Von Judith Goetz

Erschienen in Unique 1/16

Die durch feministische Antifagruppen ausgelösten Debatten rund um das Verhältnis von Feminismus und Antifaschismus regten politische sowie wissenschaftliche Auseinandersetzungen an. Ein Blick auf ihre Anliegen verdeutlicht, dass zentrale Überlegungen bis heute nicht an Aktualität eingebüßt haben.

Feministische und Frauen-Antifagruppen wurden Anfang der 1990er Jahre gegründet, vor allem als Antwort auf die männerdominierten Auswüchse klassischer gemischter Antifagruppen sowie deren geringe Bereitschaft, eigene Verwobenheiten in sexistische und patriarchale Privilegienstrukturen zu reflektieren. Wie in der Interviewsammlung Fantifa1 nachgelesen werden kann, gab es in den 90ern rund 25 deutschlandweit miteinander vernetzte Gruppen, die u. a. rechtsextreme Frauen sowie deren Bezugnahmen auf frauenpolitische Themen oder umgekehrt Anknüpfungspunkte feministischer Esoterik zu neugermanisch-heidnischen Frauenbildern kritisch in den Blick nahmen. Neben der Kritik an männlichen Dominanz- und Machtverhältnissen sowie mangelnder Sensibilität in Bezug auf Sexismus in herrschaftskritischen Gruppen, versuchten Fantifa-Gruppen, Faschismus- und Nationalsozialismusanalysen um geschlechtersensible und feministische Perspektiven zu ergänzen. Sie lieferten einen bedeutenden Anstoß zur Auseinandersetzung mit (Mit-)Täterinnen im NS und zeigten die patriarchalen Komponenten faschistischer Ideologien auf. Auch vom Mythos der friedfertigen Frauen, die kollektiv dem NS zum Opfer gefallen seien, wurde Abstand genommen.

Aufarbeitungen vergessener Frauenlager

Die von Fantifa-Gruppen initiierten Debatten lieferten zudem einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte von Frauen in den ehemaligen Arbeits-, Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie im Widerstand gegen den NS. Das männlich geprägte Bild des heroischen Partisanen wurde beispielsweise um die vielfältigen Formen, mit denen Frauen sich im Partisan_innenkampf beteiligten, ergänzt. Kritik galt u. a. dem Umstand, dass nicht nur die Geschichtsschreibung selbst, sondern auch die Erinnerung an die Shoah mit herrschenden Geschlechterbildern und -mythen durchzogen ist und bestimmte geschlechtsspezifische Erinnerungen im hegemonialen Diskurs sowie der Gedenkkultur bis heute verdrängt oder marginalisiert werden. Dies zeigt sich in Österreich u. a. am Beispiel des ehemaligen KZ Mauthausen. Weder die Geschichte der ehemaligen Frauenlager von Mauthausen, noch die der betroffenen Frauen ist substanziell in einen gesellschaftlich etablierten Erinnerungsdiskurs integriert worden. Von den rund 50 kaum bekannten Außenlagern fungierten gleich mehrere als ,Frauenlager‘. So wurden KZ-Insassinnen von Mauthausen in die ehemaligen Lager Schloss Mittersill, Lenzing, Amstetten, Schloss Lannach und St. Lambrecht deportiert und gezwungen, Fabriks- und Bahnbauarbeiten sowie Reinigungstätigkeiten zu verrichten.

Ein anschauliches Beispiel liefert auch die vergessene Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs Hirtenberg. In der kleinen Gemeinde im Bezirk Baden erinnert bis auf wenige, von Bäumen überwachsene, Fundamentreste am Gelände der ehemaligen Produktionsanlagen und einen Grabstein am Friedhof nichts an die Existenz des ehemaligen KZs, in dem Frauen Zwangsarbeit in der bis heute bestehenden Munitionsfabrik verrichten mussten. Rund 400 mehrheitlich politische sowie wenige als ,asozial‘ verfolgte oder jüdische Frauen wurden dort ab September 1944 in zwölfstündigen Schichtdiensten zu gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten mit explosiven Materialien gezwungen. Obgleich das Mauthausen Komitee (MKÖ) seit 2011 Begleitungen durch das ehemalige KZ anbietet, werden diese, nicht zuletzt wegen der geringen Bekanntheit des ehemaligen Lagers, selten in Anspruch genommen. 2015 wurde zum ersten Mal in Hirtenberg eine Gedenkfeier für die ehemaligen Zwangsarbeiter_innen abgehalten.

Feministisches Gedenken

Auch in Mauthausen wird erst seit wenigen Jahren von autonomen FrauenLesben versucht, ein feministisch-antifaschistisches Gedenken zu etablieren. Im Vordergrund steht die Erinnerung an die rund 4.000 Frauen2, die zwischen 1942 und 1945 aus unterschiedlichen Gründen nach Mauthausen deportiert worden waren, insbesondere jene, die als „Asoziale“ stigmatisiert im KZ Zwangsprostitution leisten mussten.3 So fand in den letzten Jahren zeitgleich zur offiziellen Befreiungsfeier in Mauthausen auch eine autonom gestaltete Gedenkfeier vor der Baracke 1, dem so genannten ehemaligen „Lagerbordell“, statt. An der Geschichte der Lagerbordelle, die die männlichen KZ-Insassen zu Mehrarbeit anspornen sollten, wird nicht nur die geschlechtsspezifische Benachteiligung innerhalb des KZ-Systems deutlich. Lagerbordelle wurden darüber hinaus nach 1945 weitgehend totgeschwiegen und Stigmatisierungen als „asozial“ nach Kriegsende fortgesetzt, sodass Betroffenen bis in die 1990er Jahre der Status „Opfer des Nationalsozialismus“ abgesprochen wurde und sie auch keine Entschädigungszahlungen erhielten. Insofern fungiert das in Mauthausen angeregte feministische Gedenken auch als bedeutsame Strategie gegen andauernde Tabuisierungen und den Ausschluss frauenspezifischer Erfahrungen aus der Erinnerungs- und Gedenkkultur.

Jedoch muss kritisch angemerkt werden, dass in den Aufruftexten leichtfertige tagespolitische Bezüge und Analogien gezogen werden und der Begriff (Mit-)Täterschaft nicht gegendert wird. Wenngleich es ein Verdienst feministisch-antifaschistischer Auseinandersetzungen mit dem NS war, diesen als auch patriarchale Ideologie zu analysieren, greift seine Klassifizierung als frauenverachtendes System, unter dem alle Frauen Opfer gewesen wären, ebenso zu kurz wie bestimmte Vorstellungen spezifisch weiblicher Täterinnenschaft. So war es auch ein Anliegen feministischer Forschung, derartige dichotome Denkschemata aufzubrechen und ihnen ein differenziertes Bild entgegenzusetzen, das Täterinnenschaft sowie die komplexen Handlungsräume von Frauen während des NS anerkennt, ohne dabei Vorstellungen vermeintlich abnormaler Weiblichkeit oder Sexualität zu reproduzieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in den 90ern von Fantifa-Gruppen formulierte Kritik an männlichen (Macker-)Antifas (Sexismus, Hierarchien, Machtstrukturen und Männlichkeitsreproduktionen), an der deutschen Frauenbewegung (Entlastung von Täterinnen) sowie der Aufarbeitung frauenspezifischer Geschichte im NS (Marginalisierung, Unsichtbarmachung) kaum an Aktualität verloren hat. Umso bitterer, dass es kaum noch Fantifa-Gruppen gibt.

Anmerkungen:

1 Herausgeber_innenkollektiv (Hg.innen): Fantifa. Edition Assemblage. Münster 2013

2 Obgleich die ersten Frauen bereits 1942 nach Mauthausen gebracht wurden, einerseits um dort am ,Führergeburtstag‘ ermordet oder andererseits im ,Häftlingsbordell‘ zu einem ,Bordelldienst‘ gezwungen zu werden, kam es erst im September 1944 zur Errichtung des ,Frauenkonzentrationslagers Mauthausen‘ mit eigener Nummernserie.

3 Dem Historiker Robert Sommer zufolge wurden in zehn KZs und Vernichtungslagern rund 210 Frauen zur Prostitution in Lagerbordellen gezwungen.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Von Judith Goetz

erschienen in progress 2/2016

An der Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs in Hirtenberg werden die Kehrseiten der zentralistischen Förderstruktur österreichischer Erinnerungskultur und die Marginalisierung der Geschichte von Frauen im hegemonialen Erinnerungsdiskurs deutlich.

Trotz der Bemühungen lokaler Gedenkinitiativen konzentriert sich der Großteil der österreichischen Gedenkstättenarbeit auf das ehemalige KZ Mauthausen, das seit 1949 vereinzelt und seit den 1960er Jahren regelmäßig von Schulklassen besucht wird. Bis heute sind schulische Gedenkstättenbesuche nicht verpflichtend, sondern werden lediglich empfohlen. So mag es auch nicht verwundern, dass die meisten der rund 50 ehemaligen Außenlager von Mauthausen weder Schüler_innen bekannt, noch in den hegemonialen Erinnerungsdiskurs integriert worden sind. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die vergessene Geschichte des ehemaligen Frauen-KZs Hirtenberg. In der kleinen Gemeinde im Bezirk Baden erinnert bis auf wenige – von Bäumen überwachsene – Fundamentreste am Gelände der ehemaligen Produktionsanlagen kaum etwas an die Existenz des ehemaligen KZs, in dem Frauen Zwangsarbeit in einer bis heute bestehenden Munitionsfabrik verrichten mussten.

