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der damit verbundenen Schuld wäre ein Anfang.

Von Charlie Kaufhold ist kürzlich „In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe“ in der Reihe Antifaschistische Politik (RAP) der Edition Assemblage erschienen.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Deutschnationale Burschenschafter fungieren in Österreich sowohl als Sammelbecken für parteiförmig organisierte Rechtsextreme (FPÖ Funktionäre) als auch als Anhänger der militanten Neonazi-Szene und sichern sich durch ihre Männerseilschaften Einfluss, Posten und Privilegien. Die burschenschaftliche Organisation selbst baut dabei auf einer Trias auf, deren Säulen ideologisch aufeinander bezogen und zutiefst antifeministisch und sexistisch konzeptioniert sind.

Neben dem völkischen Nationalismus und dem männerbündischen Prinzip vervollständigen Brauchtumsformen wie das in burschenschaftlichen Kreisen kultivierte Mensurwesen diese Trias. So dient der Männerbund und die dahinter stehenden Vorstellungen biologistisch argumentierter Geschlechterdifferenz als sexistisches Ordnungskonzept, das die vermeintlich „natürliche“ Geschlechtertrennung und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen regelt.

Auch die ideologische wie auch politische, antifeministische Agenda deutschnationaler Burschenschaftern zielt nicht selten auf die Renaturalisierung, also die „Wiederherstellung“ einer vermeintlich „natürlichen“ Geschlechterordnung ab. Dieses strikt duale Geschlechtermodell erfüllt dabei bestimmte Funktionen, wie beispielsweise Einflüsse von vermeintlicher Weiblichkeit aus der Sphäre des Politischen, des Männerbundes oder auch der Gesellschaft fernzuhalten.

Im Vortrag von Judith Goetz und in der anschließenden Diskussion soll der burschenschaftliche Antifeminismus vor dem Hintergrund der Prinzipien des Männerbundes und dem Wesen der Mensur näher beleuchtet werden.

Wann?
Dienstag, 26.01.2016 18:00

Wo?
w23, Wipplingerstrasse 23, 1010 Wien

Das ra.wohnzimmer findet diesmal am letzten Dienstag statt. Vortrag und Diskussion zu „Vergemeinschaftet durch das Abverlangen von Standhalten und Beherrschung“ – Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften.

https://raw.at/texte/2016/maennerbund-mensur-und-antifeminismus/

– Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften

Judith Goetz*

Deutschnationale Burschenschafter fungieren in Österreich sowohl als Sammelbecken für parteiförmig organisierte Rechtsextreme (FPÖ Funktionäre) als auch als Anhänger der militanten Neonazi-Szene und sichern sich durch ihre Männerseilschaften Einfluss, Posten und Privilegien. Die burschenschaftliche Organisation selbst baut dabei auf einer Trias auf, deren Säulen ideologisch aufeinander bezogen und zutiefst antifeministisch und sexistisch konzeptioniert sind. Neben dem völkischen Nationalismus und dem männerbündischen Prinzip vervollständigen Brauchtumsformen wie das in burschenschaftlichen Kreisen kultivierte Mensurwesen diese Trias. So dient der Männerbund und die dahinter stehenden Vorstellungen biologistisch argumentierter Geschlechterdifferenz als sexistisches Ordnungskonzept, das die vermeintlich „natürliche“ Geschlechtertrennung und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen regelt. Auch die ideologische wie auch politische, antifeministische Agenda deutschnationaler Burschenschaftern zielt nicht selten auf die Renaturalisierung, also die „Wiederherstellung“ einer vermeintlich „natürlichen“ Geschlechterordnung ab. Dieses strikt duale Geschlechtermodell erfüllt dabei bestimmte Funktionen, wie beispielsweise Einflüsse von vermeintlicher Weiblichkeit aus der Sphäre des Politischen, des Männerbundes oder auch der Gesellschaft fernzuhalten.

Im Vortrag mit anschließender Diskussion soll der burschenschaftliche Antifeminismus vor dem Hintergrund der Prinzipien des Männerbundes und dem Wesen der Mensur näher beleuchtet werden.

