(Text von Anfang 2000, Autor: Heribert Schiedel)

Alfred P., während der NS-Zeit aktiv im Widerstand, hat ein umfangreiches Dossier über seine Zeit beim Corps Arminia Turicensis zu Wien (im Folgenden kurz Arminia) verfaßt. Dieses bietet tiefe Einblicke in den politischen Charakter dieser Verbindung und ihrer führenden Aktivisten.

P. trat 1996 auf Einladung von Harald Eisenmenger, in den späten 1970er Jahren Aktivist der neonazistischen Aktion Neue Rechte (ANR) und mittlerweile Oberstaatsanwalt in Wiener Neustadt, als „Alter Herr“ in die Arminia ein. Glaubte er sich zunächst in einer katholisch-legitimistischen Verbindung, mußte er jedoch bald feststellen, „daß der deutschnationale Geist des Kernes der Arminia den Idealen meiner Jugend widersprach. Ich merkte, daß ich als ehemaliger Widerstandskämpfer, der bereits 1938 gegen das NS-Regime antrat und zu jenen Männern gehörte, denen die Aufstellung des 1. Österreichischen Freiwilligen-Bataillons innerhalb der Französischen Armee während des Zweiten Weltkrieges zu verdanken war, lediglich als ‘Aushängeschild’ des Corps diente.“ Mit ähnlichen Worten begründete P. seinen Austritt, den er Ende 1997 in einem Schreiben an die Arminia – zunächst noch folgenlos – bekannt gab. Neben der ideologischen Ausrichtung der Arminia wurde P. vom dort herrschenden Gewaltpotential abgeschreckt. Dieses entlud sich nicht nur beim Mensur-Fechten, sondern auch im (alkoholisierten) Verbindungsalltag. P. berichtet von Beleidigungen, Pöbeleien und körperlichen Insultationen durch Arminen. Im April 1999 wurde P. selbst vor den versammelten Corpsbrüdern von einem „jungen Arminen“ attackiert. Betroffen machte ihn dabei insbesondere das Verhalten „des Präsidiums und der anwesenden Corpsbrüder, insbesondere des Herrn Staatsanwaltes“ Eisenmenger. Mit ihrer Untätigkeit hätten diese „das in höchstem Maße skandalöse und uncorpsbrüderliche Verhalten des tobenden Arminen“ toleriert. Als Reaktion auf diesen Vorfall legte P. am 5. Mai 1999 sein Band zurück, womit er seine Mitgliedschaft für beendet wähnte. Der Corps-Convent ignorierte dies jedoch, um seinerseits P. mit 15. 5. 1999 „wegen Eidbruches und uncorpsbrüderlichen Verhaltens c.i.“ auszuschließen.

Die Arminia und der Rechtsextremismus

Die Geschichte der Arminia beginnt 1946 in der Schweiz mit der Gründung der Alten Teuteburger Gesellschaft durch den Neonazi Heinz Manz (vulgo Lützow) und andere. Bereits 1947 in Cheruskia umbenannt, erfolgte 1971 die neuerliche Umbenennung in Europaburschenschaft Arminia Zürich. Diese nahm 1974 den deutschen Neonazi Manfred Roeder (vulgo Nothung) in ihre Reihen auf. Im selben Jahr versicherte man dem mit „Herr Reichsminister“ angesprochenen Kriegsverbrecher Rudolf Heß in einem Brief ins Gefängnis die Solidarität. Manz, bis zu seinem Tod 1994 Verbindungsmann der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP) in der Schweiz, verfügte über beste Kontakte zur heimischen Burschenschafterszene. Mit der Salzburger Korporation Falkenstein feierten die Arminen ab 1979 die Sommersonnenwende. 1984 hob die Arminia gemeinsam mit der Europaburschenschaft Nibelungia (Wien) den Delegiertenconvent Europäischer Corporationen (DCEC) aus der Taufe. Dieser tagte einmal jährlich als „Europa-Thing“, so auch 1991 in Perchtoldsdorf bei Wien. Über dieses Treffen berichtete Konstantin Rökk (Nibelungia) in der Aula: „Dipl.-Vw. Nachtmann, aB! Brixia, hielt die lebhaft akklamierte Festrede, deren klare volkstreue Richtung allen Anwesenden zu Herzen ging. In der Redefreiheit war eine eindeutige Aussage gegen den Brüsseler Zentralismus, gegen ein Europa der Krämer und Händler und gegen ein von den ‘Oneworldmachern’ freimaurerisch zionistisch dominiertes Europa zu hören.“ (Aula, 12/1991)

Bereits 1986 sah sich die Schweizerische Vereinigung für Studentengeschichte zu einer Klarstellung bezüglich des DCEC veranlaßt. Demnach pflegt diese „keine Kontakte“ mit dem DCEC und bittet alle Mitglieder schweizerischer Korporationen „um Vorsicht bei Kontakten mit dem DCEC“. Weiters heißt es: „Bei der Arminia handelt es sich um eine Vereinigung, die leider nationalsozialistische und antisemitische Ideologien vertritt. […] Dem Spiritus Rector und Führer dieser Vereinigung, Dr. med. Heinz Manz, hat der Corporationenverband Zürich schon 1948 jede Honorigkeit aberkannt. 1950 steckte ihn der Schweizerische Waffenring in den perpetuellen Waffenverruf.“ (acta studentica, 63/1986) Unmittelbar davor distanzierte sich bereits die Falkenstein von der Arminia.

Nach dem Tod von Manz setzte die 1994 gegründete Europaburschenschaft Arminia Turicensis zu Wien die Tradition der Schweizer Arminia fort. Unter den Gründungsburschen: Staatsanwalt Harald Eisenmenger (vulgo Wahnfried). Neben der Nibelungia und der Wiener Arminia zählten sich folgende österreichische Korporationen dem DCEC zu: Burschenschaft Tafelrunde zu Wien, pennale Burschenschaft Frankonia zu Hollabrunn, Katholisch-deutsche Burschenschaft Waregia zu Wien, pennales Corps Normannia zu Wien. Als Aktivisten der Tafelrunde traten Wilhelm Ehemayer (Nationalkonservative Union) und der Wiener Neustädter FPÖ-Landtagsabgeordnete Wolfgang Haberler in Erscheinung. In die Schlagzeilen geriet diese Verbindung 1992: Der in Wien verhaftete deutsche Neonazi Stefan W. gab gegenüber den Behörden an, das bei ihm beschlagnahmte NS-Material sei für die Tafelrunde gedacht gewesen. Die pB! Frankonia zu Hollabrunn wurde von Martin B., FPÖ-Pressesprecher im Bezirk Korneuburg, angeführt. Bei diesem wurde im Zuge der Ermittlungen zur ersten Briefbombenserie Ende 1993 Hakenkreuz-Armbinden und „Freiheit für Gottfried Küssel“-Aufkleber beschlagnahmt.

Im März 1995 wurden die Räume der 1991 gegründeten Europaburschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg Ziel einer polizeilichen Hausdurchsuchung. Angesichts der dort beschlagnahmten Menge an NS-Material sprach das Landeskriminalamt vom „umfangreichsten Fund seiner Art in Baden-Württemberg“. Der „Altherrenverband“ der Arminia löste darauf hin die „Aktivitas“ auf, mittlerweile hat sich diese jedoch wieder rekonstruiert. Im Herbst 1999 traten die ehemaligen Rechtsterroristen Manfred Roeder und Peter Naumann bei der Heidelberger Arminia auf.

Die negative Presse zeitigte Folgen: 1995 trat die Wiener Armina aus dem DCEC aus. Als Grund für diesen Schritt wird angegeben, „daß eine Gruppe versucht, […] den DCEC in eine ideologisch einheitlich ausgerichtete Truppe umzuwandeln. Diese Gruppe hat durch den von Arminia erweckten Namen ‘DCEC’ für sich gepachtet, sodaß uns nur die Konsequenz bleibt, gemäß unserem Toleranzprinzip einen Trennstrich zu ziehen. Die Activitas hat sich mit Beschluß vom 3. 11. ‘95 dem Wiener Senioren-Convent W.S.C. angeschlossen.“ (Circular Europa-Burschenschaft Arminia Zürich zu Wien, Folge 12, Dez. 1995) Kurz darauf wurde der Name von Europaburschenschaft in Corps geändert, wobei die Traditionsträgerschaft der Züricher Arminia nicht abgelegt wurde.

Im Juni 1997 mußte man sich aber neuerdings mit dem Vorwurf der NS-Nähe auseinandersetzen: Mitglieder der auf die Bude der Arminia geladenen pennalen Burschenschaft Germania Liberia aus Mistelbach/NÖ stimmten SA-Gesänge an. Die Arminen reagierten darauf mittels Beschluß, wonach die Germanen in Zukunft nicht mehr eingeladen und die beiden Corpsbrüder, welche in die Nazi-Gesänge einstimmten, verwarnt werden. Darüber hinaus wurden die Arminen mit einem Wiederbetätigungsverbot belegt: „Jeder Armine, der sich im nationalsozialistischen Sinne öffentlich betätigt (nicht nur durch Singen), ist mit einer großen Corpsstrafe zu entlassen; Füchse sind als unbrauchbar abzugeben.“ (Circular, Folge 19, Sept. 1997)

Noch im selben Jahr versandte Eisenmenger eine „vertrauliche“ Corpsliste, den „Gefallenen und Verstorbenen zum Gedenken“: „Sie hielten Arminia die Treue bis in den Tod und gingen uns in die nur noch geistige Corpsbrüderlichkeit voraus. Wir werden ihnen stets ein ehrendes Andenken bewahren“. Unter den derart Geehrten finden sich Nationalsozialisten, SS-Schergen und Kriegsverbrecher wie

*Dr. Herbert Boehme (SA-Obersturmführer und Reichsfachschaftsleiter in der NS-Reichsschrifttumskammer; nach 1945 Führungskader im deutsch-österreichischen Neonazismus)

*Herbert Kappler (SS-Obersturmbannführer und Polizeichef in Rom; als Hauptverantwortlicher für das Massaker in den Adreatinischen Höhlen zunächst 1948 zum Tode verurteilt, dann aber zu lebenslanger Haft begnadigt; floh 1977 aus römischem Militärspital)

*Hans Ulrich Rudel (hochdekorierte Fliegerlegende und nach 1945 zunächst vom argentinischen Exil aus eine der Zentralfiguren im internationalen Neonazinetzwerk)

*Walter Reder (SS-Obersturmführer; 1951 als Hauptverantwortlicher für das Massaker in Marzabotto von italienischem Militärgericht zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt; 1985 vorzeitig aus der Haft entlassen)

Nachdem Format (42/1999) über diese Form des Andenkens berichtet hatte, ging der gerade vor seiner Beförderung zum Oberstaatsanwalt stehende Eisenmenger auf Distanz zur Arminia. In einem Leserbrief an das Nachrichtenmagazin behauptet er: „Weiters lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich bereits vor Ihrem Artikel freiwillig aus dem Corps Arminia Zürich zu Wien ausgetreten bin.“ (Format, 44/1999) Alfred P. will demgegenüber von einem Arminen erfahren haben, dass Eisenmenger seine angesichts dieser Distanzierung „aufgebrachten Corpsbrüder beruhigte. Er bleibe natürlich nach wie vor strammer Armine.“

Zurück zur Startseite

erschienen in fiber #24: boykott

Judith Goetz

Der Besuch deutschnationaler Mädelschafterinnen im Autonomen Zentrum Linz gibt Anlass, Umgangsformen mit rechten/rechtsextremen Frauen zu überdenken.

Ernst nehmen!

