Anlässlich der Eröffnung eines „identitären“ Zentrums in Eichkögl in der Steiermark sowie eines weiteren geplanten Zentrums der „Identitären“ im 5. Bezirk in Wien: Ein Vortrag von Judith Goetz & Alexander Winkler, März 2020.
Anlässlich der Eröffnung eines „identitären“ Zentrums in Eichkögl in der Steiermark sowie eines weiteren geplanten Zentrums der „Identitären“ im 5. Bezirk in Wien: Ein Vortrag von Judith Goetz & Alexander Winkler, März 2020.
Gastbeitrag von Daniel Herzog
Wie bereits im Mai berichtet, bedient die Monatszeitschrift „Alles roger?“ antisemitische Stereotypen, indem sie George Soros zum einen als „Heuschreckenspekulanten“ (03/2017, S. 22) bezeichnet und zum anderen ihn als „Liebkind mächtiger Kreise wie der Rothschilds“ (05/2018, S. 9) darstellt. Die Familie Rothschild dient der Zeitschrift dabei als antisemitische Projektionsfläche, die es ermöglicht, eine jüdische Weltverschwörung zu insinuieren, ohne dabei umgehend als offen antisemitisch entlarvt zu werden.
George Soros‘ vermeintliche Verbindung zu den ominös-allmächtigen Rothschilds dient dabei nur als Aperitif für einen zumindestens strukturellen Antisemitismus, der sich zu einem Gebilde von Verschwörungstheorien verhärtet. Der vermeintlich von den Rothschilds gesteuerte „Mega-Spekulant“ (05/2018, S. 8) Soros wird in weiterer Folge als „Leiter der Masseneinwanderung“ (09/2017 S. 12) bezeichnet und Verbindungen zu Christian Kern und Sebastian Kurz (09/2017, S. 12 / 04/2017, S. 33) werden unterstellt.
In anderen Fällen muss George Soros nicht als antisemitisches Verbindungsglied herhalten, sondern es werden direkte Verbindungen zwischen Rothschilds und politischen Entscheidungsträgern hergestellt. Der französische Präsident Emmanuel Macron wird etwa als „Rothschild-Agent“ (06/2017, S. 12) bezeichnet und unmissverständlich festgestellt: „Hinter Macron steht die Familie Rothschild.“ (12/2017, S. 36)
Das Weltverschwörungskonstrukt von „alles roger?“ erschöpft sich jedoch nicht in den Phantasien, dass George Soros, Emmanuel Macron und die „Masseneinwanderung“ von der Familie Rothschild gesteuert werden. Bereits in den frühesten Ausgaben finden sich Artikel wie „Veranstalten die Rothschilds okkulte Zeremonien?“ (Ausgabe #4) und „Zerstören die Rothschilds Afrika?“ (Ausgabe #3). Im fünften Heft treffen Geschichtsrevisionismus und antisemitische Verschwörungstheorie auf besondere Weise aufeinander. Neben leichter Lektüre über den James-Bond-Film „Spectre“, einem Interview mit Heinz-Christian Strache und einer Reportage über die Dating-App „Tinder“ findet sich ein anonym verfasster Artikel mit dem Titel „Der Zynismus des Zionismus“.
In vermeintlich investigativ-journalistischer Manier wird zu Beginn des Textes „aufgedeckt“, dass die Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen von einer „Schweizer Aktiengesellschaft“ betrieben wird. Am Ende einer langen Kette an Beteiligungsverhältnissen würde die Barclays-Bank stehen, die wiederum – man ahnt es schon – „von der Bankier-Familie Rothschild maßgeblich beeinflusst wird.“ Doch der journalistischen Sorgfaltspflicht wäre nicht genüge getan, würde nicht nach den Hintergründen für die Beteiligung der Rothschilds in Traiskirchen gefragt. Profitinteressen als Motiv seien eine „oberflächliche Erklärung.“ Den Rothschilds gehe es vielmehr um Macht. „Sie sind Profis darin, Konflikte zu schüren und diese geopolitisch zu steuern.“ Internationale Flüchtlingsbewegungen würden von der Familie Rothschild orchestriert werden und zwar nicht nur heutzutage, sondern auch schon 1933.
An dieser Stelle beginnt sich der Geschichtsrevisionismus von „Alles roger?“ zu entfalten. So habe die Familie Rothschild sich in den 1920er Jahren als Unterstützerin und Finanzier des Zionismus erwiesen. Im Nahen Osten sollte mithilfe jüdischer Emigranten und Emigrantinnen aus Europa ein neuer Staat entstehen. Laut „Alles roger?“ habe sich bald gezeigt, dass die Bereitschaft vieler Juden und Jüdinnen, einen neuen Staat aufzubauen, nicht den zionistischen Vorstellungen entsprach. „Ein Scheitern war für den Zionismus jedoch nicht vorgesehen. Um der Bewegung zu ihrem großen Erfolg zu verhelfen, musste eine langfristige Bedrohung des Judentums in ganz Europa her.“ Besagte Bedrohung, die demnach erst von außen geschaffen werden musste, sollte in einem „aufgeklärten Land“ in Europa entstehen – in Deutschland. Die Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung sei demnach bewusst von Zionisten wie den Rothschilds eingefädelt worden, um die europäischen Juden und Jüdinnen zur Ausreise in den Nahen Osten zu zwingen. Der verschwörerische Plan der Rothschilds ging auf, ist man sich bei „Alles roger?“ sicher. Denn „viele Menschen auch nichtjüdischer Herkunft, wurden infolge des nationalsozialistischen Rassismus zu Befürwortern des Zionismus. Der Holocaust ließ viele Menschen zum Schluss kommen, Juden müssten einen eigenen Staat haben.“ Den Jüdinnen und Juden wäre schließlich keine andere Wahl geblieben, als, entsprechend der Wünsche der Rothschilds, den heutigen Staat Israel aufzubauen. Doch nicht nur die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sei auf die Rothschilds zurückzuführen, sondern auch die restriktive Flüchtlingspolitik vieler Staaten wie etwa Frankreichs, Neuseelands, Kanadas, Australiens und der USA. „Den deutschen Juden blieben wenig andere Optionen, als ins heutige Israel zu flüchten, so wie der Zionismus sich das vorgestellt hatte.“
Nach dieser Tirade an antisemitischer Geschichtsfälschung stellt der oder die anonyme Autor/in in fast schon zynischer Anmaßung fest: „Autoren, die sich negativ über die Rothschilds äußern, werden oft und gerne als ‚Antisemiten‘ verleumdet.“ Dass die Zuweisung der Schuld am Holocaust an die jüdische Familien Rothschild antisemitisch ist, stößt bei „alles roger?“-Autor/innen anscheinend auf vollkommenes Unverständnis. So wird etwa in einem Artikel mit dem selbstbemitleidenden Titel „Warum alles roger? so bekämpft wird“ festgestellt: „Besonders gerne wird gegen alternative Medien die Nazi-Keule geschwungen. In unserem Fall deshalb, weil wir uns erlaubten, die Familie Rothschild zu kritisieren und nach Hintergründen der Asylanteninvasion zu fragen.“ (05/2017, S. 51)
Finanziert werden solch hetzerische Geistesblitze unter anderem durch Inserate der Regierungspartei FPÖ und Ministerien der FPÖ (alleine in den Ausgaben 01/2018 bis 06/2018 finden sich vier Inserate der FPÖ und zwei von freiheitlichen Ministerien). Aber auch die ÖVP in der Person von Johanna Mikl-Leitner hat zumindestens einmal in der Zeitschrift eine Werbeanzeige geschalten. (01/2018)
Fehlende Berührungsängste mit der offenkundig antisemitischen wie rassistischen Zeitschrift zeigen sich jedoch auch darin, dass Politiker und Politikerinnen immer wieder dem Blatt für Interviews zur Verfügung stehen. So findet man in dem Weltverschwörungsblatt etwa Interviews mit Herbert Kickl (05/2018), Marlene Svazek (04/2018), Norbert Hofer (03/2018), Dominik Nepp (02/2018), Udo Landbauer (01/2018), Heinz-Christian Strache (11/2017), Ursula Stenzel (02/2017), Johanna Mikl-Leitner (06/2017), Werner Amon (04/2017) und Erwin Pröll (Ausgabe 04/2015).