Montag, 25.01.2016, 19 Uhr
Georg-Eisler-Hörsaal (HS3) im Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Str. 1, 5020 Salzburg

Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit dem GendUp, der StV Geschichte und dem flit*z Salzburg statt.
Der Eintritt ist frei, der Hörsaal ist barrierefrei zugänglich.

*Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin sowie Mitglied der Forschungsgruppe FIPU (www.fipu.at), sowie Vizeobfrau der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), Mauthausen-Außenlager-Guide, (Gruppen-)Trainerin, zahlreiche Artikel und Vorträge zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur in Österreich sowie zu feministischen/frauenpolitischen Fragestellungen. Lehraufträge an den Universitäten in Klagenfurt/Celovec, Salzburg und Wien.

Facebook-Link zur Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/444840212391959/

Ein paar Schnellschüsse zur Jungle World-Debatte um „Identitäre“ und „Neue Rechte“ zwischen Natascha Strobl, Kathrin Glösel und Julian Bruns, Autonome Antifa [Wien] und Michael Bonvalot.

1. Es ist zutreffend, dass „Neue Rechte“ sich inzwischen als Analysebegriff in der Fachdiskussion etabliert hat. Dafür gibt es fraglos Argumente, v. a . den Bruch der französischen „Nouvelle Droite“ und ihrer diversen Nachahmer* anderswo mit positiven NS-Bezügen (wie taktisch motiviert auch immer sie im konkreten Fall einzuschätzen ist) und die rhetorische Modernisierung des von ihnen vertretenen Rassismus.

2. Ob diese Unterschiede tatsächlich eine neue Qualität begründen, die ein Abgehen von älteren Analysebegriffen (Rechtsextremismus, [Neo-]Faschismus) nötig bzw. sinnvoll macht, ist zurecht umstritten.

3. Auch bei einem grundsätzlichen Ja zu dieser Frage spricht doch vieles dafür, die Übernahme des „Neue Rechte“-Begriffs – also einer euphemistischen Selbstbezeichnung Rechtsextremer – durch die kritische Wissenschaft als unnötige Konzession zu werten, die rechtsextremer Selbstinszenierung in die Hände spielt, zumal dort, wo sie ohne Anführungszeichen zur Kennzeichnung des Euphemismus auskommt. (Gleiches gilt für das Label „Identitäre“ selbst.)

4. Ungeachtet der jeweiligen Haltung zur Berechtigung des „Neue Rechte“-Begriffs an sich wäre die in Journalismus und teils auch Wissenschaft seit längerem beobachtbare Entgrenzung des Begriffs zu problematisieren. „Neurechts“ ist für viele schon zum Label für jedes rechtsextreme Phänomen geworden, das irgendwie gegenwärtig ist.

5. Wenn der „Neue Rechte“-Begriff Verwendung finden soll, dann für die Epigonen der historischen „Nouvelle Droite“, denen auch die sogenannten „Identitären“ mit einiger Berechtigung zugerechnet werden. Gerade das Beispiel der österreichischen Jünger-Jünger legt (für mich) aber nahe, dem Faschismusbegriff dort, wo er Analysekraft besitzt, auch heute noch den Vorzug vor modischeren Bezeichnungen zu geben (vgl. dazu die Klassifizierung der Gruppierung durch das DÖW).

Bernhard Weidinger (@bweidin)

* Der Gebrauch männlicher Bezeichnungen negiert nicht die Existenz von Frauen (als klare Minorität) in „neurechten“ und „identitären“ Zusammenhängen, sondern trägt deren Charakter als „kriegerische Männerbünde“ (Mathias Wörsching) Rechnung, der schon für den historischen Faschismus prägend war und sich nicht zuletzt im gewohnten soldatischen Männlichkeitsideal einschließlich der üblichen Sekundärtugenden und Todessehnsucht bzw. -faszination („You only die once“) manifestiert.