Um die Auseinandersetzung mit rechten/rechtsextremen Frauen (1) ist es in Österreich äußerst dürftig bestellt. Zwar besteht phasenweise ein (nicht selten sensationsorientiertes) Interesse an der Thematik, ein tiefer reichender Diskurs und daraus abgeleitete Umgangsformen stehen jedoch – auch in linken und feministischen Kreisen – weitgehend aus. Rechte/Rechtsextreme Frauen werden meist als politische Subjekte sowie als Anhängerinnen menschenfeindlicher Ideologien nicht ernst genommen und exotisiert. Damit werden sexistische Denkweisen fortgesetzt und ihre systemstabilisierende Funktion verkannt. So beispielsweise bei einer Veranstaltung über rechtsextreme Frauen im Linzer Autonomen Zentrum, zu der auch vier Mitglieder der 2013 gegründeten deutschnationalen, akademischen Mädelschaft Iduna zu Linz gekommen waren. Während bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus, beispielsweise in den Hörsälen von Universitäten, Burschenschafter oftmals „toleriert“ werden, weil es kein ausgesprochenes Verständnis darüber gibt, wer bei derartigen Veranstaltungen „erwünscht“ ist oder weil Veranstalter_innen einen fragwürdigen Begriff von „Toleranz“ an den Tag legen, verhält es sich im Kontext dieses autonomen Zentrums anders. In dessen Selbstverständnis heißt es eindeutig: „Deswegen dürfen Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Antisemitismus, Nationalismus sowie Verhalten, das dies wiedergibt bzw. andere Personen – egal auf welche Weise – unterdrückt, keinen Platz haben.“ (2) Gerade diese Ideologien sind, wie beim Vortrag selbst auch sichtbar gemacht wurde, selbstverständlicher Bestandteil des in deutschnationalen Mädelschaften kultivierten Denkens. Dennoch zeigte sich ein großer Teil der Besucher_innen der Veranstaltung nach dem „Outing“ der Mädelschafterinnen nicht unbedingt entschlossen, sie auf Basis dieses Selbstverständnisses zum Gehen zu bewegen, und so musste der Rausschmiss erst durchgesetzt werden. Jene, die mit dem „exotischen“ Besuch Gespräche führen wollten, setzten die Diskussion sogar vor der Tür fort und wurden dafür auf der Facebookseite der Mädelschaft auch noch bejubelt: „Nach dem Rauswurf bei einem Vortrag zum rechtsextremen Geschlecht von Judith Goetz, gab es immerhin fünf, die eine angemessene Gesprächskultur an den Tag legen konnten… Danke für den vorurteilsfreien Abend!“ (3) Wenngleich der „vorurteilsfreie Abend“ eher sarkastisch gemeint sein dürfte, verdeutlicht gerade die Unfähigkeit, den „Mädels“ entschlossene Handlungen entgegen zu setzen, die mangelnde adäquate Umsetzung von linken bzw. feministischen Ansprüchen in die Praxis. Als traurige Bilanz des Abends liegt einerseits die Vermutung nahe, dass wohl andere Konsequenzen gezogen worden wären, hätte es sich um deutschnationale Burschenschafter gehandelt, die das Autonome Zentrum besuchten. Andererseits ergibt sich durch den Vorfall ein dringender Anlass, Fragen nach zufriedenstellenden Umgangsformen mit rechten/rechtsextremen Frauen und der Notwendigkeit einer Gesprächsverweigerung im Sinne eines konsequenten Boykotts erneut zu stellen.

Kritisieren!

Aber nicht nur in linken Kreisen trifft mensch auf die zunehmende Bereitschaft mit AnhängerInnen rechten/rechtsextremen Gedankenguts in Dialog zu treten. Dies lässt sich beispielsweise auch bei diversen Fernsehformaten wie Pro&Contra oder Im Zentrum feststellen, wo eine inklusive Einladungspolitik gegenüber rechtsextremen AkteurInnen unter dem Deckmantel der „ausgewogenen Berichterstattung“ zum Tagesgeschehen zählt. Gerade ihre medialen Inszenierungen tragen weniger zu einer Imageverschlechterung bei als zur Steigerung der Salonfähigkeit ihrer Positionen und zur Fortsetzung des rassistischen, sexistischen, antisemitischen Normalzustandes in Österreich. Eine Problematisierung derartiger Integrationsmöglichkeiten in öffentliche Debatten im Zuge dieser Veranstaltungspolitiken hingegen findet kaum noch statt. Im Gegenteil werden jene, die das Gespräch konsequent boykottieren, mit dem Vorwurf konfrontiert, den Rechten den Raum zu überlassen. Die logische Konsequenz wäre jedoch vielmehr eine kritische Berichterstattung über sie als das Gespräch mit ihnen oder die unkommentierte Wiedergabe rechtsextremer „Stilblüten“ und „Ausfälligkeiten“, die es Rechten/Rechtsextremen erneut ermöglicht, ihre menschenfeindliche Inhalte bei großer öffentlicher Aufmerksamkeit „unters Volk“ zu bringen. Gerade der Anschein eines Dialogs auf Augenhöhe bringt den Trugschluss mit sich, rechtes Gedankengut demaskieren oder offenlegen zu können. Doch wurde in der Vergangenheit auf vielfältige Weise evident, dass gerade die propagandistischen und manipulativen Techniken rechtsextremer Gesprächsführung, die sich hinter dem Ruf nach vermeintlicher Meinungsfreiheit verbergen, das gewünschte Resultat verunmöglichen.

Boykottieren!

Durch den Zusammenschluss rechter/rechtsextremer Frauen beispielsweise in einer Mädelschaft erfahren die beteiligten Frauen nicht nur politische Anerkennung, sondern machen sich auch menschenfeindliche Denkangebote zu eigen. Durch die Gesprächsbereitschaft einzelner Veranstaltungsteilnehmer_innen in Linz wurde den Mädelschafterinnen ein Podium für dieses reaktionäre Gedankengut gegeben, anstatt es schonungslos zu kritisieren. Dieser Propaganda selbst an einem linksradikalen Ort Raum zu geben, trägt in Folge zur weiteren Normalisierung rechtsextremer Ideologien als politisch gleichwertig bei und setzt die Legitimierung derartiger Diskurse ebenfalls fort. Zudem hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es gerade der Einstieg in die von ihnen geführten Diskurse ist, der selbige auch befördert und nicht die Denunziation bzw. die Kritik an den in ihren Kreisen verbreiteten nationalistischen, rassistischen und antifeministischen Ideologien. Hinzu kommt, dass dabei verkannt wird, inwieweit insbesondere die Frauenpräsenz die rechte Szene auch normalisiert, weil Frauen nicht nur nach außen das Image verbessern, sondern auch leichter Eingang in zivilgesellschaftliche Bereiche wie Elternbeiräte, Vereine etc. und offensichtlich auch linke Strukturen haben. „Diese Unterschätzung kann und wird z.T. auch im rechtsextrem orientierten Milieu bewusst eingesetzt, beispielsweise bei der Anmietung von Räumen für Veranstaltungen, bei der Sammlung von Daten (vermeintlicher) politischer GegnerInnen, des [sic!] Fotografierens derselben, die [sic!] Ansprache von BürgerInnen bei Infoständen oder beim Betrieb von Internetportalen.“ (4) Mädelschaften andere Handlungen entgegenzusetzen als Burschenschaftern, bedeutet letztendlich sie immer noch nicht als potentielle Bedrohung ernst zu nehmen und somit auf sexistische Art und Weise zu verharmlosen.

Anstatt den rechten/rechtsextremen Selbstinszenierungen und -darstellungen als TabubrecherInnen und gesprächsbereite DemokratInnen in die Hände zu spielen, scheint ihre Delegitimation nicht nur an linken Orten längst überfällig. Eine „Entwöhnung“ (5) von diesen österreichischen Zuständen kann jedoch nur durch eine Gesprächsverweigerung im Sinne eines konsequenten Boykotts erzielt werden!

Judith Goetz*

Judith Goetz ist Mitglied der Forschungsgruppe FIPU (www.fipu.at).

  1. Nachdem rechte/rechtsextreme Frauen von einer biologistisch definierten, dichotomen Geschlechterdifferenz ausgehen, wird an dieser Stelle davon abgesehen, die Kategorie Frau/en mit einem * zu versehen. Politiken und Ideologien rechter/rechtsextremer Frauen richten sich explizit gegen eine sozialkonstruktivistische Vorstellung von Geschlechteridentitäten.
  2. http://az-linz.servus.at/?p=175
  3. https://www.facebook.com/permalink.php?id=621014437924467&story_fbid=819549671404275
  4. Offener Brief des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus zur Berichterstattung über die Rechtsextremistin Beate Zschäpe: http://blogs.fu-berlin.de/gender_diversity/files/2011/11/offener-Brief-Forschungsnetzwerk-Frauen-und-Rechtsextremismus.pdf.pdf
  5. https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/2013/02/06/entwohnung-tut-not/

8170 Zeichen

Heribert Schiedel, erschienen in fiber #24

Dass extreme Rechte auch und vor allem mit Symbolen(1) und Codes arbeiten, manche davon sogar der Linken entwendet haben, wird vielerorts zum Skandal oder gegenwärtigen Hauptproblem stilisiert. Dabei ist dieses Phänomen weder neu, noch stellt es eine Besonderheit dar. Bereits Ernst Bloch sprach im Zusammenhang mit der Symbolsprache und den Inszenierungen der Nazis von „Entlehnung[en] aus der Kommune“, welche für die Gewinnung des nazistischen Massenanhangs maßgeblich verantwortlich gewesen wären.(2) Und dass die extreme Rechte, die wie keine andere politische Kraft nicht auf rationale Argumentation, sondern auf Mythenbildung und Gefühle (Ressentiments) setzt, in der Wahl ihrer agitatorischen Mittel vor allem auf das Bildhafte und Stereotype zurückgreift, liegt in der Sache selbst begründet. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass mancherorts die intensive aber gleichzeitig oberflächliche Beschäftigung mit den Symbolen und Codes des Rechtsextremismus die kritische Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und Ursachen ersetzen soll. Dazu kommt insbesondere im pädagogischen Feld die Gefahr, dass eine reine Reproduktion rechtsextremer Bildersprache manche Jugendliche erst dem Sog aussetzt, gegen welchen sie eigentlich immunisiert werden sollten.

Darum möchte ich im Folgenden keine weitere Auflistung extrem rechter Symbole und Codes liefern, sondern ein paar grundlegende Fragen in diesem Zusammenhang zumindest gestellt haben. Ausgehend von der Analyse des Rechtsextremismus als eine Politik der Gefühle, die nicht an die Vernunft sondern an den gesellschaftlich deformierten Alltagsverstand(3) appelliert und vor allem „Begriffsfetische“(4) produziert, interessieren mich die Funktionen, welche den Symbolen und Codes im rechtsextremen Diskurs zukommen. Gleiches gilt für (vormals) linke Symbole und Diskurse, die von Rechten übernommen werden. Abschließend soll die Frage nach den Anschlussstellen, die derartige Diskurspiraterie erleichtern, zumindest gestellt werden.