Das besonders hetzerische Potenzial und die damit einhergehende gesellschaftliche Fanatisierungsgefahr von „Alles roger?“ besteht nicht zuletzt drin, dass harmlose Lifestyle-Artikel wie „Robben-Babys auf Helgoland“ (01/2018) oder „Tiergarten Schönbrunn: Warum Tiere Schneemänner lieben“ (12/2017) neben rassistischen und antisemitischen Verschwörungsphantasien abgedruckt werden. Ein genauerer Blick auf die Zeitschrift zeigt, dass sie nicht nur „tendeziell antisemitisch“ ist, sondern vielmehr seit den drei Jahren ihres Bestehens gezielt antisemitische Vorurteile bedient und schürt.
Bernhard Weidinger
Die Kandidat*innenlisten für die anstehenden Nationalratswahlen liegen vor – was uns die Gelegenheit für eine kleine Simulation bietet, wie der Nationalratsklub der FPÖ in der kommenden Legislaturperiode zusammengesetzt sein könnte. Im Sinne der Einfachheit und der Vergleichbarkeit mit den Wahlen von 2013 gehen wir dabei davon aus, dass die FPÖ 2017 dieselbe Anzahl an Mandaten einfährt wie 2013 – und zwar genau dort, wo sie auch damals erfolgreich war. [1]
Bei diesen letzten Nationalratswahlen holten die Blauen 16 ihrer insgesamt 40 Parlamentssitze im ersten Ermittlungsverfahren (Regionalwahlkreise), die Mehrheit davon in nur zwei Bundesländern – in Oberösterreich (fünf) und der Steiermark (vier) –, wo man in jedem einzelnen Wahlkreis die nötige Stärke für ein Grundmandat erreichte. Drei solcher Mandate waren es in Niederösterreich und Wien, eines in Tirol.
Das zweite Ermittlungsverfahren (Landeswahlkreise) erbrachte je drei weitere Mandate in Niederösterreich und Wien, je zwei in Kärnten/Koroška, Salzburg und der Steiermark sowie je eines in den restlichen vier Bundesländern. Die übrigen acht Mandate holte die FPÖ über die Bundesliste.
Die Namen
Wenn wir diesen Ausgang für 2017 zugrunde legen, gleichzeitig einen Blick auf die heurigen Wahlvorschläge richten und überdies (mehr oder weniger freiwillige) Mandatsverzichte und erfolgreiche Vorzugsstimmenkampagnen ausschließen, würden folgende Personen für die FPÖ in den Nationalrat einziehen:
Über Regionalwahlkreise: Philipp Schrangl (Linz und Umgebung), Hermann Brückl (Innviertel), Wolfgang Klinger (Hausruckviertel), Gerhard Deimek (Traunviertel), Anneliese Kitzmüller (Mühlviertel), Axel Kassegger (Graz und Umgebung), Walter Rauch (Oststeiermark), Josef Riemer (Weststeiermark), Wolfgang Zanger (Obersteiermark), Peter Wurm (Innsbruck-Land), Christian Lausch (Weinviertel), Edith Mühlberghuber (Mostviertel), Christian Hafenecker (Niederösterreich Mitte), Heinz-Christian Strache (Wien Süd), Markus Tschank (Wien Süd-West) und David Lasar (Wien Nord).
Über Landeslisten [2]: Walter Rosenkranz, Herbert Kickl, Christian Höbart (alle Niederösterreich); Petra Steger, Johann Gudenus und Veronika Matiasek (Wien); Marlene Svazek und Andreas Schöppl (Salzburg); Hannes Amesbauer und Günther Kumpitsch (Steiermark); Erwin Angerer und Christian Ragger (Kärnten/Koroška); Roman Haider (Oberösterreich), Gerald Hauser (Tirol), Norbert Hofer (Burgenland/Gradišće) und Reinhard Bösch (Vorarlberg).
Unter Auslassung der über die ersten beiden Ermittlungsverfahren erfolgreichen KandidatInnen würden die acht Bundeslisten-Mandate an die folgenden Personen gehen: Harald Stefan, Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Susanne Fürst, Robert Lugar, Maximilian Krauss, Carmen Schimanek, Harald Vilimsky und Wendelin Mölzer.
What’s new (and what’s not)
Verglichen mit jenem freiheitlichen Klub, der 2013 angelobt wurde, finden wir unter diesen 40 nicht weniger als 15 neue Namen, wobei sechs von diesen (Angerer, Brückl, Klinger, Kumpitsch, Lasar und Lugar) aufgrund von Nachrückungen in den letzten Jahren bereits jetzt im Nationalrat sitzen. Tatsächlich neu wären die jungen Burschenschafter Amesbauer (regelmäßiger Autor in der rechtsextremen “Aula”) und Krauss; der ehemalige Salzburger Landesparteiobmann (und deutschnationale Landsmannschafter) Schöppl sowie seine Nachfolgerin an der Spitze der Landespartei, Svazek; die aus dem AnwältInnenberuf in politische Funktionen wechselnden Fürst und Tschank; der ehemalige Kärntner Landesparteiobmann Ragger; und die aktuell in Wien engagierten Matiasek (2. Landtagspräsidentin) und Gudenus (Vize-Bürgermeister). Ob insbesondere letzterer, immerhin Statthalter seines Bundesbruders Strache (beide pB! Vandalia Wien) in der Bundeshauptstadt, tatsächlich in den Nationalrat zu wechseln plant, scheint ebenso fraglich, wie die Rückkehr von Martin Graf (Platz sechs der Wiener Landesliste und Platz zwei im Wahlkreis Wien Nord).
Der Frauenanteil würde gegenüber 2013 leicht steigen: von 18 auf 20 Prozent. Damit bliebe die FPÖ zwar deutlich unter dem Niveau der nationalen Parlamenten etwa des Irak oder Afghanistans, würde aber zu Marokko, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufschließen. [3] Ebenfalls steigen – anders als der Frauenanteil allerdings von bereits hohem Niveau aus – würde der Anteil von Mitgliedern völkischer Student(inn)enverbindungen am freiheitlichen Klub. Betrug dieser 2013 noch 17 von 40 (43%), würde er in unserer Simulation auf 19 von 40 (48%) klettern. [4] Zu bedenken bleibt dabei, dass eine freiheitliche Regierungsbeteiligung zum Wechsel einiger MandatarInnen in die Exekutive führen und das Profil des Klubs nicht unwesentlich verändern könnte. Die auch im österreichischen Parteienvergleich überdurchschnittliche Männerdominanz und die für die Strache-FPÖ charakteristische Vormachtstellung der völkischen Korporierten würden dadurch aber höchstenfalls leicht gedämpft werden.
[1] Wahlkreisverschiebungen (vgl. Niederösterreich Ost) werden dabei ignoriert. Eine Aufstellung über die Mandatsverteilung 2013 in den drei Ermittlungsverfahren (Region, Land, Bund) findet sich hier.
[2] Wie auch im realen Mandatsvergabeverfahren haben wir jene Personen auf den Landeslisten übersprungen, die sich ihr Mandat bereits über den Regionalwahlkreis sichern konnten.
[3] Vgl. Die aktuelle Aufstellung der Inter-Parliamentary Union zu Frauenanteilen in internationalen Parlamenten.
[4] Angesichts einiger bis dato ungeklärter Mitgliedschaften stellt diese Zahl einen Mindestwert dar – auch eine absolute klubinterne Mehrheit für die Korporierten ist denkbar.