Mit Kriegsbeginn waren die lokalen Arbeiter_innen der seit 1859 bestehenden Munitionsfabrik unter anderem zur Wehrmacht eingezogen und wie an vielen anderen Orten auch durch Zwangsarbeiter_innen ersetzt worden. Rund 400 mehrheitlich politische sowie wenige als „asozial“ verfolgte oder jüdische Frauen (vor allem aus Russland, Italien und Polen) wurden daher ab September 1944 in zwölfstündigen Schichtdiensten zu gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten mit explosiven Materialien gezwungen.

Wenngleich im ehemaligen KZ Hirtenberg nur ein Todesfall bekannt ist, waren die Frauen konstanter Unterernährung und Krankheiten ausgesetzt. Insbesondere im Winter verschlechterte sich die Situation durch Kälte, da die Frauen weder über die nötige Kleidung verfügten, noch die Baracken beheizt werden konnten. Hinzu kamen, wie ehemalige Zwangsarbeiterinnen berichten, die Brutalitäten des Wachpersonals, das sich einerseits durch rund 25 für den äußeren Bereich des Lagers zuständige SS-Männer sowie andererseits durch in Mauthausen oder Ravensbrück ausgebildete KZAufseherinnen zusammensetzte, die die innere Überwachung des Lagers überhatten.

AKTIVE VERDRÄNGUNG. Gerade der Umstand, dass Aufseherinnen immer wieder aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert wurden, das Lager selbst in Sichtweite und die Produktionsstätten in Hördistanz zur Ortschaft lagen, gibt Aufschluss darüber, dass das Wissen um das KZ nicht einfach nur vergessen, sondern auch vor Ort aktiv verdrängt wurde. Lediglich ein so genanntes „Kriegerdenkmal“ auf dem Hirtenberger Friedhof weist heute auf die Existenz des ehemaligen KZs hin, da auf dem Grabstein neben männlichen Zwangsarbeitern und zwei unbekannten SS-Männern, die bei einem Luftangriff ums Leben gekommen sind, auch das einzig bekannte Todesopfer des ehemaligen Lagers, Hulja Walja, erwähnt wird. Gleichzeitig verdeutlicht sich an Hand des „Kriegerdenkmals“ auch die im österreichischen Erinnerungsdiskurs oftmals betriebene Vermischung zwischen Opfern und Täter_innen unter dem Vorzeichen, dass Krieg für alle grausam und schlimm gewesen sei, da eine verstorbene ehemalige KZInsassin ganz selbstverständlich am gleichen Grabstein vermerkt wurde wie ehemalige SS-Angehörige.

Weitere Belege für den fragwürdigen Umgang mit dem ehemaligen Lagergelände ergeben sich auch dadurch, dass es phasenweise als Campingplatz benutzt wurde. Obgleich das „Mauthausen Komitee Österreich“ (MKÖ) seit 2011 Begleitungen durch das ehemalige KZ anbietet, werden diese, nicht zuletzt wegen der geringen Bekanntheit des ehemaligen Lagers, selten in Anspruch genommen. So mag es auch nicht verwundern, dass in Hirtenberg erst 2015 zum ersten Mal eine Gedenkfeier für die ehemaligen Zwangsarbeiter_innen abgehalten wurde.

KEIN EINZELFALL. Von den rund 50 ebenfalls kaum bekannten Außenlagern fungierten gleich mehrere als „Frauenlager“. So wurden KZ-Insassinnen von Mauthausen in die ehemaligen Lager Schloss Mittersill, Lenzing, Amstetten, Schloss Lannach und St. Lambrecht deportiert und gezwungen, Fabriks- und Bahnbauarbeiten sowie Reinigungstätigkeiten zu verrichten. Die Geschichte der Frauen in Mauthausen und der ehemaligen Frauenlager wird im hegemonialen Erinnerungsdiskurs sowie der Gedenkkultur bis heute verdrängt oder marginalisiert.

Dies liegt neben herrschenden Geschlechterbildern und -mythen in der Erinnerungskultur auch daran, wie beispielsweise Doris Neuhofer kritisiert, „dass die Förderung der Pluralität von NS-Gedenkstätten in Österreich keine Tradition hat und dass es offensichtlich auch keinen Bedarf von Seiten der Verantwortlichen gibt, dies zu verändern“. Somit behält Peter Gstettner, der sich seit geraumer Zeit um eine würdige Gedenkstätte auf der österreichischen Seite des ehemaligen KZs am Loiblpass in Kärnten/Koroška bemüht, Recht, wenn er meint: „Das Gedenken in Mauthausen zu konzentrieren, bedeutete aber auch, die anderen Verbrechensorte an die Peripherie abzudrängen und sie der Vergesslichkeit der Republik zu überantworten. An den peripheren Tatorten wurden fast alle Spuren des mörderischen Geschehens getilgt.“

Literatur: Neuhofer, Doris (2013): Österreichische Erwachsenenbildung, Erinnerungskultur und Gedenkstättenpädagogik. Eine Annäherung. In: conturen Nr. 01–04 /2013. S. 152–163. Online: conturen.net/conturen/ jahrgang-2013/

Gstettner Peter (2012): Erinnern an das Vergessen. Gedenkstättenpädagogik und Bildungspolitik. Klagenfurt/Celovec: Kitab.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit.

erschienen in GENDER STUDIES ZEIT-SCHRIFT des gendup

Judith Goetz

Seit der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und seine rassistisch motivierten Morde an mindestens zehn Menschen bekannt wurden, läuft die sensationsorientierte Berichterstattung über das deutsche Neonazi-Trio auf Hochtouren. Dass sich Beate Zschäpe im November 2011 den Behörden stellte und sich seit Mai 2013 als Hauptangeklagte in einem Prozess zu verantworten hat, bot aber auch den (längst) notwendigen Anlass, sich erneut mit der Bedeutung von Frauen in der extremen Rechten auseinanderzusetzen. Weiterlesen

 

in an.schläge I / 2016

BEATE ZSCHÄPE wird medial entweder als unbedarftes „Mädel“ oder als personifiziertes Böses inszeniert. Die Soziologin CHARLIE KAUFHOLD erklärt JUDITH GOETZ im Interview, was feminisierte Darstellungen mit deutschen Schuldabwehrstrategien zu tun haben.

an.schläge: Sie haben in Ihrem Buch zwei mediale Darstellungsweisen von Beate Zschäpe herausgearbeitet: einerseits „dämonisierende Feminisierungen“ und andererseits „bagatellisierende Feminisierungen“. Wodurch zeichnen sich diese aus?

Charlie Kaufhold: Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf zwei Extreme gestoßen: Einerseits gab es in den Medien eine starke Bagatellisierung der Rolle von Zschäpe. Sie wurde aus der Verantwortung genommen und als unpolitische Mitläuferin dargestellt, als naive Hausfrau und teilweise verkindlicht und viktimisiert, das geschah vor allem durch vergeschlechtlichte Bilder. Ein Beispiel hierzu ist, dass sie als „liebes Mädel“ bezeichnet wurde oder nur für den Haushalt zuständig gewesen sein soll.
Das andere Extrem ist, dass Zschäpe als von der Norm abweichend, absonderlich und als personifiziertes Böses dargestellt wurde. Auch diese Darstellungsweise wurde durch vergeschlechtlichte Bilder gestützt. Ein Beispiel hierzu ist die Titelseite der „Bild“ zum Prozessbeginn: Neben einem großen Foto von Zschäpe prangte die Überschrift „Der Teufel hat sich schick gemacht“.

Unterschiedliche Zeitungen stellten Zschäpe immer wieder als „Täuscherin“ und „Fassadenfrau“ dar. Haben sich die Darstellungsweisen nach Zschäpes Aussage Anfang Dezember verändert?

Zschäpes erste Aussage, die sie im Dezember von ihrem Anwalt verlesen ließ, war wenig überraschend. Sie hat genau die bagatellisierenden Darstellungsweisen reproduziert, die ihr bisher durch die mediale Berichterstattung angetragen wurden. Mit vergeschlechtlichten Bildern von sich als emotional instabiler und abhängiger Frau versuchte sie sich zu entlasten, was übrigens eine auch im NSU-Prozess durchaus gängige Aussagestrategie von weiblichen Neonazis ist. Dabei hat sie sich jedoch zu keiner Frage geäußert, die Aufklärung in den NSU-Komplex bringen könnte, keine Details zu den Hintergründen der Morde und der Auswahl der Opfer preisgegeben und bspw. keine_n Neonazi belastet, dessen Beteiligung nicht sowieso schon bekannt war. Erstaunlich fand ich hingegen, dass genau die Medien, die diese bagatellisierenden Bilder zuvor noch produziert hatten, sich nun auch kritisch gegenüber Zschäpes Narrativ äußerten. Trotzdem blieb eine vergeschlechtlichte Darstellung von Zschäpe bestehen, sie wurde weiterhin in Bezug auf ihr Erscheinungsbild und ihre Mimik – z. B. ihr Lächeln – beschrieben, ihre vermeintliche Persönlichkeit und ihr Charakter standen im Vordergrund, keineswegs ihre politische Haltung und Vorgeschichte. Auch wurde im Dezember wiederholt der Kontrast zu der Berichterstattung über Wohlleben deutlich. Dieser wurde durchgehend als politisch überzeugter Neonazi dargestellt. Insoweit würde ich sagen, dass es bestimmte Änderungen in der Berichterstattung gibt, aber dass es weiterhin auch bestimmte Konstanten gibt – den Fokus auf Zschäpes Weiblichkeit.