Magisches Denken

Als antimoderne Gegenbewegung zur Aufklärung bricht der Rechtsextremismus auch mit deren Vernunftverständnis. Individuelle Rationalität wird nicht kritisiert, sondern (als „jüdisch“ und „zersetzend“) denunziert. Ihr wird eine, an die „Rasse“ oder das „Volk“ gebundene Fähigkeit zum „Schauen“ (des „Ganzen“) entgegengesetzt. Symbole sind hier nicht länger nur Zeichen, die auf etwas verweisen, sondern unmittelbar erfahrbare Wesenheiten. Es war einer der Theoretiker des Männerbundes, Alfred Bäumler, der den bis heute gültigen essentialistischen Symbolbegriff der extremen Rechten etablierte. Nach seinem Verständnis vermag nur das Symbol (Mythologem) als repräsentierender Teil des „Ganzen“ die völkische Einheit oder Gemeinschaft stiften, während der vernunftgeleitete Gebrauch von Wörtern nur Zwietracht säe und konfliktvolle Gesellschaftlichkeit stifte.
In der Psychoanalyse hat Hanna Segal dafür den Begriff der symbolischen Gleichsetzung etabliert: Symbol und Symbolisiertes werden als identisch erlebt.(5) Wie das magische Denken, die Annahme, die äußere Realität gehorche den inneren Wunschbildern, stellt die symbolische Gleichsetzung einen frühkindlichen Wahrnehmungsmodus dar. Wird sie im Verlauf der Entwicklung zumeist auch überwunden, so droht insbesondere in Zeiten schwerer Krise der Rückfall (Regression). Dies gilt auch beim Eintritt in die pathologische Gruppe (Masse), bei welchem der jüngere psychische Oberbau der Einzelnen abgetragen wird und sich ein gemeinsames Massen-Ich an seine Stelle setzt. Dabei leidet zuallererst die Realitätsprüfung, was die Mitglieder solcher Gruppen derart anfällig für suggestive Kraft von Mythen werden lässt.
Vor diesem Hintergrund wird der Stellenwert einer Politik des Symbolischen für die extreme Rechte hoffentlich deutlich. Subjekt ihrer Anrufungen ist weder das Individuum noch die Interessensgruppe (Klasse), sondern die als „natürlich“ oder „organisch“ bezeichnete (homogene) Gemeinschaft, das „Volk“, das permanent als Masse inszeniert wird. Denn erst durch den massenhaften Glauben an sie werden Mythologeme wahr und wirksam oder Gemeinschaft stiftend. Die „Volksgemeinschaft“ war jenseits der Illusion aber nur durch Zwang, Terror und Vernichtung der Nicht-Identischen zu haben. Nach der Befreiung vom Nazismus – von extremen Rechten bis heute treffend als „Zusammenbruch“ bezeichnet – blieben als Einheit stiftenden Kraft bloß Symbole über, dementsprechend zentral ist ihre Bedeutung für den Rechtsextremismus nach 1945. Dass dauernde und stabile Massen heute in der Regel virtuelle sind, verkleinert die Erfolgsaussichten symbolischer Politik nicht, zumal extreme Rechte schnell lernten, sich die Virtualität des Internets nutzbar zu machen. Inwieweit ihnen dabei die inneren Gesetzmäßigkeiten der neuen Medien und Kommunikationstechnologien entgegenkommen, müsste jenseits der Maschinenstürmerei noch zum Gegenstand von Kritik werden.
Während der Diskurs der extremen Rechten also von Mythologemen dominiert wird, könne nach Roland Barthes „eine eigentlich revolutionäre Sprache keine mythische Ausdrucksweise sein.“(6) Dieser Anti-Mythos meint aber weder einen Rückfall hinter die Kritik der Aufklärung und des Rationalismus, noch den totalen Verzicht auf eine Politik mit Symbolen. Dabei wäre jedoch der Unterschied zur Rechten in den eigenen Praxen zu berücksichtigen: Es müsste schon beim ersten Hinsehen deutlich werden, dass das verwendete Symbol nicht mehr ist als ein mit Bedeutung aufgeladenes Zeichen. Dies gelingt am ehesten durch Distanzierung, etwa in Form der Selbstironie und des Spielerischen, begleitet von blasphemischen Angriffen auf die Sozialgottheiten der Rechten. Aber erste Aufgabe radikaler Linker bleibt, das soziale Bedürfnis nach dem Mythos durch gesellschaftliche Aufklärung zu minimieren – bis zur Überwindung der Verhältnisse, die durch permanente Versagungen dieses Bedürfnis (re-)produzieren.

Es lockt das Symbol

Aus meiner jahrelangen Arbeit mit Jugendlichen ist mir die faszinierende Wirkung von Symbolen nur zu gut bekannt. Aber immer noch staune ich, wie stark etwa der imaginäre (gesellschaftlich vermittelte) Sog ist, der vom Hakenkreuz ausgeht. Dies hätte auch die antifaschistische Bildersprache mehr zu berücksichtigen, dementsprechend müsste auf die Verwendung dieses Symbols – in welcher Form auch immer – weitgehend verzichtet werden. Das daneben stärkste oder wirksamste Symbol der Rechten ist heute das „Sonnenrad“ oder die „Schwarze Sonne“, die im apokalyptischen Denken die auf das allgemeine Blutbad folgende neue Zeit ankündigt. Gerade von Identitätsdiffusion bedrohte Adoleszente scheinen extrem anfällig für den Mythos vom kollektiven Untergang und von den paradiesischen Zuständen, die auf die Apokalypse folgen. Neonazis laden insbesondere männliche Jugendliche in (vor allem gesungenen) Worten und in Bildern ein, von RAHOWA(7) zu phantasieren.
Auch wenn die Grenze im Alltag nicht immer klar zu ziehen ist, kann zwischen „positiven“ und „negativen“ Symbolen der extremen Rechten unterschieden werden. Unter letzteren ist vor allem „der (ewige) Jude“, gerne auch „Weltfeind“ genannt, herauszuheben. Bis heute stellt die Karikatur das zentrale Medium des Antisemitismus dar, jüngst sorgte Heinz-Christian Strache mit einer auf facebook veröffentlichten Schmähzeichnung für einen Skandal.(8) In der antisemitischen „Alltagsreligion“ (Detlev Claussen) kommt es daneben seit jeher zu einer Plünderung religiöser Symbolik, wobei nicht nur auf die ohnehin schon antijüdische Bildersprache des Christentums zurückgegriffen wird. Vielmehr bedient sich der Antisemitismus auch an den jüdischen Selbstbezichtigungen, wie sie sich etwa im Bild des „Goldenen Kalbes“ ausdrücken. Dass diese Ikone des Antisemitismus 2003 bei einer Kundgebung der Antiglobalisierungsbewegung in Davos mitgetragen wurde, verweist auf seine anhaltende (auch unbewusst wirkende) Macht – und den reflexionsfreien Zustand vieler Linker. Zuletzt waren es Mitarbeiter_innen der Wiener Grünen, die partout nicht einsehen wollten, warum eine Krake, die mit ihren Tentakeln die Welt umspannt, nur von Neonazis verwendet werden sollte.
Während die an Bedeutung übervollen Symbole Einheit im Großen stiften, schweißen die Codes die jeweiligen Gruppen zusammen. Im Falle des Antisemitismus kommt ihnen jedoch ebenfalls Gemeinschaft bildende Funktion zu: Seine Geheimsprache bindet die Verstehenden zur esoterischen Gruppe und verleiht deren wissenden Mitglieder eine enorme narzisstische Zufuhr. Daneben sollen antisemitischen Codes wie etwa „US-amerikanische Ostküste“ oder „internationale Hochfinanz“ vor sozialer Ächtung und behördlicher Verfolgung schützen. Letzteres gilt auch für die Ersatzzeichen der Neonazis wie der beliebte Zahlencode „88“ für „Heil Hitler“.

Geländegewinne und Gegenwehr

Neben diesen Tarnversuchen und Codierungen wird seit geraumer Zeit auch das Eindringen sogenannter „Neuer Rechter“ in linke oder für links gehaltene Diskurse beklagt. Beginnend in Frankreich und mit dem Recht auf (kulturelle) Differenz, das im Neorassismus zur Pflicht geriet, wurden immer mehr Parolen und Begriffe entwendet. In vielen Fällen ist das auch gar nicht schade und Linke, die mit Rechten ernsthaft über die Deutungshoheit von Begriffsfetischen wie „Nation“, „Heimat“ oder (kollektive) „Identität“ streiten, kommen ihnen auf halbem Weg entgegen. Diese Worthülsen von mythischer Qualität sollten vielmehr als solche entlarvt und ruhigen Gewissens aus dem eigenen Angebot gestrichen werden. Dies bedeutet nicht, alle von extremen Rechten okkupierten Diskurs-Felder kampflos zu räumen, ihnen wichtige Geländegewinne zu gönnen. Nur weil Neonazis etwa auf grün oder friedensbewegt machen, ist kritische Ökologie und Antimilitarismus nicht aus linken Diskursen zu verbannen. Gleiches gilt für den rechten Antikapitalismus oder völkischen (symbolischen) Sozialismus, auf den mit einer präzisierenden Wiederaufnahme der Kritik der politischen Ökonomie zu antworten wäre. Aber anstatt den Kapitalismus in seiner Totalität und als komplexes gesellschaftliches Verhältnis zu kritisieren, wird von Linken noch immer viel zu oft die Einheit von Produktion und Zirkulation auf gespalten und die Ausbeutung dem bösen Charakter von „Kapitalisten“ zugeschrieben. Wenn extreme Rechte und radikale Linke am 1. Mai ein Transparent mit der Aufschrift „Kampf dem internationalen Finanzkapital“ hochhalten (so 2000 in Leipzig und Wien), meinen aber nur erstere damit „Friede dem nationalen Produktionskapital“. Letztere erklärten mir die Verwendung dieser strukturell antisemitischen Parole damals mit der Tatsache, dass ein „Kampf dem Kapital“ auf weniger Zustimmung stoßen würde. Tatsächlich ist es neben theoretischer Verlotterung vor allem die populistische Orientierung auf die Massen und den Alltagsverstand, die solche politisch verheerenden Ergebnisse zeitigt.
Dass der Linken die Symbolik entwendet werden kann, ist stets auch ihrer hegemonialen Schwäche zuzuschreiben. Mit dem Siegeszug und alternativlos Werden des Kapitalismus brach das revolutionäre Symbolsystem zusammen. Daneben liegt es aber an manchen Symbolen selbst, dass sie derart leicht von extremen Rechten übernommen werden können. Dies gilt etwa für den von den neonazistischen „Autonomen Nationalisten“ entliehenen Habitus des „Schwarzen Blockes“, der jedoch aufgrund seines vielerorts überschießenden Maskulinismus und Militanzfetischs innerhalb der radikalen Linken schon länger kritisiert wurde. Die bereits in den 1990er Jahren auch in Wien sich langsam etablierenden bunten und LGBT-Blöcke eignen sich demgegenüber nicht für rechte Piraterie.
In manchen musikalischen Subkulturen wie etwa Punk, HC, Rap oder Hip-Hop liefert ebenfalls der Gewalt affine Männlichkeitswahn, die offen zelebrierte Homophobie und Misogynie Anknüpfungspunkte für extreme Rechte, die diese Formen dann nur zu leicht übernehmen können. Erfolgreicher Widerstand dagegen scheint mir nur aus der jeweiligen Szene heraus und unter Berücksichtigung dieses Faktums möglich zu sein. Schließlich bildet der Mythos der „Arbeiterklasse“ und ihrer Gewalt seit jeher eine Klammer zwischen Nationalismus und (antimarxistischen) Sozialismus und damit den Kern des Faschismus. Nicht erst die Tatsache, dass dieser, sich im verbreiteten Bild des Zahnrades und muskelbepackter Arbeiter ausdrückende Mythos bis heute von zentraler Bedeutung für Neonazis ist, sollte ihn für Linke unbrauchbar machen. Neben dem inhärenten Antiintellektualismus, wie er sich in den Lobgesängen auf die „Arbeit“ und den Adel der schwieligen Hände artikuliert, drückt sich in ihm auch längst zu überwindendes Hauptwiderspruchsdenken aus. Demgegenüber hat es die rechte Diskurspiraterie überall dort schwer, wo Kritik der Intersektionalität mehr ist als bloßes (akademisches) Schlagwort.
Das Anfang der 1990er Jahre insbesondere in Frankreich und Deutschland zu konstatierende Überlaufen vormals kritischer Intellektueller wurde durch deren geistige Verfassung begünstigt. Verena Krieger beschreibt dies am Beispiel Heiner Müllers Begeisterung für Ernst Jünger:

„Meine These ist, daß das Jüngersche Amalgam von Dekadenz, Gewalt und Potenz ein in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommenes revolutionäres Heroentum wieder zum Erglühen bringt und ihm neue Gestalt verleiht – eine neue Gestalt, die ihren reaktionären Charakter erst jetzt offenbart, der im Grunde immer schon darin angelegt war. Dieser chauvinistische Heroismus impliziert eine grundsätzliche und abgrundtiefe Verachtung gegenüber allem Schwachen, Weiblichen und Unterlegenen. Auf die gegenwärtige gesellschaftliche Situation bezogen, bedeutet das auch, gegenüber einer Position der Niederlage, Ratlosigkeit und Perspektivlosigkeit. Genau diese Niederlage und Ratlosigkeit aber ist es, in der sich Linke oder besser gesagt: alle die in kritischer Opposition zur herrschenden Realität stehen, befinden – jedenfalls wenn sie ehrlich sind.“(9)

***

Fußnoten:

1) Unter Symbol soll hier zunächst ein mit Sinn aufgeladenes Zeichen verstanden werden. Darüber hinaus kann aber auch einer Handlung oder Tat Symbolcharakter zukommen. Während der Bedeutungsgehalt des Zeichens relativ willkürlich und beliebig ist, transportieren Symbole stets einen bestimmten (oft auch überschießenden) Sinn. Diskursiv verdichtete Symbole bilden einen Mythos und können mit Jürgen Link auch als vor allem unbewusst wirkende „Kollektivsymbole“ bezeichnet werden.
2) Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1973, S.70
3) Alltagsverstand soll hier kritisch bestimmt werden als Medium der Verkennung, als sozial (durch permanente Versagung) produzierte Struktur von Wünschen nach Eindeutigkeit und Stereotypen. Was von extremen Rechten als „gesundes Volksempfinden“ angerufen wird, sollte radikalen Linken nicht als Anknüpfungspunkt dienen. Damit möchte ich jedoch nicht einem intellektuellen Snobismus und Defätismus das Wort reden. Vielmehr ginge es darum, sich der Tradition der Arbeiter_innenbewegung zuallererst als (sich permanent selbst reflektierende) Bildungsbewegung zu erinnern und in den notwendigen Kämpfen um Hegemonie nicht in Populismen zu verfallen.
4) Lenk, Kurt: Zur Sozialpsychologie der Mythenbildung (1971). In: Lenk, Kurt: Rechts, wo die Mitte ist. Studien zur Ideologie: Rechtsextremismus, Nationalsozialismus, Konservativismus. Baden-Baden: Nomos 1994, S.85. Lenk spricht am Beispiel der „Nation“ oder des „Volkes“ auch von „Übersubjekten“ und „Sozialgottheiten“, denen normativer und imperativer Charakter zukomme.
5) Segal, Hanna: Traum, Phantasie und Kunst. Stuttgart: Klett-Cotta 1996
6) Barthes, Roland: Die Mythen des Alltages, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1964, S.135
7) Akronym für „Racial Holy War“.
8) Vgl. Peham, Andreas: Zum antisemitischen Gehalt einer Karikatur. Auf: http://www.erinnern.at/bundeslaender/vorarlberg/bibliothek/dokumente/warum-ist-die-karikatur-auf-der-hc-strache-facebookseite-antisemitisch/erinnern%20strache%20antisem%20_2_.pdf
9) Krieger, Verena: Rechtsentwicklung der Linksintellektuellen? In: Das Argument 211, 37. Jg., H. 5/1995, S.662

Zurück zur Startseite

Der fragwürdige Umgang mit rechtsextremen Frauen

Judith Goetz

erschienen in Malmoe 66

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, läuft die sensationsorientierte Berichterstattung über das deutsche Neonazi-Trio auf Hochtouren. Dass sich Beate Zschäpe im November 2011 den Behörden stellte und sich seit Mai letzten Jahres als Hauptangeklagte in einem Prozess zu verantworten hat, bot aber auch den (längst) notwendigen Anlass, sich erneut mit der Bedeutung von Frauen in der extremen Rechten auseinanderzusetzen.

„Gefährliche Mitläuferin“?

Vor allem die anfängliche stereotype Berichterstattung, die in Beate Zschäpe eine „gefährliche Mitläuferin“ (Bild) oder ein sexualisiertes Anhängsel der „eigentlichen Täter“ Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sehen wollte, veranlasste das Forschungsnetzwerk „Frauen und Rechtsextremismus“ sogar dazu, sich mit zwei Briefen, in denen diese Aspekte auf Basis jahrelanger Forschung zur Thematik kritisiert wurden, an die Öffentlichkeit zu wenden. Auch in der rechtsextremen Szene selbst wird mit Beate Zschäpe unterschiedlich umgegangen. Stellt sie für die einen eine Heldin dar und wird mit Liebesbriefen umworben, blieben dauerhafte Solidaritätskampagnen dennoch aus.

Die Süddeutsche wiederum sprach vom „Herz der Terrorfamilie“ und in der Frankfurter Rundschau war zu lesen, dass Zschäpe „eine der wenigen aktiven Frauen in der rechtsextremen Szene“ gewesen sei und sich „politisch kaum engagiert“ habe. Damit wurde von Seiten der Medien an die Klischeevorstellung unpolitischer Frauen angeknüpft, die eine Verharmlosung und Unsichtbarmachung des politischen (und in manchen Fällen auch gewaltförmigen) Engagements von Frauen in der extremen Rechten zur Folge hat. Im Gegensatz dazu hat die seit Ende der 1980er Jahre im deutschsprachigen Kontext betriebene Forschung aufgezeigt, dass Frauen in den unterschiedlichsten Spektren des Rechtsextremismus aktiv waren und sind, und auch verschiedene Aufgaben und Positionen innerhalb rechtsextremer Organisierung übernehmen. Zudem sind es ebenso wie bei Männern meist Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus, die rechtsextremes Gedankengut für Frauen attraktiv machen, und nicht, wie oftmals fälschlicherweise angenommen, frauenpolitische Themen. Gleichzeitig stabilisiert und normalisiert die Frauenpräsenz die rechte Szene, weil sie nicht nur nach außen das Image verbessern, sondern auch leichter Eingang in zivilgesellschaftliche Bereiche wie Elternbeiräte, Vereine etc. haben. „Diese Unterschätzung kann und wird z.T. auch in rechtsextrem orientiertem Milieu bewusst eingesetzt, beispielsweise bei der Anmietung von Räumen für Veranstaltungen, bei der Sammlung von Daten (vermeintlicher) politischer GegnerInnen, des Fotografierens derselben, die Ansprache von BürgerInnen bei Infoständen oder beim Betrieb von Internetportalen.“ 1 So wird zumindest von der Bundesanwaltschaft betont, dass Zschäpe die „unverzichtbare Aufgabe“ gehabt hätte, „dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben“. Dabei ist sie nicht alleine gewesen. Im Gegenteil konnte der NSU laut APABIZ auf ein UnterstützerInnennetzwerk von rund 200 Personen zählen – etwa 20 % davon waren Frauen. Neben unzähligen anderen Ermittlungspannen und weiterhin offenen Fragen wird aber weder den Frauen noch dem Unterstützungsumfeld als solchem im Prozess gebührend Bedeutung zugemessen. Für den Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des NSU stellt es tatsächlich die größte Herausforderung dar, Zschäpe die Beteiligung an den verübten Morden tatsächlich auch nachzuweisen. Zu den Anklagepunkten zählen neben der Gründung des NSU sowie der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung u.a. Brandstiftung, die Ermordung von zehn Menschen sowie zwei Sprengstoffanschläge sowie 14 Banküberfälle. Obwohl der Prozess bis Ende 2014 anberaumt ist, bleibt fraglich, ob alle Morde in dieser Zeit geklärt werden können und die Angehörigen auf diese Weise auch Aufklärung bekommen. Das komplette Versagen der Behörden sowie der hinter den Morden und Ermittlungspannen steckende Rassismus sind ohnehin kein Thema des Prozesses gewesen und so bleibt zu befürchten, dass statt Aufklären bald Abhaken auf der Tagesordnung stehen wird.

Österreichische Verhältnisse

Großes Unwissen gibt es aber im österreichischen Kontext über rechtsextreme Frauen, obwohl sich zahlreiche Beispiele finden lassen. Während im Umfeld der bekannten neonazistischen Internetplattform alpen-donau.info, die zwischen April 2009 und März 2011 online war und deren Betreiber und Initiatoren inzwischen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, keine Frauen bekannt sind, die entscheidende Rollen übernommen hatten, sieht es im Kontext des Neonazi-Vereins Objekt 21 anders aus. Isabella Kordas, deren Künstlerinnenname als NS-„Liedermacherin“ „Sterbehilfe“ lautet, war bereits mit dabei gewesen, als der „Kulturverein“, ein Bauernhof nahe Attnang-Puchheim, aufflog. Im Mai 2009 wurden bei einer zufälligen Polizeikontrolle des Autos von Jürgen Windhofer verbotene Waffen und zahlreiche NS-Devotionalien gefunden. Im darauf folgenden Wiederbetätigungsprozess wurden Ende letzten Jahres vom Landesgericht Wels alle sieben Angeklagten u.a. wegen Verherrlichung nationalsozialistischer Ideologie schuldig gesprochen. Auch im Umfeld der „Identitären Bewegung“, die Ideen der sogenannten „Neuen Rechten“ aufgreift und in ihrer teilweise aktionistischen Agitation für die „Aufrechterhaltung“ einer nationalen bzw. europäischen Identität (gegen eine vermeintliche „Islamisierung“) auftritt, beteiligten sich Frauen immer wieder an einzelnen Aktionen. Zudem organisieren sich Frauen auch verstärkt in sogenannten „BürgerInneninitiativen“ wie beispielsweise der „Bürgerinitiative Dammstraße“ in Wien, auch bekannt als „Moschee Ade“, die sich gegen den Ausbau eines islamischen Kulturzentrums starkmacht. Ansonsten scheinen sich Anhängerinnen rechten bzw. rechtsextremen Gedankenguts in Österreich beispielsweise in der FPÖ-Frauenorganisation „Initiative Freiheitlicher Frauen“ (IFF) zu engagieren. Nicht zu vergessen sind an dieser Stelle jedoch auch die Wählerinnen rechtsextremer Parteien wie der FPÖ, die durch ihre Stimmabgabe zeigen, dass sie kein Problem mit rassistischen, antisemitischen, sexistischen und homophoben Politiken haben, und diese somit stärken. Aber auch deutschnationale Burschenschafter haben ein weibliches Pendant: Mädelschaften oder Damenverbindungen nennen sich jene Zusammenschlüsse von Frauen, die in Bezug auf völkischen Nationalismus ihren männlichen Gesinnungskameraden um nichts nachstehen. Sie unterscheiden sich einerseits durch ihren geringeren gesellschaftlichen Einfluss als auch dadurch, dass Mitglieder von Mädelschaften keine Mensuren fechten dürfen. Ihnen wird nämlich, so wie allen Frauen, die Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen.