Teil 4 unserer Serie zum Aufstieg der FPÖ, den Fehlern im Umgang mit ihr, und Lehren daraus für die Linke (Teil 1 siehe hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier). Diesmal:
Als ein Symptom der „österreichischen Zustände“ zeigt sich, dass die Linke einen Großteil ihrer Energie für antifaschistische Abwehrkämpfe aufwendet und damit auch weite Teile jener Arbeit anstößt oder selbst übernimmt, die etwa in Deutschland von staatlichen Institutionen oder der „bunt-gegen-braun“-Zivilgesellschaft erledigt wird. So greift linke Politik mitunter nicht viel weiter als der bürgerliche Antifaschismus. Auch herrscht eine beträchtliche Hemmung vor, die ohnehin spärliche Zivilgesellschaft, wenn sie einmal sich aufzuraffen bequemt, gleich wieder von links unter Druck zu setzen. Dies verdeutlichte sich nicht zuletzt am unsicheren Umgang der radikalen Linken mit der 2015 kurz aufflackernden “Willkommenskultur”. Im autonomen Spektrum begünstigen diese Zustände einen Verbalradikalismus mit Hang zu selbstreferentiellen Obsessionen. Derartige Inszenierungen entspringen nicht zuletzt einem (zum Teil nachvollziehbaren) Ohnmachtsgefühl: so gering ist die Anschlussfähigkeit der eigenen Positionen an breitere Gesellschaftsschichten, dass diesen lieber der Kampf in toto angesagt wird. Dies führt jedoch auch dazu, dass die Theorie und Praxis emanzipatorischer Gegenentwürfe gegenüber Schaukämpfen ins Hintertreffen gerät.
Ein aktuelleres Problem stellt die seit Beginn der 2000er Jahre beobachtbare (Teil-)Spaltung antirassistischer und antifaschistischer Perspektiven dar. Schon seit Zusammenbruch des Realsozialismus und der bipolaren Weltordnung wird die Ungerechtigkeit im Weltmaßstab zunehmend anhand der Formel “der Westen” gegen “den Islam” zum ideologischen Spektakel, bei dem auch die Linke leider nicht immer zur Gänze unbeteiligt ist. Die damit einhergehenden Grabenkämpfe und Opferkonkurrenzdebatten zwischen eher hegemonietheoretisch-antirassistisch verorteten sowie ideologie- und antisemitismuskritischen Ansätzen, drehen sich nicht nur um die Frage, ob antimuslimischer Rassismus Antisemitismus als hegemoniales Feindbild abgelöst habe – wie nicht wenige unter Verweis auf die seit 2005 das Feindbild MuslimInnen agitatorisch ins Zentrum rückende und sich gleichzeitig (bislang weitgehend erfolglos) an die israelische Rechte anbiedernde FPÖ argumentieren –, sondern auch darum, ob die Schrecken des Terrors in den westlichen Ländern eurozentristisch überbetont werden bzw. wem für diese die Hauptschuld angelastet werden soll: der islamistischen Ideologie oder vielmehr dem Westen selbst.
Mit der Zunahme islamistischer Anschläge (nicht nur in Europa) scheinen sich die Positionen weiter zu verhärten: Antirassistische Perspektiven reduzieren hierbei Antisemitismuskritik mitunter auf täter_innengesellschaftlichen Eurozentrismus, insbesondere indem dessen aktuelle Formen – sei es struktureller, israelbezogener oder islamisierter Antisemitismus – nicht anerkannt werden. Der FPÖ fällt es vor diesem Hintergrund nicht schwer, sich als entschiedenste Kritikerin eines islamisch verbrämten Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft zu inszenieren. Gleichzeitig werden reaktionäre Einstellungen bei Muslim_innen (bzw. Marginalisierten im Allgemeinen) aufgrund einer paternalistischen (Pseudo-)Rassismuskritik gerne ausgeblendet.i Antirassistische Kontexte müssten essentialisierende Identitätspolitik stärker kritisieren, wie sie etwa in Aufrufen zur Allianzbildung mit “den“ Muslim_innen aufscheint. Ein Faktum, das vom ideologiekritischen Spektrum richtigerweise kritisiert wird, mitunter jedoch dazu führt, die Analyse von antimuslimischem Rassismus zu verabschieden bzw. als Generalangriff auf Antisemitismuskritik abzuwehren.ii Ideologiekritische Kontexte müssten sich zudem von der Idee verabschieden, dass der Hinweis auf die gegenwärtige Breitenwirksamkeit des antimuslimischen Ressentiments einem Belittlement von real existierenden Problemen gleichkomme und vielmehr hinterfragen, inwieweit eine primär auf Koranexegese basierende (Pseudo-)Islamkritik aus den eigenen Reihen essentialisierende Dimensionen beinhaltet, die dem von der FPÖ systematisch befeuerten, aber auch weit ins bürgerliche Zentrum vorgedrungenen antimuslimischen Diskurs zuspielen – etwa, wenn a priori vorausgesetzt wird, dass sich religiöse Ideologie eins zu eins ins Individuum übersetze.iii Derartige Fehlschlüsse hängen einerseits mit einem theoretisch zu eng gefassten Rassismusbegriff zusammen, der differentialistischen oder “kulturalistischen” Rassismus nicht als solchen fasst. Zum anderen berühren sie – als Ausdruck der Opferkonkurrenz-Logik – nicht nur analytische Fragen, sondern auch jene der (Nicht-)Anerkennung politischer Kämpfe.
Aktuell ist antimuslimischer Rassismus jedoch auch deswegen ernst zu nehmen da er, in Kombination mit dem (strukturell antisemitischen) Anti-Establishment-Frame, eine ideologische Basis für die rechten und rechtsextremen Wahlerfolge der letzten Jahre lieferte. Angesichts dessen müsste eine Linke stärker an der Überwindung ihrer Grabenkämpfen arbeiten und die gegenwärtige Verzahnung von Rassismus und Antisemitismus ernst nehmen.
Angesichts der jüngsten Terroranschläge in Europa sowie einer Welt die im Allgemeinen zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint, ist mehr denn je zu befürchten, dass eine Politik mit der Angst das Potenzial hat, Rechtsextreme in ganz Europa in die Regierungen zu bringen. Gleichzeitig setzen auch Linke der Kulturalisierung und Ethnisierung sozialer Fragen – der gemeinsamen Geschäftsgrundlage von Rechtsextremen und Islamist_innen – häufig die falschen Antworten entgegen bzw. nehmen selbst daran teil. Dementgegen müsste Ideologiekritik wieder auf die Höhe der Zeit gehoben – und umgekehrt Identitätspolitik vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
i Exemplarisch: https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/2015/06/20/gastbeitrag-rassismus-oder-antisemitismuskritik-julia-edthofer/. ii http://jungle-world.com/artikel/2011/32/43769.html. iii Exemplarisch: Thomas Maul, Sex, Djihad und Despotie, Freiburg 2010.
Teil 3 unserer Serie zum Aufstieg der FPÖ, den Fehlern im Umgang mit ihr, und Lehren daraus für die Linke (Teil 1 siehe hier, Teil 2 hier). Diesmal:
Die Parteien der “Mitte”: Rhetorische Distanzierung, inhaltliche Angleichung
Die lange Liste der Fehler im Umgang mit der FPÖ beginnt bei der Appeasement-Politik von ÖVP und SPÖ: halbherzige rhetorische Abgrenzung wird dabei seit Jahrzehnten mit inhaltlicher Annäherung flankiert. Mit den Übernahmen immer neuer Forderungen von rechtsaußen ging auch eine objektive Legitimierung deren Träger_innen einher. Inzwischen brechen mit der seit 1986 geltenden Nicht-Koalitions-Politik der Sozialdemokratie gegenüber der FPÖ auch die letzten Dämme. Im Burgenland regiert seit 2015 eine rot-blaue Koalition und auf Bundesebene bastelt neben der ÖVP auch der rechte Flügel der SPÖ an einer künftigen Zusammenarbeit. Das Fehlen eines antifaschistischen Grundkonsenses, der im konservativen und sozialdemokratischen Lager gleichermaßen verbreitete Überdruss an der (ehemals) großen Koalition und strategischer Opportunismus erklären diese Entwicklung nur zum Teil. Zu verweisen ist darüber hinaus auf Veränderungen in der Sozialdemokratie selbst. Ihr Abschied von Klassenstandpunkt und Visionen überhaupt beförderten eine Technokratisierung , die außer der sozialen Abfederung neoliberaler Standortpolitik nichts anzubieten hat und sich im Krisenfall auch für regressive (nationalistische, ethnisierende) Lösungsansätze offen zeigt.