Sie analysieren in Ihrem Buch außerdem, welche Effekte diese Berichterstattung für die deutsche Dominanzgesellschaft hat …

Mich hatte nicht nur interessiert, welche Bilder produziert wurden und welche Rolle Geschlecht dabei spielte. Daran anknüpfend bin ich auch der Frage nachgegangen, welche Folgen diese vergeschlechtlichte Berichterstattung hat. Was die beiden genannten Darstellungsweisen von Zschäpe angeht, denke ich, dass sie die Möglichkeit bieten, Schuld abzuwehren und mehrheitsgesellschaftliche rassistische Strukturen, innerhalb derer der NSU überhaupt agieren konnte, zu negieren. Das geschieht durch unterschiedliche Mechanismen: Durch die bagatellisierenden Darstellungsweisen können Zschäpe und ihre Taten als irrelevant dargestellt werden. Deshalb muss man sich also auch gar nicht erst damit beschäftigen. Bei den dämonisierenden Darstellungsweisen wird Zschäpe außerhalb des deutschen Kollektivs verortet, sie wird ja als von der Norm abweichend dargestellt. Dadurch muss keine Auseinandersetzung mit ihr und ihren Taten stattfinden, genauso wenig wie mit mehrheitsgesellschaftlichen rassistischen Strukturen – sie wird ja als weit entfernt von der mehrheitsdeutschen Norm dargestellt. Entsprechend wird auch rassistische Gewalt außerhalb des mehrheitsdeutschen Kollektivs angesiedelt.

Inwiefern knüpfen diese Bilder an Vorstellungen von NS-Täterinnen an?

Es gab sowohl vergeschlechtlichte bagatellisierende als auch dämonisierende Darstellungsweisen in der Berichterstattung über angeklagte nationalsozialistische Täterinnen – in der direkten Nachkriegszeit wie auch in späteren Prozessen. In medialen Repräsentationen des Nationalsozialismus, wie bspw. in Filmen wie „Der Untergang“, finden sich die genannten vergeschlechtlichten Darstellungsweisen bis heute, auch in diesen Fällen natürlich verknüpft mit der Möglichkeit der Schuldabwehr.

Wie kommt es zu dieser Schuldabwehr?

Ein Grund ist sicherlich, dass der Nationalsozialismus in Deutschland in keiner auch nur annähernd angemessenen Weise aufgearbeitet wurde. Es gibt Studien zu Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf psychosozialer Ebene. Ganz kurz zusammengefasst ist das zentrale Argument, dass die mehrheitsdeutsche Bevölkerung auch emotional stark mit dem nationalsozialistischen System verstrickt war und sich nach 1945 verschiedener Abwehrmechanismen bediente, um sich nicht mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die dadurch entstandene psychosoziale Struktur ist an die nachfolgenden Generationen weitergegeben worden und auch heute noch wirkmächtig.

Und in diesen Zusammenhang steht auch die Berichterstattung über Zschäpe?

Ja, hier findet sich ein möglicher Ansatz, um die vergeschlechtlichte Berichterstattung über Zschäpe zu erklären: Durch die beschriebenen Folgewirkungen des NS gibt es in Deutschland weiterhin die Neigung, Schuld in Zusammenhang mit faschistischen Taten abzuwehren. Genauso wie also durch vergeschlechtlichte Diskurse Schuld nach dem Nationalsozialismus abgewehrt wurde – z. B. in der Berichterstattung über nationalsozialistische Täterinnen – , wird auch heute noch Schuld in Bezug auf rassistische Strukturen abgewehrt. Und das zeigt sich eben auch in der Berichterstattung über Zschäpe.

Gab es auch andere mediale Darstellungen mit anderen Effekten?

Die Berichterstattung hat sich im Laufe der Zeit verändert und es gibt immer wieder auch Artikel, die sich kritisch mit dem Themenkomplex auseinandersetzen und die genannten Darstellungsweisen nicht reproduzieren. Allerdings ist die Berichterstattung insgesamt nach wie vor weit entfernt von einer emanzipatorischen Auseinandersetzung mit Neonazismus und Geschlecht, ganz zu schweigen von einer Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen der Mehrheitsgesellschaft auf ihren verschiedenen Ebenen. Auch das Leid der Angehörigen der Ermordeten und der Überlebenden der Bombenanschläge findet keine angemessene Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ich finde, dass die Kritik über die konkrete Praxis der Berichterstattung hinausgehen muss: Die Strukturen, die eine solche Berichterstattung nahelegen, müssten verändert werden. Eine tiefgreifende Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der damit verbundenen Schuld wäre ein Anfang.

Von Charlie Kaufhold ist kürzlich „In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe“ in der Reihe Antifaschistische Politik (RAP) der Edition Assemblage erschienen.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

– Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften

Judith Goetz*

Deutschnationale Burschenschafter fungieren in Österreich sowohl als Sammelbecken für parteiförmig organisierte Rechtsextreme (FPÖ Funktionäre) als auch als Anhänger der militanten Neonazi-Szene und sichern sich durch ihre Männerseilschaften Einfluss, Posten und Privilegien. Die burschenschaftliche Organisation selbst baut dabei auf einer Trias auf, deren Säulen ideologisch aufeinander bezogen und zutiefst antifeministisch und sexistisch konzeptioniert sind. Neben dem völkischen Nationalismus und dem männerbündischen Prinzip vervollständigen Brauchtumsformen wie das in burschenschaftlichen Kreisen kultivierte Mensurwesen diese Trias. So dient der Männerbund und die dahinter stehenden Vorstellungen biologistisch argumentierter Geschlechterdifferenz als sexistisches Ordnungskonzept, das die vermeintlich „natürliche“ Geschlechtertrennung und zwischenmenschliche Beziehungen im Allgemeinen regelt. Auch die ideologische wie auch politische, antifeministische Agenda deutschnationaler Burschenschaftern zielt nicht selten auf die Renaturalisierung, also die „Wiederherstellung“ einer vermeintlich „natürlichen“ Geschlechterordnung ab. Dieses strikt duale Geschlechtermodell erfüllt dabei bestimmte Funktionen, wie beispielsweise Einflüsse von vermeintlicher Weiblichkeit aus der Sphäre des Politischen, des Männerbundes oder auch der Gesellschaft fernzuhalten.

Im Vortrag mit anschließender Diskussion soll der burschenschaftliche Antifeminismus vor dem Hintergrund der Prinzipien des Männerbundes und dem Wesen der Mensur näher beleuchtet werden.

Montag, 25.01.2016, 19 Uhr
Georg-Eisler-Hörsaal (HS3) im Unipark Nonntal, Erzabt-Klotz-Str. 1, 5020 Salzburg

Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit dem GendUp, der StV Geschichte und dem flit*z Salzburg statt.
Der Eintritt ist frei, der Hörsaal ist barrierefrei zugänglich.

*Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin sowie Mitglied der Forschungsgruppe FIPU (www.fipu.at), sowie Vizeobfrau der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), Mauthausen-Außenlager-Guide, (Gruppen-)Trainerin, zahlreiche Artikel und Vorträge zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur in Österreich sowie zu feministischen/frauenpolitischen Fragestellungen. Lehraufträge an den Universitäten in Klagenfurt/Celovec, Salzburg und Wien.

Facebook-Link zur Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/444840212391959/

Wie viel weiß man heute über die Verwicklung deutschnationaler Burschenschaften in den Südtirol-Terrorismus der 60er Jahre?

Judith Götz: Fest steht heute so viel, dass zahlreiche Burschenschaften in den Südtirol-Terrorismus verwickelt waren – die Verwicklungen gingen dabei weit über Einzelfälle hinaus. Nennenswert sind hier vor allem die Burschenschaften Olympia in Wien sowie die Brixia in Innsbruck. Die Olympia wurde 1961 wegen dieser Verbindungen sogar behördlich aufgelöst, da ihre Tätigkeit als „staatsgefährdend“ eingestuft wurden. Bei einer entsprechenden Razzia wurde seitens der Behörden festgestellt, dass sich 12 Mitglieder „außerhalb der Statuten und in Verletzung der österreichischen Gesetze betätigt“ hätten. Wir wissen heute auch, dass es bei der Olympia eine Verpflichtung für Mitglieder gab, den in den Prozessen Angeklagten Beiträge zu zahlen. Als Beispiel nur der Prozess von 1962 in Rom, bei dem sieben Personen angeklagt waren. Vier davon waren österreichische, drei deutsche Burschenschafter. Grundsätzlich lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass sich mindestens die Hälfte der deutschnationalen Burschenschaften in der Südtirol-Frage engagierten – das Engagement reichte von tätlichen Anschlägen bis hin zum Aufkleben von Stickern im öffentlichen Raum.

Dass es sich beim Südtirol-Terrorismus um Terrorismus handelt, ist ganz klar: Es geht hier um rohe Gewalt, die sich nicht ausschließlich gegen Sachgegenstände richtet, sondern bewusst auch zivile Opfer in Kauf nimmt – und das nicht wenige.

Gibt es dabei nennenswerte, zentrale Figuren?

Nennenswert ist zum Beispiel Norbert Burger. Es war Universitätsassistent an der Universität Innsbruck und Alter Herr der Wiener Olympia. Zudem gilt er als Mitgründer des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol, Anm.) und wurde in Italien mehrfach in Abwesenheit verurteilt. Im Grunde war er einer der wichtigsten Mittelsmänner und verfolgte sehr bewusst eine Radikalisierungs- und Eskalationsstrategie, beispielsweise warb er an der Universität Innsbruck sehr viele Studierende für den Südtirol-Terrrorismus an. 1967 gründete er – als die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs, Anm.) relativ liberal war – die Nationaldemokratische Partei (NDP), die gezielt mit NS-Symbolik spielte. Strache gilt in gewissem Sinne als sein politischer Ziehsohn.