Nicht ernst genommen

Um die Auseinandersetzung mit rechten/rechtsextremen Frauen scheint es auch in Österreich äußerst dürftig bestellt. Zwar besteht phasenweise ein (nicht selten sensationsorientiertes) Interesse an der Thematik. Sie werden jedoch meist nicht als Anhängerinnen menschenfeindlicher Ideologien ernst genommen. So beispielsweise bei einer Veranstaltung über rechtsextreme Frauen im Linzer Autonomen Zentrum, zu der auch vier Mitglieder der deutschnationalen Mädelschaft „Iduna zu Linz“ gekommen waren. Während bei öffentlichen Veranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus beispielsweise in den Hörsälen von Universitäten Burschenschafter oftmals „toleriert“ werden, weil es kein ausgesprochenes Verständnis darüber gibt, wer bei derartigen Veranstaltungen „erwünscht“ ist, verhält es sich im Kontext eines autonomen Zentrums anders. In seinem Selbstverständnis heißt es eindeutig: „Deswegen dürfen Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Antisemitismus, Nationalismus sowie Verhalten, das dies wiedergibt bzw. andere Personen – egal auf welche Weise – unterdrückt, keinen Platz haben.“ 2 Dennoch zeigte sich ein großer Teil der BesucherInnen der Veranstaltung nach dem „Outing“ der Mädelschafterinnen nicht unbedingt entschlossen, sie auf Basis des Selbstverständnisses zum Gehen zu bewegen, und so musste der Rausschmiss erst durchgesetzt werden. Jene, die mit ihnen diskutieren wollten, setzten die Diskussion sogar vor der Tür fort. Traurige Bilanz: Wären es deutschnationale Burschenschafter gewesen, die sich ins Autonome Zentrum getraut hätten, wäre wohl anders mit ihnen umgegangen worden.

Judith Goetz

(1)2. Offener Brief zum Prozessbeginn gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und zur Beteiligung weiterer Frauen im Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds http://www.frauen-und-rechtsextremismus.de/cms/images/medienarbeit/offener-brief-2013-04-12.pdf

(2)http://az-linz.servus.at/?page_id=30

Europawahl, extreme Rechte, Rechtspopulist Lucke und die Bundeszentrale für politische Bildung.

Die Einladung des Vorsitzenden der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ (AfD) Bernd Lucke durch die „Bundeszentrale für politische Bildung“ zu einer Tagung „Europa auf der Kippe? Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen“ am 18. März in Köln kritisiert die Redaktion der antifaschistischen Zeitschrift „der rechte rand“:
„Wer mit dem Chef der Rechtspartei AfD, Bernd Lucke, über Perspektiven der europäischen Integration und die Gefahren von Rechtspopulismus diskutieren will, macht den Bock zum Gärtner. Die Einladung von Lucke auf das Abschlusspodium einer kritischen Tagung zu „Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen“ durch die Bundeszentrale für politische Bildung ist ein politischer Skandal – oder maximale Dummheit. Rechtspopulismus und Anti-Europa-Wahlkampf werden so durch eine staatliche Einrichtung salonfähig gemacht und die AfD in den Kreis der etablierten politischen Kräfte aufgenommen. Wenige Wochen vor der Europawahl, bei der in mehreren Ländern Erfolge extrem rechter Parteien erwartet werden, ist die Einladung des Rechtspopulisten Lucke ein fatales Signal.“

Kein Forum für extreme Rechte!
Antifaschistisches Magazin „der rechte rand“

P.S.
Einen umfassenden Blick auf den Zustand der europäischen Rechten im Vorfeld der Wahlen am 25. Mai 2014 wirft die kommende Ausgabe des antifaschistischen Magazins „der rechte rand“. Das Europa-Sonderheft wird mit 20 Länder-Porträts europäischer Staaten einen großen Überblick geben. Analysiert werden (extrem) rechte Parteien, die zur Europawahl antreten, deren Ideologien, Organisation und Wahlchancen. Weitere Artikel zeichnen den Aufstieg des europäischen Rechtspopulismus in den vergangenen Jahren nach, zeigen politische Gemeinsamkeiten und ideologische Widersprüche bei der Kooperation europäischer Rechtsparteien auf.

Von JUDITH GOETZ

erschienen in an.schläge März 2014

Mädelschaften haben zwar weniger Einfluss als ihre männlichen Kollegen, dürfen aber nicht unterschätzt werden.

Im deutschsprachigen Raum sind Studentenverbindungen an beinahe allen Hochschulen vertreten, aktuell gibt es rund 900 Studentenverbindungen mit etwa 150.000 Mitgliedern. Seitdem Frauen an den Universitäten zugelassen wurden, ist das Privileg, sich in elitären Zusammenschlüssen zu organisieren, jedoch nicht mehr ausschließlich Männern vorbehalten. Auch in Österreich existieren aktuell etwa dreißig Studentinnenverbindungen.

Klare Geschlechtertrennung. Ebenso wie in den Reihen von Studentenverbindungen lassen sich auch in Bezug auf Studentinnenverbindungen unterschiedliche ideologische Lager finden. So gibt es seit dem Beginn ihres Entstehens Anfang des 20. Jahrhunderts auf der einen Seite deutschnationale bzw. national-liberale Mädelschaften und Damenverbindungen und auf der anderen Seite konfessionell orientierte. Die Mehrheit der österreichischen aktiven Studentinnenverbindungen ist christlich. In diesem Kontext hat es zumindest immer wieder Versuche gegeben, gemischte Verbindungen zu gründen. Mädelschaften hingegen sind das Ergebnis des strikt dualen Geschlechtermodells, das in burschenschaftlichen Kreisen verfochten wird und das auch im Verbindungswesen eine klare Geschlechtertrennung vorsieht. Frauen dürfen demnach im männlichen Verbindungsleben nur an ausgewählten Veranstaltungen teilnehmen und übernehmen selbst nur vermeintliche Frauenaufgaben wie die Organisation von Brauchtumsabenden und Sonnwendfeiern oder dienen bei Burschenschafter-Bällen als standesgemäße Tanzpartnerinnen. Wenngleich sich weibliche Verbindungen vor allem in den Anfangsjahren an ihren männlichen Vorbildern orientierten und beispielsweise die hierarchische Organisationsform sowie auch Bräuche, Rituale und Komment (Regelwerk) übernahmen, lassen sich auch Unterschiede festmachen. So ist Frauen das Kämpfen von Mensuren untersagt, wird ihnen doch seit dem Entstehen der Burschenschaften die Satisfaktionsfähigkeit, die Möglichkeit, „Ehre“ nach einer Ehrverletzung oder einer Beleidigung (durch ein Duell) wiederherzustellen, abgesprochen.

Ideologische Gemeinsamkeiten. Da die Organisierung in studentischen Verbindungen während des Nationalsozialismus untersagt war und sich bis 1938 aktive deutschnationale Studentinnenverbindungen teilweise in NS-Organisationen wie der „Studentenkampfhilfe“ oder der „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ eingliederten, dauerte es in Österreich bis Ende der 1980er-Jahre, bis sich deutschnationale Mädelschaften erneut gründeten. Zu den aktiven zählen heute die „Wiener akademische Mädelschaft Freya“ (1988), die „Sudetendeutsche Damengilde Edda“ (2000, Wien), die „Akademische Damenverbindung Barbara zu Leoben“ (2003), der „Verein Grazer Hochschülerinnen“ (1912, wiedergegründet 1987) sowie auch relativ junge Verbindungen wie die seit 2011 existierende „pennale Mädelschaft Sigrid zu Wien“ oder die 2013 gegründete „Iduna zu Linz“. Zudem lässt ein Inserat im aktuellen „Eckart“(1) darauf schließen, dass es zur Gründung einer weiteren Mädelschaft kam, in welcher Universitätsstadt, ist (mir) jedoch bislang nicht bekannt.
Deutschnationale Mädelschaften unterscheiden sich von den männlichen Äquivalenten kaum in den in ihren Reihen kultivierten „Werten“ und Ideologien, wie unter anderem bereits die sogenannten Wahlsprüche der einzelnen Verbindungen verdeutlichen. So haben gleich zwei Mädelschaften (M! Freya und Edda) „Ehre, Freiheit, Vaterland“ zum Motto und auch der „Verein Grazer Hochschülerinnen“, die älteste deutschnationale Verbindung in Österreich, macht kein Hehl aus ihrem Programm: „Gedenke, daß du eine deutsche Frau bist.“ Wie es wohl um das Frauenbild bestellt ist, zeigt sich beispielsweise am Wahlspruch der pM! Sigrid: „Edel sei die Frau, hilfreich und gut.“ Neben durchwegs biologistischen Geschlechterbildern gehören folglich auch völkischer Nationalismus sowie großdeutsche Gedanken zu den gängigen Wertvorstellungen von Mädelschaften.(2)

© famiglia_vienna/flickr

© famiglia_vienna/flickr

Mädchen deutscher Abstammung. Deutschnationale Zusammenschlüsse von Frauen sind aber kein Phänomen, das sich ausschließlich im deutschsprachigen Kontext in Europa antreffen lässt. So wurden seit Ende der 1960er-Jahre auch in Chile drei Mädelschaften ins Leben gerufen, zu denen die 1969 gegründete Mädchenschaft „Erika Michaelsen Koch“ in Santiago, die 1991 gegründete „Amankay“ in Valdivia und die 2004 gegründete „Viktoria“ in Concepción zählen und die bis heute aktiv sind. Weitere aktive Studentinnenverbindungen gibt es außerdem in Lettland, Estland und Belgien, die jedoch zum Großteil konfessionell orientiert sind. Anders als im deutschsprachigen Raum, wo die „deutsche Herkunft“ neben dem Bekenntnis zur „deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft“ eine entscheidende Rolle für die Aufnahme in eine Mädelschaft bzw. Burschenschaft zu sein scheint, reichen in Chile gute deutsche Sprachkenntnisse sowie „aktives Interesse an dieser Sprache und Kultur“ bzw. „an der Erhaltung des deutschen Kulturguts“ als Voraussetzungen aus – wobei die Mädchenschaft „Erika Michaelsen Koch“ hervorhebt: „Mädchen deutscher Abstammung werden bevorzugt.“

Nicht zu unterschätzen. Dennoch kommt Mädelschaften in Österreich ein deutlich geringerer gesellschaftlicher Einfluss als ihren männlichen Gesinnungskameraden zu, die nicht selten wichtige Ämter in Wirtschaft und Politik innehaben. Das zeigte sich beispielsweise auch beim sogenannten „Damenverbindungstreffen“, einem jährlichen Treffen für Mädelschaften und Damenverbindungen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, an dem 2012 in Wien laut Eigenangaben nur neunzig Vertreterinnen teilnahmen. Allerdings sitzen aktuell neben 14 deutschnationalen Burschenschaftern sowie einem Mitglied des Mittelschüler-Kartell-Verbands auch zwei Angehörige von Mädelschaften in den Parlamentsreihen der FPÖ. Die beiden Damen sind keine Unbekannten: Barbara Rosenkranz, Mitglied der sudetendeutschen Damengilde Edda, ist in der Vergangenheit nicht nur durch die Infragestellung des Verbotsgesetzes aufgefallen. In ihrem antifeministischen, homophoben Erstlingswerk „MenschInnen. Gender Mainstreaming. Auf dem Weg zur geschlechtlosen Gesellschaft“ (2008) hetzt sie darüber hinaus gegen Gender Mainstreaming als ein von Feminismus und Marxismus geleitetes Konzept, das „Mütter“ zu geschlechtslosen Arbeitskräften erziehen wolle. Anneliese Kitzmüller wiederum ist sowohl Mitglied der aM! Iduna zu Linz als auch „Hohe Damenobfrau“ der pM! Sigrid zu Wien. Als Familiensprecherin der FPÖ wetterte sie unter anderem gegen „linke Regenbogenträume“ und bezeichnete erst vor Kurzem Mitglieder des Vereins Erinnern Gailtal als „Linksfaschisten“. Zudem schreibt sie im rechtsextremen Monatsmagazin „Aula“ und ist im Vorstand der ebenfalls rechtsextremen Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM).
Gerade die beiden Beispiele zeigen, dass Mädelschaften – auch wenn sie zahlenmäßig deutlich kleiner sein mögen und gesellschaftlich weniger relevant – ideologisch ihren männlichen Gesinnungskameraden um nichts nachstehen. Indem ihre Mitglieder (medial und politisch) aber immer wieder lächerlich gemacht werden, werden sie nicht nur als politische Subjekte bzw. Anhängerinnen menschenfeindlichen Gedankenguts nicht ernst genommen, sondern auch sexistische Denkweisen fortgesetzt und ihre systemstabilisierende Funktion verkannt.

