Einige kurze Notizen zur zurecht vieldiskutierten Presseaussendung von ÖVP-Klubobmann August Wöginger zur SPÖ-Initiative für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts.

Wöginger behauptet in dieser Aussendung bekanntlich, „[d]ie Links-Parteien wollen mittels Masseneinbürgerungen die politischen Mehrheitsverhältnisse im Land ändern“ bzw. „eine potenziell neue Wählerschaft […] generieren, die ihnen in Folge eine parlamentarische Mehrheit sichern soll“.

Zurecht wurde darauf hingewiesen, dass Wöginger sich damit gegen einen (überfälligen) Demokratisierungsschritt mit dem bezeichnenden Argument stellt, er würde der Rechten schaden und dass er im Sinne der von „Identitären“ und aus dem Christchurch-Manifest bekannten „Bevölkerungssaustausch“-Erzählung argumentiert.

Genauer gesagt greift Wöginger den „identitären“ Topos der „ethnischen Wahl“ auf: demnach würden Migrant*innen ihre Wahlentscheidung nicht individuell und nach politischer Überzeugung fällen, sondern im „ethnischen Block“ und allein nach ethno-religiöser bzw. „tribaler“ Interessenlage abstimmen.

Menschen ohne Staatsbürger*innenschaft werden damit gleich in doppelter Weise zu politischen Nicht-Subjekten erklärt. Einerseits durch den Ausschluss vom Wahlrecht und damit der Möglichkeit, eine Gesetzgebung repräsentativ-demokratisch mitzugestalten, der sie unterworfen sind. Zum anderen werden sie als unfähig und/oder unwillig dargestellt, solche Subjektivität zu leben, würde sie ihnen zugestanden werden: im Kontrast zum mit Wertesystem und Weltanschauung ausgestatteten, aufgeklärten autochthonen Bürger erscheinen sie als bloße Stimmmaschinen – in ihrem (Wahl-)Verhalten durch das vermeintlich einheitliche Interesse des ethnischen Kollektivss determiniert.

Diese Gedanken trommelt ein Martin Sellner seit Jahren. Sie finden sich aber etwa auch im Manifest des Terroristen von El Paso (2019, siehe Auszug unten), der sich darin wiederum als Unterstützer des Massenmörders von Christchurch bekennt (Näheres dazu beim DÖW).


Fixer Bestandteil des Sellnerschen Narrativs von der „ethnischen Wahl“ ist darüber hinaus die Behauptung, dass Demokratie überhaupt nur unter den Bedingungen ethnischer Homogenität funktionieren könne – bzw., im Umkehrschluss, ethnische Vielfalt die Demokratie unterminiere. Zumindest dorthin ist Wöginger Sellner – noch? – nicht gefolgt.

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Gastbeitrag von Daniel Herzog

Wie bereits im Mai berichtet, bedient die Monatszeitschrift „Alles roger?“ antisemitische Stereotypen, indem sie George Soros zum einen als „Heuschreckenspekulanten“ (03/2017, S. 22) bezeichnet und zum anderen ihn als „Liebkind mächtiger Kreise wie der Rothschilds“ (05/2018, S. 9) darstellt. Die Familie Rothschild dient der Zeitschrift dabei als antisemitische Projektionsfläche, die es ermöglicht, eine jüdische Weltverschwörung zu insinuieren, ohne dabei umgehend als offen antisemitisch entlarvt zu werden.

George Soros‘ vermeintliche Verbindung zu den ominös-allmächtigen Rothschilds dient dabei nur als Aperitif für einen zumindestens strukturellen Antisemitismus, der sich zu einem Gebilde von Verschwörungstheorien verhärtet. Der vermeintlich von den Rothschilds gesteuerte „Mega-Spekulant“ (05/2018, S. 8) Soros wird in weiterer Folge als „Leiter der Masseneinwanderung“ (09/2017 S. 12) bezeichnet und Verbindungen zu Christian Kern und Sebastian Kurz (09/2017, S. 12 / 04/2017, S. 33) werden unterstellt.
In anderen Fällen muss George Soros nicht als antisemitisches Verbindungsglied herhalten, sondern es werden direkte Verbindungen zwischen Rothschilds und politischen Entscheidungsträgern hergestellt. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird etwa als „Rothschild-Agent“ (06/2017, S. 12) bezeichnet und unmissverständlich festgestellt: „Hinter Macron steht die Familie Rothschild.“ (12/2017, S. 36)

Das Weltverschwörungskonstrukt von „alles roger?“ erschöpft sich jedoch nicht in den Phantasien, dass George Soros, Emmanuel Macron und die „Masseneinwanderung“ von der Familie Rothschild gesteuert werden. Bereits in den frühesten Ausgaben finden sich Artikel wie „Veranstalten die Rothschilds okkulte Zeremonien?“ (Ausgabe #4) und „Zerstören die Rothschilds Afrika?“ (Ausgabe #3). Im fünften Heft treffen Geschichtsrevisionismus und antisemitische Verschwörungstheorie auf besondere Weise aufeinander. Neben leichter Lektüre über den James-Bond-Film „Spectre“, einem Interview mit Heinz-Christian Strache und einer Reportage über die Dating-App „Tinder“ findet sich ein anonym verfasster Artikel mit dem Titel „Der Zynismus des Zionismus“.

In vermeintlich investigativ-journalistischer Manier wird zu Beginn des Textes „aufgedeckt“, dass die Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen von einer „Schweizer Aktiengesellschaft“ betrieben wird. Am Ende einer langen Kette an Beteiligungsverhältnissen würde die Barclays-Bank stehen, die wiederum – man ahnt es schon – „von der Bankier-Familie Rothschild maßgeblich beeinflusst wird.“ Doch der journalistischen Sorgfaltspflicht wäre nicht genüge getan, würde nicht nach den Hintergründen für die Beteiligung der Rothschilds in Traiskirchen gefragt. Profitinteressen als Motiv seien eine „oberflächliche Erklärung.“ Den Rothschilds gehe es vielmehr um Macht. „Sie sind Profis darin, Konflikte zu schüren und diese geopolitisch zu steuern.“ Internationale Flüchtlingsbewegungen würden von der Familie Rothschild orchestriert werden und zwar nicht nur heutzutage, sondern auch schon 1933.

An dieser Stelle beginnt sich der Geschichtsrevisionismus von „Alles roger?“ zu entfalten. So habe die Familie Rothschild sich in den 1920er Jahren als Unterstützerin und Finanzier des Zionismus erwiesen. Im Nahen Osten sollte mithilfe jüdischer Emigranten und Emigrantinnen aus Europa ein neuer Staat entstehen. Laut „Alles roger?“ habe sich bald gezeigt, dass die Bereitschaft vieler Juden und Jüdinnen, einen neuen Staat aufzubauen, nicht den zionistischen Vorstellungen entsprach. „Ein Scheitern war für den Zionismus jedoch nicht vorgesehen. Um der Bewegung zu ihrem großen Erfolg zu verhelfen, musste eine langfristige Bedrohung des Judentums in ganz Europa her.“ Besagte Bedrohung, die demnach erst von außen geschaffen werden musste, sollte in einem „aufgeklärten Land“ in Europa entstehen – in Deutschland. Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sei demnach bewusst von Zionisten wie den Rothschilds eingefädelt worden, um die europäischen Juden und Jüdinnen zur Ausreise in den Nahen Osten zu zwingen. Der verschwörerische Plan der Rothschilds ging auf, ist man sich bei „Alles roger?“ sicher. Denn „viele Menschen auch nichtjüdischer Herkunft, wurden infolge des nationalsozialistischen Rassismus zu Befürwortern des Zionismus. Der Holocaust ließ viele Menschen zum Schluss kommen, Juden müssten einen eigenen Staat haben.“ Den Jüdinnen und Juden wäre schließlich keine andere Wahl geblieben, als, entsprechend der Wünsche der Rothschilds, den heutigen Staat Israel aufzubauen. Doch nicht nur die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sei auf die Rothschilds zurückzuführen, sondern auch die restriktive Flüchtlingspolitik vieler Staaten wie etwa Frankreichs, Neuseelands, Kanadas, Australiens und der USA. „Den deutschen Juden blieben wenig andere Optionen, als ins heutige Israel zu flüchten, so wie der Zionismus sich das vorgestellt hatte.“

Nach dieser Tirade an antisemitischer Geschichtsfälschung stellt der oder die anonyme Autor/in in fast schon zynischer Anmaßung fest: „Autoren, die sich negativ über die Rothschilds äußern, werden oft und gerne als ‚Antisemiten‘ verleumdet.“ Dass die Zuweisung der Schuld am Holocaust an die jüdische Familien Rothschild antisemitisch ist, stößt bei „alles roger?“-Autor/innen anscheinend auf vollkommenes Unverständnis. So wird etwa in einem Artikel mit dem selbstbemitleidenden Titel „Warum alles roger? so bekämpft wird“ festgestellt: „Besonders gerne wird gegen alternative Medien die Nazi-Keule geschwungen. In unserem Fall deshalb, weil wir uns erlaubten, die Familie Rothschild zu kritisieren und nach Hintergründen der Asylanteninvasion zu fragen.“ (05/2017, S. 51)

Finanziert werden solch hetzerische Geistesblitze unter anderem durch Inserate der Regierungspartei FPÖ und Ministerien der FPÖ (alleine in den Ausgaben 01/2018 bis 06/2018 finden sich vier Inserate der FPÖ und zwei von freiheitlichen Ministerien). Aber auch die ÖVP in der Person von Johanna Mikl-Leitner hat zumindestens einmal in der Zeitschrift eine Werbeanzeige geschalten. (01/2018)

Fehlende Berührungsängste mit der offenkundig antisemitischen wie rassistischen Zeitschrift zeigen sich jedoch auch darin, dass Politiker und Politikerinnen immer wieder dem Blatt für Interviews zur Verfügung stehen. So findet man in dem Weltverschwörungsblatt etwa Interviews mit Herbert Kickl (05/2018), Marlene Svazek (04/2018), Norbert Hofer (03/2018), Dominik Nepp (02/2018), Udo Landbauer (01/2018), Heinz-Christian Strache (11/2017), Ursula Stenzel (02/2017), Johanna Mikl-Leitner (06/2017), Werner Amon (04/2017) und Erwin Pröll (Ausgabe 04/2015).

Das besonders hetzerische Potenzial und die damit einhergehende gesellschaftliche Fanatisierungsgefahr von „Alles roger?“ besteht nicht zuletzt drin, dass harmlose Lifestyle-Artikel wie „Robben-Babys auf Helgoland“ (01/2018) oder „Tiergarten Schönbrunn: Warum Tiere Schneemänner lieben“ (12/2017) neben rassistischen und antisemitischen Verschwörungsphantasien abgedruckt werden. Ein genauerer Blick auf die Zeitschrift zeigt, dass sie nicht nur „tendeziell antisemitisch“ ist, sondern vielmehr seit den drei Jahren ihres Bestehens gezielt antisemitische Vorurteile bedient und schürt.