Was blieb dabei von der Idee, dass sich die Gewalt ausschließlich gegen Sachgegenstände wie etwa Strommasten richtete? Lässt sich hier überhaupt von Terrorismus sprechen?

Diese Idee ist in der Tat ein Mythos, der allerhöchstens auf die Anfangsjahre anwendbar ist. Gerade durch die Radikalisierung in den 60er Jahren blieb wenig davon übrig. Letztendlich ist der Südtirol-Terrorismus für 21 Tote und 57 Verletzte verantwortlich – zwischen 1956 und 1988, wobei der Höhepunkt sicher in den 1960er Jahren zu verorten ist. Dass es sich beim Südtirol-Terrorismus um Terrorismus handelt, ist ganz klar: Es geht hier um rohe Gewalt, die sich nicht ausschließlich gegen Sachgegenstände richtet, sondern bewusst auch zivile Opfer in Kauf nimmt – und das nicht wenige.

Fakt ist aber auch, dass es hierbei keineswegs um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung oder einer Minderheit geht, es geht hier nicht um die Menschen, sondern schlichtweg um die Idee des „deutschen Territoriums“, das zusammengehört.

Wie unterscheidet sich in diesem Kontext der Umgang der schlagenden, deutschnationalen Burschenschaften von jenem der katholischen, nichtschlagenden Verbindungen des Cartellverbands?

Die deutschnationalen Burschenschaften unterscheiden sich von den katholischen Verbindungen ja in vielfacher Hinsicht. Gemeinsam ist ihnen das Männerbündlerische, und sie finden auch sonst immer wieder zusammen, wenn es beispielsweise um ein mögliches Coleurverbot an der Universität Wien geht. Während Deutschnationale aber deutschnational sind, sind die Verbindungen des Cartellverbands österreich-patriotisch und haben auch ein entsprechend problematisches Verhältnis zum Austrofaschismus. Da kommen auch mal Sätze wie „Dollfuß hat uns vier Jahre Nationalsozialismus erspart“ vor. In Bezug auf Südtirol reden wir aber über die Idee, dass „deutsches Territorium“ zusammengehört, über sogenannte „Unrechtsverträge“ von Saint Germain und Versailles – also über einen eindeutig völkischen Zugang, der sich bis heute beobachten lässt.

Inwiefern?

Betrachten wir die FPÖ und ihr Programm heute, deren Funktionäre zu einem beachtlichen Teil aus Burschenschaften kommen, so ist die „Südtirolfrage“ hier immer noch ein zentrales Thema. Fakt ist aber auch, dass es hierbei keineswegs um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung oder einer Minderheit geht, es geht hier nicht um die Menschen, sondern schlichtweg um die Idee des „deutschen Territoriums“, das zusammengehört. Offensichtlich wird das, wenn man sich die reaktionären Positionen der FPÖ im Zusammenhang mit Minderheiten in Österreich anschaut.

Es ist vielfach immer noch nicht klar, dass die deutschnationalen Burschenschaften das Bindeglied zwischen dem Neonazismus auf der Straße und dem Rechtsextremismus der Parteien und im Parlament in Form der FPÖ sind.

Zurück zu den Burschenschaften: Auf welchen gemeinsamen Nenner können akademische Burschenschaften und Bauernsöhne aus der Provinz überhaupt kommen?

Nun ja, ich glaube, wir müssen das Ganze in einen historischen Kontext setzen: Nach den Verhaftungswellen der ersten Anschläge wurden die Position und Unterstützung der Burschenschaften stärker und führte zu einer starken Radikalisierung. Zu tun haben wir es mit der ganz klar rechten Ideologie, die davon ausgeht, dass „Deutsche“ auf „deutschen Boden“ leben müssen. Es geht hier um „Volkstumskämpfer“. Natürlich argumentieren auch deutschnationale Burschenschaften mit ihrer Opferrolle im Nationalsozialismus: Sehr oft heißt es, sie seien 1938 verboten worden. In Wahrheit gingen sie im Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund auf. In den 50er Jahren wurden die meisten aber wiedergegründet. Das heißt aber, wir sprechen hier von einer Zeit, die nicht weit entfernt vom Zweiten Weltkrieg ist. Die Radikalisierung liegt damit auf der Hand – natürlich auch im Zusammenspiel mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Südtirol selbst.

Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Aufarbeitung der Thematik in Österreich? 

Nein, absolut nicht. Es gibt zwar das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und auch die Website „Stoppt die Rechten“, die auf Verstrickungen und Verharmlosungen rund um den Südtirol-Terrorismus hinweisen, aber im Schulunterricht ist die Problematik schlicht kein Thema. Im Volksmund gibt es eher die Idee, dass Südtirol ohnehin Österreich sei und nicht Italien, das wird da nicht so tragisch genommen. Es ist vielfach immer noch nicht klar, dass die deutschnationalen Burschenschaften das Bindeglied zwischen dem Neonazismus auf der Straße und dem Rechtsextremismus der Parteien und im Parlament in Form der FPÖ sind.

Judith Götz ist Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (fipu), Politik- und Literaturwissenschaftlerin. Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel und hielt Vorträge zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur in Österreich sowie zu feministischen und frauenpolitischen Fragestellungen. In unregelmäßigen Abständen hat sie Lehraufträge an den Universitäten in Klagenfurt/Celovec, Salzburg und Wien. Kürzlich erschien der von der fipu veröffentlichte Sammelband „Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen“ im Mandelbaum Verlag.

Ich erhalte in den Tagen und Wochen vor dem WKR-/Akademikerball viele Anfragen – heuer sind es mehr denn je. Das freut mich, weil es Interesse an meiner Arbeit über Burschenschaften bezeugt. Was mich weniger freut ist, dass der Inhalt der Anfragen, je näher der Ball rückt, verlässlich immer weiter von Burschenschaften weg- und zu Demonstrationen, Polizei und juristischem Drumherum hinrückt. Das journalistische Interesse an diesen Belangen ist natürlich legitim, ich bin dafür aber schlicht kein geeigneter Ansprechpartner. Die antifaschistischen Bündnisse, die Proteste organisieren, können sehr gut für sich selbst sprechen. Von Polizeitaktik wiederum hab ich keine und von Versammlungsrecht nur rudimentäre Ahnung.

Nun mag die Vermutung naheliegen, dass erwähnte Fokusverschiebung der (verbal?-)radikalen Linken anzulasten sei, die durch militantes Auftreten die Problematik eines Stelldicheins der äußersten akademischen Rechten in der Hofburg in den Hintergrund dränge. Diese Sichtweise wäre m.E. allerdings zu kurz gegriffen. Zum einen scheint mir in Teilen der journalistischen Zunft eine geradezu reflexhafte Bereitschaft vorhanden, inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Stein des Anstoßes ein- oder zumindest hintanzustellen, sobald die redaktionelle Hoffnung auf kamerataugliche Pflastersteinwürfe, Scheibenbrüche und Barrikadenbau erste Nahrung erhält. Zum anderen hat die Veranstaltung selbst, also der nun unter anderem Label abgehaltene WKR-Ball, den österreichischen Journalismus über fünf Jahrzehnte hinweg genau gar nicht interessiert. Das Interesse sowohl der Medien, als auch des bürgerlichen Antifaschismus wurde in dem Moment geweckt, in dem autonome Antifaschist*innen die Veranstaltung in der Hofburg durch erst unangemeldeten und später auch untersagten Protest auf die Agenda setzten. (Jene bürgerlichen/liberalen Antifaschist*innen, die nun durch das üble Wirken der radikalen Linken ihren Protest delegitimiert sehen, könnten sich die Frage stellen, wie viele weitere Jahrzehnte sie ohne Initialzündung durch die radikale Linke zugewartet hätten, diesen Protest in Angriff zu nehmen. Es ist nicht so, dass der Ball bis 2008 im Geheimen stattgefunden hätte.)

Zur Frage der Demountersagung nur eine Bemerkung: die Öffentlichkeitsarbeit des noWKR-Bündnisses mag eins misslungen, kontraproduktiv oder gar skandalös finden. Mir ist heuer aus dieser Ecke allerdings nichts an Militanz oder Gewaltandrohungen zu Ohren gekommen, was über die Ansagen vergangener Jahre hinausginge. Sofern ich nichts überhört habe (was natürlich denkbar ist), schließe ich daraus, dass entweder sämtliche noWKR-Demos der vergangenen Jahre hätten verboten werden müssen – oder aber auch die heurige nicht zu verbieten war. Für letzteres spricht der bekannte Umstand, dass das Demoverbot 2011 vom VfgH nachträglich als verfassungswidrig eingestuft wurde. Auf die rechtliche Einschätzung des heurigen Verbots bin ich dementsprechend gespannt.

Was die Debatte über „Gewalt gegen Sachen“ als politische Aktionsform betrifft, liegen alle Meinungen auf dem Tisch. Nicht dort liegt interessanterweise folgender Aspekt: die Meisterschaft von Burschenschaftern in dieser Disziplin, unter Beweis gestellt u. a. in Südtirol/Alto Adige, werden Antifaschist*innen hierzulande wohl nie erreichen (so sie das überhaupt wollten); geschweige denn die Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben, die die burschenschaftlich durchsetzten Südtirol-Bumser in weiterer Folge an den Tag legten – wofür sie in burschenschaftlichen Kreisen bis heute als „Freiheitskämpfer“ glorifiziert werden. Eine Gewaltakzeptanz- und Militanzdebatte, in der Burschenschafter nur noch als Opfer vorkommen, sagt nicht nur vor diesem Hintergrund einiges über die Konfiguration des polit-medialen Diskurses in Österreich aus.