Die mit der zuvor angesprochenen Entleerung des Politischen einhergegangene Angleichung des politischen Angebots zwischen Sozialdemokratie, Liberalen, Konservativen und Grünen ermöglichte es Parteien wie der FPÖ, als einzige Kraft zu erscheinen, die dem Status quo eine alternative Vision entgegensetzt, wenn auch eine auf Abwertung und Ausgrenzung basierende. Das der FPÖ überlassene Visionsmonopol zeigt sich am eindrücklichsten am Unwillen der anderen Parlamentsparteien, strukturelle Kritik an der EU zu üben.
Die historische Verspätung und bis heute manifeste Schwäche des liberalen Bürger_innentums in Österreich macht auch die “Mitte” für autoritäre Eingriffe offen. Parteipolitisch bildet jene liberale Bürger_innenschicht heute die wichtigste Wähler_innenbasis der im parlamentarischen Spektrum am weitesten “links” angesiedelten Partei: der Grünen. Für die Punze der Linkspartei reicht in Österreich freilich bereits ein konsequentes Bekenntnis zu Menschenrechten. Und so versinnbildlicht der Status Quo grüner Politik sich im Stereotyp des modernen Biedermeiers, der_die Fair Trade kauft, während sie_er die Leistungsgesellschaft affirmiert und sich als weltoffen geriert, während ihn_ihr bei dem Gedanken, den eigenen Sprößling in eine öffentliche Schule zu geben, das blanke Grauen befällt. Freiheitliche Erfolge analysiert dieser Typus dann auch bevorzugt als Prolet_innen-, bzw. euphemistischer: als Bildungsproblem. Angesichts eines 85%-Anteils an Hofer-Wähler_innen unter den qua Staatsbürger_innenschaft wahlberechtigten Arbeiter_innen bei der Bundespräsidenten-Stichwahl ist dieser Fokus zwar in gewisser Weise verständlich, Alarmismus jedoch ebenso wenig angebracht wie bildungsbürgerlicher Dünkel. Zum einen, da der Skandalisierung oft mehr klassistische Zuschreibung als Analyse zugrunde liegt. Zum anderen insofern, als der im Vergleich hohe Anteil an Wechselwähler_innen unter der (ehemaligen) sozialdemokratischen Kernklientel darauf verweist, dass es sich nach wie vor um ein politisch umkämpftes Feld handelt.i Insofern wäre die wohl wichtigste Frage aus linker(er) Perspektive, wie die partielle sozialdemokratische Hegemonie seit den 1970er Jahren derartig erodieren konnte. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Kapitulation vor den beiden seit den 1980ern für die FPÖ zentralen politischen Narrativen: zum einen ein „Anti-Establishment”-Frame, in dem sich die FPÖ als Fürsprecherin des “kleinen Mannes” konstruiert.; zum anderen ein „Überfremdungs”-Frame, der zunächst rein biologistisch-völkisch funktionierte und ab Mitte der 2000er Jahre, kulturalistisch-antimuslimisch aufgeladen, in ein generelles Untergangs-Narrativ eingebunden wurde, in dem Europa aufgrund mangelnder „Wehrhaftigkeit” und verräterischer Polit-Eliten einer fortschreitenden „Islamisierung” zum Opfer fällt.ii Anstatt diese Narrative auszuhebeln und vermeintlich ethnische Konflikte als soziale zu repolitisieren, beschränkte auch die Sozialdemokratie sich weitgehend auf Kritik an der Darbietungsform (“Hetze”) und am postfaktischen Gehalt (“Lüge”) der freiheitlichen Botschaften sowie auf das Einmahnen “konstruktiver Lösungsansätze”. Am Ende treffen sich jedoch alle, von rechtsaußen bis mitte-links, in der prinzipiellen Befürwortung von Grenzschließung zur Sicherung des “nationalen Wohlstandes”. Mit dem Unterschied, dass dies aus Perspektive der extremen Rechten einen Schritt darstellt, den Status quo zu verändern, während die “Mitte” ihn damit aufrechtzuerhalten sucht. Dieselbe Tendenz, sich an rechtsextreme Vorstöße populistisch gewendet anzupassen, anstatt die „Politik mit der Angst”iii zu dekonstruieren, kann auch an der medialen Berichterstattung nachvollzogen werden.
Medien: “Rechtspopulismus” als Quotengarant?
Die Normalisierung des Rechtsextremismus treibt bereits seit Haider auch in der Medienlandschaft ihre Blüten, was nicht zuletzt mit der Stärke des Boulevards und der starken Medienkonzentration in Österreich zusammenhängt. Eine Pionierfunktion hatte dabei die Neue Kronenzeitung (NKZ), die relativ zur Bevölkerungszahl auflagenstärkste Tageszeitung der Welt. Auch die Berichterstattung liberaler Medien reproduziert nicht selten das Angst-Schüren vor „Fremden” im Allgemeinen und Muslim_innen sowie Geflüchteten im Besonderen. Zur medienvermittelten Normalisierung des Rechtsextremismus trägt weiters die Weigerung bei, das Phänomen beim Namen zu nennen: FPÖ-Erfolge werden chronisch als “Protest”-Voten verharmlost, was auf die Entlastung jener “gesellschaftlichen Mitte” hinausläuft, als deren Vertreterin die FPÖ sich inzwischen, leider nicht ganz zu Unrecht, geriert.
Ein weiteres Problem ist die mediale (Über-)Repräsentation: vor allem in den 90er Jahren erhielt die FPÖ eine im Vergleich mit den eigentlichen Regierungsparteien unverhältnismäßige Aufmerksamkeit. Dies ist nicht zuletzt auf das sich kritisch gebende Kokettieren mit auflage- und quotengenerierenden Schreckgespenstern wie Haider oder Strache zurückzuführen, welches deren Selbstinszenierung als Rebellen gegen “Altparteien” und “Establishment” immer schon in die Hände spielte. Die linksliberale Zeitung „Falter“ belegte Haider daher bereits in den 1990er Jahren mit einem „Bilderverbot“, um darauf hinzuweisen, dass „die Sprache der Bilder gerade auch dort propagandistisch wirkt, wo der Text kritische Auseinandersetzung versucht.“iv Von solcher (Selbst-)Reflexion hat sich die österreichische Medienlandschaft zusehends entfernt. Stattdessen werden – nicht zuletzt auch im öffentlichen Rundfunk – selbst marginalen Gruppen wie den “Identitären” breite Propagandaplattformen geboten. Begründet wird dies wahlweise mit einer vermeintlichen journalistischen Pflicht, “alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen” oder damit, dass Rechtsextreme sich ohnehin “selbst entzaubern” würden, so ihre Mitdiskutant_innen dies nicht erledigen. Letztlich befördert die Berichterstattung mit statt über den Rechtsextremismus jedoch vor allem eines: dessen weitere Normalisierung.v
i Von 1979 bis zur Nationalratswahl 1999 stieg der Anteil der FPÖ-Wähler_innen unter österreichischen Arbeiter_innen zwar von 4% auf 47% an, während die SPÖ bei ihrer Kernklientel im gleichen Zeitraum von 65% auf 35% abrutschte; allerdings wurde die Entwicklung mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ gestoppt, da diese 2002 gerade in diesem Wähler_innensegment einen historisch einmaligen Stimmenverlust von fast der Hälfte auf 16% einfuhr. Auch wenn sie die SPÖ zwischenzeitlich mit 34% zu 24% neuerlich überholen konnte, ist es – gerade vor dem Hintergrund einer nach rechts rückenden Sozialdemokratie – weiterhin möglich, dass sich das Ergebnis wieder zugunsten der SPÖ dreht.
iiCarina Klammer, Imaginationen des Untergangs. zur Konstruktion antimuslimischer Fremdbilder im Rahmen der Identitätspolitik der FPÖ, Wien 2013.
iii Ruth Wodak, Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse, Hamburg 2016.