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Welchen Stellenwert hat Musik für die neonazistische und extreme Rechte Österreichs heute? Welche Bands sind bedeutend und bestehen Strukturen, die musikalischen Erfolg in Geld für die rechtsextreme Szene umwandeln können?

Bildschirmfoto

Aufgepumpte Muskeln, ein „X“ auf dem Handrücken, Kapuzenpullis und Baseball-Kappen; dazu treibende Beats, melodiöse Refrains zum Mitgröhlen und Texte über Bruderschaft, Reinheit und ‚One family‘. Ganz im Stil der Straight Edge-Hardcore Bands der 1990er Jahre, doch gepaart mit professionellem Videoschnitt und Selbstinszenierung in sozialen Medien: Das sind die Elemente, welche die neue Musik der neonazistischen Szene zunehmend prägen. Während ideologische Versatzstücke oft in den Hintergrund rücken, beteuern die Musiker „anders als die meisten Konsumidioten und Säufer in der Szene“ wirklich hinter der nationalen Sache zu stehen. So stellen es zumindest die Musiker von Terrorsphära, dem österreichischen Exportschlager im Bereich des NS-Hardcore (NS-HC), dar.

Am 15. Oktober 2016 im Schweizer Städtchen Unterwasser: Mehrere tausend Neonazis finden sich in einer Sporthalle ein, um zu neonazistischen Bands wie Frontalkraft oder Stahlgewitter abzufeiern. Medien vermelden das größte Nazi-Konzert der letzten Jahre. Aufgrund der Menge der Besucher_innen, die Behörden sprechen von rund 5000 Menschen, greift die sichtlich überrumpelte Polizei nicht ein. Im Laufe des Abends werden massig rechte Arme zum Hitlergruß erhoben, darunter befinden sich nicht gerade wenige Neonazis aus Österreich. Kein Wunder: Die Grenze ist nur zehn Kilometer von der Sporthalle entfernt. In Feldkirch ist man mit dem Auto in einer halben Stunde.

Blood & Honour

Das Konzert in Unterwasser ist ein Beispiel dafür, wie die extreme Rechte Musik nutzt, um neue Anhänger_innen und Aktivist_innen für ihre Ziele zu begeistern. Zu Demonstrationen aus demselben Lager kommen in der Regel weit weniger Menschen. Musik ist schon lange ein Mittel, um Menschen für politische Ziele zu mobilisieren. Der Welser Journalist Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich seit Langem mit der extremen Rechten, ihrer Musik und ihren Proponent_innen:

„Im jugend- und subkulturellen Bereich hat Musik generell einen zentralen Stellenwert, nicht nur in der extremen Rechten. Musik ist perfekt zum Unterstreichen von Emotionen, egal ob von Liebe, Wut oder Hass, das ist ihr Geheimnis. Damit trägt Musik wesentlich dazu bei, welchem Lifestyle man sich anschließt.“

Zudem sind Konzerte mit tausenden Besucher_innen wirtschaftlich überaus ertragreich. Bei großen Konzerten konnten die Organisator_innen Schätzungen zufolge über hunderttausend Euro Gewinn einfahren.[1]

Als 1982 die EP „White Power“ der britischen Band Screwdriver erschien, war das „ein Schlag in die Fresse des Musik Establishments“, erinnert sich ein Aktivist von damals im Buch „White Noise: Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour – Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene“. Ein Schlag in die Fresse – nicht nur wegen der Verherrlichung rassistischer Gewalt in den Texten der Band, sondern auch, weil sich die Szene mit der Gründung eines eigenen Labels für ‚RAC – Rock against Communism‘ von der Musikindustrie unabhängig machte und so erst zu einem wirtschaftlichen Faktor im damals noch übersichtlichen Musikbusiness aufsteigen konnte. RAC war ab sofort ein Synonym für offenen Rassismus und Antisemitismus in der Rockmusik und steht bis heute weniger für musikalische Qualität, dafür umso mehr für den Ausdruck von Menschenfeindlichkeit mit E-Gitarren und Drums. Screwdriver, und vielmehr noch ihr 1993 zu Tode gekommener Leadsänger Ian Stuart Donaldson standen an der Spitze des Netzwerks Blood & Honour, eines in Großbritannien gegründeten neonazistischen Zusammenschlusses. Dessen Funktion bestand darin, Konzerte für Naziskins zu organisieren und mit dem dadurch erwirtschafteten Geld die Bewegung und ihre Aktionen zu finanzieren. Mit Combat18 hat Blood & Honour zugleich einen bewaffneten Arm. C18, die Zahlen stehen für die Initialien Adolf Hitlers, zeichnet verantwortlich für zahlreiche Anschläge auf politische Gegner_innen, Migrant_innen und Journalist_innen in ganz Europa. C18 verfolgt eine Organisierung nach dem Prinzip des „führunglosen Widerstands“, wie etwa der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und ist auch in Deutschland aktiv.[2]

Bis heute reicht das Blood & Honour-Netzwerk in viele europäische Länder, auch nach Österreich, wo es unter seinem an den Hitlerjugend-Slogan „Blut und Ehre“ angelehnten Namen insbesondere Ende der 1990er Jahre sehr umtriebig war. Die aktivsten „Sektionen“ des Netzwerks befanden sich in Vorarlberg, begünstigt durch die unmittelbare Nähe zur Schweiz und Süddeutschland, und in Wien. Trauriger Höhepunkt der Karriere der Neonaziorganisation war ein Skinhead-Konzert im Oktober 2002 in Hohenems mit rund 1000 Besucher_innen. Nach internen Streitigkeiten und polizeilicher Repression gingen die Aktivitäten von Blood & Honour in Österreich in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zurück, in Ostösterreich erreichten sie schon vor Jahren den Nullpunkt.

Erst 2016 war nach einer längeren Pause wieder von einem kleinen Konzert aus dem Blood & HonourUmfeld in Vorarlberg zu hören: Ein Auftritt einer ungarischen Naziband wurde wegen des Verbots im deutschen Thüringen an einen bisher unbekannten Ort im Ländle verlegt.[3]

Zuletzt machte Blood & Honour Vorarlberg von sich reden, als im Mai 2016 Gregor S. in Nenzing nahe Bludenz bei einem Amoklauf zwei Menschen erschoss und eine große Anzahl weiterer Besucher_innen eines Rockerfestes schwer verletzte. Der schießwütige Mann nahm sich im Anschluss selbst das Leben. Über das Motiv des Amoklaufs ist wenig bekannt, es wird ein Beziehungsstreit kolportiert. Klar ist jedenfalls, dass Gregor S. jahrelang im Umfeld der lokalen Blood & Honour Gruppe war. Außerdem soll er sich an gewalttätigen Aktionen gegen Linke und Andersdenkende beteiligt haben.[4]

Laut Beobachter_innen der Szene sind die österreichischen Nazis aber schon seit längerer Zeit in der Defensive: „Generell waren die österreichischen Bands zahlenmäßig wenige und, mit wenigen Ausnahmen nicht sehr bedeutungsvoll in der internationalen rechtsextremen Szene“, so der Rechtsextremismus-Experte Rammerstorfer. „Die österreichische Szene war immer schon konsumorientiert und wird vor allem vom deutschen Markt völlig dominiert.“

Terrorsphära Konzertflyer2.jpg

 

NS-Hardcore made in Osttirol

Dem dürften die Mitglieder der Osttiroler Metalcore-Band Terrorsphära widersprechen. Die Band avancierte in den letzten zwei Jahren zum Exportschlager, oder zumindest zur einzig aktiven neonazistischen Rockband Österreichs, wobei lediglich ein Teil der Musiker tatsächlich in Osttirol leben. Die Mitglieder von Terrorsphära rekrutieren sich u.a. aus vorbestraften Neonazis aus Sachsen in Deutschland. Die Band rühmt sich bester Kontakte nach Russland und tritt immer wieder auf konspirativ organisierten Konzerten in Deutschland und dem nahen Ausland auf.[5] Erst im Dezember 2017 bestritt die Neonaziband ein Konzert in Portugal. Besonders stolz aber sind die HC-Nazis auf ein 2010 in Osttirol öffentlich beworbenes Nazi-Hardcore-Konzert, das aus dem Umfeld der Band organisiert wurde.[6]

Dem Mainstream im aktuellen Neonazismus folgend, sind auch Terrorsphära gegen den sog. „Bruderkrieg“ innerhalb der internationalen extremen Rechten. Vielmehr befürworten sie eine Vernetzung nationalistischer Gruppierungen, auch außerhalb Europas. Der gemeinsame Nenner österreichischer, polnischer, wie auch russischer Nazis ist heutzutage „white power“.[7]

Anders als die aus der herkömmlichen Rock against Communism-Szene kommenden Nazis sieht sich die Band Terrorsphära als drogenfrei und dem Sport verpflichtet. Bergsteigen, Kraft- und Kampfsport sollen die imaginierten „Krieger für das Volk“ fit halten. So beschwören die Nazis in heroisch-machistischer Pose die eigene Fitness: „Stärke durch Disziplin!“. Textlich arbeitet sich Terrorsphära vor allem an Feindbildern ab: Drogen, Alkohol, Flüchtlinge und Antifa.

„’Refugees welcome‘, dafür kämpft ihr unverhohlen, doch wie sieht es aus,
wenn ‚Refugees‘ in euren Häusern wohnen?! (…)
Euer ‚Kampf‘ gegen uns dient einzig und allein dem Völkerfeind,
der euren Geist verpestet und durch euch am Leben bleibt,
weil ihr sein Symbol tragt und „still loving Volkstod“ schreit! (…)
Doch auch ihr wollt unsre Freiheit, hört heimlich unsre CDs.
Habt ihr die Schnauze voll von Antifa und diesem Dreckssystem?“

Die überhöhte Männlichkeit der Bandmitglieder strotzt nur so vor Pathos und Selbstverliebtheit. Nicht gerade zufällig promotet die Band die Nazi-Bekleidungsmarke Greifvogel Wear[8], für die sie u.a. über die sozialen Medien werben. Greifvogel Wear ist eine rechtsextreme Lifestyle-Marke, die nicht unbeträchtliche Summen abwerfen dürfte. Beim sportlichen „T-Hemden Versand“ der Nazis heißt es nämlich: „Wehrhaftigkeit ist die Pflicht eines jeden einzelnen von uns und euch, die Ihr euch anschickt, einst das germanische Sparta zu errichten.“ Mit dem erwirtschafteten Geld finanziert die Bekleidungsmarke das jährliche Neonazi-Kampfsport-Spektakel ‚Kampf der Nibelungen‘[9], das zuletzt letzten Herbst konspirativ organisiert in Deutschland abgehalten wurde und bei dem in der Vergangenheit auch Mitglieder von Terrorsphära angetreten waren. Zuletzt lassen die HC-Nazis mit ihrer personellen und geschäftlichen Nähe zum rechtsextremen Musiklabel OPOS Records aus Lindenau bei Leipzig keinen Zweifel an ihrer Eingebundenheit in rechtsextreme Kreise.