Bernhard Weidinger

PS: Zum populären „Rechtsextremismus ignorieren, dann geht er weg“-Ansatz hat FIPU als Kollektiv vor rund einem Jahr hier Stellung genommen.

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Am frühen Nachmittag des 27. Oktober überfielen rund 30 offenbar bestens organisierte Neonazi-Schläger das von verschiedenen linken und migrantischen Gruppen genutzte Ernst Kirchweger Haus (EKH) in Wien-Favoriten. Ein Gewerkschaftsaktivist wurde im Stiegenhaus zusammengeschlagen und verletzt, in der Folge konnten die Angreifer jedoch aus dem EKH gedrängt und vertrieben werden. Neun von ihnen nahm die Polizei in vorübergehenden Gewahrsam, aber trotz Tatwiederholungs- und -Verdunkelungsgefahr konnte sich die Justiz nicht zur Verhängung der U-Haft durchringen. Die zum Teil bewaffneten und mehrfach einschlägig vorbestraften Schläger werden von den ermittelnden Beamten der neonazistischen FAK-Fangruppe Unsterblich Wien zugeordnet.

Diese bereits davor für ihre Gewaltbereitschaft und ihren Rassismus berüchtigte Gruppierung wurde in den letzten Jahren systematisch von Neonazis unterwandert, insbesondere Aktivisten von Blood & Honour sahen hier eine Möglichkeit, unter Fußballfans Nachwuchs zu rekrutieren. Dementsprechend wählte Unsterblich sein Banner-Logo vorübergehend nach dem Vorbild von Blood & Honour. Daneben verwendet Unsterblich beliebte neonazistische Symbole wie den SS-Totenkopf und die Reichskriegsflagge.

Eine breitere Öffentlichkeit wurde im Dezember 2009 erstmals auf die Nazi-Hooligans aufmerksam: Beim Spiel Austria Wien gegen Athletico Bilbao wiesen sie mit einem im Stadion angebrachten Reichsadler-Banner auf ihre Gesinnung hin. Mit Falange-Symbolen und einem „Viva Franco“-Transparent provozierten sie die baskischen Fans. Auch der damalige Platzsturm ging maßgeblich von Unsterblich-Schlägern aus. Von ein paar Stadionverboten abgesehen tat die FAK-Vereinsleitung zunächst jedoch nichts gegen die neonazistischen Umtriebe im Fansektor, erst im heurigen Jahr wurde endlich ein genereller Ausschluss verhängt. Dieser wird jedoch von den Unsterblich-Nazis insbesondere bei Auswärtsspielen regelmäßig unterlaufen. Zudem versuchen sie weiterhin mit Drohungen und Gewalt im Fanblock die Vorherrschaft zu erreichen. Aus Angst, aber auch aus falschem Corps-Geist haben es die nicht-rechtsextremen Fangruppen jedoch viel zu lange zugelassen, dass sich Unsterblich innerhalb des Sektor profilieren konnte. Gegen das Pyrotechnik-Verbot im Stadion und Repressionen gegen Fans haben sie vor nicht allzu langer Zeit noch gemeinsam mit den Neonazis protestiert.

Aber auch außerhalb der Stadien kam es bereits in der Vergangenheit immer wieder zu politisch motivierten und extrem gewalttätigen Angriffen von Unsterblich-Aktivisten auf Linke, so etwa im Juni 2009 am Rande einer FPÖ-Kundgebung am Viktor Adler Markt in Wien-Favoriten oder im April 2010 am Rande einer weiteren FPÖ-Wahlveranstaltung am Ballhausplatz. Zumindest ein Unsterblich-Anführer behauptet selbst von sich, in der FPÖ aktiv zu sein, daneben existieren einige Berührungspunkte zum Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ).

Dass von Seiten der ermittelnden Behörden auch diesmal wohl keine Gefahr für die Neonazi-Schläger ausgehen wird, legt ein Skandal aus jüngster Vergangenheit nahe: Im September 2011 begingen Unsterblich-Nazis den Tod eines „Kameraden“ mit einer Demonstration, die sie auch noch filmten. Die auf dem Video deutlich zu sehenden Hitler-Grüße wurden umgehend zur Anzeige gebracht. Jedoch wurden die Ermittlungen eingestellt, weil Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) keine Hitler-Grüße, sondern nur ein „bei Fans übliches Ausstrecken der Hände mit den Handflächen nach außen“ sehen wollten bzw. den Neonazis glaubten, sie hätten sich im Vollrausch zum verbotenen Gruß „hinreißen“ lassen, also ohne Vorsatz gehandelt.[1]

Judith Goetz

erschienen in AEP-Informationen, feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Heft 2/2013

Im März dieses Jahres titelten beinahe alle österreichischen Tageszeitungen damit, dass im vergangenen Jahr im Rahmen von Eingangskontrollen an österreichischen Gerichten 528 Schusswaffen und 49.037 Hieb- und Stichwaffen sichergestellt worden sind. Mit aller Deutlichkeit wurde in der Berichterstattung betont, dass vor allem an Bezirksgerichten, zu deren Zuständigkeit auch Obsorge- und Besuchsrechtsfälle zählen, auch unbewaffnete Besucher immer wieder für gefährliche Situationen, wie Gewalt- oder sogar Morddrohungen sowohl gegen Beteiligte im Verfahren, aber auch RichterInnen, sorgen würden. Wenngleich es gänzlich falsch wäre, diese Vorkommnisse der österreichischen Väterrechtsbewegung zuzuschreiben, zeigt sich doch, mit welcher Vehemenz und welchen Mitteln und Methoden Väter hierzulande versuchen, ihre Anliegen durchzusetzen bzw. wird das gesellschaftliche Klima deutlich, in dem sich die sogenannten Obsorgestreitigkeiten und -debatten, die bis heute maßgeblich von Väterrechtlern mitbestimmt worden sind, ausgefochten werden. Es stellt sich also die Frage, wie es um die österreichische Väterrechtsbewegung bestellt ist, wie sie ihre Anliegen durchsetzen kann und auf welche Unterstützung sie dabei auch aufbauen kann.

Österreichische Väterrechtler – kein Thema?

Wenngleich diverse Feministinnen, wie beispielsweise die breite Plattform 20.000 Frauen, die sich anlässlich des 100. Jubiläums des internationalen Frauentags gegründet hat, bereits seit einigen Jahren auf die Gefährlich- und Bedrohlichkeit sogenannter Männer- oder Väterrechtler hinweisen, scheint es in Österreich sowohl um die Forschung als auch um die Auseinandersetzung mit diesen Gruppierungen und Bewegungen noch äußerst schlecht bestellt. Obwohl insbesondere anlässlich der Debatten rund um die neue Obsorgeregelung einige kritische Stimmen lauter wurden, die auf die bedenkliche Bedeutung österreichischer Väterrechtler in dem Gesetzesänderungsprozess hinwiesen und auch in diversen Zeitungen und Zeitschriften kritische Kommentare veröffentlicht wurden, fehlt eine tiefgründigere Beschäftigung mit der Thematik hinsichtlich der Organisierung und Vernetzung, der ideologischen Hintergründe sowie ihrer Methoden und Überschneidungen zur (extremen) Rechten gänzlich. Zu den wenigen Ausnahmen in der Auseinandersetzung zählt beispielsweise auch die Mobilisierung eines breiten antifaschistischen und antisexistischen Bündnisses anlässlich der internationalen „Daddy’s Pride“ 2010 in Wien, Aktionen der oben genannten Plattform, Schwerpunkte feministischer Zeitschriften, wie der an.schläge oder der AEP-Informationen, sowie vereinzelte Tagungen oder Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen. Anders verhält es sich in Deutschland, wo in den letzten Jahren einige umfassendere Studien erschienen. Zu nennen ist an dieser Stelle vor allem Thomas Gesterkamps 2010 in der Friedrich Ebert Stiftung erschienene Studie „Geschlechterkampf von Rechts – Wie Männerrechtler und Familienfundamentalisten sich gegen das Feindbild Feminismus radikalisieren“, Andreas Kempers Einführung „[r]echte Kerle. Zur Kumpanei der MännerRECHTSbewegung“ (2011) und der vom selben Autor herausgegebene Sammelband „Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum“ (2012) sowie Hinrich Rosenbrocks von der Heinrich Böll Stiftung veröffentlichte Studie „Die antifeministische Väterrechtsbewegung. Denkweisen, Netzwerke, Online-Mobilisierung“. Aber auch in diesen profunden Auseinandersetungen wird kaum bis kein Bezug auf Österreich genommen. Nun mögen die Gründe hierfür vielfältige sein, wie beispielsweise das große Unwissen bzw. unzureichende oder diffuse Kenntnisse über die Inhalte dieser Bewegungen, die weniger große Betroffenheit oder das geringe Interesse für Elternschaftsthemen bzw. Obsorgedebatten und nicht zuletzt auch das immer wieder angeführte Argument, dass jenen Gruppierungen dadurch mehr Aufmerksamkeit zukommen würde als ihnen eigentlich zusteht bzw. sie in der Gesellschaft bekommen. So mag es zwar richtig sein, dass die meisten Väterrechtsgruppierungen in Österreich bislang noch nicht von Anhänger(Inne)n überrannt werden, jedoch darf (und muss) ihr politischer Einfluss bzw. ihre Wirkungsmacht nicht unterschätzt werden. Dieser Einfluss beruht nämlich, wie sich zeigen wird, nicht nur auf der großen Unterstützung, die Väterrechtler hierzulande von der ÖVP und FPÖ bekommen, sondern vor allem auch auf der Hartnäckigkeit, mit der die Protagonisten versuchen, mediale/öffentliche Debatten zu beeinflussen sowie auch ihrer guten Vernetzung. Zudem stellen einzelne Anhänger und Gruppierungen, die nicht davor zurückschrecken, politische GegnerInnen, ExpartnerInnen oder auch VertreterInnen österreichischer Behörden massiv einzuschüchtern, zu bedrohen und anzugreifen, auch eine reale Bedrohung dar. Gerade deshalb scheint auch die Auseinandersetzung mit diesen Gruppierungen schlichtweg notwendig.