Teil 2 unserer Serie zum Aufstieg der FPÖ, den Fehlern im Umgang mit ihr, und Lehren daraus für die Linke (Teil 1 siehe hier). Heute:
Bedingungen des freiheitlichen Aufstiegs
Wer sich auf die Suche nach den Gründen für die freiheitliche Erfolgsgeschichte begibt, kommt nicht umhin, der Partei auch eine gewisse Eigenleistung zu attestieren. Zu nennen wäre etwa demagogisches Geschick, Konsequenz in der Wahl und propagandistischen Aufbereitung ihrer Themen und der erfolgreiche Aufbau einer medialen Parallelwelt (FPÖ-TV, unzensuriert.at, Straches Facebook-Präsenz, etc.).
Nichtsdestotrotz wäre der nunmehr zweimalige kometenhafte Aufstieg der FPÖ nicht möglich gewesen, hätte diese nicht sie in vielerlei Hinsicht begünstigendes Umfeldbedingungen vorgefunden. Als Österreich-unspezifisch wären dabei allem voran die systematische Produktion sozialer Ungleichheit im Kontext der warenproduzierenden Gesellschaft, Lohnarbeitszwang, systemische Krisen, Leistungsdruck und das alle soziale Interaktion durchdringende Konkurrenzprinzip anzuführen. Ihre Folgen – Abstiegsängste, soziale Atomisierung, Verunsicherung und Kontrollverluste, die Suche nach Orientierung, Welterklärung und „Identität“ – schaffen, wie vielfach festgestellt, rechtsextreme Angeboten großen Resonanzraum.Die Einrichtung der Gesellschaft generiert Alltagserfahrungen, die recht(sextrem)e Setzungen – wonach „der Stärkere“ sich durchsetzt, Schwache “verdientermaßen” auf der Strecke bleiben, Ungleichheit normal und das Leben ein ewiger Kampf sei – fortlaufend scheinbestätigen und linken Beschwörungen von Gleichheit und Solidarität den Geruch des Naiven, Weltfernen und Widernatürlichen verleihen.
Auf politisch-institutioneller Ebene spielt die über Jahrzehnte nachvollziehbareEntleerung des Politischen der extremen Rechten in die Hände: Globalisierung und die Selbstentmachtung der Politik durch Auslagerung immer weiterer Felder aus ihrem Gestaltungsbereich haben den politischen Prozess weithin auf Standortsicherung, die Exekution von Sachzwängen, Repression und Symbolpolitik reduziert und damit auch Entdemokratisierung befördert. In dieses Vakuum kann die Rechte mit ihren kulturalistischen Rahmungen und der Suggestion jener Handlungsfähigkeit vorstoßen, die den „alten Eliten“ abhanden gekommen zu sein scheint.
Das Ende des „Wirtschaftswunders“ der Nachkriegszeit führte überdies – nicht nur in Österreich – dazu, dass es immer weniger zu verteilen gab und ließ den Klassenkompromiss (in Österreich institutionalisiert im korporatistischen Modell der „Sozialpartnerschaft“) erodieren. An die Stelle positiver Identitätsmarker wie “sozialer Friede”, Wohlstand und Wohlfahrtsstaat, trat immer stärker ethnisiertes Distinktionsbedürfnis. Sozialpatriotismus wurde durch Ethnozentrismus abgelöst. Die – nunmehr im Rahmen der EU vergemeinschaftete – Verschärfung der Grenzregime und sukzessive Unterminierung menschenrechtlicher Standards im Asylwesen erlebte die extreme Rechte zurecht als Legitimierung, hatte sie doch ebendies schon immer propagiert. Zusammen mit der Sozialpartnerschaft befindet sich zudem auch das eng mit ihr verknüpfte Koalitionsmodell in der Krise: die Zusammenarbeit der beiden (ehemaligen) Großparteien wird weithin als überholt und ineffektiv erlebt.
Nicht außer Acht gelassen werden dürfen weiters historisch-kulturelle Bedingungen wie die autoritäre, paternalistische und apolitische Prägung der politischen Kultur in Österreich (Untertan_innenmentalität, fehlendes Grundrechtsbewusstsein, Anti-Individualismus, postnazistische Konsenspolitik statt Konfliktkultur, Wunsch nach „starker Führung“). Auch die auf die Zeit der Monarchie (bis 1918) zurückverweisenden völkischen Bedrohungsgefühle bzw. “Überfremdungs”-Ängste spielen, dank fortwährender agitatorischer Reaktualisierung, bis heute eine Rolle – und befördern heute wie damals einen Hang zu Selbstvergewisserung durch Abgrenzung. Als folgenschwer erweist sich auch der österreichische Weg der „Bewältigung“ der NS-Vergangenheit: personelle Integration nach spärlicher Entnazifizierung, Auslagerung von Verantwortung und Abwehr von Reeducation über den Mythos von „Hitlers erstem Opfer“, Antikommunismus statt antifaschistischer Grundkonsens. Das Aufbrechen dieses aus Mythen und Lügen gezimmerten Abwehrgebäudes ab den späten 1980er Jahren rief bei vielen Reaktionen zwischen Kränkung und Aggression hervor, die Haider mit wertschätzenden Anrufungen der „Ehemaligen“, Ambivalenz in der Bewertung des NS-Regimes und „Schlussstrich“-Forderungen geschickt in politischen Erfolg zu kanalisieren wusste.
Auch identitäre Verunsicherung infolge zunehmender Diversität und der Transformation von Geschlechterrollen wurde von der FPÖ aufgegriffen und mit entsprechend reaktionären Angeboten (männliche Privilegiensicherung, traditionelle Rollenbilder und „Werte“, Brauchtumsgedöns) beantwortet. Gerade die in den letzten Jahren um sich greifende Heimatduselei, ablesbar an Trachten-Revival und grassierender Gabalieritis, liefert ein anschauliches Beispiel eines Prozesses, den sich die FPÖ ebenso zunutze macht, wie sie ihn selbst beförderte. Auch die inzwischen hegemoniale Ethnisierung von Verteilungsfragen und die gesellschaftliche Durchsetzung des des antimuslimischen Ressentiments als wirkmächtigster Differenzmarker, wurden von der FPÖ ebenso vorangetrieben, wie sie davon profitierte.
Weiter zu Teil 3 der Serie.
An der Spitze des Staates Österreich steht fortan ein Liberaler und kein Rechtsextremist (1)i: selten war es einfacher, als gute Nachricht durchzugehen. Bei aller Erleichterung über die knappe Niederlage Norbert Hofers (FPÖ) bei der präsidentiellen Stichwahl Anfang Dezember kann nicht übersehen werden: der vor nunmehr dreißig Jahren begonnene Aufstieg der parteiförmigen extremen Rechten in Österreich erlitt dadurch nur einen vorübergehenden Rückschlag. Die Gründe dieses Aufstiegs werden nachfolgend diskutiert – mit Blick auf mögliche Ableitungen für den Umgang mit rechtsextremen Ideen und Akteur_innen, in Österreich und anderswo.
1. Kurze Geschichte der FPÖ
2016 feierte die Freiheitliche Partei Österreichs ihr 60-jähriges Bestandsjubiläum. Die erste Hälfte dieses Zeitraums fristete die 1956 als Auffangbecken für (National-)Liberale, ehemalige und nicht-so-ehemalige Nazis gegründete Partei ein Randdasein, bei Wahlen stets weit abgeschlagen hinter SPÖ (sozialdemokratisch) und ÖVP (konservativ). Die Ablöse des vergleichsweise liberalen Parteiobmanns Norbert Steger 1986 durch Jörg Haider markierte zum einen das Ende der ersten freiheitlichen Regierungsbeteiligung (als Juniorpartnerin der SPÖ seit 1983), zum anderen den Start eines Erfolgslaufs, der die FPÖ von knapp fünf auf rund 27% (Nationalratswahl 1999) anwachsen ließ. Haiders Erfolgsrezept ruhte auf mehreren Säulen: Ethnisierung des Sozialen („Ausländerfrage“ als Angelpunkt), Geschichtsklitterung, Demagogie und Kampfansagen gegen das „Machtkartell“ der Großparteien und das „Establishment” im Allgemeinen. Aus den Wahlen 1999 ging die FPÖ als zweitstärkste Partei hervor und zog in weiterer Folge erneut in die Bundesregierung ein, diesmal an der Seite der ÖVP. Die schwarz-blaue Koalition geriet für die Freiheitlichen allerdings zum Fiasko. Aufgerieben zwischen Versprechen aus der Oppositionszeit und Regierungspragmatismus, stürzten Umfragewerte und Wahlergebnisse ins Bodenlose ab, was 2005 zur Spaltung führte: Haider gründete das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), Heinz-Christian Strache übernahm eine politisch und finanziell am Boden liegende FPÖ, der er eine Rückkehr zum Haiderschen Erfolgskonzept der 1990er Jahre verordnete. Erneut zog der Rechtsruck einen steilen Aufstieg nach sich. 2013 konnte die FPÖ (das BZÖ war infolge des Unfalltodes Haiders 2008 aus der politischen Landschaft verschwunden) mit 20,5% die Lücke zu den beiden Großparteien wieder annähernd schließen. Seit 2014 liegt sie in allen Umfragen auf Platz eins – mit prognostizierten Wahlergebnissen zwischen 30 und 35%.