Rechte Geschäfte

Anders als in Österreich floriert in Deutschland, ebenso wie in Russland und den USA, das Geschäft mit der rechtsextremen Subkultur. CDs, bedruckte Bekleidung sowie politisches Propagandamaterial bringen den Händler_innen Millionenbeträge ein[10]. In Österreich gibt es im Rockbereich keine nennenswerten Strukturen wie Labels oder Konzertagenturen, die das Nazivolk bedienen würden. Auch was Rock-Konzerte jenseits der Südtiroler Rechtsaußenrocker von Frei.wild[11] angeht, ist hier wenig zu holen für Rechtsextreme, so Thomas Rammerstorfer:

„Die heimische Nazi-Szene organisiert kaum eigene Konzerte, allein aus dem Grund, weil man von überall in Österreich relativ schnell ins Ausland kommt und in Ungarn, der Schweiz und in Deutschland relativ viele Konzerte stattfinden. Demzufolge sind heimische Nazis auch im Konzertbereich eher konsumorientiert.“

Österreichische Rechtsextremisten waren letzten Sommer auch in Thüringen anzutreffen. Das wohl größte neonazistische Musikevent der letzten Jahre in Deutschland fand im vergangenen Juli in Themar/Thüringen statt und lockte 6000 Besucher_innen an.[12] An der neonazistischen Ausrichtung des Events besteht kein Zweifel. Nicht nur aufgrund der T-Shirt-Aufdrucke Teilnehmender, die neben „HKNKRZ“ und „Adolf war der beste“ auch Stilblüten wie den Pärchenaufdruck „Adolf“ und „Eva“ (in Anlehnung an Adolf Hilter und seiner Lebensgefährtin Eva Braun) präsentierten. Bands und Veranstalter_innen sind eindeutig dem neonazistischen Milieu zuzuordnen und das Publikum tat sein übriges dazu, als vor den Augen der Polizei unzählige Besucher_innen den rechten Arm zum Gruß erhoben. Wenig verwunderlich, dass auch Nazis aus dem Umfeld von Terrorsphära anwesend waren, genauso wie bekannte Aktivisten aus den Zusammenhängen von Blood & Honour Vorarlberg.[13]

NSBM: Neonazismus im schwarzen Gewand

Die modernen Hardcore-Nazis von heute haben zwar personelle Überschneidungen mit einer ähnlich gesinnten, aber ansonsten komplett anders ausgerichteten Form der vertonten Menschenverachtung: Dem National Socialist Black Metal (NSBM). Der NSBM ist eine neonazistische Strömung im Black Metal, eine eigentlich durch den Satanismus gekennzeichnete Form des extremen Metal. Schrille Stimmen, rumpelnde Drums und verzerrte Gitarren besingen den Tod und dessen Meister. Etwas anders gestaltet es sich im NSBM: Neben Naturmystizismus und Gewaltverherrlichung orientiert man sich an unterschiedlichsten Auslegungen des Neonazismus; mal in Form eines Blut-und-Boden-Heidentums, ein andermal in der Huldigung deutscher Wehrmachtssoldaten. Auch im Sektor NSBM ist Österreich glücklicherweise kein Land mit breitem Angebot oder Vertriebsstrukturen. Es gibt aber eine Handvoll Projekte, die zumindest hinter vorgehaltener Hand den Ewiggestrigen huldigen und internationale Bekanntheit erlangten.

Eines der explizitesten ist das Ein-Mann-Projekt von Vedran M., der unter dem Bandnamen Totale Vernichtung Black Metal produziert. Songtitel wie „Alle Wege führen nach Auschwitz“, „Beseitigung von lebensunwertem Leben“ oder „Massenmord an Untermenschen“ lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Urheber ist der Wiener M., der alle Instrumente selbst einspielt und unter dem Pseudonym „Der Stacheldrahtzieher“ auftritt. Die Werbung für seine CD, welche bei einem deutschen Neonazi-Label veröffentlicht wurde, titelt mit dem Spruch „Der Stacheldrahtzieher ist wieder da!“. Untermalt wird dies mit einem Bild vom Stacheldrahtzaun eines Konzentrationslagers.[14] M.s Anbindung an das rechtsextreme Milieu besteht auch durch sein zweites Musikprojekt Rostorchester, das er mit dem Schweizer Neonazi Sven B. betreibt. Letzterer macht aus seiner Gesinnung kein Hehl.

Doch auch die Texte des Projekts Totale Vernichtung lassen nicht zweifeln, wie der Verfasser tickt. Im Lied „Ein Blitz kommt selten allein“, eine Anspielung auf den Doppelblitz, das stilisierte Logo von Hitlers Schutzstaffel (SS), heißt es:

„Ein Blitz kommt selten allein.
Zwei sollten es wenigstens sein. (…)
Wie ein Blitz kommt auch ein Blitzkrieg selten allein.
Alle umliegenden Länder werden Teil des Reiches sein.“

Vedran M. wünscht sich offensichtlich Großdeutschland zurück. An Geschmacklosigkeit nicht zu übertreffen ist aber sein Text von „Das blaue Wunder“:

„Blauer Dunst wurde euch vorgemacht,
und blauen Dunst werdet ihr nun bekommen.
Das Blaue vom Himmel wurde euch versprochen
und wird nun von euch aufgenommen.
Ein Element von solcher Macht, kann nur ein Wunder sein.
Fühlt euch geehrt: Wir sperren euch mit diesem Wunder ein.“

Es ist wenig Interpretation von Nöten, um M.s verklausulierte Huldigung der nationalsozialistischen Vergasungen mit Zyklon B zu durchblicken. Das ‚zivile‘ Musikprojekt des Neonazis-Metallers trägt im übrigen den klingenden Namen Angelcunt und ist in der heimischen Metalszene nicht ganz unbekannt.

Screenshot Youtube Hot Shower Fest Band GOATMOON
Hot Shower Festival

Mit der Konzertkultur steht es für rechtsextreme Black Metal-Fans hierzulande, ebenso wie im Bereich NS-Hardcore, schlecht: Einzig im angrenzenden oder ferneren Ausland können sich Fans des neonazistischen Schwarzmetals ihrer Bands auf der Bühne erfreuen. Jährlich strömen fast 1000 rechte Metaller_innen nach Mailand, um beim „Hot Shower Festival“ dabei zu sein, ein neonazistisches Festival, das alljährlich die Stars des NSBM aufspielen lässt. Ähnliches spielt sich seit zwei Jahren in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Dass Besucher_innen dieser Veranstaltungen „endlich mal ordentlich abhitlern“ können, schreiben begeisterte User_innen in einschlägigen Foren. Nachdem der Hitlergruß hierzulande große rechtliche Probleme für Nazis nach sich ziehen kann, sind selbstverständlich auch NS-Metaller_innen aus Österreich bereit, eine Reise nach Kiew oder eben Mailand anzutreten. Das Hot Shower Festival, ausgerichtet in Kooperation von deutschen und italienischen Neonazis, zeichnet sich besonders durch seine ironische und menschenverachtende Bewerbung aus. Während der Titel des Festivals noch Zweifel am politischen Gehalt lässt, so verdeutlicht die Symbolik auf dem Merchandise-Material sehr klar die Gesinnung der Organisator_innen und Teilnehmenden: Dort wird Mussolini und dem Ku-Klux-Klan gehuldigt. Schnell wird offensichtlich, worauf der Name Hot Shower anzuspielen versucht: wieder sind es die mörderischen Gaskammern des Nationalsozialismus.

Egal ob NS-Hardcore oder neonazistischer Black Metal: Musik ist nur ein weiteres Vehikel der extremen Rechten, um für ihre Themen zu mobilisieren. Sie versucht, ihre menschenfeindliche Gesinnung (mehr oder weniger) verklausuliert unter die Menschen zu bringen, unter die Musikliebhaber_innen und alle anderen. Wie so oft kommt es einzig auf eine kritische Öffentlichkeit an, dem rechten Treiben ein Ende zu setzen. Dafür müssen aber rechtsextreme Codes erkannt und benannt werden.[15]

Derzeit ist die neonazistische Subkultur in Österreich trotz gegenteiliger Beispiele eindeutig in der Defensive, öffentliche Konzerte sind kaum denkbar. Sorgen wir dafür, dass dies so bleibt!

Zum Weiterlesen

 

Anmerkungen

[1] https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2017/07/26/neonazi-konzert-mit-6-000-besuchern-am-15-juni-in-themar-auswertung-gelder-strukturen-und-der-umgang-der-behoerden

[2] http://www.tagesschau.de/inland/combat-103.html

[3] www.stopptdierechten.at/2016/03/21/vorarlberg-neonazis-formieren-sich-wieder

[4] www.stopptdierechten.at/2016/05/23/nenzing-vlbg-der-amoklauf-eines-neonazi

[5] https://exif-recherche.org/?p=1919

[6]http://oireszene.blogsport.de/2010/06/11/ns-hardcore-jetzt-auch-in-oesterreich

[7] http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/253972/die-neonazistische-musik-szene-transnational-wie-nie?pk_campaign=nl2017-09-06&pk_kwd=253972

[8] http://oireszene.blogsport.de/2014/07/29/greifvogel-wear-rechte-bekleidungsmarke-aus-dresden

[9] http://www.fussball-gegen-nazis.de/artikel/kampf-der-nibelungen-eine-sportveranstaltung-von-und-f%C3%BCr-neonazis-11267

[10] http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/185061/rechtsrock-millionen-mit-hass

[11] https://www.stopptdierechten.at/2013/04/05/die-kohle-hinter-frei-wild

[12] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-07/themar-rechtsrock-konzert-thueringen-neonazis

[13] http://recherchewien.nordost.mobi/2017/07/oesterreichische-beteiligung-am-neonazi-konzert-in-themar

[14] http://www.profil.at/home/black-metal-rechtsextreme-rockmusik-oesterreich-346200

[15] http://www.mobile-beratung-nrw.de/attachments/article/255/Rechts-oder-was_2016-web-1.pdf

 

 

Bei allen Kontinuitäten ist der deutsch-österreichische Rechtsextremismus weit davon entfernt, ein statisches Phänomen zu sein. Vielmehr wird er dauernd an die hegemonialen Bedingungen angepasst – jedoch ohne dass dabei sein ideologischer Kern, das antiliberal-völkische Primat, aufgeweicht werden würde. Auf die wachsende Ablehnung, das Scheitern bei Wahlen und – in manchen Ländern – die behördlichen Verbote neonazistischer Artikulationsformen reagierten extreme Rechte in Westeuropa ab den 1960er Jahren mit Distanzierungen gegenüber ihren Vorläufern. Diese, zuerst in Frankreich einsetzenden, Versuche von „Gegen-Intellektuellen“ (Hauke Brunkhorst), faschistisches Gedankengut „von Hitler zu befreien“ (Margret Feit), werden gemeinhin als neurechts bezeichnet. Gegen die unkritische und vorschnelle Übernahme dieser Selbstbezeichnung wandte schon der Klagenfurter Historiker Willibald Holzer ein, dass sich so „manche vorschnell als solche entdeckte programmatische Innovation moderner Gruppierungen […] sehr rasch als oft nur geringfügig modifizierte Aktualisierung faschistischer oder vorfaschistischer Ausprägungen rechtsextremer Ideologie [erweist]“. Tatsächlich sieht die so genannte Neue Rechte sehr alt aus, wenn man ihre Positionen einer genaueren Analyse unterzieht. Gerade in Österreich handelt es sich bei dieser Selbstbezeichnung von Rechtsextremen um einen Begriff, der mehr für neue Strategien und Formen als für neue Inhalte steht. Dies gilt auch für die Abgrenzung vom Neonazismus, die eben nicht umgehend als Ausdruck demokratischer Gesinnung zu gelten hätte, zumal sie doch zumeist strategisch und bloß durch Differenzen hinsichtlich der politischen Strategie (Metapolitik statt Systemüberwindung) und der Zielgruppe (intellektuelle Eliten statt kleine Leute) motiviert ist. Wer demgegenüber etwa wie im Falle der 2012 auf der Bildfläche erscheinenden Identitären unkritisch von Neuen Rechten spricht, geht den Rechtsextremen ein Stück weit auf den Leim.