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Die Androhung einer Neuauflage des Volksbegehrens „Österreich zuerst“ (vulgo „Ausländervolksbegehren“) von 1993 zählte zum schlagzeilenträchtigsten, was das diesjährige ORF-Sommergespräch mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (bis auf weiteres nachzusehen hier) hergab. Unter Jörg Haider hatten die Freiheitlichen bekanntlich begonnen, das plebiszitäre Instrument des Volksbegehrens gezielt und einigermaßen exzessiv für parteipolitische Zwecke einzusetzen. Entsprechend dem populistischer Politik eigenen Drang zur Dauermobilisierung und Selbstdarstellung als Anwalt/Anwältin „des Volkes“ gegen „Fremde“ und abgehobene „Eliten“, aber ebenso zur Befriedigung von Haiders narzisstischer Sehnsucht nach dem Bad in der Menge auch zwischen Wahlkämpfen (so Peter Westenthaler in Nathalie Borgers‘ „Fang den Haider“) wurde nun begehrt, was das Zeug hielt: gegen „Privilegien“ (1987), für die „Rundfunkfreiheit“ (1989), gegen „Ausländer“ (1993), für „Tierschutz“ (1996, von freiheitlichen und grünen Abgeordneten gemeinsam eingeleitet), für den Schilling und ein „atomfreies (sic) Österreich“ (beide 1997).

Wie in so vielem folgte Strache nach seiner Übernahme der Parteiobmannschaft 2005 zunächst auch in dieser Hinsicht dem Haiderschen Vorbild. Wie letzterer initiierte er bereits im Jahr nach seinem Amtsantritt sein erstes Volksbegehren („Österreich bleib frei“), ließ es hernach aber dabei bewenden – unter anderem wohl wegen der relativen Erfolglosigkeit sowohl dieses als auch aller sonstigen seither durchgeführten Volksbegehren in Österreich, gemessen an den Spitzenwerten früherer Jahrzehnte. Die heurige rechte bis rechtsextreme Grassroots-Initiative pro EU-Ausritt wurde von freiheitlicher Seite nur sehr schaumgebremst unterstützt. Nun also holt Strache die plebiszitäre Option wieder aus dem politischen Werkzeugkasten. Im Sommergespräch führte er im Zusammenhang mit der Unterbringung von AsylwerberInnen aus, dass die Bevölkerung vor Ort mittels „Volksabstimmungen“ vorab eingebunden werden müsse. „Ich habe nur die Angst, dass Rot und Schwarz und Grün das wieder einmal verweigern. Wenn sie das verweigern sollten, dann kann ich Ihnen heute schon sagen, dann werden wir ein Volksbegehren initiieren, nämlich ‘Österreich zuerst, Teil 2’, weil es wichtiger denn je ist.“ (Volles Transkript verfügbar bei neuwal.)

Nicht nur in Thematik und Benennung (1) der in Aussicht gestellten Kampagne folgt Strache dem Beispiel Haiders, auch seine Inspiration stammt offenbar aus ähnlichen Quellen wie bei jenem. Über die Vorgeschichte des Originals von 1993 schreibt Wolfgang Purtscheller in seinem Standardwerk über den österreichischen Rechtsextremismus nach 1945: „Haider hatte … mit seinem Volksbegehren etwas zustande gebracht, was der rechtsextremen Szene trotz zwei Jahrzehnte währenden Strebens noch nicht geglückt war. Die FAKTEN [rechtsextremes Zeitschriftenprojekt um Horst-Jakob Rosenkranz, Anm. B.W.] warben zwar so wie AULA und IDENTITÄT [damaliger AULA-Jugend-Ableger, Anm.] seit Mitte 1991 eifrig für ein … Volksbegehren Österreicher für Österreich, dessen Kernpunkt so wie bei Haider die Verfassungsbestimmung „Österreich ist kein Einwanderungsland“ hätte sein sollen. Aber die Kameraden hatten Mühe, die nötigen 10.000 Unterschriften zusammenzukratzen.“ (2) „(W)ir … haben das Glück, daß sich spät, aber doch mit Jörg Haider ein Politiker gefunden hat, der sich nicht scheut, gegen den Widerstand aller etablierten gesellschaftlichen Kräfte dieses Volksbegehren in Gang zu bringen“, jubelte H.-J. Rosenkranz dementsprechend in seinem Rechtsaußen-Periodikum. (3)