2. Politische Verortung der FPÖ heute
Über ihre Geschichte hinweg oszillierte die FPÖ stets zwischen den Polen Liberalismus und (Deutsch-)Nationalismus. Das von einigen Parteiobleuten verfolgte Projekt, sie in eine liberale Partei nach FDP-Vorbild umzuwandeln, kann infolge der Obmannwahl Haiders (1986) und zweier Abspaltungen (Liberales Forum 1993, BZÖ 2005) als gescheitert angesehen werden. Seit Antritt Straches 2005 ist die FPÖ, was sie über weite Teile ihrer Geschichte war: die parteiförmige Repräsentantin des österreichischen Rechtsextremismus. Dass sie diesem zugerechnet werden kann, ist in der polit-medialen Debatte allerdings alles andere als Konsens. Hier herrscht nach wie vor die Einstufung als „rechtspopulistisch“ vor. Wenngleich der politische Stil der Strache-FPÖ – Verstärkung vorhandener Ressentiments, Mobilisierung autoritär-rebellischer Impulse, angeleitete Projektion – fraglos als populistisch bezeichnet werden kann, stellt dieser Begriff mit Blick auf die von der FPÖ vertretenen Inhalte doch eine Verharmlosung dar. So kehrte der völkische Nationalismus unter Strache nicht nur in Form des Bekenntnisses zur „deutschen Volks-, Sprach und Kulturgemeinschaft“ ins Parteiprogramm zurück, sondern schlägt sich auch in konkretenForderungen nieder – etwa jener, bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Rentenansprüche nicht nur nach Staatsbürger_innenschaft, sondern auch zwischen „autochthonen“ und “nicht-autochthonen” Eltern zu diskriminieren. Weitere Gründe für die Einstufung der FPÖ als rechtsextrem liefern ihre systematische Rahmung verschiedenster Interessenkonflikte als kultureller Natur; ihre – heute vorrangig antimuslimische – Feindbildpflege; ein Autoritarismus, der etwa in hymnischen Sympathiebekundungen für Orbán oder Putin zum Ausdruck kommt; oder ihre Politik der Delegitimierung rechtsstaatlicher und repräsentativ-demokratischer Institutionen im Sinne einer Rückabwicklung liberaler Demokratie in Richtung autoritärer Formierung. Zu diesen inhaltlichen Merkmalen gesellen sich eine Bündnis-, Veranstaltungs- und Subventionierungspolitik, die die FPÖ eher als organisierendes Zentrum der extremen Rechten denn als bloßer Andockhafen für diese ausweist, sowie die tragende Rolle völkisch-nationalistischer Burschenschafter innerhalb der Partei.
iZur Abgrenzung des hier gebrauchten Rechtsextremismusbegriffes nach Willibald Holzer gegenüber jenem des deutschen Verfassungsschutzes vgl. Bernhard Weidinger (2014): Zwischen Kritik und konservativer Agenda: eine Verteidigung des Rechtsextremismusbegriffs gegen seine Proponent*innen. In: FIPU (Hg.), Rechtsextremismus. Entwicklungen und Analysen, Band 1, Wien 2014, S. 69-87.
von Magdalena Liedl
erschienen auf Broadly
Das Klischee vom rechten Heimchen am Herd gilt schon lange nicht mehr. Nicht nur Männer, auch rechtsextreme Studentinnen schließen sich an Unis zu Verbindungen zusammen. Die österreichischen deutschnational und völkisch gesinnten „Mädelschaften“ gelten dabei als Hardliner.
Es gibt Interviewabsagen und es gibt Interviewabsagen. Die österreichische Studentinnenverbindung „Akademische Mädelschaft Iduna zu Linz“ schickte mir zweiteres, als ich sie kontaktierte, um sie um ein Gespräch über ihre Gruppierung zu bitten. „Da Sie auf diversen Sozialen Netzwerken Ihre (partei)politische Einstellung offen zur Schau tragen, befürchten wir das Fehlen einer nötigen Neutralität als Fundament für eine Zusammenarbeit.“
Nach einigem Nachhaken und der Klärung des Unterschieds zwischen „ journalistischer Recherche“ und „Zusammenarbeit“ ließ mich die Führung der Iduna wissen, sie stünden „journalistischer Tätigkeit grundsätzlich skeptisch gegenüber“, man werde das Thema aber nochmals intern besprechen.
Wie ich noch erfahre, wurde bei immerhin zwei Verbindungstreffen der Iduna darüber diskutiert— mit dem Ergebnis, dass es keine Option war, mit jemandem zu sprechen, der möglicherweise eine andere politische Meinung vertrat. Mit dieser Weigerung ist die Studentinnenverbindung, die FPÖ-Nationalratsabgeordnete Anneliese Kitzmüller zu ihren Mitgliedern zählen kann, nicht alleine. Auch die Wiener Mädelschaften Nike und Freya wollten nicht mit Broadly sprechen.
Dass es unter männlichen Studentenverbindungen einschlägige Gruppen gibt, die deutschnationales und völkisches Gedankengut vertreten, rechtsextreme Redner zu Veranstaltungen einladen und oft nur knapp an NS-Widerbetätigung vorbeischrammen, dafür gibt es ein zunehmenden Bewusstsein. Doch auch Frauen schließen sich, seit sie an deutschen und österreichischen Universitäten zugelassen sind, zu sogenannten Damenverbindungen zusammen.
Die deutschnationalen und völkischen „Mädelschaften“ in Österreich gelten dabei, wie auch die österreichischen Burschenschaften, als Hardliner innerhalb der Studentinnenverbindungslandschaft im deutschen Sprachraum. Liberale Verbindungen, wie es sie in Deutschland gibt—etwa die Fridericiana, die Frauen und Männer aufnimmt—sucht man in Österreich vergeblich. Hier teilen sich die Damenverbindungen in nur zwei Strömungen auf: konservativ-konfessionelle und deutschnationale—die eigentlichen Mädelschaften.
Diese treten als harmlosen Studentinnengruppen auf, die scheinbar unpolitische Partys organisieren, bei Veranstaltungen von Burschenschaften mit Kuchen Backen und Gedichtvorträgen aushelfen und Studienanfängerinnen dabei unterstützen, sich in den ersten Uni-Semestern zurecht zu finden. Tatsächlich verbreiten sie dabei aber rassistische, deutschnationale und völkische Inhalte.
„Mädelschafterinnen sind zwar Männern nicht gleichgestellt, aber sie erfahren trotzdem eine Aufwertung, indem sie andere abwerten.“
Gerade diese rechtsextremen Frauengruppen erfahren nun an österreichischen Unis in den letzten Jahren einen regelrechten Boom. Seit 2011 gab es drei Neugründungen von rechtsextremen Frauenverbindungen, darunter auch die Iduna in Linz. „Das ist doch auffallend und ziemlich beeindruckend.“, sagt Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, die zu rechtsextremen Verbindungen forscht, gegenüber Broadly.
„Die Partizipationsfelder von Frauen sind im modernen Rechtsextremismus breiter geworden.“, erklärt sie dieses Phänomen. „Dadurch steigt auch das Bedürfnis, sich zu organisieren.“ Die klischeehaften Rollen, die rechten Frauen von außen oft zu geschrieben werden, stimmen dabei längst nicht mehr. Sie sind in der rechtsextremen Szene genauso aktiv wie die Männer.