Schon das erste Auftauchen des Labels Neue Rechte in Österreich verweist auf seine zentrale Funktion – die Verharmlosung. Es waren nämlich militante Neonazis, die sich Anfang der 1970er Jahre als Aktion Neue Rechte (ANR) an den Universitäten zusammenfanden und Terror verbreiteten. In den späten 1980er Jahren begann dann der von Burschenschaftern dominierte Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), die gegenintellektuellen Wortführer der deutschen Neuen Rechten an die Universität Wien einzuladen. Dass es sich dabei neuerlich um bloßen Etikettenschwindel handelte, wurde schon an der Tatsache deutlich, dass der Saalschutz bei diesen Vorträgen von Neonazis verstärkt wurde. Auch Gottfried Küssel, schon damals der ranghöchste österreichische Neonazi, holte sich 1988 beim Versuch, einen Vortrag von Pierre Krebs gegen antifaschistische Proteste abzuschirmen, blutige Schrammen.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das österreichische Verbotsgesetz verschärft, dementsprechend waren Neonazis nun verstärkt dazu angehalten, ihre Propaganda zu modifizieren und vorsichtiger zu agieren. Diejenigen unter ihnen, die Matura oder gar ein Studium vorweisen konnten, versuchten dies auch in Form einer Intellektualisierung. Bei der Suche nach möglichst unverdächtigen Stichwortgebern stießen sie, mehrheitlich deutsch-völkische Korporierte, schnell auf die konservativ-revolutionären Konkurrenzfaschisten wie Arthur Möller van den Bruck und deren neurechte Adepten. Unter Rechtsextremen wirkte daneben der Knick im Aufstieg der FPÖ und Jörg Haiders, der sich dazu verstiegen hatte, öffentlich die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ der Nazis zu loben, begünstigend für die partielle Übernahme neurechter Politikkonzepte. Es war vor allem der damalige FPÖ-Chefideologe Andreas Mölzer, der nach Haiders erzwungenem Rücktritt als Kärntner Landeshauptmann 1991 und den ersten FPÖ-Niederlagen sich und seinen Kameraden ein Umschwenken auf die „Metapolitik“ und den der politischen Machtübernahme vorausgehenden Kampf um die kulturelle Hegemonie verschrieb. Das Burschenschafter-Zentralorgan Die Aula begann sich nun mit neurechten Autoren wie Alain de Benoist zu füllen. Und im Aula-Verlag erschien Anfang der 1990er Jahre die wohl einzige rechtsextreme Zeitschrift, die das Etikett neurechts nicht nur zur Camouflage trug: Identität. Es war maßgeblich Jürgen Hatzenbichler, der damals über diese Zeitschrift neurechte Theorien aus Frankreich importierte und für das völkisch-korporierte FPÖ-Vorfeld publizistisch aufbereitete. Der pennale Burschenschafter musste sich aber schon Mitte der 1990er Jahre sein Scheitern eingestehen: Nach jahrelanger vergeblicher Missionierungstätigkeit beklagte er resignierend, dass die „Positionen der Alten Rechten […] leider auch im Bereich der Korporationen vielfach noch heruntergeleiert werden.“ Tatsächlich war der alte oder herkömmliche (parteiförmige) Rechtsextremismus längerfristig in Österreich zu erfolgreich, als dass er des metapolitischen Kampfes um die kulturelle Hegemonie bedürfte. Es fehlt hierzulande also ein zentrales Gründungsmoment der Neuen Rechten – die ideologische Vorherrschaft der Linken und Liberalen. Da konnten Rechtsextreme eine links-liberale Hegemonie in Österreich noch so oft behaupten, angesichts der diesen Behauptungen widersprechenden Realität verloren neurechte oder metapolitische Konzeptionen im korporierten Umfeld der FPÖ rasch wieder an Attraktivität.

Dass es dennoch auch in Österreich mit der Gründung der Identitären zu einem neuerlichen Aufflackern neurechter Politikkonzeptionen gekommen ist, scheint mehr der zunehmenden europäischen Vernetzung extremer Rechter als den konkreten hegemonialen Verhältnissen im Land geschuldet zu sein. Vor allem sind der erhöhte Repressionsdruck auf die neonazistische Szene seit Anfang 2011 (Zerschlagung der Alpen-Donau-Gruppe rund um Gottfried Küssel) und massive Rekrutierungsschwierigkeiten vieler deutsch-völkischer Studentenverbindungen als Gründungsmotive auszumachen. Schließlich decken die auf außerparlamentarischen Aktionismus und popkulturelle Inszenierungen spezialisierten Identitären im Gegensatz zum biederen Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) eine gestiegene Nachfrage von Seiten erlebnisorientierter junger Männer ab. Was so mancher Alte Herr als Anpassung an den linken Zeitgeist und die amerikanisierte Massenkultur verdammen mag, ist in Wahrheit eine notwendige Voraussetzung für die Hegemoniefähigkeit unter Jugendlichen.

Im Frühjahr 2012 etablierte der Olympia-Burschenschafter Alexander Markovics mit ein paar Waffenbrüdern eine Wiener Identitäre Richtung als Gegen-Intellektuellen-Zirkel oder Debattierklub, der einen Brückenschlag zum Rechtskonservativismus versuchte. Der nach deutschem Vorbild gestartete Versuch, Teile des politischen Konservativismus zu radikalisieren, kann aber schon als gescheitert gesehen werden: Zu offensichtlich ist die Herkunft eines Großteils der Identitären aus dem Neonazi-Milieu, auf welche sogar der heimische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht hinweist. Das zielt vor allem auf jene Gruppe, die sich um Martin Sellner (ehem. Olympia) im Sommer 2012 bildete und nach dem Vorbild osteuropäischer Neonazis mit ihren „Hardbass“-Aktionen Veranstaltungen politischer Gegner_innen störte. Im Februar 2013 vereinten sich diese beiden Gruppen zur Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ) und „besetzten“ gemeinsam die Votivkirche in Wien, um die damals gerade dort stattfindenden Proteste von Flüchtlingen ins Lächerliche zu ziehen.

Im bereits erwähnten VS-Bericht 2014 werden auch die Warnungen der Identitären vor einer angeblichen „Islamisierung“ als „Deckmantel“ entlarvt, unter welchem „auf einer pseudo-intellektuellen Grundlage“ versucht werde, „das eigene rassistisch/nationalistisch geprägte Weltbild zu verschleiern. […] Was sich vordergründig als ‚Kritik’ und jüngst als ‚islamkritisch’ auf der Ebene der Mobilisierung darstellt, trägt in der tatsächlichen Umsetzung oft islam-, asyl- und fremdenfeindliche Züge.“

Tatsächlich ist es nicht mehr als Mimikry, wenn Rechtsextreme heute versuchen, ihren gerne als Ethnopluralismus verharmlosten Rassismus hinter positiver klingenden Formulierungen wie der Erhaltung kultureller Identität zu verstecken. So schimmert schon beim französischen Identitären-Gründervater Fabrice Robert, im Interview mit der Jungen Freiheit (10/2013), hierbei der alte Rassismus durch: „’100 % Identität, 0 % Rassismus’. Aber mit dem territorialen Imperativ, dass ein Boden einem einzelnen Volk gehört.“

Karin Priester wies bereits 2010 darauf hin, dass „Teile des Rechtsextremismus“ nach „dem ethnopluralistischen Modernisierungsschub der 1980er Jahre versuchen […], über die Umpolung des Feindbildes, eine neue, diesmal antiislamische ‚Modernisierungswelle’ einzuleiten.“ Der antimuslimische Rassismus, der sich als Ausfluss kultur-christlichen Superioritätsdenkens jedoch nicht länger ethnopluralistisch verbrämen lässt, dient auch den Identitären vor allem als Vehikel in den Mainstream-Diskurs: Rassistische Inhalte finden leichter und mehr Gehör, wenn sie im kultur-christlichen oder vermeintlich aufgeklärten Gewand daherkommen. Die sich unter anderem in der Sarrazin-Debatte artikulierende Normalität bis Hegemonie des Feindbildes Moslems oder Islam macht dieses zum idealen Instrument, um aus der Extremismus-Ecke zu kommen.

Eine Kontinuität zwischen alten und neuen Rechten stellt der kulturelle Antiamerikanismus dar, eine aktuelle Ausformung des völkischen und über weite Strecken antisemitischen Antiliberalismus. Dieser artikuliert sich aktuell etwa in der Abrechnung der Identitären mit der rechtspopulistischen und liberalen „Islamkritik“. Während es „liberalen Islamkritikern“ um die Verteidigung „westlicher Werte“ gehe, wollen die jungen Völkischen „die gegenwärtige Dekadenz hin zu einem neuen goldenen Zeitalter überwinden“, wie der Grazer Führungskader Patrick Lenart betonte. Im Gegensatz zu den rechtspopulistischen „Islamkritikern“ würden die Identitären „den Islam in seinem angestammten Raum – etwa dem arabischen – als eine fremde Kultur [akzeptieren]“, so Lenart. Als Ursache für das „drohende Ende der europäischen Völker“ wird im programmatischen Text „Wider die liberale Islamkritik“ angegeben, „dass der Liberalismus den Selbsterhaltungstrieb der europäischen Völker derart ausgehebelt hat […]. Eine solche Gesellschaft hat keine Zukunft! Sie degeneriert zwangsläufig und wird dekadent.“ Anstatt von den „Moslems“ zu verlangen, dass sie sich in diese verkommene weil liberal-demokratische Gesellschaft integrieren, wollen die Identitären ihr „Volk wieder bekehren – weg vom Gift des Liberalismus […].“ [1]

Auch die Behauptung einer systematischen Überfremdung oder Umvolkung per Islamisierung und zum Zwecke der leichteren Beherrschbarkeit der in lauter Individuen zerfallenden Gemeinschaft ist fixer Bestandteil antisemitischer Diskurse. Weil die nationale (kulturelle) Identität den (geheimen) Welteinheitsplänen im Weg stehe, werde versucht, das „ethnische Antlitz Europas unwiderruflich“ zu verändern – ein Verschwörungsmythos, der jüngst im Aufdecken vermeintlicher (US-amerikanischer und jüdischer) Hintermänner der Fluchtbewegungen nach Europa fröhliche Urständ im freiheitlichen Milieu feierte. Der Antiamerikanismus schreibt als Zwillingsbruder des Antisemitismus diesen fort. Entsprechend der antisemitischen Figur des jenseits der nationalen Antagonismen stehenden Dritten und alle Identität auflösenden Nicht-Identischen, wird Juden[2] und den von diesen angeblich dominierten USA unterstellt, alle Völker beherrschen zu wollen.