Auch Strache rennt mit einem „Ausländer-Volksbegehren“ II am rechten Rand offene Türen ein. Das gegenARGUMENT, ein aktuelles Nebenprodukt des rechtsextremen Burschenschafter-Organs AULA, das auf eine jüngere Klientel zielt und sich vorrangig im Kampagnenjournalismus übt, hatte bereits im Februar 2014 eine solche Neuauflage ins Spiel gebracht. Im heurigen Juni nun (Nr. 2/2015) machte es mit dem Titel „ÖSTERREICH ZUERST 2015. ÖSTERREICH IST KEIN EINWANDERUNGSLAND!“ auf – in starker grafischer Anlehnung an das Originalsujet aus den 90er Jahren. Beigelegt waren auch Sticker im selben Design.

Haider-Auftritt in der Wr. Stadthalle 1993 (Bild via http://www.demokratiezentrum.org)
Haider-Auftritt in der Wr. Stadthalle 1993 (Bild via http://www.demokratiezentrum.org)
gegenargumente 22015 volksbeg
gegenARGUMENT, 2/2015
Aufkleber
Aufkleber

„Volksbegehren JETZT!“, wurde im Heftinneren gefordert. „(D)ie Partei, die ein ähnliches Volksbegehren wie Haider mit ‚Österreich zuerst‘ starten würde, kann sich eine sic) Zustimmung immer breiterer Bevölkerungsschichten sicher sein, denn nicht umsonst galoppiert die FPÖ als einzige Kraft, die das Zuwanderungsproblem kritisch sieht, von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.“ (4) In der Juni-AULA selbst war ein entsprechendes ganzseitiges Inserat enthalten. Sowohl dieses als auch das Begleitschreiben an die AbonnentInnen des gegenARGUMENTs enthielt eine Botschaft an den parteipolitischen Arm des österreichischen Rechtsextremismus: „Vielleicht dient diese Ausgabe auch als zeitgerechter Denkanstoß für jene politischen Kräfte in unserem Land, die sich Heimat und direkte Demokratie auf die Fahnen geschrieben haben.“ Das ließ sich die FPÖ offenbar nicht zweimal sagen und erntete damit, wie einst Haider, den zu erwartenden Applaus von ganz rechts außen.
gegenargument volksbegehren

Ob es tatsächlich zur Umsetzung der Ankündigung kommt – FPÖ-Außenpolitiksprecher Hübner hatte bereits im Juni die Existenz entsprechender Überlegungen in der Partei bestätigt, aber eine Entscheidung nicht vor Mitte Oktober (nach den Wahlen in Oberösterreich und Wien) in Aussicht gestellt (5) -, wird sich weisen. Schon jetzt lässt sich anhand dieser Episode festhalten, dass trotz jüngster Bemühungen des FPÖ-Obmannes um ein zumindest im Stil gemäßigteres Auftreten eine freiheitliche Tradition ungebrochen zu sein scheint, die Strache mit dem frühen Haider eint: wie jener nimmt er nach wie vor Flanken von rechtsaußen auf, setzt damit Signale an eine alte Kernklientel der Partei und bekräftigt die Funktion der FPÖ als Sprachrohr und verlängerter Arm des außerparlamentarischen Rechtsextremismus in Österreich.

Bernhard Weidinger (@bweidin)

(1) Der Parole war man ohnehin stets treu geblieben – u. a. verwendete Strache sie im Nationalratswahlkampf 2006 auf Plakaten und trägt ein parteieigener Youtube-Kanal diesen Titel. Harald Vilimsky wirbt (mit EU-Geldern) für sich unter dem Slogan „Österreich zuerst statt EU- & EURO-Wahnsinn“ (vgl. ZUR ZEIT 26/2015, S. 11). 

(2) Wolfgang Purtscheller (1993): Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk. Wien: Picus, 362.

(3) Zit. ebd.

(4) gegenARGUMENT 2/2015, o.S.