Väterrechtler – ein Überblick in Österreich

Die Väterrechtsbewegung, wie wir sie heute in Österreich kennen, ist erst wenige Jahre alt. Sogenannte Männerrechtler hatten zwar bereits in den USA in den 1970ern angefangen sich zu organisieren, wobei es anfänglich unterschiedliche Strömungen gab, zu denen beispielsweise in Deutschland in den 1970ern auch eine profeministische Männergruppenszene zählte. Zunehmende Institutionalisierung und Entpolitisierung sowie die Frage, wie sich gegenüber Maskulisten zu verhalten, hatten jedoch auch im deutschsprachigen Raum zu einem Erstarken von Männerrechtlern und Maskulisten geführt, aus denen ab den 1990ern auch väterrechtsbewegte Gruppierungen hervorgingen. In Österreich findet man heute ein unübersichtliches Geflecht an Väterrechtsorganisationen vor, die nicht nur immer mehr werden, sondern sich auch zunehmend besser vernetzen. Zu den bekanntesten zählen u.a. „Väter ohne Rechte“, die u.a. ein Gassenlokal im 20. Bezirk in Wien betreiben, „Vaterverbot“ sowie die österreichische „Männerpartei“, aber auch kleinere, vor allem in den Bundesländern beheimatete Vereine wie „Kindergefühle“, „Im Namen elterlicher Verantwortung“ oder „Papa gib Gas“, die versuchen, ihre Anliegen voran zu treiben. Ein Teil dieser genannten Organisationen hat sich erst kürzlich in einer österreichischen „Väterplattform“ zusammengeschlossen, die sich laut Eigenangaben an „den familienbezogenen Menschenrechten, insbesondere am Recht auf Familienleben“ orientiert. So zeigt sich, dass die Anliegen von Väterrechtsgruppierungen hierzulande wie auch in den meisten anderen europäischen Ländern auf den ersten Blick durchwegs harmlos erscheinen.

„Wahre Gleichberechtigung“? – Die „Anliegen“ der österreichischen Väterrechtler

Werden die Anliegen jedoch genauer unter die Lupe genommen zeigt sich sehr schnell, dass beispielsweise hinter der oft anzutreffenden Forderung nach „wahrer Gleichberechtigung“ oftmals die Vorstellung von einer vermeintlich „natürlichen“ Verteilung von Macht zwischen den Geschlechtern steht. Das bedeutet nichts anderes als eine klassische Rollenverteilung, der ein biologistisches Verständnis der vermeintlichen natürlichen Aufgaben von Männern und Frauen in dieser Gesellschaft zugrunde liegt. Der Staat würde sich ohnehin viel zu sehr in die Angelegenheit bzw. die Aufgabenverteilung zwischen Männern und Frauen einmischen, und so richten sich auch österreichische Väterrechtler gegen vermeintliche staatliche Bevormundung bzw. öffentliche Institutionen. In diesem Sinne heißt es bei „Väter ohne Rechte“ beispielsweise:

„Der Staat mischt sich in unsere Angelegenheiten ein. Er schreibt vor, wann wir unsere Kinder sehen dürfen und wann nicht. Er bestimmt, wie wir unsere Lebenssituation nach einer Trennung zu gestalten haben und gibt Verbote für freie Vereinbarungen zwischen den Eltern aus. Durch das Prinzip der ‚Anspannung’ hat man nicht einmal mehr eine freie Berufswahl oder die Möglichkeit einer Ausbildung. Staatliche Einrichtungen, wie etwa die Jugendwohlfahrt (Jugendamt) sind keine Serviceeinrichtungen für Eltern, sondern Verhinderungsämter, die Eltern und Großeltern vorschreiben, wie sie zu sein haben, oder verhindern, dass sie ihre Kinder sehen.“

„Väter macht- und mittellos“

So wird auch insbesondere die Bedeutung der biologischen Rolle von Vätern immer wieder in den Vordergrund gestellt und ihre Wichtigkeit mit Argumenten wie „Buben dürfen nicht Müttern und Lehrerinnen allein überlassen werden“ untermalt, da es durch die Abwesenheit der Väter und damit auch männlichen Vorbildern zu einer „väter- und männerlosen“ Erziehung kommen würde, die die Burschen verweichlichen und verweiblichen lässt. Zudem wären höhere Kriminalität, Anfälligkeit für Drogen und dergleichen die Folge. Dass die Qualität der Beziehung, die Kinder zu ihren Bezugspersonen haben, viel bedeutender ist als die biologische Elternschaft, wird dabei ebenfalls außer Acht gelassen. Auch stellt sich bei der genaueren Betrachtung der Forderungen die Frage, ob es den aktuellen Väterrechtlern wirklich so sehr um „ihre Kinder“ geht. Sie geben vor, „Väter, die keine Besucher sein wollen“ zu sein, in Wirklichkeit geht es ihnen aber großteils um die finanzielle Absicherung beziehungsweise Besserstellung des Vaters, und das wohl klarerweise auf Kosten derer, die momentan angeblich „zu viel“ bekommen würden. So empört sich „vater“ auf der Webseite von „Vaterverbot“ darüber, dass „Unterhaltsforderungen gegen Väter gerichtet werden können, auch wenn deren Existenzminimum unterschritten wird“. Es ist auch von „Zwangsarbeit“ die Rede, wenn Väter zu Unterhaltszahlungen gezwungen werden. Weiters wird beklagt, dass ein „unterhaltspflichtiger Vater, der in Karenz geht, „… von den Gerichten finanziell ermordet“ würde. Summa summarum: Aus dieser Perspektive sind Väter macht- und mittellos. Als die eigentlichen Scheidungsopfer würden die Väter nicht nur finanziell von Frauen ausgebeutet, auch der Staat begrenze ihren Wirkungsbereich, indem er ihnen die Macht entziehe, über ihre Kinder zu bestimmen und zu verfügen. Auch was in Bezug auf Frauen oftmals als Doppelbelastung (Vereinbarkeit von Beruf und Familie) bezeichnet wird, wissen die armen Väter zu überbieten, indem beispielsweise beim Verein „Vaterverbot“ von einer „verschärften Dreifachbelastung (Unterhalt, Beruf, Zeitaufwand zur Kinderbetreuung) der Väter“ die Rede ist. Auch die Forderung nach der Doppelresidenz von Scheidungskindern, die in der neuen Obsorgeregelung glücklicherweise verhindert werden konnte, zielt letztendlich auf finanzielle Entlastungen für Väter ab, denn wenn Kinder keinen hauptsächlichen Aufenthaltsort mehr haben und offiziell gleichermaßen bei beiden Eltern wohnen, müssen Väter auch keinen Unterhaltsforderungen mehr nachkommen, egal, wie viel Zeit die Kinder de facto bei ihren Vätern verbringen. Aber auch in Bezug auf Rollenbilder haben die engagierten Väter einiges zu sagen. Im Wahlprogramm der Männerpartei hieß es 2010 noch: „Jeder Mann muß die Wahlfreiheit zwischen einer traditionellen Rolle, wie der des Ernährers oder Beschützers, und eher modernen Rollen, wie der des Betreuers, haben.“ Ob Frauen dabei auch etwas mitzureden haben, bleibt fraglich, schließlich wehren sich die Väter gerade gegen diese äußeren „Zwänge“. Nach Scheidungen litten außerdem vor allem die Söhne, da ihnen die männlichen Vorbilder fehlten. „Als männliche Bezugspersonen gibt es dann nur Spiderman und Josef Hickersberger. Das kann man unseren Buben nicht zumuten.“ Außerdem müsste es weniger Lehrerinnen und mehr Lehrer geben und Vaterschaftstests für alle müssten eingeführt werden, weil bislang nur die Mütter entscheiden dürften, wer der biologische Vater eines Kindes sei (um diese dann wiederum auszubeuten, kann angenommen werden). Dass ohnehin nur bei verheirateten Paaren der Ehemann automatisch zum Vater wird, wird bei der Selbstinszenierung außer Acht gelassen. Kaum verwunderlich also, dass Gründer der „Männerpartei“, Oliver Peter Hoffmann, bei einer Demonstration skandierte, Männer seien immer die Schuldigen. Es reiche eine mögliche Gefährdung, um einen Vater aus der Familie zu entfernen. Daraus kann wohl abgelesen werden, dass auch gewalttätige Väter ihre Kinder sehen sollten, was wahrscheinlich sowieso gut so ist, da für die Väterrechtler auch klar ist, dass Gewalt in Wirklichkeit von Frauen ausgeht. So echauffieren sich Väterrechtler außerdem darüber, dass sich Gewaltpräventionskampagnen wie „Verliebt. Verlobt. Verprügelt.“ im Vorfeld der Herren-Fußball-Europameisterschaft gegen Männer und Väter richten würden. Unter dem Titel „Wussten Sie …, dass unser Frauenministerium Millionen in männerfeindliche Werbung steckt?“ belegen sie mit einschlägigen „Studien“, dass mehr als 50 Prozent der häuslichen Gewalt von Frauen ausgehen würde, wohingegen 75 Pozent der SelbstmörderInnen Männer wären. So luden auch „Väter ohne Rechte“ im März dieses Jahres zu einem Vortrag unter dem Titel „Gewalt ist nicht männlich – Warum der Feminismus unrecht hat“ ein. Mit falschen Zahlen wird ein Opferdiskurs geschaffen, der männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder gänzlich ausspart, und damit auch eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Nicht selten wird auch versucht, Gewalt gegen Mütter und Gewalt gegen Kinder als zwei getrennt behandelbare Konflikte darzustellen und dabei zu negieren, dass Gewalt gegen Mütter sehr wohl auch Kinder betrifft und selten alleine auftritt. So heißt es beispielsweise auch auf der Homepage der „Männerpartei“ in einer Presseaussendung der „Väterplattform“, als deren Sprecher sich auch Parteiobmann Oliver Peter Hoffmann auftut: „Gewaltschutz ist mehr als Frauenlobbying. Kinder sind nicht automatisch vor familiärer Gewalt geschützt, wenn sie bei der Mutter sind. Ein Grossteil des Kindesmissbrauchs geht vom neuen Freund oder von der Mutter selbst aus. Wer Obsorgeverfahren gesetzlich mit einem einseitigen Schutz der Frauen vor familiärer Gewalt verknüpfen will, beschädigt das Kindeswohl. Die jüngsten Forderungen der Frauenhäuser sind daher entschieden abzulehnen.“