Auch wenn sich weite Teile der extremen Rechten Westeuropas heute als frei von Antisemitismus darstellen und diesen stattdessen nur mehr bei den Moslems sehen wollen, sind sie seinem grundlegenden dichotomischen Muster und seiner verschwörungsmythischen Weltsicht weitgehend treu geblieben. Der antimuslimische Rassismus knüpft gerade in Österreich an antisemitische Traditionen an (vgl. Peham 2010). Dies zeigte sich schon Ende der 1990er Jahre in der freiheitlichen Kampagne gegen das Schächten, mit der antijüdische Blutphantasien fortgeschrieben wurden. Und als die FPÖ 2009 in einem Inserat gegen den angeblich unmittelbar drohenden EU-Beitritt der Türkei und Israels agitierte, bewies sie eindrucksvoll, dass das „christliche Abendland“ immer noch vor Juden und Moslems gleichermaßen beschützt werden muss. Auch die im Verhältnis zur FPÖ arbeitsteilig agierenden Identitären reihen sich ein in die Traditionslinien des völkischen (antiliberalen) Antisemitismus – neu daran ist höchstens die Aufmachung.

Überarbeitete Fassung eines im Rechten Rand 157/2015 erschienenen Textes (https://issuu.com/derrechterand/docs/drr_157).+

Zum Verhältnis der „Identitären“ zu Israel und Antisemitismus siehe hier.

[1]              Beim „Zwischentag“ in Berlin kam es 2012 zum Showdown zwischen rechtspopulistischen Islamfeinden und völkischen Antiwestlern: Der mittlerweile nach Wien zurückgekehrte Identitären-Kader Martin Lichtmesz bestand darauf, „dass die Völker am ‚Liberalismus’ zugrunde gingen und nicht am Islam.“ Womit er in den Augen Michael Stürzenbergers, einem Wortführer angeblich „liberaler Islamkritik“, den Blick frei gegeben hätte „auf eine völkisch-ewiggestrige Weltanschauung, deren geistige Heimat man wohl eher auf dem Nürnberger Zeppelinfeld des vergangenen Jahrhunderts verorten würde.“

[2]               Weil es sich bei den gehassten Objekten um antisemitische Imagines und nicht um reale Jüdinnen und Juden handelt, findet nur die männliche Form Verwendung.

Literatur

Brunkhorst, Hauke: Der Intellektuelle im Land der Mandarine. Frankfurt a. M. 1987

Feit, Margret: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation – Ideologie – Strategie. Frankfurt a. M./New York 1987

Hatzenbichler, Jürgen: Korporation, Tradition und Neue Rechte. In: Mölzer, Andreas (Hg.): Pro Patria. Das deutsche Korporations-Studententum – Randgruppe oder Elite? Graz 1994, S. 251-284.

Holzer, Willibald I.: Rechtsextremismus. Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Stiftung DÖW (Hg.): Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus. Wien 1993, S. 11-96.

Peham, Andreas (2010): Die zwei Seiten des Gemeinschaftsdünkels. Zum antisemitischen Gehalt freiheitlicher Identitätspolitik im Wandel, auf: http://www.gegendenantisemitismus.at/peham_oezp_aktual.pdf

Priester, Karin (2010): Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa?,  http://www.bpb.de/apuz/32423/fliessende-grenzen-zwischen-rechtsextremismus-und-rechtspopulismus-in-europa?p=all

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in an.schläge I / 2016

BEATE ZSCHÄPE wird medial entweder als unbedarftes „Mädel“ oder als personifiziertes Böses inszeniert. Die Soziologin CHARLIE KAUFHOLD erklärt JUDITH GOETZ im Interview, was feminisierte Darstellungen mit deutschen Schuldabwehrstrategien zu tun haben.

an.schläge: Sie haben in Ihrem Buch zwei mediale Darstellungsweisen von Beate Zschäpe herausgearbeitet: einerseits „dämonisierende Feminisierungen“ und andererseits „bagatellisierende Feminisierungen“. Wodurch zeichnen sich diese aus?

Charlie Kaufhold: Im Zuge meiner Recherchen bin ich auf zwei Extreme gestoßen: Einerseits gab es in den Medien eine starke Bagatellisierung der Rolle von Zschäpe. Sie wurde aus der Verantwortung genommen und als unpolitische Mitläuferin dargestellt, als naive Hausfrau und teilweise verkindlicht und viktimisiert, das geschah vor allem durch vergeschlechtlichte Bilder. Ein Beispiel hierzu ist, dass sie als „liebes Mädel“ bezeichnet wurde oder nur für den Haushalt zuständig gewesen sein soll.
Das andere Extrem ist, dass Zschäpe als von der Norm abweichend, absonderlich und als personifiziertes Böses dargestellt wurde. Auch diese Darstellungsweise wurde durch vergeschlechtlichte Bilder gestützt. Ein Beispiel hierzu ist die Titelseite der „Bild“ zum Prozessbeginn: Neben einem großen Foto von Zschäpe prangte die Überschrift „Der Teufel hat sich schick gemacht“.

Unterschiedliche Zeitungen stellten Zschäpe immer wieder als „Täuscherin“ und „Fassadenfrau“ dar. Haben sich die Darstellungsweisen nach Zschäpes Aussage Anfang Dezember verändert?

Zschäpes erste Aussage, die sie im Dezember von ihrem Anwalt verlesen ließ, war wenig überraschend. Sie hat genau die bagatellisierenden Darstellungsweisen reproduziert, die ihr bisher durch die mediale Berichterstattung angetragen wurden. Mit vergeschlechtlichten Bildern von sich als emotional instabiler und abhängiger Frau versuchte sie sich zu entlasten, was übrigens eine auch im NSU-Prozess durchaus gängige Aussagestrategie von weiblichen Neonazis ist. Dabei hat sie sich jedoch zu keiner Frage geäußert, die Aufklärung in den NSU-Komplex bringen könnte, keine Details zu den Hintergründen der Morde und der Auswahl der Opfer preisgegeben und bspw. keine_n Neonazi belastet, dessen Beteiligung nicht sowieso schon bekannt war. Erstaunlich fand ich hingegen, dass genau die Medien, die diese bagatellisierenden Bilder zuvor noch produziert hatten, sich nun auch kritisch gegenüber Zschäpes Narrativ äußerten. Trotzdem blieb eine vergeschlechtlichte Darstellung von Zschäpe bestehen, sie wurde weiterhin in Bezug auf ihr Erscheinungsbild und ihre Mimik – z. B. ihr Lächeln – beschrieben, ihre vermeintliche Persönlichkeit und ihr Charakter standen im Vordergrund, keineswegs ihre politische Haltung und Vorgeschichte. Auch wurde im Dezember wiederholt der Kontrast zu der Berichterstattung über Wohlleben deutlich. Dieser wurde durchgehend als politisch überzeugter Neonazi dargestellt. Insoweit würde ich sagen, dass es bestimmte Änderungen in der Berichterstattung gibt, aber dass es weiterhin auch bestimmte Konstanten gibt – den Fokus auf Zschäpes Weiblichkeit.

Sie analysieren in Ihrem Buch außerdem, welche Effekte diese Berichterstattung für die deutsche Dominanzgesellschaft hat …

Mich hatte nicht nur interessiert, welche Bilder produziert wurden und welche Rolle Geschlecht dabei spielte. Daran anknüpfend bin ich auch der Frage nachgegangen, welche Folgen diese vergeschlechtlichte Berichterstattung hat. Was die beiden genannten Darstellungsweisen von Zschäpe angeht, denke ich, dass sie die Möglichkeit bieten, Schuld abzuwehren und mehrheitsgesellschaftliche rassistische Strukturen, innerhalb derer der NSU überhaupt agieren konnte, zu negieren. Das geschieht durch unterschiedliche Mechanismen: Durch die bagatellisierenden Darstellungsweisen können Zschäpe und ihre Taten als irrelevant dargestellt werden. Deshalb muss man sich also auch gar nicht erst damit beschäftigen. Bei den dämonisierenden Darstellungsweisen wird Zschäpe außerhalb des deutschen Kollektivs verortet, sie wird ja als von der Norm abweichend dargestellt. Dadurch muss keine Auseinandersetzung mit ihr und ihren Taten stattfinden, genauso wenig wie mit mehrheitsgesellschaftlichen rassistischen Strukturen – sie wird ja als weit entfernt von der mehrheitsdeutschen Norm dargestellt. Entsprechend wird auch rassistische Gewalt außerhalb des mehrheitsdeutschen Kollektivs angesiedelt.

Inwiefern knüpfen diese Bilder an Vorstellungen von NS-Täterinnen an?

Es gab sowohl vergeschlechtlichte bagatellisierende als auch dämonisierende Darstellungsweisen in der Berichterstattung über angeklagte nationalsozialistische Täterinnen – in der direkten Nachkriegszeit wie auch in späteren Prozessen. In medialen Repräsentationen des Nationalsozialismus, wie bspw. in Filmen wie „Der Untergang“, finden sich die genannten vergeschlechtlichten Darstellungsweisen bis heute, auch in diesen Fällen natürlich verknüpft mit der Möglichkeit der Schuldabwehr.

Wie kommt es zu dieser Schuldabwehr?

Ein Grund ist sicherlich, dass der Nationalsozialismus in Deutschland in keiner auch nur annähernd angemessenen Weise aufgearbeitet wurde. Es gibt Studien zu Folgewirkungen des Nationalsozialismus auf psychosozialer Ebene. Ganz kurz zusammengefasst ist das zentrale Argument, dass die mehrheitsdeutsche Bevölkerung auch emotional stark mit dem nationalsozialistischen System verstrickt war und sich nach 1945 verschiedener Abwehrmechanismen bediente, um sich nicht mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die dadurch entstandene psychosoziale Struktur ist an die nachfolgenden Generationen weitergegeben worden und auch heute noch wirkmächtig.

Und in diesen Zusammenhang steht auch die Berichterstattung über Zschäpe?