(5) Ebd.

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Wie viel weiß man heute über die Verwicklung deutschnationaler Burschenschaften in den Südtirol-Terrorismus der 60er Jahre?

Judith Götz: Fest steht heute so viel, dass zahlreiche Burschenschaften in den Südtirol-Terrorismus verwickelt waren – die Verwicklungen gingen dabei weit über Einzelfälle hinaus. Nennenswert sind hier vor allem die Burschenschaften Olympia in Wien sowie die Brixia in Innsbruck. Die Olympia wurde 1961 wegen dieser Verbindungen sogar behördlich aufgelöst, da ihre Tätigkeit als „staatsgefährdend“ eingestuft wurden. Bei einer entsprechenden Razzia wurde seitens der Behörden festgestellt, dass sich 12 Mitglieder „außerhalb der Statuten und in Verletzung der österreichischen Gesetze betätigt“ hätten. Wir wissen heute auch, dass es bei der Olympia eine Verpflichtung für Mitglieder gab, den in den Prozessen Angeklagten Beiträge zu zahlen. Als Beispiel nur der Prozess von 1962 in Rom, bei dem sieben Personen angeklagt waren. Vier davon waren österreichische, drei deutsche Burschenschafter. Grundsätzlich lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich mindestens die Hälfte der deutschnationalen Burschenschaften in der Südtirol-Frage engagierten – das Engagement reichte von tätlichen Anschlägen bis hin zum Aufkleben von Stickern im öffentlichen Raum.

Dass es sich beim Südtirol-Terrorismus um Terrorismus handelt, ist ganz klar: Es geht hier um rohe Gewalt, die sich nicht ausschließlich gegen Sachgegenstände richtet, sondern bewusst auch zivile Opfer in Kauf nimmt – und das nicht wenige.

Gibt es dabei nennenswerte, zentrale Figuren?

Nennenswert ist zum Beispiel Norbert Burger. Es war Universitätsassistent an der Universität Innsbruck und Alter Herr der Wiener Olympia. Zudem gilt er als Mitgründer des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol, Anm.) und wurde in Italien mehrfach in Abwesenheit verurteilt. Im Grunde war er einer der wichtigsten Mittelsmänner und verfolgte sehr bewusst eine Radikalisierungs- und Eskalationsstrategie, beispielsweise warb er an der Universität Innsbruck sehr viele Studierende für den Südtirol-Terrrorismus an. 1967 gründete er – als die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs, Anm.) relativ liberal war – die Nationaldemokratische Partei (NDP), die gezielt mit NS-Symbolik spielte. Strache gilt in gewissem Sinne als sein politischer Ziehsohn.

Was blieb dabei von der Idee, dass sich die Gewalt ausschließlich gegen Sachgegenstände wie etwa Strommasten richtete? Lässt sich hier überhaupt von Terrorismus sprechen?

Diese Idee ist in der Tat ein Mythos, der allerhöchstens auf die Anfangsjahre anwendbar ist. Gerade durch die Radikalisierung in den 60er Jahren blieb wenig davon übrig. Letztendlich ist der Südtirol-Terrorismus für 21 Tote und 57 Verletzte verantwortlich – zwischen 1956 und 1988, wobei der Höhepunkt sicher in den 1960er Jahren zu verorten ist. Dass es sich beim Südtirol-Terrorismus um Terrorismus handelt, ist ganz klar: Es geht hier um rohe Gewalt, die sich nicht ausschließlich gegen Sachgegenstände richtet, sondern bewusst auch zivile Opfer in Kauf nimmt – und das nicht wenige.

Fakt ist aber auch, dass es hierbei keineswegs um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung oder einer Minderheit geht, es geht hier nicht um die Menschen, sondern schlichtweg um die Idee des „deutschen Territoriums“, das zusammengehört.

Wie unterscheidet sich in diesem Kontext der Umgang der schlagenden, deutschnationalen Burschenschaften von jenem der katholischen, nichtschlagenden Verbindungen des Cartellverbands?