Judith Goetz ist Politik- und Literatur-wissenschaftlerin und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Fußnoten:
(1) Der „Eckart“ ist eine Monatszeitschrift der rechtsextremen Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM).
(2)  Mehr zu den ideologischen Hintergründen der Mädelschaften in Stein, Leela: „… der couleurstudentischen Tradition verpflichtet … nach den Bedürfnissen einer Damenverbindung ausgeprägt“ – Teutsche Mädels in Österreich. In: ÖH der Uni Wien (Hrsg.in): Völkische Verbindungen. Beiträge zum deutschnationalen Korporationsunwesen in Österreich. 2009. Online abrufbar unter www.oeh.univie.ac.at/fileadmin/FilesALTREF/voelk._verbindungen.pdf

Auf Veranlassung von Fred Duswald (Akademische Burschenschaft Danubia, München) verfasste der antisemitische Verschwörungsmystiker Gerhoch Reisegger[1] einen Text zur „Neuorientierung“ des durch mehrere Skandale im Zusammenhang mit neonazistischen Umtrieben und massenhaften Austritten arg gebeutelten Dachverbandes.[2] Als externen Faktor für die aktuelle Krise der Deutschen Burschenschaft (DB) macht Reisegger die „(Teil-)Wiedervereinigung“ und damit für (zu) viele Burschenschafter in Deutschland das Wegfallen eines gemeinsamen Zieles verantwortlich. Aber auch angesichts der drohenden Weltherrschaft der USA sei die Aufgabe der DB noch keineswegs erfüllt. Schließlich würden die „Feinde“ Deutschland nach wie vor zerstören wollen. Reisegger verordnet den Burschenschaftern neben einer Aufnahme des christlichen Bekenntnisses eine Rückbesinnung auf den Antiliberalismus: Auch wenn die DB die Demokratie beschwöre, habe sie mit ihrer „Kritik an der ‚egalité’ – die fast synonym für Demokratie steht – […] schon oft festgestellt, daß Freiheit und Gleichheit sich gegenseitig ausschließen.” Unter Bezugnahme auf Othmar Spann und Carl Schmitt plädiert Reisegger für eine „ganzheitliche[r] (universale[r]) Sicht“. In dieser werde „die ‚Gesellschaft’ (das Volk) als Entität aus eigenem Recht gesehen, was ja der Betrachtung der DB durchaus entspricht.“ (Die Aula 1/2014, S. 9ff)

Im Interview macht Burkhard Mötz, 2012/13 Aktivensprecher der damals die DB anführenden Wiener akademischen Burschenschaft Teutonia, einen politischen Generationenkonflikt für die Krise des Dachverbandes mitverantwortlich: „In vielen Bünden“ seien „die momentan in den Führungsstrukturen tonangebenden Alten Herren stark durch das Gedankengut der Achtundsechziger negativ beeinflusst“. Ihnen gegenüber stehe heute eine „viel mehr im national-konservativen Geist verwurzelten Jugend“ (ebd., S. 12), welche die DB nun offenbar nach ihren (rechtsextremeren) Vorstellungen ausrichten will.

In der Jänner-Aula findet sich daneben unter anderem eine offene Apologie des nationalsozialistischen „Mutterkreuzes“ von Fred Duswald: „Am Ende des Jahres 1938 erwies Adolf Hitler kinderreichen Müttern die ihnen gebührende Ehre. […] Als Folge der Umerziehung wird die Idee des Mutterkreuzes heute verächtlich gemacht […]. In Österreich hat der Staat für kinderreiche Mütter nichts übrig.“ (Ebd., S. 62)

Duswalds apologetische Ansichten zum Nationalsozialismus[3] gehen jedoch in dieser Ausgabe einem Waffenbruder zu weit: Jörg Frey, Alter Herr der Innsbrucker Burschenschaft Brixia, bittet die Aula-Redaktion, „zukünftig von Artikeln wie dem von Dr. Fred Duswald zum 9. November 1938“ abzusehen. Der Aula-Stammautor hatte nämlich in der November-Ausgabe Bundespräsident Dr. Heinz Fischer „Phantastereien“ und eine „selbstgerechte“ Anklage gegen die „leidgeprüfte Kriegsgeneration“ attestiert, weil dieser anlässlich des Novemberpogrom-Gedenkens betonte, dass die „meisten Menschen in Österreich und Deutschland“ damals weggeschaut, geschwiegen oder gar mit den Tätern sympathisierten hätten. Frey befürchtet, dass die Aula „mit solchen Beiträgen […] den Anspruch, ernst genommen zu werden“, verliert (ebd., S. 6). Angesichts der momentanen Kräfteverhältnisse im akademischen Vorfeld der FPÖ ist jedoch nicht davon auszugehen, dass man dort künftig auf Duswalds Beiträge verzichten wird, ganz im Gegenteil.

[1] Vgl. http://www.doew.at/cms/download/b3c9m/lasek_funktionaere-8.pdf (24. 1. 2014)

[²] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/burschentag-rechtsextremismus-in-der-deutschen-burschenschaft-a-901390.html (24. 1. 2014)

[3] Vgl. http://www.doew.at/cms/download/1e5vi/aula_cs.pdf, http://www.doew.at/cms/download/b3c9m/lasek_funktionaere-8.pdf (24. 1. 2014)

Zurück zur Startseite

erschienen in fiber #23

Judith Goetz

Obwohl in Deutschland seit Ende der 1980er frauenspezifische und später auch geschlechtersensible Rechtsextremismusforschung betrieben wird, haben die bisherigen Forschungsergebnisse nur bedingt Eingang in die mit Rechtsextremismus verbundenen pädagogischen Konzepte gefunden. Lange Zeit wurde zwar Rechtsextremismusprävention mit Jugendlichen betrieben, ohne jedoch zu benennen bzw. zu reflektieren, dass es sich (fast) ausschließlich um Konzepte für männliche Jugendliche handelte und auch die damit verbundenen Männlichkeitskonzepte unbeachtet blieben. Der kürzlich erschienene Sammelband „Gender und Rechtsextremismusprävention“ versucht nicht nur diese Leerstellen zu füllen, sondern auch wissenschaftliche Beiträge mit Erfahrungsberichten aus der Praxis zusammenzuführen und dabei geschlechterreflektierende Ansätze für die Arbeit gegen Rechtsextremismus fruchtbar zu machen. In dem in drei Abschnitte unterteilten, facettenreichen Sammelband kontextualisieren Eingangs Texte aus historischer Perspektive „Entstehungsbedingungen verschiedener Verständnisse von Geschlechtergerechtigkeit“ in der DDR und der BRD. Im zweiten Abschnitt „Innenansichten“ setzt sich beispielsweise Andrea Röpke mit rechtsextremen Familien und damit verbundenen Erziehungsstilen auseinander. IDer letzte Abschnitt widmet sich bereits gesammelten Praxis-Erfahrungen und veranschaulicht anhand von unterschiedlichen Beispielen (Interviews mit Aussteigerinnen, Arbeit mit Schülerinnen oder ein Projekt aus Ludwigslust) die Möglichkeiten aber auch Schwachstellen bisheriger Auseinandersetzungen mit der Thematik. So zeigt beispielsweise Esther Lehnert auf, dass Volksgemeinschaftsideologie oftmals als Schutzraum für Mädchen und Frauen vor sexualisierter Gewalt fungiert und plädiert daher dafür, parteiliche Mädchenarbeit und Rechtsextremismusprävention zusammen zu denken. Gerade weil Untersuchungen der Einstiegsmotive ergeben haben, dass es zumeist nicht den „einen Grund“ gibt, sondern gerade die Vielschichtigkeit des Rechtsextremismus einen besonderem Reiz für Mädchen und Frauen ausmacht, müssen, so eine wichtige Erkenntnis des Bandes, diese Vielschichtigkeiten auch in der Präventionsarbeit berücksichtigt werden. Der Sammelband gibt spannende wie auch erschreckende Einblicke in das beeindruckende Engagement von Wissenschaftler_innen und Pädagog_innen. Gleichzeitig wird auch deutlich, wie veraltet vergleichbare Auseinandersetzungen in Österreich sind, da es hierzulande (mit wenigen Ausnahmen) nicht einmal geschlechterunsensible Präventionsarbeit gibt.

Amadez Antonio Stfitung/Ravdan, Heike: Gender und Rechtsextremismusprävention. Berlin. Metropol-Verlag. 2013. 296 Seiten.

Die Journalistin Kerstin Kellermann interviewte im Mai und im August 2013 Andreas Peham für die Zeitschrift Augustin. Das jüngste Gespräch behandelt die Opferstilisierungen von Kindern und Enkeln von NS-TäterInnen. Davor wurden Abwertung und Vernichtungswünsche von Rechtsextremen auf Obdachlose und „sozial Schwache“ thematisiert. Beide Interviews können nun auch hier nachgelesen werden.

„Was mich nicht umbringt, macht mich härter“

Haider fühlte sich als Nachkomme von Erniedrigten. Warum distanzierten sich die Kinder oder Enkel von österreichischen NationalsozialistInnen so schwer von ihren Eltern? Warum wollten sich die Politiker Jörg Haider und Heinz Christian Strache als Opfer fühlen, anstatt eigene Ambivalenzen zu thematisieren? Andreas Peham, Rechtsextremismus-Experte des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, spricht über verdrehte Opfer-Geschichten. 

In Deutschland protestierten die Söhne und Töchter von Nationalsozialisten gegen ihre Eltern. Warum nicht in Österreich?

Es gibt ein Buch von Claudia Brunner, der Nichte oder Großnichte von Alois Brunner, einem wichtigen NS-Täter. Der Historiker Gerhard Botz arbeitete zu seinem Vater auf dem Balkan, aber erst, als er selber schon emeritiert war. Peter Sichrovsky schrieb schon in den 80er Jahren das Buch „Schuldig geboren“. Er stammt aus einer linken, jüdischen Familie und versuchte, Jörg Haider von seinem Nazi-Vater weg zu bringen. Sichrovsky, der sich zwischen 1994 und 2002 an führender Stelle in der FPÖ engagierte, ist nach Knittelfeld wieder aus der FPÖ ausgetreten. Er sagt später, er ist gescheitert. Jörg Haider hat ihn wie einen Ersatzvater behandelt. Robert Haider, Jörgs echter Vater, war ein illegaler Nazi. Als der „Fall Kampl“ öffentlich diskutiert wurde, sprach Haider über dieses Dilemma: Sigi Kampl, Bürgermeister von Gurk, ein Kärntner, auch in der FPÖ und ebenfalls das Kind von Nazis, beschwerte sich über die brutale Nazi-Verfolgung und denkt dabei natürlich an seine eigene Familie. Haider sagte dann in Reaktion darauf, und das war einer der wenigen ehrlichen Momente in einem Interview: „Sie wissen gar nicht, was es heißt, als Kind von Nazis aufzuwachsen.“

Waren Jörg Haiders Eltern beide Nationalsozialisten?