Ja, hier findet sich ein möglicher Ansatz, um die vergeschlechtlichte Berichterstattung über Zschäpe zu erklären: Durch die beschriebenen Folgewirkungen des NS gibt es in Deutschland weiterhin die Neigung, Schuld in Zusammenhang mit faschistischen Taten abzuwehren. Genauso wie also durch vergeschlechtlichte Diskurse Schuld nach dem Nationalsozialismus abgewehrt wurde – z. B. in der Berichterstattung über nationalsozialistische Täterinnen – , wird auch heute noch Schuld in Bezug auf rassistische Strukturen abgewehrt. Und das zeigt sich eben auch in der Berichterstattung über Zschäpe.

Gab es auch andere mediale Darstellungen mit anderen Effekten?

Die Berichterstattung hat sich im Laufe der Zeit verändert und es gibt immer wieder auch Artikel, die sich kritisch mit dem Themenkomplex auseinandersetzen und die genannten Darstellungsweisen nicht reproduzieren. Allerdings ist die Berichterstattung insgesamt nach wie vor weit entfernt von einer emanzipatorischen Auseinandersetzung mit Neonazismus und Geschlecht, ganz zu schweigen von einer Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen der Mehrheitsgesellschaft auf ihren verschiedenen Ebenen. Auch das Leid der Angehörigen der Ermordeten und der Überlebenden der Bombenanschläge findet keine angemessene Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ich finde, dass die Kritik über die konkrete Praxis der Berichterstattung hinausgehen muss: Die Strukturen, die eine solche Berichterstattung nahelegen, müssten verändert werden. Eine tiefgreifende Aufarbeitung der NS-Verbrechen und der damit verbundenen Schuld wäre ein Anfang.

Von Charlie Kaufhold ist kürzlich „In guter Gesellschaft? Geschlecht, Schuld und Abwehr in der Berichterstattung über Beate Zschäpe“ in der Reihe Antifaschistische Politik (RAP) der Edition Assemblage erschienen.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschaftlerin sowie Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (www.fipu.at).

Anlässlich der heutigen Aussendung von SOS Mitmensch über die Unterstützung der rechtsextremen AULA durch die FPÖ: ein geraffter Rückblick auf einige Lowlights des vergangenen AULA-Jahrgangs.

Das Zentralorgan der völkischen Verbindungen in Österreich im Besitz der Freiheitlichen Akademikerverbände ist nach wie vor eines der relevantesten publizistischen Foren der extremen Rechten in Österreich. Im Berichtsjahr bot die Grazer Monatszeitschrift das gewohnte Potpourri aus rassistischer Hetze, antisemitischen Verschwörungsphantasien, Verunglimpfung von NS-Opfern und Antifaschist_innen sowie kaum verhohlener NS-Nostalgie. Dargebracht wurde all dies in weiter verschärfter Form, sodass eine Einstufung der Zeitschrift als neonazistisch (statt ’nur‘ rechtsextrem) zumindest diskutabel erscheint. Ergüsse über „die Tatsache, daß es verschiedene Menschenrassen gibt“, über die „bedrohte(n) Europiden“ und die „Abschaffung der Weißen“ (Oktober-Nummer, S. 26f.), über „Rassenmischung – multikulturelle Gesellschaft genannt“ oder „die eurasisch-negroide Umvolkung deutschen Landes und ganz Europas“ (Dezember, S. 32 bzw. S. 17) standen 2015 neben Attacken auf die „egalitäre() Utopie, alle Menschen seien gleich“ (Oktober, S. 26) oder auf den „umtriebigen jüdischen Spekulanten“ George Soros (März, S. 5), der „die Vermischung von Menschenrassen durch die Förderung von Völkerwanderungen“ erstrebe und vermittels der „Rothschild-Herrschaftsmethode“ zusammen mit der restlichen „heimatlose(n) Weltfinanz … die totale Kontrolle über Völker, Staaten und deren Regierungen“ ausübe (ebd., S. 44-46). Den von der AULA affirmativ kolportierten Mythen zufolge steht Israel bzw. der „politische() Zionismus“ hinter dem selbsternannten ‚Islamischen Staat‘ (Februar, S. 42) und „ein Rothschild“ hinter dem Attentat auf Charlie Hebdo, wie Burschenschafter Walter Marinovic (Germania Salzburg) argwöhnte. Dieser bezog sich gleichzeitig positiv auf Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ bezieht, die „deren [der Juden, Anm. B.W.] Geldgier und Wucherzinsen verdammte“ und in die Parole „Darum immer weg mit ihnen!“ gipfelte (ebd., S. 30f.). Über eine „(j)üdische Selbstausgrenzung“ in der abendländischen Geschichte wusste die AULA (in Person des NPD-Kaders Karl Richter) im Mai zu berichten. Die „’christlich-jüdische‘ Symbiose sei „künstlich, unhistorisch“ und müsse „der nichtjüdischen Normalbevölkerung erst auf allen Kanälen suggeriert werden“, nicht zuletzt durch „die Infiltration des globalen ‚Weltgewissens‘ mit dem Holocaust-Dogma“. Der Holocaust sei für das Judentum heute „Quelle der Kraft, wenn auch einer negativen, parasitären“. Auschwitz werde „zum Nasenring, an dem sich die Völker willenlos herumführen lassen“ (Mai, S. 12f.). Auch Gedenkveranstaltungen durch „KZ-Besessene“ (Juni, 32f.) sind AULA-Autoren ein Dorn im Auge, eher ihrem Verständnis von Aufarbeitung der Vergangenheit entsprechen Einlassungen über „Mauthausen-Befreite als Massenmörder“ und „Landplage“ (Juli/August, S. 91). Abgerundet wird das Bild von Klagen über den „giftigen Nektar“ des radikalen Feminismus im Allgemeinen und „selbsternannte() Frauenbefreierinnen wie die US-jüdische Lesbe Shulamith Firestone“ im Besonderen (November, S. 58). In parteipolitischer Hinsicht lässt die AULA (Selbstbezeichnung: „Das freiheitliche Monatsmagazin“) keinen Zweifel an ihrer engen FPÖ-Anbindung, die durch regelmäßige Lobartikel und Gefälligkeitsinterviews ebenso dokumentiert wird wie durch umfangreiche Inserate der nach aktuellen Umfragen stärksten Partei des Landes.

Der Absatz ist ein Preview aus einem Artikel von Bernhard Weidinger (FIPU) für den Rechtsextremismusbericht des Grünen Klubs. [Update: Ende Mai 2016 ist der Bericht erschienen – abrufbar hier.]

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Die Androhung einer Neuauflage des Volksbegehrens „Österreich zuerst“ (vulgo „Ausländervolksbegehren“) von 1993 zählte zum schlagzeilenträchtigsten, was das diesjährige ORF-Sommergespräch mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (bis auf weiteres nachzusehen hier) hergab. Unter Jörg Haider hatten die Freiheitlichen bekanntlich begonnen, das plebiszitäre Instrument des Volksbegehrens gezielt und einigermaßen exzessiv für parteipolitische Zwecke einzusetzen. Entsprechend dem populistischer Politik eigenen Drang zur Dauermobilisierung und Selbstdarstellung als Anwalt/Anwältin „des Volkes“ gegen „Fremde“ und abgehobene „Eliten“, aber ebenso zur Befriedigung von Haiders narzisstischer Sehnsucht nach dem Bad in der Menge auch zwischen Wahlkämpfen (so Peter Westenthaler in Nathalie Borgers‘ „Fang den Haider“) wurde nun begehrt, was das Zeug hielt: gegen „Privilegien“ (1987), für die „Rundfunkfreiheit“ (1989), gegen „Ausländer“ (1993), für „Tierschutz“ (1996, von freiheitlichen und grünen Abgeordneten gemeinsam eingeleitet), für den Schilling und ein „atomfreies (sic) Österreich“ (beide 1997).

Wie in so vielem folgte Strache nach seiner Übernahme der Parteiobmannschaft 2005 zunächst auch in dieser Hinsicht dem Haiderschen Vorbild. Wie letzterer initiierte er bereits im Jahr nach seinem Amtsantritt sein erstes Volksbegehren („Österreich bleib frei“), ließ es hernach aber dabei bewenden – unter anderem wohl wegen der relativen Erfolglosigkeit sowohl dieses als auch aller sonstigen seither durchgeführten Volksbegehren in Österreich, gemessen an den Spitzenwerten früherer Jahrzehnte. Die heurige rechte bis rechtsextreme Grassroots-Initiative pro EU-Ausritt wurde von freiheitlicher Seite nur sehr schaumgebremst unterstützt. Nun also holt Strache die plebiszitäre Option wieder aus dem politischen Werkzeugkasten. Im Sommergespräch führte er im Zusammenhang mit der Unterbringung von AsylwerberInnen aus, dass die Bevölkerung vor Ort mittels „Volksabstimmungen“ vorab eingebunden werden müsse. „Ich habe nur die Angst, dass Rot und Schwarz und Grün das wieder einmal verweigern. Wenn sie das verweigern sollten, dann kann ich Ihnen heute schon sagen, dann werden wir ein Volksbegehren initiieren, nämlich ‘Österreich zuerst, Teil 2’, weil es wichtiger denn je ist.“ (Volles Transkript verfügbar bei neuwal.)

Nicht nur in Thematik und Benennung (1) der in Aussicht gestellten Kampagne folgt Strache dem Beispiel Haiders, auch seine Inspiration stammt offenbar aus ähnlichen Quellen wie bei jenem. Über die Vorgeschichte des Originals von 1993 schreibt Wolfgang Purtscheller in seinem Standardwerk über den österreichischen Rechtsextremismus nach 1945: „Haider hatte … mit seinem Volksbegehren etwas zustande gebracht, was der rechtsextremen Szene trotz zwei Jahrzehnte währenden Strebens noch nicht geglückt war. Die FAKTEN [rechtsextremes Zeitschriftenprojekt um Horst-Jakob Rosenkranz, Anm. B.W.] warben zwar so wie AULA und IDENTITÄT [damaliger AULA-Jugend-Ableger, Anm.] seit Mitte 1991 eifrig für ein … Volksbegehren Österreicher für Österreich, dessen Kernpunkt so wie bei Haider die Verfassungsbestimmung „Österreich ist kein Einwanderungsland“ hätte sein sollen. Aber die Kameraden hatten Mühe, die nötigen 10.000 Unterschriften zusammenzukratzen.“ (2) „(W)ir … haben das Glück, daß sich spät, aber doch mit Jörg Haider ein Politiker gefunden hat, der sich nicht scheut, gegen den Widerstand aller etablierten gesellschaftlichen Kräfte dieses Volksbegehren in Gang zu bringen“, jubelte H.-J. Rosenkranz dementsprechend in seinem Rechtsaußen-Periodikum. (3)

Auch Strache rennt mit einem „Ausländer-Volksbegehren“ II am rechten Rand offene Türen ein. Das gegenARGUMENT, ein aktuelles Nebenprodukt des rechtsextremen Burschenschafter-Organs AULA, das auf eine jüngere Klientel zielt und sich vorrangig im Kampagnenjournalismus übt, hatte bereits im Februar 2014 eine solche Neuauflage ins Spiel gebracht. Im heurigen Juni nun (Nr. 2/2015) machte es mit dem Titel „ÖSTERREICH ZUERST 2015. ÖSTERREICH IST KEIN EINWANDERUNGSLAND!“ auf – in starker grafischer Anlehnung an das Originalsujet aus den 90er Jahren. Beigelegt waren auch Sticker im selben Design.

