Gastbeitrag von Daniel Herzog
Wie bereits im Mai berichtet, bedient die Monatszeitschrift „Alles roger?“ antisemitische Stereotypen, indem sie George Soros zum einen als „Heuschreckenspekulanten“ (03/2017, S. 22) bezeichnet und zum anderen ihn als „Liebkind mächtiger Kreise wie der Rothschilds“ (05/2018, S. 9) darstellt. Die Familie Rothschild dient der Zeitschrift dabei als antisemitische Projektionsfläche, die es ermöglicht, eine jüdische Weltverschwörung zu insinuieren, ohne dabei umgehend als offen antisemitisch entlarvt zu werden.
George Soros‘ vermeintliche Verbindung zu den ominös-allmächtigen Rothschilds dient dabei nur als Aperitif für einen zumindestens strukturellen Antisemitismus, der sich zu einem Gebilde von Verschwörungstheorien verhärtet. Der vermeintlich von den Rothschilds gesteuerte „Mega-Spekulant“ (05/2018, S. 8) Soros wird in weiterer Folge als „Leiter der Masseneinwanderung“ (09/2017 S. 12) bezeichnet und Verbindungen zu Christian Kern und Sebastian Kurz (09/2017, S. 12 / 04/2017, S. 33) werden unterstellt.
In anderen Fällen muss George Soros nicht als antisemitisches Verbindungsglied herhalten, sondern es werden direkte Verbindungen zwischen Rothschilds und politischen Entscheidungsträgern hergestellt. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird etwa als „Rothschild-Agent“ (06/2017, S. 12) bezeichnet und unmissverständlich festgestellt: „Hinter Macron steht die Familie Rothschild.“ (12/2017, S. 36)
Das Weltverschwörungskonstrukt von „alles roger?“ erschöpft sich jedoch nicht in den Phantasien, dass George Soros, Emmanuel Macron und die „Masseneinwanderung“ von der Familie Rothschild gesteuert werden. Bereits in den frühesten Ausgaben finden sich Artikel wie „Veranstalten die Rothschilds okkulte Zeremonien?“ (Ausgabe #4) und „Zerstören die Rothschilds Afrika?“ (Ausgabe #3). Im fünften Heft treffen Geschichtsrevisionismus und antisemitische Verschwörungstheorie auf besondere Weise aufeinander. Neben leichter Lektüre über den James-Bond-Film „Spectre“, einem Interview mit Heinz-Christian Strache und einer Reportage über die Dating-App „Tinder“ findet sich ein anonym verfasster Artikel mit dem Titel „Der Zynismus des Zionismus“.
In vermeintlich investigativ-journalistischer Manier wird zu Beginn des Textes „aufgedeckt“, dass die Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen von einer „Schweizer Aktiengesellschaft“ betrieben wird. Am Ende einer langen Kette an Beteiligungsverhältnissen würde die Barclays-Bank stehen, die wiederum – man ahnt es schon – „von der Bankier-Familie Rothschild maßgeblich beeinflusst wird.“ Doch der journalistischen Sorgfaltspflicht wäre nicht genüge getan, würde nicht nach den Hintergründen für die Beteiligung der Rothschilds in Traiskirchen gefragt. Profitinteressen als Motiv seien eine „oberflächliche Erklärung.“ Den Rothschilds gehe es vielmehr um Macht. „Sie sind Profis darin, Konflikte zu schüren und diese geopolitisch zu steuern.“ Internationale Flüchtlingsbewegungen würden von der Familie Rothschild orchestriert werden und zwar nicht nur heutzutage, sondern auch schon 1933.