Opferdiskurse

Väterrechtler schaffen es dabei, sich als Opfer nahezu jeder Lebenslage zu inszenieren, sei es im Bildungswesen, am Arbeitsmarkt, beim Staatsdienst, im Scheidungsrecht, im Gesundheitswesen oder in den Medien. „Um ihre Forderungen vertreten zu können, müssen sich die Männerrechts-Verfechter den Fakten stellen, die normalerweise herangezogen werden, um auf männliche Macht und Privilegien zu verweisen, und diese neu formulieren. Dementsprechend wird die Tatsache, dass Männer das Geld verdienen, umgewandelt in die Tatsache, dass Männer mit der Ernährer-Rolle belastet sind und Frauen das Geld ausgeben; die Tatsache, dass Männer Pornographie benutzen und Prostituierte aufsuchen, wird transformiert in die Tatsache, dass Männer durch diese Erfahrung gedemütigt werden; die Tatsache, dass Männer politische Ämter bekleiden, wird zur Tatsache, dass Frauen entweder diese Männer kontrollieren oder sich vor der Verantwortung drücken; die Tatsache, dass Männer Frauen vergewaltigen ,wird zur Tatsache, dass Frauen Männer ablehnen; und so weiter bis zu einem absurden Grad.“ (Clatterbaugh 1990, 82 zit. nach Kemper 2011, 17) So haben auch Väterrechtler begriffen, dass der Hinweis auf Benachteiligung sowie das Einfordern von Rechten ein potentiell sehr wirkungsmächtiger Diskurs ist, mit dem sich Aufsehen erregen lässt. Indem immer wieder behauptet wird, dass die Benachteiligung von Männern kein Thema in den Medien wäre, wird genau dieser Opferdiskurs inszeniert und propagiert. Dabei wird immer versucht, mit vermeintlichen Tabubrüchen und Diskursen, die sich gegen politische Korrektheit (PC) richten, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es sich bei den meisten inszenierten Tabubrüchen in der Regel gar nicht um solche handelt, da gerade Sexismus, Rassismus oder Homophobie in dieser Gesellschaft keine Tabus im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr tief und fest verankert in der Mitte der Gesellschaft sind. So wird beispielsweise auch versucht, fortschrittliche Forderungen und Errungenschaften für Frauen als vermeintlich „politisch korrekten“ Schwachsinn abzutun und gleichzeitig frauenfeindliches Gedankengut zu normalisieren. So fungieren diese Herangehensweisen nicht zuletzt auch als eine Art männliche Legitimationstrategie zur Aufrechterhaltung männlicher Macht und zur Wahrung männlicher Privilegien, so dass von einem antifeministischen Backlash gesprochen werden kann. Dennoch scheint es Väterrechtlern damit immer wieder zu gelingen, Aufmerksamkeit zu bekommen und ihre Anliegen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So sind Väterrechtler mit ihrem politischen Lobbying durchwegs erfolgreich.

Anhand der ausgewählten Beispiele zeigt sich deutlich, dass von der Vorläuferin der Väterrechtsbewegung, der Männerbewegung, die Anfang der 1970er-Jahre entstand und bei der es um eine profeministische und kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Patriarchat ging, nichts mehr übrig ist.

Antifeministische Denkweisen

Neue oder alternative Familien- oder Elternschaftskonzepte abseits von sexistischen bzw. heterosexistischen Normen, wie dem klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell, wird mensch in den Kreisen von väterrechtsbewegten Gruppen nicht finden. So setzen sich die besagten Väter auch kaum bis gar nicht für bessere Kinderbetreuungseinrichtungen oder den Ausbau der Väterkarenz ein. Zudem wird in den Diskussionsforen von österreichischen Väterrechtsinternetseiten auch immer wieder gegen das aktuelle Scheidungsrecht mobil gemacht oder beispielsweise auch Abtreibung abgelehnt bzw. ein Mitbestimmungsrecht des Mannes gefordert. Gerade bei diesen Beispielen wird deutlich, worum es den meisten Väterrechtlern eigentlich geht: die Aufrechterhaltung und Ausweitung der Kontrolle über Frauen, insbesondere ihrer Ex-Partnerinnen. So will beispielsweise „Vaterverbot“ Frauen gänzlich die Möglichkeit nehmen, mit ihren Kindern ohne Zustimmung des Vaters einen Wohnortswechsel vorzunehmen.

Es zeigt sich also, dass antifeministische Denkweisen auch im 21. Jahrhundert noch allgegenwärtig sind und Antifeministen bis heute versuchen, Gleichstellungsdebatten zu beeinflussen, zu behindern und die feministischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen bzw. den Feminismus als solchen zu bekämpfen. Sie imaginieren dabei eine feministische Vorherrschaft in der Gesellschaft, die Mädchen und Frauen bevorteile, sodass nun Buben und Männer die eigentlichen benachteiligten Opfer wären, und versuchen diese vermeintliche männliche Opferrolle in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Antifeminismus als politische Strategie gegen Theorien und Politiken zugunsten der Gleichstellung der Geschlechter hat auch im deutschsprachigen Kontext eine lange Tradition. Seit dem Aufkommen der Frauenbewegungen gibt es Männer, die sie bekämpfen, und das – wie sich anhand bestimmter Väterrechtler zeigt – bis heute. So will beispielsweise die österreichische „Männerpartei“ bei den nächsten Nationalratswahlen gegen den „menschenfeindlichen Feminismus“ antreten. Insbesondere in Internetforen und Blogs unter dem Schutz der Anonymität scheinen auch österreichische Väterrechtler immer aggressiver ihre Anliegen deutlich zu machen. Nicht selten vermischt sich das antifeministische Gedankengut auch mit anderen – sexistischen, homophoben, rassistischen und antisemitischen – Denkweisen, so dass Überschneidungen dieser Gruppierungen zur parteiförmigen extremen Rechten sowie auch zu anderen rechtsextremen Gruppierungen kaum verwundern

Rechte Allianzen?