Haider-Auftritt in der Wr. Stadthalle 1993 (Bild via http://www.demokratiezentrum.org)
Haider-Auftritt in der Wr. Stadthalle 1993 (Bild via http://www.demokratiezentrum.org)

gegenargumente 22015 volksbeg
gegenARGUMENT, 2/2015

Aufkleber
Aufkleber

„Volksbegehren JETZT!“, wurde im Heftinneren gefordert. „(D)ie Partei, die ein ähnliches Volksbegehren wie Haider mit ‚Österreich zuerst‘ starten würde, kann sich eine sic) Zustimmung immer breiterer Bevölkerungsschichten sicher sein, denn nicht umsonst galoppiert die FPÖ als einzige Kraft, die das Zuwanderungsproblem kritisch sieht, von Wahlerfolg zu Wahlerfolg.“ (4) In der Juni-AULA selbst war ein entsprechendes ganzseitiges Inserat enthalten. Sowohl dieses als auch das Begleitschreiben an die AbonnentInnen des gegenARGUMENTs enthielt eine Botschaft an den parteipolitischen Arm des österreichischen Rechtsextremismus: „Vielleicht dient diese Ausgabe auch als zeitgerechter Denkanstoß für jene politischen Kräfte in unserem Land, die sich Heimat und direkte Demokratie auf die Fahnen geschrieben haben.“ Das ließ sich die FPÖ offenbar nicht zweimal sagen und erntete damit, wie einst Haider, den zu erwartenden Applaus von ganz rechts außen.
gegenargument volksbegehren

Ob es tatsächlich zur Umsetzung der Ankündigung kommt – FPÖ-Außenpolitiksprecher Hübner hatte bereits im Juni die Existenz entsprechender Überlegungen in der Partei bestätigt, aber eine Entscheidung nicht vor Mitte Oktober (nach den Wahlen in Oberösterreich und Wien) in Aussicht gestellt (5) -, wird sich weisen. Schon jetzt lässt sich anhand dieser Episode festhalten, dass trotz jüngster Bemühungen des FPÖ-Obmannes um ein zumindest im Stil gemäßigteres Auftreten eine freiheitliche Tradition ungebrochen zu sein scheint, die Strache mit dem frühen Haider eint: wie jener nimmt er nach wie vor Flanken von rechtsaußen auf, setzt damit Signale an eine alte Kernklientel der Partei und bekräftigt die Funktion der FPÖ als Sprachrohr und verlängerter Arm des außerparlamentarischen Rechtsextremismus in Österreich.

Bernhard Weidinger (@bweidin)

(1) Der Parole war man ohnehin stets treu geblieben – u. a. verwendete Strache sie im Nationalratswahlkampf 2006 auf Plakaten und trägt ein parteieigener Youtube-Kanal diesen Titel. Harald Vilimsky wirbt (mit EU-Geldern) für sich unter dem Slogan „Österreich zuerst statt EU- & EURO-Wahnsinn“ (vgl. ZUR ZEIT 26/2015, S. 11). 

(2) Wolfgang Purtscheller (1993): Aufbruch der Völkischen. Das braune Netzwerk. Wien: Picus, 362.

(3) Zit. ebd.

(4) gegenARGUMENT 2/2015, o.S.

(5) Ebd.

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Entsprechend unserem kritisch intervenierenden Selbstverständnis veröffentlichen wir im Folgenden einen Beitrag, den die Soziologin Julia Edthofer ursprünglich für den mosaik-Blog verfasst hat. Die Gruppe mit dem selbstgegebenen Ziel, „Politik neu zusammen[zu]setzen“ bzw. „linke Politik in Österreich hör- und sichtbar zu machen“, war im Anschluss an den islamistisch-antisemitischen Terror in Paris und Kopenhagen an einem „Beitrag zur neuen Welle des Antisemitismus in Europa“ interessiert. Mit dem Ergebnis war die Redaktion dann jedoch nicht zufrieden – der Text wurde abgelehnt. Begründung: mosaik habe einen „Text zu Antisemitismus im Allgemeinen und nicht zum Antisemitismus einer gesellschaftlichen Gruppe“ bestellt, was der Redaktion „vor allem unter Bezugnahme auf den österreichischen Diskurs“ als „besonders wichtig“ erschien. Unfreiwillig hat die Redaktion damit einen eindrucksvollen Beweis für die von Edthofer analysierte „Pattstellung von Antisemitismus- und Rassismuskritik“ und für die strukturelle Unfähigkeit vieler Linker, den Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen begrifflich zu fassen und zu bekämpfen, abgeliefert. Die Leser_innen mögen sich selbst ein Urteil über den Text bilden; den (impliziten) Vorwurf von mosaik-Seite, wonach er antimuslimischen Rassismus befördere, halten wir jedoch für unhaltbar.

Für uns reiht sich dieser Vorfall in eine lange Kette des linken Scheiterns angesichts der doppelten (aber unterschiedlichen) Herausforderung durch den islamistischen Antisemitismus und den antimuslimischen Rassismus ein; ein Scheitern, das sich immer wieder auch in der Ausblendung und Delegitimierung innerlinker Kritik und Selbstreflexion äußert. Bezeichnend und bedauerlich erscheint dies gerade auch vor dem Hintergrund des mosaikschen Selbstverständnisses als Ort, an dem die „Vielfalt“ linker/alternativer Wissensbestände und Erfahrungen „aufeinander treffen“ und die Marginalisierung „linke(r) … politische(r) Positionen in Österreich“ durchbrochen werden soll. Augenscheinlich sind Einförmigkeit und Abgeschlossenheit kein exklusives Merkmal des polit-medialen Mainstreams, sondern auch einem Projekt nicht fremd, das als Alternative zu ebenjenem angetreten ist.
– FIPU, 20. 6. 2015 –

Rassismus- oder Antisemitismuskritik?

Eine antirassistische Perspektive auf den Zusammenhang von Islamismus[1] und Antisemitismus

Im Licht der aktuellen Entwicklungen und Diskussionen seit den Anschlägen in Paris und Kopenhagen hinterfrage ich in meinem Beitrag die aktuelle Pattstellung von Antisemitismus- und Rassismuskritik in antirassistischen Kontexten kritisch.

Julia Edthofer

Das Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo am 7. Jänner 2015 rief weltweit –aber vor allem im globalen Norden–massive Beileids- und Solidaritätsbekundungen hervor. Innerhalb kürzester Zeit avancierte #Je suis Charlie zu einem der meist-getwitterten Hashtags in der Geschichte des Mediums, wobei der Großteil in Europa und den USA online ging. Auch abseits davon war ein symbolischer Schulterschluss für „Demokratie“ und „Redefreiheit“ zu beobachten, der seinesgleichen sucht: Am Pariser Gedenkmarsch für die Opfer nahmen neben 3,7 Millionen Menschen auch über 50 Staatschef_innen teil, die laut medialer Inszenierung den Marsch anführten und neben dem Gedenken der Toten für Toleranz und das Recht auf freie Rede eintraten–darunter auch ausreichend Politiker_innen, bei denen Presse- und Meinungsfreiheit oder Menschenrechte ansonsten nicht ganz so weit oben auf der Agenda stehen. Zudem wurde das massive Ungleichgewicht zwischen globalem Norden und Süden in Bezug auf die Berichterstattung offensichtlich: zeitgleich mit den Anschlägen in Paris kam es in Nigeria zur bislang brutalsten Anschlagserie der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram, die mediale Aufmerksamkeit galt jedoch vor allem den Ereignissen in Frankreich. Wie gewohnt blieb somit außen vor, dass die meisten Opfer islamistischer Gewalt Muslim_innen sind, während gleichzeitig eine massive Bedrohung des „Abendlandes“ postuliert wurde. Insofern wurde aus linker Perspektive zu Recht die Doppelmoral der Inszenierung kritisiert; aus antirassistischer Perspektive noch wichtiger war jedoch die Kritik an der Vereinnahmung von rechts: Victor Orbán, der seit seiner Wahl zum ungarischen Ministerpräsidenten systematisch die Pressefreiheit abschafft, gab am Rand des Trauermarsches ein Interview, in dem er als Konsequenz der Attentate eine Aufrüstung der Festung Europa forderte. Die Vorsitzende des Front National Marine Le Pen sprach von einer (muslimischen) Kriegserklärung an die westliche Welt und deren Werte und verlangte ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe; und auch in Deutschland und Österreich vereinnahmten rechte Bewegungen und Parteien von Pegida bis NPD und FPÖ die Morde für antimuslimische Propaganda. All das ist mehr als bedenklich, jedoch sollen hier natürlich nicht die Demonstrationen für Demokratie und Meinungsfreiheit als solche kritisiert werden, denn sie sind wichtig–in Paris ebenso wie in Abuja. Problematisch ist vielmehr deren rassistische Vereinnahmung und damit der politische Subtext: die „Islamisierung des Abendlandes“ müsse nun endlich gestoppt werden, um die „aufgeklärte westliche Welt“ gegen „muslimische Barbarei und Terror“ zu verteidigen.