An dieser Stelle beginnt sich der Geschichtsrevisionismus von „Alles roger?“ zu entfalten. So habe die Familie Rothschild sich in den 1920er Jahren als Unterstützerin und Finanzier des Zionismus erwiesen. Im Nahen Osten sollte mithilfe jüdischer Emigranten und Emigrantinnen aus Europa ein neuer Staat entstehen. Laut „Alles roger?“ habe sich bald gezeigt, dass die Bereitschaft vieler Juden und Jüdinnen, einen neuen Staat aufzubauen, nicht den zionistischen Vorstellungen entsprach. „Ein Scheitern war für den Zionismus jedoch nicht vorgesehen. Um der Bewegung zu ihrem großen Erfolg zu verhelfen, musste eine langfristige Bedrohung des Judentums in ganz Europa her.“ Besagte Bedrohung, die demnach erst von außen geschaffen werden musste, sollte in einem „aufgeklärten Land“ in Europa entstehen – in Deutschland. Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sei demnach bewusst von Zionisten wie den Rothschilds eingefädelt worden, um die europäischen Juden und Jüdinnen zur Ausreise in den Nahen Osten zu zwingen. Der verschwörerische Plan der Rothschilds ging auf, ist man sich bei „Alles roger?“ sicher. Denn „viele Menschen auch nichtjüdischer Herkunft, wurden infolge des nationalsozialistischen Rassismus zu Befürwortern des Zionismus. Der Holocaust ließ viele Menschen zum Schluss kommen, Juden müssten einen eigenen Staat haben.“ Den Jüdinnen und Juden wäre schließlich keine andere Wahl geblieben, als, entsprechend der Wünsche der Rothschilds, den heutigen Staat Israel aufzubauen. Doch nicht nur die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sei auf die Rothschilds zurückzuführen, sondern auch die restriktive Flüchtlingspolitik vieler Staaten wie etwa Frankreichs, Neuseelands, Kanadas, Australiens und der USA. „Den deutschen Juden blieben wenig andere Optionen, als ins heutige Israel zu flüchten, so wie der Zionismus sich das vorgestellt hatte.“
Nach dieser Tirade an antisemitischer Geschichtsfälschung stellt der oder die anonyme Autor/in in fast schon zynischer Anmaßung fest: „Autoren, die sich negativ über die Rothschilds äußern, werden oft und gerne als ‚Antisemiten‘ verleumdet.“ Dass die Zuweisung der Schuld am Holocaust an die jüdische Familien Rothschild antisemitisch ist, stößt bei „alles roger?“-Autor/innen anscheinend auf vollkommenes Unverständnis. So wird etwa in einem Artikel mit dem selbstbemitleidenden Titel „Warum alles roger? so bekämpft wird“ festgestellt: „Besonders gerne wird gegen alternative Medien die Nazi-Keule geschwungen. In unserem Fall deshalb, weil wir uns erlaubten, die Familie Rothschild zu kritisieren und nach Hintergründen der Asylanteninvasion zu fragen.“ (05/2017, S. 51)
Finanziert werden solch hetzerische Geistesblitze unter anderem durch Inserate der Regierungspartei FPÖ und Ministerien der FPÖ (alleine in den Ausgaben 01/2018 bis 06/2018 finden sich vier Inserate der FPÖ und zwei von freiheitlichen Ministerien). Aber auch die ÖVP in der Person von Johanna Mikl-Leitner hat zumindestens einmal in der Zeitschrift eine Werbeanzeige geschalten. (01/2018)
Fehlende Berührungsängste mit der offenkundig antisemitischen wie rassistischen Zeitschrift zeigen sich jedoch auch darin, dass Politiker und Politikerinnen immer wieder dem Blatt für Interviews zur Verfügung stehen. So findet man in dem Weltverschwörungsblatt etwa Interviews mit Herbert Kickl (05/2018), Marlene Svazek (04/2018), Norbert Hofer (03/2018), Dominik Nepp (02/2018), Udo Landbauer (01/2018), Heinz-Christian Strache (11/2017), Ursula Stenzel (02/2017), Johanna Mikl-Leitner (06/2017), Werner Amon (04/2017) und Erwin Pröll (Ausgabe 04/2015).
Das besonders hetzerische Potenzial und die damit einhergehende gesellschaftliche Fanatisierungsgefahr von „Alles roger?“ besteht nicht zuletzt drin, dass harmlose Lifestyle-Artikel wie „Robben-Babys auf Helgoland“ (01/2018) oder „Tiergarten Schönbrunn: Warum Tiere Schneemänner lieben“ (12/2017) neben rassistischen und antisemitischen Verschwörungsphantasien abgedruckt werden. Ein genauerer Blick auf die Zeitschrift zeigt, dass sie nicht nur „tendeziell antisemitisch“ ist, sondern vielmehr seit den drei Jahren ihres Bestehens gezielt antisemitische Vorurteile bedient und schürt.
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