Die deutschnationalen Burschenschaften unterscheiden sich von den katholischen Verbindungen ja in vielfacher Hinsicht. Gemeinsam ist ihnen das Männerbündlerische, und sie finden auch sonst immer wieder zusammen, wenn es beispielsweise um ein mögliches Coleurverbot an der Universität Wien geht. Während Deutschnationale aber deutschnational sind, sind die Verbindungen des Cartellverbands österreich-patriotisch und haben auch ein entsprechend problematisches Verhältnis zum Austrofaschismus. Da kommen auch mal Sätze wie „Dollfuß hat uns vier Jahre Nationalsozialismus erspart“ vor. In Bezug auf Südtirol reden wir aber über die Idee, dass „deutsches Territorium“ zusammengehört, über sogenannte „Unrechtsverträge“ von Saint Germain und Versailles – also über einen eindeutig völkischen Zugang, der sich bis heute beobachten lässt.

Inwiefern?

Betrachten wir die FPÖ und ihr Programm heute, deren Funktionäre zu einem beachtlichen Teil aus Burschenschaften kommen, so ist die „Südtirolfrage“ hier immer noch ein zentrales Thema. Fakt ist aber auch, dass es hierbei keineswegs um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung oder einer Minderheit geht, es geht hier nicht um die Menschen, sondern schlichtweg um die Idee des „deutschen Territoriums“, das zusammengehört. Offensichtlich wird das, wenn man sich die reaktionären Positionen der FPÖ im Zusammenhang mit Minderheiten in Österreich anschaut.

Es ist vielfach immer noch nicht klar, dass die deutschnationalen Burschenschaften das Bindeglied zwischen dem Neonazismus auf der Straße und dem Rechtsextremismus der Parteien und im Parlament in Form der FPÖ sind.

Zurück zu den Burschenschaften: Auf welchen gemeinsamen Nenner können akademische Burschenschaften und Bauernsöhne aus der Provinz überhaupt kommen?

Nun ja, ich glaube, wir müssen das Ganze in einen historischen Kontext setzen: Nach den Verhaftungswellen der ersten Anschläge wurden die Position und Unterstützung der Burschenschaften stärker und führte zu einer starken Radikalisierung. Zu tun haben wir es mit der ganz klar rechten Ideologie, die davon ausgeht, dass „Deutsche“ auf „deutschen Boden“ leben müssen. Es geht hier um „Volkstumskämpfer“. Natürlich argumentieren auch deutschnationale Burschenschaften mit ihrer Opferrolle im Nationalsozialismus: Sehr oft heißt es, sie seien 1938 verboten worden. In Wahrheit gingen sie im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund auf. In den 50er Jahren wurden die meisten aber wiedergegründet. Das heißt aber, wir sprechen hier von einer Zeit, die nicht weit entfernt vom Zweiten Weltkrieg ist. Die Radikalisierung liegt damit auf der Hand – natürlich auch im Zusammenspiel mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Südtirol selbst.

Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Aufarbeitung der Thematik in Österreich? 

Nein, absolut nicht. Es gibt zwar das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und auch die Website „Stoppt die Rechten“, die auf Verstrickungen und Verharmlosungen rund um den Südtirol-Terrorismus hinweisen, aber im Schulunterricht ist die Problematik schlicht kein Thema. Im Volksmund gibt es eher die Idee, dass Südtirol ohnehin Österreich sei und nicht Italien, das wird da nicht so tragisch genommen. Es ist vielfach immer noch nicht klar, dass die deutschnationalen Burschenschaften das Bindeglied zwischen dem Neonazismus auf der Straße und dem Rechtsextremismus der Parteien und im Parlament in Form der FPÖ sind.

Judith Götz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (fipu), Politik- und Literaturwissenschaftlerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel und hielt Vorträge zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur in Österreich sowie zu feministischen und frauenpolitischen Fragestellungen. In unregelmäßigen Abständen hat sie Lehraufträge an den Universitäten in Klagenfurt/Celovec, Salzburg und Wien. Kürzlich erschien der von der fipu veröffentlichte Sammelband „Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen“ im Mandelbaum Verlag.