Ja, auch seine Mutter Dorothea Haider war es. Der Psychotherapeut Klaus Ottomeyer beschrieb, wie insbesondere der geschlagene Nazi-Vater seine Rache- und Revanche-Gelüste auf den Sohn überträgt, an ihn delegiert. Das Verstummen mancher Väter ist aber sicher auch eine Reaktion auf das viele „Heil Hitler“-Schreien am Heldenplatz. Haider stellte sich oft als Opfer dar. Es kann nicht stimmen, aber es ist eine bezeichnende Fantasie von ihm, nämlich dass er hätte mitansehen müssen, wie ehemalige „KZ-ler“ seine Mutter gezwungen hätten, den Boden zu schrubben. Das finde ich ganz spannend. Denn das hat es zu dem Zeitpunkt, an den er sich erinnert, nämlich in den 1950er Jahren, ganz sicher nicht gegeben. Er vermischt ein paar Sachen in diesem Bild, datiert Bilder um. Was stimmt – Stichwort Trümmerfrauen – ist, dass vor allen Dingen Frauen aus Nazi-Familien gezwungen wurden, zum Teil unter Tragen der Hakenkreuzbinden, den Schutt weg zu räumen und zu putzen. In der Fantasie nahm Haider Bilder des straßenwaschenden Juden und projizierte seine Eltern hinein. Es halten sich viele Erzählungen von marodierenden „KZ-lern“, die durch die Lande ziehen, plündern und sich quasi rächen würden. Vereinzelt gab es in Teilen Deutschlands sicherlich solche Fälle. Das betraf aber nicht die eben aus den Lagern Befreiten. Was mir dabei wichtig scheint: Die Nazieltern-Kinder fühlen sich als Nachkommen von Erniedrigten und Beschämten. Die Beschämung muss gar nicht statt gefunden haben, aber die Nachgeborenen empfinden es so. Es ist natürlich eine Erniedrigung und Enttäuschung, die ihnen weiter gegeben wurde.

Aber laut Profil-Recherchen haben sich nicht einmal die Enkel distanziert. Wie gibt’s das?

Es gibt das Buch „Opa war kein Nazi“, eine deutsche Forschungsarbeit, die leider nicht in Österreich fortgesetzt wurde. Viele gestandene Antifaschisten erzählen mir, dass ihr Opa bei der NSDAP, SS oder SA usw. war, Dann aber, und das finde ich so bezeichnend, kommt am Ende immer: „Aber Opa war kein Nazi“. Es gibt das Wissen und dann die Weigerung, dieses Wissen zuzulassen. Das nennt man Absperrung. Ein bestimmtes Wissen bleibt von der Emotion abgesperrt, und festhalten tut man sich nicht am Wissen, dass der Opa ein Nazi war, sondern am Gegenteil. Heinz Christian Strache ist ein anderes gutes Beispiel: Der Vater verlässt die Familie, als er drei Jahre alt ist. Strache hat zwei Großväter. Einer, der ein sogenannter „Vertriebener“ ist, erzählt ihm von klein auf Geschichten aus seiner Heimat. Bei diesen Erzählungen ist sicher viel Anti-Tschechisches dabei, der Großvater hatte sicher viel Wut im Leib, von der er dem Jungen einiges mit gab. Der zweite Opa war bei der Waffen-SS, er fällt im April 1945 bei Trier. Und jetzt kommt es: Strache weiß, dass er gefallen ist, und ich kann beweisen, dass er es weiß, und trotzdem behauptet er, dass sein Opa am 9. Mai von der Resistance, der französischen Widerstandsbewegung, hingerichtet worden sei. Ein „Nachkriegsverbrechen“ des Antifaschismus, so nennt es Strache. Er begreift sich selbst als Nachkomme eines Opfers des Antifaschismus und sein politischer Antrieb besteht maßgeblich darin, den Opa zu rächen.

Woher weißt du das? Welche Quellen hast du?

Ich beziehe mich auf ein Interview, das Strache Andreas Mölzer gab. Darin erzählt er, dass er mit 14 Jahren in der achten Schulstufe erstmalig etwas über den Nationalsozialismus erfährt, das er vorher in der Familie noch nie gehört hat, z. B. über den verbrecherischen Charakter der SS und der Waffen SS. Er hat offenbar einen guten Lehrer gehabt. Und jetzt steht Strache vor der Wahl, wie viele andere auch, entweder die Identifikation mit dem Großvater aufzugeben und sich mit Lehrer oder Lehrerin zu identifizieren, dem Anti-Nazismus, der Zweiten Republik etc., oder die Identifikation nicht aufzugeben und in Opposition zu gehen. Mölzer fragt ihn, was der Anfang seines politischen Engagements war und Strache sagt, das war der Lehrer, der ihm den Opa madig machen will – sinngemäß. Seitdem kämpft er gegen solche Lehrer, gegen so einen Unterricht, gegen den Antifaschismus und gegen die Zweite Republik. Mit sechs Jahren wird Strache ins Internat gesteckt – ein ziemlich strenges Regiment. Ich glaube, zu den Schulbrüdern. Das ist hart, und er beschreibt diese extreme Strenge inklusive Prügelstrafe. Aber, wie fasst Strache dieses Leben zusammen? Er wischt Mölzers Mitleid vom Tisch und sagt, was der Opa angeblich immer gesagt hat: „Was mich nicht umbringt, macht mich härter“. Mit vierzehn geht Strache schon in die Burschenschaft. Er ist auf der Suche nach Ersatzvätern und kommt zu dem Zahnarzt Helmut Günther, der ihn rekrutiert.

Ersterscheinung im Augustin 348, 24. 7. – 21. 8. 2013

Habitus ohne Mitleid

Rechtsextreme bauen sich gefährliche Gedankengebäude auf. Hauptmordopfer rechter Gewalt sind in Österreich nicht ominöse „Andere“ oder „Fremde“, sondern Obdachlose, weil Neonazi  deren körperliche und „soziale Schwäche“ verachten und sie vernichten wollen. Ein Interview mit Andreas Peham, dem Rechtsextremismus-Forscher vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.

Wie hast du dir die Obsession der Aktivisten von der weit rechten „Identitären Bewegung“ erklärt, dass sie wirklich zu den Flüchtlingen in die Votivkirche hinein gegangen sind?

Mir kommt es so vor, als ob die Identitären solche Risikos ganz bewusst eingehen, um dann danach, wenn die Gegenseite falsch oder überreagiert, also vor allem mit körperlicher Gewalt, sich als die Opfer darstellen zu können. Es hat schon etwas von einer bewussten Provokation, einem Kalkulieren, und zum Glück ist dieser Plan der Identitären nicht aufgegangen bis jetzt. Dieses Handeln entspricht ihrem  Hintergrund, den Burschenschaften. Zur Charakterbildung in diesen Verbindungen gehört genau diese Haltung, sich alleine einer Übermacht zu stellen –  sie sprechen vom tragischen Heroismus. Das entspricht der Tradition der Spartaner, auf die sie sich beziehen und entspricht einem Habitus, den Norbert Elias in seinen „Studien über die Deutschen“ als „Habitus ohne Mitleid“ bezeichnet hat. Die Burschenschaften lernen vor allem mit dem Mittel der Mensur ihre Angst vor körperlicher Unversehrtheit zu überwinden – in aussichtsloser Lage stehen zu bleiben, ist Teil einer ganz bestimmten Männlichkeit, die vor allem dort sozialisiert wird. Burschenschafter vertreten einen Habitus ohne Mitleid, die Regung der Mitmenschlichkeit wird abgetötet. Du musst ein Jahr durch diese Probezeit als Fuchs und das wissen wir von Aussteigern, du bist der Gewalt der Burschen ausgesetzt. Das Harmloseste ist noch der Trinkzwang: coram publico zu trinken, nicht aufstehen zu dürfen, mit den zu erwartenden Ergebnissen, dass sie sich irgendwann einmal in die Hose machen zum allgemeinen Gaudium. Heinz Christian Strache in einem Interview: „Wer führen will, muss zuvor gehorchen“. Du fängst als kleiner Fuchs an, dann wirst du „geburscht“, bist vollständiges Mitglied und kriegst einen Fuchs zugewiesen, an dem rächst du dich dann, für all das, was du erleiden mußtest. Das heißt offiziell „Burschung“. Die Wehrfähigkeit wird getestet. Sehr männerbündisch. Soldaten, Seeleute, Korps, überall dort, wo fünf, sechs Männer zusammen kommen, besteht für den Neuen Gefahr. Der Männerbund scheint diese Gewaltneigung auch nach innen zu haben.

Mich erinnerten die Identitären an die Obsession der FPÖ, die überall Plakate hatte gegen 45 Flüchtlinge und ständig von Asylmissbrauch oder Asylbetrug redet. Woher kommt diese starke Besessenheit?

Wir haben es hier mit einem Fanatismus zu tun, positiv könnte man es ja als Leidenschaft bezeichnen, bloß geht der überbordende Fanatismus zu Lasten der Realitätsprüfung. Man verliert in dieser Fanatismus-Spirale alle Relationen. An der Stelle der Wirklichkeit baut man einen Popanz auf. Österreich würde systematisch überschwemmt von AsylwerberInnen. Auch  die Bezeichnung „Asylindustrie“ ist ein Popanz, den es in der Realität nicht gibt, sondern es gibt Anwälte und Organisationen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Und das bläst man dann auf zu einer Verschwörung. Das Problem bei den Rechtsextremen ist, im Unterschied zu vielen Politikern: die glauben das tatsächlich! Die Identitären glauben wirklich das Europa untergeht! Dass sie islamisiert werden, dass ihre Frauen und Töchter bald ein Kopftuch tragen müssen. Das ist nicht gespielt, das ist wirklich die subjektive Aufrichtigkeit des Paranoikers und ich verwende hier bewußt nur die männliche Form.

Die Flüchtlinge sagen zu denen „Paranoia people“…

Das ist die beste Bezeichnung, die für diese Menschen jemals gefunden worden ist, das bringt es wirklich auf den Punkt.

Bei der Ausstellung im DÖW steht, dass viele Jugendliche rechtsextrem werden, die von zu Hause aus Gewalterfahrung hatten. Gibt es dazu  Untersuchungen?

Wir beziehen uns auf deutsche Studien. Am Anfang einer Karriere im Neonazismus steht vor allem Gewaltfaszination. Ein bestimmter Kreis von männlichen  Jugendlichen, die Gewalt erfahren, neigt in der Adoleszenz dazu, den Spieß umzudrehen, vom Opfer zum Täter zu werden. Sie kommen mit dieser Gewaltaffinität ins Neonazi-Milieu und dort wird diese Gewalt verherrlicht. Aber dann ganz zielgerichtet auf bestimmte Gruppen gelenkt, die es „verdienen“. Du sollst töten, du darfst töten! Es gibt diese Liedzeile „Mit der Lizenz zu töten, ziehen wir durchs Land. Dann wird alles Kranke erschlagen und niedergebrannt.“ Das ist eine Hymne. Sie fühlen sich subjektiv als Exekutoren von rassistischen Stimmungen. Am Land ist das viel weiter verbreitet als in Großstädten. Dort, wo der Rassimus fast schon bedrohlich hegemonial ist, braucht man sich nicht wundern, dass Jugendliche das als Tatauforderung verstehen. Die glauben dann wirklich die Volksmeinung zu exekutieren.

Wurden die Kinder in Nazi Familien nicht praktisch alleine gelassen mit den Nazi Tätern und Mördern? Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ein Kind keine „angeborene Identität“ hat. Glaubst du, dass es in den Kinderheimen mehr Rebellion gegen Nazi-Erzieher gab als in den Familien selber?

Wo mehrere Gleichaltrige sind, kann man sich immer auch zusammen schließen und wehren. Doch der Nationalsozialismus als Ganzes zeigt und drückt, jenseits vom Sadismus, Hass auf Kindheit an und für sich aus. Für was steht Kindheit? Für Schwäche. Die Hauptopfer rechter Gewalt sind in Österreich übrigens nicht Flüchtlinge, sondern Obdachlose, also sozial Schwache. Auch das letzte Mordopfer in Wien war ein Obdachloser in der Rotenturmstraße, der wurde von Jürgen K. zu Tode geprügelt. Einem amtsbekannten Neonazi, der nun für zwanzig Jahre in der Anstalt für abnorme Straftäter sitzt. Die These ist, dass es genau diese Schwäche der Opfer ist, die den Blutrausch, in den die Täter geraten, auslöst. Es ist also die körperliche Schwäche, die die Opfer repräsentieren, aber auch und vor allem deren soziale Schwäche, die die Angreifer so wild und aggressiv macht. Weil es sie an die eigene Schwäche erinnert und das ist das Fatale.