Obgleich sich die meisten österreichischen Väterrechtsorganisationen als parteiunabhängig, überparteilich, teils auch unpolitisch oder zumindest weit in der gesellschaftlichen Mitte verankert präsentieren wollen, und sie dabei ja auch tatsächlich großen Zuspruch finden, zeigen sich bei genauerer Betrachtung sehr wohl bestimmte Allianzen. Während beispielsweise anfänglich keine einzige überparteiliche Frauenorganisation zu den Gesprächen über die Gesetzesnovelle in Bezug auf die gemeinsame Obsorge eingeladen wurde, ging die Initiative dafür sogar von Väterrechtlern aus, und Vertreter der Bewegung waren durch ihre guten Verbindungen zur ehemaligen Justizminiserin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) von Anfang in der zugehörigen Arbeitsgruppe. Dieser „gute Draht“ wurde auch von Nachfolgerin Beatrix Karl (ÖVP) vor allem mit dem politischen Anliegen, dass „Familien wieder mehr in die Verantwortung gezogen werden müssen“, fortgesetzt. Bis heute fungiert jedoch die FPÖ als die wichtigste Bündnispartei für die österreichischen Väterrechtler. Die Formen der Zusammenarbeit sind dabei vielfältig. Beispielsweise greifen einzelne FPÖ-Politiker Anliegen der österreichischen Väterrechtsbewegung auf und bringen diese in politische Debatten ein, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass das freiheitliche Familienbild durchwegs mit den Vorstellungen österreichischer Väterrechtler übereinstimmt. So wurden im Zuge der Obsorgedebatten auch von der FPÖ Väterrechtler als Experten in die zuständigen Arbeitsgruppen nominiert. Zudem betreibt auch der freiheitliche Parteiklub eine vermeintlich „unabhängige“ Plattform mit dem Namen „Trennungsopfer“ (www.trennungsopfer.at). Diese Seite wurde vom FPÖ- Mandatar und stellvertretenden Parteiobmann, der auch zu H.C. Straches „glorreichen Sieben“ zählt, ins Leben gerufen und tritt vor allem mit Diskussionsveranstaltungen im freiheitlichen Parlamentsclub an die Öffentlichkeit. Vor ca. einem Jahr sorgte auch ein E-mail mit einem Dossier zum Thema „Das Netzwerk der Kinderschänder“ für Aufsehen, da es von Thomas Tayenthal aus dem Freiheitlichen Parlamentsclub aus verschickt wurde und darin zahlreiche prominente Persönlichkeiten, wie beispielsweise Heinz Fischer, mit verurteilten Sexualstraftätern in Verbindung gebracht werden. Tayental selbst ist der Betreiber der Webseite „Trennungsopfer“ und immer wieder Vortragender auf Väterrechtsveranstaltungen. Zuvor hatten Väterrechtler auch mit dem inzwischen mehrfach aus der Partei ausgeschlossenen Karlheinz Klement zusammengearbeitet, der beispielsweise wegen Äußerungen wie „Homosexualtität als Kultur des Todes“ aufgefallen war. Die Verbindungen österreichischer Väterrechtler reichen aber auch hin bis zum BZÖ, und so ist Martin Stiglmayr von „Väter ohne Rechte“ inzwischen Büroleiter des Bürgeranwaltsbüros von Ewald Stadler. Norbert Hofer wiederum machte sich auch durch eine Selbstanzeige im Zuge der Ermittlungen wegen §278b gegen einzelne Väterrechtler für diese stark. Herwig B., der im Zuge dieser Ermittlungen für andere Delikte verurteilt wurde, betrieb auch das Forum www.genderwahn.com, das heute aufgrund von wiederholten Verstößen gegen bestehende Gesetze nicht mehr online ist, jedoch lange Zeit durch rechtsextreme, frauenfeindliche Inhalte, die von Usern wie „Frauenhausjäger“ oder „Volks“ gepostet wurden, auffiel. Die Drohungen, Verleumdungen und Diffamierungen werden nun auf der Website www.justizdebakel.com fortgesetzt, wo ebenfalls zutiefst antidemokratische und frauenfeindliche Inhalte veröffentlicht werden, wie beispielsweise eine Auflistung der Adressen aller Wiener Frauenhäuser.

Kein gesellschaftlich marginalisiertes Phänomen

So hat sich nicht nur gezeigt, wie es um die Väterrechtsbewegung hierzulande bestellt ist, sondern vor allem auch, dass es sich bei österreichischen Väterrechtlern keinesfalls um ein gesellschaftlich marginalisiertes Phänomen handelt, sondern im Gegenteil Akteure dieser Bewegung aktiv das politische Geschehen mitgestalten und so antifeministische Denkweisen und frauenfeindliche Inhalte über unterschiedliche Strategien in den politischen Diskurs bringen. Nicht zuletzt können sie sich dabei der Unterstützung von rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien sicher sein. Der gemeinsame Nenner aller Beteiligten ergibt sich dabei vor allem aus dem Anliegen heraus, bestimmte Männlichkeitskonzepte sowie männliche Vorherrschaft aufrecht erhalten zu wollen. Schließlich gäbe es auch genug Möglichkeiten, sich aus einer profeministischen Perspektive mit Benachteiligungen auseinanderzusetzen, dabei jedoch auch die eigene Eingebundenheit in privilegierte Dominanz-Strukturen zu reflektieren und sich gemeinsam mit Feministinnen für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen.

Autorin

Judith Götz (Literatur- und Politikwissenschafterin. Arbeitsschwerpunkte: Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und -kultur in Österreich, feministische/frauenpolitische Fragestellungen).

Kritische Anmerkungen zum Interview mit Anton Pelinka (DER STANDARD, 17. 10. 2012)

Einer „unheilige(n) Allianz (der) rechten und (der) linken Extremisten gegen Europa“ widmet sich das aktuelle Forschungsprojekt von Anton Pelinka, das dieser im STANDARD-Interview von letzter Woche präsentierte. Auch wenn Pelinka im Verlauf des Gesprächs allzu plumpen Parallelisierungen von rechtsextrem und linksradikal entgegentritt und seine wissenschaftlichen Verdienste außer Frage stehen, bleibt unseres Erachtens einiges an seine Aussagen zu kritisieren. So erscheint es uns gerade als Ausdruck der herrschenden „Schließung des politischen Marktes“ (S. Lipset) und der interessierten Rede von der Alternativlosigkeit gegenwärtiger europäischer Politik, wenn „Oppositionsneigung“ an sich zum Indiz für Extremismus erklärt wird. Zudem geht schon an diesem Punkt die Differenz von linker Kritik an den herrschenden Zuständen und rechter Denunziation der (oft im Verborgenen) Herrschenden verloren. Dabei soll keineswegs geleugnet werden, dass auch Linke manchmal zu vereinfachenden Personalisierungen von komplexen Verhältnissen neigen. Zuzustimmen ist Pelinkas Analyse der aktuellen Basis des europäischen Rechtsextremismus, jedoch bleibt von ihm unerwähnt, wie und wodurch das Proletariat zum Kleinbürgertum und in der Krise neuerlich zur „Meute“ (E. Canetti) wurde. Tatsächlich besteht bei allen Unterschieden eine Kontinuität zwischen dem sozialen Wohlfahrtsstaat und dem nationalen Wettbewerbsstaat, zwischen der sozialdemokratisch-technokratischen Verwaltung und der autoritär-populistischen Anrufung der „kleinen Leute“ – eine Kontinuität, die im Übrigen die Erfolge der FPÖ erklären hilft.

Schiefe Vergleiche

Ebenfalls beizupflichten ist Pelinka, wenn er im Antisemitismus und Antiamerikanismus ideologische Schnittmengen zwischen der extremen Rechten und Teilen der sich als radikal verstehenden Linken ortet. Wo aber im Gefolge Ernst Noltes „Klasse“ mit „Rasse“ gleichgesetzt wird, ist Einspruch geboten. Erstere ist bekanntlich eine soziologische Kategorie, während zweitere als natürlich behauptet wird. Dieser Unterschied zwischen einer Interessens- und einer Blutgemeinschaft ist – bei aller Gemeinsamkeit im Antiindividualismus – einer um das Ganze. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Stalinismus und in den sozialistisch verbrämten Entwicklungsdiktaturen im Trikont die Grenzen zwischen beiden verschwammen: das Verbrechen begann hierbei erst dort, wo soziale Differenz ontologisiert wurde. Wer dies nicht anerkennt, für den gibt es auch keine Unterschiede in der Gewalt(-bereitschaft). Nicht nur, dass Pelinka Sachbeschädigungen mit Gewalt gegen Menschen in einen Topf wirft, er unterschlägt auch, dass – idealtypischer Weise – die Gewalt für die Handelnden einmal als notwendiges Übel firmiert, das andere Mal einem Fetisch gleich im Zentrum des Denkens und Handelns steht. „Es lebe der Tod!“ war eben der Schlachtruf der spanischen Faschisten und nicht die Parole der die Republik verteidigenden Linken. Jedoch kann entsprechend ihrer Eigendynamik die Gewalt zum Medium des Überganges werden: Gerade die Geschichte des Faschismus in Frankreich und Italien zeigt, wie radikale Linke – und hier vor allem linke Männer – über die affektive Besetzung, Mythologisierung und Verabsolutierung der Gewalt zu extremen Rechten wurden.

Totalitarismustheorie re-visited

Pelinkas Ausführungen scheinen uns einen ideologischen Trend wiederzuspiegeln, der inzwischen auch in der Wissenschaft seine Spuren hinterlässt – zumal in der von der EU finanzierten. Setzte die tragenden Ideologie der europäischen Einigung die überstaatliche Gemeinschaftsbildung zunächst als Antithese gegen den Nazismus, so brachten die EU-Osterweiterung und insbesondere der Beitritt der baltischen Staaten einen Prozess der Verschiebung zum Abschluss: jenen hin zum Vereinten Europa als antitotalitärem Projekt, ablesbar u. a. an den Debatten zum neuen Europäischen Gedenktag 23. August (Hitler-Stalin-Pakt) oder zu einem gesamteuropäischen Verbot des Hakenkreuz-Symboles. Nun wäre unter demokratischen Gesichtspunkten nichts gegen die Einbeziehung osteuropäischer Diktatur-Erfahrungen nach 1945 einzuwenden; allerdings ist der einschlägige Diskurs oft durch Bestrebungen charakterisiert, die massenhafte Kollaboration mit dem Nazismus in den betreffenden Ländern reinzuwaschen und den antinazistischen Widerstand zu diskreditieren. Aus ehemaligen Waffen-SS-Männern und antisemitischen Mörderbanden wurden vielerorts im Anschluss an die NS-Propaganda wieder „Freiheitskämpfer“ gegen den „Bolschewismus“ (eine Verschiebung, die im übrigen auch hilft, die unterschiedlichen Reaktionen der EU-Spitze auf die rechte Wende in Österreich und Ungarn zu verstehen). Begleitend feiert in Forschung und Publizistik die Totalitarismustheorie, die aus Ungleichem Gleiches macht, fröhliche Urständ. Kritische Wissenschaft kann damit nicht glücklich sein.

Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit, im Oktober 2012