Aber warum es dann so schwer sei, mit Mädelschaften in Kontakt zu treten, frage ich Goetz. Burschenschafter geben durchaus Medieninterviews; rechte Gruppen wie die sogenannten „Identitären“, die aktuell auch in Deutschland Fuß fassen wollen, rufen in Wien auch schon mal zu Demonstrationen auf. „Es gibt schon eine Angst oder gewisse Scheu von Mädelschaften, an die Öffentlichkeit zu treten.“, sagt Goetz. Entscheidend ist aber ein anderer Faktor, erklärt sie: Bisher werden Mädelschaften in der Medienberichterstattung kaum beachtet. Sie waren daher nie in der Situation, ihre Positionen rechtfertigen zu müssen und meinen daher, mit Gesprächsverweigerung durchzukommen.
Rechtsextreme Frauen werden, wenn sie denn überhaupt in den Medien vorkommen, gerne als „rechte Heimchen am Herd“ verharmlost. Die einzigen spitzen Gegenstände, die Mädelschafterinnen in die Hand nehmen würden, seien keine Säbel sondern Messer und Stricknadeln, schrieb etwa die österreichische Tageszeitung Kurier. Als die deutsche Rechtsextreme Beate Zschäpe vor Gericht stand, kommentierten Medien ihre Kleidung. Inhaltlich werden rechtsextreme Frauen in der Öffentlichkeit selten konfrontiert.
Auch dass die Mitglieder von Mädelschaften den Burschenschaftern intern nicht gleichgestellt sind, verleitet dazu, sie zu unterschätzen. Mädel fechten etwa keine Mensuren. Das heißt, sie führen keine rituellen Fechtkämpfe wie ihre männlichen Kollegen in Burschenschaften durch, die so ihre „Ehre“ verteidigen und danach stolz Schnitte und Narben im Gesicht, sogenannte „Schmisse“, zur Schau stellen. „Nach der Ideologie der Burschenschaften haben Frauen keine Ehre, die sie verteidigen könnten.“, erklärt Goetz. Daher bleibt den Mädeln der Zugang zum Fechten verwehrt. Sie sind auf Männer angewiesen, die sie im Falle einer Beleidigung in Fechtduellen vertreten. Daher erhalten Mädelschaften häufig einen sogenannten symbolischen „Ehrschutz“ von befreundeten Burschenschaften.
Warum tritt aber eine junge Frau freiwillig in eine Verbindung ein, die sie dermaßen abwertet? „Mädelschafterinnen sind zwar Männern nicht gleichgestellt, aber sie erfahren trotzdem eine Aufwertung, indem sie andere abwerten“, erklärt Goetz. „Im weitesten Sinne kann man sogar sagen: Ausgleich für eigene Diskriminierungserfahrungen.“ Kurz: Sie werden als Frauen zwar diskriminiert, diskriminieren dafür aber andere.
„Frauen können genauso rassistisch und nationalistisch sein wie Männer.“
Auch Leistungsduck kann ein Faktor sein: In Mädelschaften ist zu Hause bei der Familie zu bleiben ein legitimer Lebensentwurf. „Für Frauen, die Schwierigkeiten haben, sich bei verstärkter Arbeitsmarktkonkurrenz durchzusetzen, kann das eine attraktive Position sein.“ Gleichzeitig bieten Mädelschaften Netzwerke für die Karriere für diejenigen, die eine solche anstreben—wenn auch mit Einschränkungen. So ist etwa auch die österreichische Nationalratsabgeordnete und frühere Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz Mitglied der Mädelschaft Sudetendeutschen Damengilde Edda.
Dennoch sind Mädelschaften weder reine Karrierenetzwerke noch Anhängsel von Burschenschaften, sondern stehen ihren männlichen Gegenstücken um nichts nach, was die ideologische Festigung betrifft. Zwar halten sich die österreichischen Mädelschaften bedeckt und wollten mit mir weder über ihre Ideologie noch ihre Aktivitäten sprechen, doch lassen sie in ihren Online-Auftritten einen kleinen Einblick zu, welche Art von Ideen sie bei ihren Verbindungspartys, Liederabenden und Sonnwendfeiern transportieren.
Sieht man sich beispielsweise die Iduna einmal genauer an, stößt man auf einige interessante Dinge: Eine ihrer Farben ist „kornblumenblau“. Diese Farbe stünde für Freiheit und Freundschaft, heißt es auf ihrer Website. Tatsächlich war die Kornblume Symbol und Erkennungszeichen illegaler österreichischer Nazis vor dem Anschluss 1938. Auch der österreichische FPÖ-Präsidentschaftskandidat und Burschenschafter Norbert Hofer trägt dann und wann eine blaue Kornblume am Revers. Die Mitglieder der Iduna kochen bei Veranstaltungen für die Linzer Burschenschaft „Arminia-Czernowitz“. Gegen diese ermittelte die Staatsanwaltschaft 2010 auf Anzeige der Grünen, weil die Burschenschaft NS-Sujets auf ihren Plakaten benutze. Nur ein Hakenkreuz hatten sie aus dem Originalplakat von 1931 dann doch entfernt. Anstatt „Frohe Weihnachten“ wünscht die Iduna ihren Facebook-Fans „Heil Jul!“. Die Nationalsozialisten hatten versucht, das nordische Julfest anstatt des christlichen Weihnachtsfest zu etablieren.
Aber auch die Wiener Mädelschaften Freya und Nike verwenden NS-Symbole. Die Mädelschaft Freya (mit den Verbindungsfarben Schwarz-Rot-Gold und dem Sitz in der berüchtigten Fuhrmannsgasse in Wien, wo auch mehrere deutschnationale Burschenschaften ihre „Buden“ haben) hat etwa den Text des Deutschlandliedes in der Version, in der es von den Nazis gesungen wurde, auf ihrer Facebook-Seite („Deutschland, Deutschland über alles…“). Wie die Iduna feiern auch die Mitglieder im Dezember das Julfest. Ausflüge gibt es nicht nur zu befreundeten Mädelschaften, sondern auch etwa zu einem Fallschirmjäger-Denkmal, das die Wehrmacht 1941 auf Kreta errichtete.
Die Mädelschaft Nike wiederum verkündet auf ihrer Seite, dass Südtirol zu den „deutschen Landen“ gehöre und sie den 8. Mai nicht als Tag der Befreiung feiern würden, ihre Großeltern hätten das schließlich auch nicht getan. Nike tut sich auch mit einer ganzen Reihe von rassistischen, sexistischen und homophoben Beiträgen und Seitenhieben auf Politiker_innen und Aktivist_innen hervor, die auch mal namentlich inklusive Wohnadresse genannt werden. Die Kommentare dazu können durchaus auch als Drohungen gelesen werden („Da fürchtet sich die Antifa doch glatt vor uns Mädls—na zum Glück sind wir uns am Mittwoch nicht begegnet.“)
All diese Symbole und Aussagen stehen zwar für einschlägiges Gedankengut, sind aber in Österreich nicht verboten, etwa im Gegensatz zum Hakenkreuz. Auf den ersten Blick mögen sie unverfänglich wirken—dass die Kornblume ein Nazi-Symbol ist, ist schließlich nicht unbedingt Allgemeinwissen. Für Mitglieder der rechtsextremen Szene sind derartige Symbole jedoch eindeutig.
Um sich für Frauenangelegenheiten einzusetzen, wegen der Partys oder alleine wegen der Karriere schließt sich jedenfalls niemand einer deutschnationalen Studentinnenverbindung an, schließt Goetz. Junge Frauen, die einer Mädelschaft beitreten, erkennen diese Symbolik ganz genau und schließen sich ihnen genau deshalb an. „Frauen können schließlich genauso rassistisch und nationalistisch sein wie Männer.“
Titelbild: Illustration von Sarah Schmitt; Bild von Adolf Hitler via Wikipedia | CC BY-SA 3.0 DE
Übernommen aus: Der sozialdemokratische Kämpfer Nr. 2/2016
erschienen auf vice.com/alps
von Verena Bogner
Im vergangenen April haben Mitglieder der sogenannten Identitären die Aufführung von Elfriede Jelineks Theaterstück „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im Audimax gestürmt. Daraufhin wurde das Ensemble für eine Aufführung von der Stadt Wien ins Rathaus eingeladen. Bei eben dieser Aufführung hat die Burschenschaft Hysteria, laut Eigenbeschreibung die älteste Burschenschaft Österreichs, den Saalschutz übernommen. „Wir sind die wahren Hüterinnen der österreichischen Kultur und Tradition“, hieß es damals auf der Hysteria-Seite. Außerdem waren Mitglieder der Hysteria beim Bachmann-Preis anwesend, wo die Autorin Stefanie Sargnagel, die selbst Mitglied der Hysteria ist und im Netz immer wieder von Rechten attackiert wird, den Publikumspreis gewonnen hat.