Es ist also gar nicht so das ominöse „Andere“, sondern das Schwache. Frauen dürften sie nicht so sehr als schwach ansehen…

Es gibt schon auch sexualisierte Gewalt. In Vorarlberg z.B. die Gruppenvergewaltigung einer 14 Jährigen, die noch dazu in die Neonazi-Gruppe eigentlich rein wollte.

Woher kommen all die Todesmetaphern, die ständig vorkommen? Wie „Es lebe der Tod“ als Parole der rumänischen Neonazis, die für die Liquidierung der Roma und Sinti eintreten? Wieso kippt es dann in reale Tote, wie jetzt in Deutschland, oder bei den russischen Neonazis, die einen Film ins Netz stellen, wie sie einen afrikanischen Flüchtling töten! 

Ich glaube, da muss man zwei Sachen auseinander halten, die Gewalt nach innen und die nach außen. Bei den Morden geht es weniger um den Tod als Metapher, sondern mehr um die Auslöschung, die Vernichtung des Schwachen, die autoritäre Gewalt, die immer nach unten zielt. Diese Gewalt hat jedoch noch eine weitere Bedeutung: Am Beispiel der Nazis spricht Saul Friedländer vom „Erlösungsantisemitismus“. Und andere von „Erlösung durch Vernichtung“. Der Glaube, der sich im Nationalsozialismus manifestiert hat und auch in seinen quasi religiösen Zügen deutlich wird, hat die Vorstellung zum Inhalt über die Vernichtung der Juden und Jüdinnen selbst erlöst zu werden.

Was für ein Glaube soll das sein?!

Das ist das apokalyptische Schema, ein über die christliche Kultur eingeübtes Schema. Dahinter liegt ein sehr katastrophisches Innenleben, das nach Außen projeziert wird. Es gibt diese wunderbare Formulierung von Mortimer Ostow, einem US-amerikanischen Psychoanalytiker: „One’s apocalypse, is the other’s Holocaust“. Was dem einen die Apokalypse ist, wird dem anderen der Holocaust. Es sind immer die Apokalyptiker, die die Welt untergehen sehen und der Nationalsozialismus hat offen apokalyptische Dimensionen.  Auch heute ist bei Neonazis das affektiv am meisten aufgeladene Symbol die schwarze Sonne! Und die schwarze Sonne in deren Fantasie ist die, die in diesem großen Blutbad aufsteigt. Die richtige Sonne fällt hinein in dieses Blutbad und dann steigt die schwarze Sonne auf und kündigt das neue 1000jährige Reich an. Das sind Endzeitfantasien. Man darf das nicht unterschätzen. Gerade Adoleszente, die immer wieder Identitäts-Diffusion und zentrifugalen Kräften im Inneren ausgesetzt sind, Widersprüchen, die sie fast zerreissen, sind oft anfällig für derartige Symbolik. Und was man auch nicht vergessen darf, ist diese extreme Todesfaszination in der Adoleszenz, die Gewalt nach innen, von der oben die Rede war. Es gibt Lieder, die die Todessehnsucht ausschlachten und weiter führen, da heißt es z.B. „Ins Reich der Helden will ich gehen“, diese Gesänge, in denen man die Bereitschaft ausdrückt,  für Deutschland in den Tod zu gehen. Oft ist es aber auch verbunden mit dem Gedanken, wenn ich endlich tot bin, lacht mich keiner mehr aus… Unter den Gegenstrategien ist die Beziehungsarbeit total wichtig, der Aufbau kontinuierlicher realer Beziehungen, aber auch die Beziehung zu einem Selbst, damit sich ein innerer Raum öffnet, denn sonst schrumpft der innere Raum auf einen Punkt zusammen. Das kann man alles nachholend machen.

Ersterscheinung im AUGUSTIN 343, 30. 4. – 14. 5. 2013

Veröffentlichung der Interviews mit freundlicher Genehmigung von Kerstin Kellermann (www.kerstinkellermann.at).

Am 10. September, drei Wochen vor den Nationalratswahlen, veröffentlichte das Innenministerium den Verfassungsschutzbericht 2013. Religiös motivierter Extremismus und Terrorismus, so das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, würden die größte Gefahr darstellen.* Dem Kapitel Rechtsextremismus werden im „allgemeinen Lagebild” knappe sieben Seiten gewidmet.

Das Handeln oder Nichthandeln österreichischer Behörden angesichts rechtsextremer und neonazistischer Aktivitäten wird oftmals kritisiert. Im Zentrum steht dabei meist der Vorwurf, zu wenig achtsam zu sein und Rechtsextremismus grundsätzlich zu verharmlosen. Vor allem das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sowie seine neun Landesämter (LVTs) liefern jede Menge Grundlage um diesen Vorwurf zu untermauern: Ein rassistischer Amoklauf in Traun 2011 wurde vom Leiter des BVT als „Nachbarschaftsstreit“ bezeichnet. Im Fall des kriminellen Neonazi-Netzwerks „Objekt 21“, ebenfalls in Oberösterreich, war es weniger das hiesige LVT, sondern vor allem die Kriminalpolizei, die durch intensive Ermittlungen dem Treiben im Jänner dieses Jahres ein Ende setzte.

Gab es bis zum Jahr 2000 noch einen eigenen Rechtsextremismusbericht des Innenministeriums, so fiel dieser in der Ära Strasser schwarz-blauen Befindlichkeiten zum Opfer. Die FPÖ-Regierungsbeteiligung hatte nicht zuletzt zur Folge, dass deutschnationale Burschenschaften, Kameradschaftsverbände und Turnvereine als Scharnier zwischen Rechtsextremismus und politischem Mainstream aus dem Verfassungsschutzbericht herausgestrichen wurden. Mittlerweile wird vollständig auf die namentliche Nennung rechtsextremer AkteurInnen und Organisationen verzichtet – aus Datenschutzgründen, so die Auskunft. Warum dieser jedoch nicht für die PKK oder andere im „Terrorismus-Kapitel“ angeführte Organisationen gilt, bleibt offen.

Was ist „Rechtsextremismus“?

Kommen wir jedoch auf die Einschätzung des BVT zum Rechtsextremismus zurück. Die gute Nachricht kommt in Wahlkampfzeiten zuerst: „Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Österreich ließen dem Rechtsextremismus im Jahr 2012 keinen Raum für eine politische Positionierung.“ (S.13) Er bewege sich „auch im Berichtsjahr weiterhin auf dem niederen Niveau der Vorjahre“ (ebd.). Um etwaiger Kritik vorzubeugen, schwächen die AutorInnen im zweiten Absatz bereits ab. Der Begriff „Rechtsextremismus“ werde unterschiedlich verwendet (ebd.). Vor allem von Seite der Medien würde angesichts von Alltagsrassismus und nicht als strafbar gewerteten Handlungen und Äußerungen zu hohe Erwartungen an die Sicherheitsbehörden gesetzt, die nicht immer erfüllt werden könnten.

Das BVT begegnet damit einem permanenten Kritikpunkt, der auch in einem vom Innenministerium in Auftrag gegebenen Forschungsprojekt bestätigt wurde. Rechtsextremismus wird in den Verfassungsschutzberichten aus einer sehr spezifischen Sichtweise betrachtet.** Der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der Gesellschaft und damit verbundene Wahlerfolge von rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien wird dabei wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Der Rechtsextremismusbegriff des Verfassungsschutzes orientiert sich, der Institution gemäß, an einer Logik der Ordnung, d.h. als rechtsextrem werden jene AkteurInnen wahrgenommen, die der Einschätzung des BVT zufolge, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, d.h. den Staat, darstellen: z.B. neonazistische und rechtsextreme Gruppen und AkteurInnen, die sich explizit gegen den Staat und seine Organe wenden, sei es diskursiv oder praktisch. Dieser Begriff von Rechtsextremismus beschränkt sich – wenn konsequent durchgesetzt – somit vorwiegend auf strafbare Delikte, Verstöße gegen das Verbotsgesetz und offenen Neonazismus.

Rechtsextremismus wendet sich jedoch nicht immer nur gegen institutionalisierte Demokratie, sondern er gibt sich selbst demokratisch. Rechtsextremismus beschränkt sich nicht nur offensichtliche Akte und Äußerungen am äußeren Rande der Gesellschaft, sondern einzelne rechtsextreme Denkmuster und Einstellungen finden sich auch und insbesondere in der sogenannten „Mitte“ der Gesellschaft. Die Wahlerfolge der FPÖ als eine etablierte Partei mit rechtsextremer Programmatik zeigen, dass rechtsextreme Positionen akzeptiert, gewählt und unterstützt werden. Umso wichtiger scheint ein kritischer Begriff von Rechtsextremismus, der jene weniger offensichtlichen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus sowie seine ideologischen und performativen Transformationen beleuchtet.

Das Elend der Extremismustheorie

Was bei der notwendigen Kritik des Verfassungsschutzes oftmals unter den Tisch fällt, ist die Frage seiner Arbeitsgrundlage: dem Extremismusmodell. Dieses Modell unterteilt das politische Spektrum in eine breite, gemäßigte und „normale“ Mitte und extreme Positionen am linken und rechten „Rand“. Diese beiden Extreme, so die These, wären strukturell ähnlich: beide würden den demokratischen Verfassungsstaat ablehnen und zu Gewalt aufrufen bzw. bereit sein.

Mit dem Extremismusmodell gehen einige Probleme einher:

Erstens überbetont dieses Konzept die Unterschiede zwischen der sogenannten „Mitte“ und den „Rändern“. Die „Mitte“ wird damit gewissermaßen zum Maßstab für politische Prozesse. Rechtsextremismus wird dabei an den Rand gedrängt und die Frage nach der Verbreitung von Rechtsextremismus und Ideologien der Ungleichheit in der Gesellschaft ausgeblendet. Damit geht ein sehr eindimensionales Demokratieverständnis, das Demokratie auf staatliche Institutionen und Prozesse reduziert, einher.

Zweitens abstrahiert das Konzept des Extremismus von den Inhalten der einzelnen als „extremistisch“ bezeichneten Ideologien: Rechtsextremismus und Linksextremismus werden dabei ebenso in einen Topf geworfen, wie religiöser Fundamentalismus oder die Tierrechtsbewegung.

Drittens bietet das Extremismusmodell keinen Erkenntnisgewinn: Es ist gewissermaßen ein Zirkelschluss. Eine Gruppe oder Ideologie ist „extremistisch“, weil sie nicht dem Demokratieverständnis von ExtremismusfoscherInnen und Verfassungsschutz entspricht. Was in diesem Sinne nicht demokratisch ist, muss – so zumindest die Logik – „Extremismus“ sein.

Der Erfolg des Extremismusmodell in Politik, staatlichen Institutionen sowie im öffentlichen Diskurs ist nicht nur auf seine Schlichtheit zurückzuführen, sondern vor allem auf seine Bequemlichkeit. Es ermöglicht allen relevanten und etablierten Parteien, sich in der politischen Mitte, bzw. links oder rechts davon zu verorten und damit als Teil der legitimen Normalität zu betrachten. Kurzum, alle sind demokratisch. Die Bösen sind die Anderen. Der Verfassungsschutzbericht ist gewissermaßen die extremismustheoretische „Leistungsschau“ des Innenministeriums. Ebenso wie das Extremismusmodell selbst bringt er relativ wenig Erkenntnis, eben wie in den Vorjahren: „auf niederem Niveau“.

* Online unter: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130910_OTS0135/verfassungsschutzbericht-2013-religioes-motivierter-extremismus-und-terrorismus-weiterhin-die-groesste-gefahr [10.09.2013].

** Siehe dazu http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_SIAK/4/2/1/2011/ausgabe_2/files/Hanak_2_2011.pdf [10.09.2013].