Eine antirassistische Kritik an solchen Vereinnahmungen ist notwendig, leider führt sie jedoch auch oft zu einer eigenartigen politischen Pattstellung, in der Dinge, die nicht so ganz ins Bild passen, gerne außen vor gelassen werden. Eine Tatsache, die beispielsweise in linken, antirassistischen Diskussionen komplett aus dem Blick gerät, ist der offensichtliche Zusammenhang von Islamismus und Antisemitismus. Bei dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo wurden gezielt nur Männer ermordet, bis auf eine Ausnahme: die jüdische Psychoanalytikerin und Kolumnistin der Zeitschrift Elsa Cayat. Als Reaktion auf den Anschlag überfiel der IS-Anhänger Amedy Coulibaly den koscheren Supermarkt Hypercacher– allerdings nicht nur, um dort Geiseln zu nehmen, sondern mit dem dezidierten Ziel die dort einkaufenden Menschen zu töten, weil sie Juden waren. Gleiches war in Kopenhagen zu beobachten: nach dem Anschlag auf die Diskussionsveranstaltung zu Rede- und Pressefreiheit im Februar 2015 wurde die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde attackiert und dabei ein (ebenfalls jüdischer) Wachmann erschossen. Jedes Mal, wenn so genannte „westliche Werte“, Demokratie, Meinungsfreiheit etc. in Europa selbst angegriffen werden, geht dies mit einem Angriff auf Jüdinnen, Juden und/oder jüdische Einrichtungen einher–jedes Mal gibt es dabei Tote. Dass dies kein Zufall ist, liegt ebenso auf der Hand, wie es der antimuslimische Rassismus tut. Insofern müsste sich eine antirassistische Linke auch die Frage stellen, warum radikalisierte Personen, die sich zu den verschiedenen aktuell boomenden, meist wahhabitisch oder salafitisch beeinflussten, jihadistisch-islamistischen Ideologien bekennen, offensichtlich ein antisemitisches Weltbild haben. Die Antwort wäre eigentlich recht einfach: sie folgen einer anti-demokratischen Ideologie, die als faschistisch analysiert werden muss: Terrorgruppen wie der IS sind streng hierarchisch nach dem Führerprinzip organisiert, bekämpfen „unislamische“ Gruppen bis hin zu deren Vernichtung und zielen auf einen autoritären Umsturz der bestehenden Verhältnisse ab. Antisemitismus ist ein logischer Bestandteil jeder antidemokratisch-faschistischen Ideologie, da er als (Pseudo-)Erklärungsmodell für die (scheinbar) bekämpften Zustände dient. Wie jede radikale Ideologie wirkt dieser rechte Rand, so er nicht eingedämmt wird, nicht zuletzt auch in die gesellschaftliche Mitte hinein: das wurde beispielsweise im Sommer 2014 offensichtlich, als im Zuge zahlreicher muslimisch geprägter Proteste gegen den Gaza-Krieg auch die zunehmende Islamisierung des antisemitischen Ressentiments deutlich wurde. Antirassistische Kritik konzentriert sich vor allem auf den antimuslimischen Diskurs und weist darauf hin, dass Muslim_innen generell unter Terrorverdacht gestellt oder eben zu den „neuen Faschist_innen“ oder den „neuen Antisemit_innen“ stilisiert werden–und das ist richtig und wichtig. Jedoch wird auf der anderen Seite selten die problematische Ideologie und damit auch das heiße Eisen islamisierter Antisemitismus benannt. Ein Grund dafür ist die Sorge, aufgrund der oft fehlenden Differenzierung zwischen Muslim_innen und Islamist_innen zum antimuslimischen Diskurs beizutragen. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch das Faktum, dass die Täter_innen oft selbst rassistisch ausgegrenzt werden. Ein kurzer Blick auf die Biographien der Attentäter von Paris lässt auch tatsächlich vermuten, dass sie als Nachkommen von Immigrant_innen aus ehemaligen Kolonien im postkolonialen Frankreich massiver Diskriminierung ausgesetzt waren. Diese Ungerechtigkeit sollte jedoch nicht dazu führen, dass zu den ideologischen Grundlagen ihrer Taten geschwiegen wird.

Die Tatsache, dass sich aktuell viele Personen mit ihren faschistischen Ideen auf den Koran berufen und dass ihre Taten antimuslimischem Rassismus neuen Zündstoff geben, sollte uns also nicht daran hindern, eine politische Kritik daran zu formulieren. Ansonsten tappt mensch in eine Kulturalisierungs-Falle, die Politik nicht mehr von Religion trennen kann–und eine solche anti-politische Sichtweise ist eher Teil des Problems, als der Lösung. Denn jedes „Aber“ (… aber die haben doch rassistische Cartoons veröffentlicht) nach der Verurteilung der Anschläge, spielt letztendlich in die Hände konservativer bis faschistischer Kräfte. Wenn jedoch ernst genommen wird, dass Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen ist, sollte dies auch immer gelten–sei es nun in Abuja, Paris, Kobanê oder im kenianischen Garissa, wo jüngst 148 Student_innen ermordet wurden. Gleiches gilt für das Benennen von unterschiedlichen Ressentiments: wenn antirassistische Kritik ernst genommen wird, dann inkludiert das auch eine Kritik an Antisemitismus–und damit auch am Antisemitismus von Personen, die selbst rassistisch ausgegrenzt und diskriminiert werden.

[1] Der Begriff „Islamismus“ meint die politische Vereinnahmung des Islam und ist daher natürlich vom Islam als Religion zu unterscheiden; für eine ausführlichere Differenzierung zwischen politischem Islam, Wahhabismus, Salafismus und Jihadismus ausgehend von einer Kritik des schwammigen Sammelbegriffes „Islamismus“, siehe Thomas Schmidingers Beitrag in den Informationen zur Politischen Bildung No. 37.

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„Die großen Schritte, die aus der ersten Aufarbeitung der NSU-Morde folgen müssen, werden in der gesellschaftlichen Debatte nach wie vor praktisch nicht thematisiert.“

Drei Wochen vor den Bundestagswahlen in Deutschland wurden Anfang September die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror präsentiert und das Versagen der staatlichen Behörden dabei offiziell bestätigt. Obwohl im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Morde eine gewisse Sensibilisierung gegenüber Rassismus im Nachhinein stattgefunden hat, bestehen rassistische Diskurse und Exklusionpraktiken in Politik, Behörden, Medien und Bevölkerung weiter fort. Flüchtlinge und Non-Citizens sind mit rassistischer Hetze auf der Straße konfrontiert und erfahren zunehmend Repression, wenn sie gegen Asylpolitik und Rassismus protestieren. Angesichts der Allgegenwart rassistischer Ausgrenzungspraktiken ruft das Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)* nun in einer breit unterstützten Stellungnahme zu “Solidarität statt Rassismus”  auf.

Auch wenn Österreich keinen NSU-Skandal zu verzeichnen hat, kann für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Rassismus hierzulande ähnliches konstatiert werden.

So zeig(t)en sich auch im Rahmen der Aufdeckung der Neonazi-Gruppe Objekt 21 (sowie den damit einhergegangen Sprengstoff- und Waffenfunden) Ungereimtheiten, Ermittlungsmängel, Ignoranz bis hin zu offener Unterstützung. Auch muss die Verkennung neonazistischer Gefahrenpotenziale sowie die Nicht-Thematisierung ihrer gesellschaftlicher Grundlagen festgestellt werden, beispielsweise wenn die Ursachen vielmehr im sogenannten „Drogen- und Rotlichtmileu“ und nicht in rassistischen Einstellungen, Politiken und Strukturen gesucht wurden.

Des Weiteren sprechen auch die Hetze und die Kriminalisierungen rund um das Refugee Protest Camp Vienna eine deutliche Sprache.

Die Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) unterstützt daher den Aufruf von kritnet.

*Das Netzwerk Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet)  ist ein interdiszplinärer und europaweiter Zusammenschluss kritischer Migrations- und GrenzregimeforscherInnen und politischer AktivistInnen (www.kritnet.org). Im Oktober 2010 veröffentlichte das Netzwerk die Stellungnahme “Demokratie statt Integration” als Reaktion auf Thilo Sarrazins rassistische Thesen zur Bevölkerungspolitik sowie deren breite Rezeption.

In ihrem neu erschienenen Buch rekonstruiert die Soziologin Carina Klammer Mechanismen der antimuslimischen Fremdbildproduktion und analysiert deren Stellenwert für Entwicklungen inner- sowie außerhalb der extremen Rechten.
Im Rahmen der jüngsten Aufregung rund um die Facebook Gruppe „Wir stehen zur FPÖ!“ landete die FPÖ erneut in den Schlagzeilen, da am virtuellen Stammtisch u.a. antimuslimische Anfeindungen betrieben und damit einhergehend Morddrohungen ausgesprochen wurden. Insofern büßt die Publikation, die sich antimuslimischen Fremdbilder in der FPÖ seit der Parteispaltung im Jahr 2005 und Heinz-Christian Straches Antritt als Parteiobmann widmet, nicht an Aktualität ein. Anhand von Untergangsimaginationen und dem Appell zur „Abendlandrettung“, so die Conclusio, sollen vornehmlich der altbekannte Rassismus, sowie mehr oder weniger unter der Hand Antisemitismus und Weiblichkeitsabwehr auf die Höhe der Zeit gebracht und salonfähig werden.
Im Rahmen der Analyse werden darüber hinaus Islambilder und antimuslimische Bündnispolitiken innerhalb der extremen Rechten näher beleuchtet, (historische) Referenzen des rechten Abendland-Diskurses aufgezeigt sowie Verflechtungen mit öffentlichen Diskursen und staatlichen Migrations- und Integrationspolitiken betrachtet.
Auch versucht die Autorin den Blick dafür zu stärken, dass innerhalb der Rechtsextremismusforschung Geschlechterverhältnisse als grundlegende Analysekategorie in den meisten Fällen unterbelichtet bleiben. So wird nicht nur ein Blick auf die Instrumentalisierung von Frauenrechten angesichts rassifizierender Politiken geworfen, sondern auch die geschlechterspezfische Struktur von antimuslimischen Ressentiments näher erörtert und mit dem konstitutiven Antifeminismus der FPÖ in Verbindung gebracht.
Ein wesentlicher Teil des Buches widmet sich darüber hinaus der kritischen Auseinandersetzung mit gängigen wissenschaftlichen Begrifflichkeiten und Erklärungsmustern, wobei auch auf Opferkonkurrenz-Debatten Bezug genommen wird, die für die weitere wissenschaftliche Arbeit zum Thema prägend blieben. Dementsprechend wird auch die Frage aufgeworfen, wie unterschiedliche Feindbilder (Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Antifeminismus, Homophobie, etc.) verstärkt in ihrem Zusammenhang gedacht werden können, ohne dass ihre jeweiligen Spezifika und Unterschiede nivilliert werden.

„Es erschien mir – unter anderem angesichts der bestehenden Kontroversen – weder möglich noch erstrebenswert ein Buch über antimuslimische Fremdbilder zu schreiben, welches sich primär an der FPÖ abarbeitet“. Vielmehr sollen Kontextualisierungen und Zusammenhänge herausgearbeitet werden, „die mehr oder weniger weit über die FPÖ hinausreichen, jedoch für ein umfassenderes Verständnis der Thematik bzw. gegenwärtiger antimuslimischer Ressentiments und Rassismen hilfreich bis unabdingbar sind „(S.9).

Über die Autorin:
Carina Klammer ist Soziologin, im Rahmen von FIPU tätig und schreibt ihre Dissertation zum Thema des ideologischen Verhältnisses von „Körper“ und „Geist“ innerhalb der extremen Rechten im Postnazismus. Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste in Wien im WS 2013/14: „Geschlecht gegen den (Schluss-)Strich denken – Vergeschlechtlichte Körper-Bilder im Postnazismus“.

Weitere Informationen zum Buch:
Imaginationen des Untergangs.
Zur Konstruktion antimuslimischer Fremdbilder im Rahmen der Identitätspolitik der FPÖ
Carina Klammer
Erschienen im LIT-Verlag
Reihe: Soziologie, Band 81, 2013, broschiert, 128 Seiten
ISBN: 978-3-643-50520-0

G:/reihe/umschlag/50520-0.dvi
http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-50520-0