Am 10. Januar 2016 wurde das erste Mal auf der Facebook-Page der Burschenschaft Hysteria gepostet—und zwar das Bild einer schreienden Hyäne, ihres perfekt ausgewählten Wappentiers. Seitdem finden sich dort regelmäßig Postings zu aktuellen Anlässen wie beispielsweise dem traditionellen Fest zur Sommersonnenwende, das die Hysteria am Donauinselfest gefeiert hatte. Die Burschenschaft Hysteria ist die feministische und längst überfällige Antwort auf deutschnationale Burschenschaften, die in Österreich immer noch Tradition haben und jeden Januar mit dem Akademikerball für Gegenproteste sorgen; und im Zuge dessen auch dafür, dass in der Wiener Innenstadt der eine oder andere umgestoßene Mistkübel wieder aufgestellt werden muss.
Die Burschenschaft Hysteria bewegt sich irgendwo zwischen Satire, Kunstprojekt und radikalem, politischen Aktivismus und macht vor allem eines: Sie zeigt durch diese Zuspitzung auf die deutlichste, brachialste Art die Schwachstellen des Gedankenguts von männerbündlerischen Burschenschaften auf. Mit denen ist sie übrigens eher zu vergleichen als mit klassischen Mädelschaften beziehungsweise Damenverbindungen, von denen es in Österreich aktuell etwas mehr als eine Handvoll gibt. Diese nehmen zwar genau wie die Hysteria nur Frauen auf, aber die Hysteria lehnt sich in ihren Werten, Zielen und Traditionen eindeutig an Männerbünde an.
Die Burschenschaft Hysteria distanziert sich (zumindest offiziell) übrigens von der Behauptung, Satire zu sein, wie sie nach einer Erwähnung im Falter als „satirisch-feministische Burschenschaft“ klarstellt. Auch das gehört zu ihren Kerneigenschaften: Die Hysteria bleibt immer „in character“ und fällt nie aus ihrer öffentlichen Rolle.
Das gilt auch für unsere Anfrage, auf die uns die Burschenschaft Hysteria erklärt, dass sie derzeit keine Interviews gibt und uns bittet, das auf ihrer Facebook-Seite zur Verfügung stehende Material zu verwenden.
Laut der dortigen Eigenbeschreibung steht die Hysteria für starke, ideelle Werte, die Unterdrückung Andersdenkender, aktiven Vaterlandsverrat und bietet neben einer Erweiterung des Horizontes auch lebenslange Freundinnenschaften. Männer sind in der Burschenschaft selbstverständlich nicht erlaubt, denn die gehören laut Hysteria nicht in die Öffentlichkeit, vielmehr sieht sie die Sphäre des Mannes klar im Privaten.
Die Hysteria verlangt von ihren Mitgliedern (und in weiterer Folge auch weltweit) die Angleichung der Zyklen, die Einschränkung des Männerwahlrechts, günstige Abtreibungen, Schleierzwang für Männer und Hodenamputation bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr, bei dem die Frau nicht zum Höhepunkt kommt. Kurz gesagt: Das uneingeschränkte Matriarchat. Die Mitglieder der Hysteria tragen Hyänen-Jacken und rote Deckel. Was auf den ersten Blick lustig und absurd wirkt, trägt in Wahrheit zur Entmystifizierung einer Ideologie mit großem Gefahrenpotenzial bei.
Burschenschaften in Österreich:
Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz, die sich als Mitwirkende der „Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit“ intensiv mit Burschen- und Mädelschaften, beziehungsweise Damenverbindungen beschäftigt, sieht zwischen dem Auftreten und der Organisationsform der Hysteria viele Parallelen zu anderen Burschenschaften.
„Die Burschenschaft Hysteria bezieht sich in ihrer Namensgebung, ihrer Organisationsform als geschlechtshomogene Gruppe und historischen Entstehungsgeschichte nicht nur auf burschenschaftliche Traditionen, sondern auch die vertretenen Werte, Ideale und Forderungen orientieren sich an burschenschaftlichen Vorbildern“, sagt Goetz.
Diese Traditionen und Werte sind laut Goetz unter anderem: Die Verwendung von Couleurnamen (wie Sauhilde oder Sprenghilde), die gegenseitige Anrufung als „Burschen“, strenge Verbindungsprinzipien, der gemeinschaftlich organisierte Alkoholkonsum sowie die Bezugnahme auf das Ritual der Mensur zur Absicherung des eigenen Bundes nach außen. Vor allem das Kämpfen von Mensuren unterscheidet die Hysteria laut Goetz außerdem von gängigen Mädelschaften und Frauenverbindungen, da Frauen dem Weltbild von Burschenschaften zufolge nicht satisfaktionsfähig sind. Im Nichtburschi-Sprech: Sie können nach einer Ehrverletzung die Ehre nicht durch Duellieren wiederherstellen.
Themen, denen sich die Burschenschaft Hysteria immer wieder annimmt, sind auch Sexismus und veraltete Geschlechterrollen—also Konzepte, die Burschenschaften und andere rechte Gruppierungen häufig promoten und beispielsweise mit Kampagnen zum Schutz „unserer Frauen“ vor der Belästigung durch fremde Männer zu festigen versuchen.
Hier sieht Goetz auch die Besonderheit der Hysteria: „Insbesondere der von Burschenschaftern vertretene Sexismus wird von der Hysteria zugespitzt ins Gegenteil verkehrt. Anstelle der Ablehnung von Frauen*-Quoten wird beispielsweise eine Frauen*- und Transgender-Quote von 80 Prozent in öffentlichen Ämtern gefordert. Damit wird auch eine wichtige Kritik am burschenschaftlichen Gedankengut deutlich. Burschenschaften tragen durch ihre männerbündische Organisationsform maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Reproduktion biologistischer und hierarchisch gedachter, geschlechterdualistischer Vorstellungen von Gender bei. Die männerbündische Tradition der Burschenschaften verfolgt nicht zuletzt das Ziel, Frauen* aus dem Bund wie auch der Sphäre der Politik fern zu halten. Die Hysteria macht Aspekte zum Thema, die in der Kritik an Burschenschaften lange Zeit ausgespart oder vernachlässigt geblieben sind—wie eben der burschenschaftliche Sexismus und Antifeminismus sowie auch Homo- und Trans-Feindlichkeit. Gerade weil diese Ideologien auch in der so genannten gesellschaftlichen Mitte tief verankert sind, wird oftmals übersehen, dass sie auch einen fixen Bestandteil extrem rechter Denkmuster ausmachen.“
Wie so oft, wenn es um die Diskussion geht, welche Plattform rechten Gruppierungen wie Burschenschaften oder auch den sogenannten Identitären gegeben werden soll, kann auch hier der Eindruck entstehen, dass die Hysteria durch ihr Aufgreifen von burschenschaftlichen Traditionen eben diesen zu viel Bedeutung zumisst, anstatt ihre Mechanismen zu entlarven.
Laut Goetz schenkt die Hysteria Burschenschaften jedoch eben die Aufmerksamkeit, die den oftmals unterschätzten Männerbünden zusteht: „Deutschnationale Burschenschaften wurden und werden in Bezug auf ihre gesellschaftliche wie auch politische Bedeutung bis heute unterschätzt und oftmals als marginalisierte Gruppe Ewiggestriger abgetan. Insofern wird ihnen von Seiten der Hysteria jene Aufmerksamkeit zugemessen, die ihnen tatsächlich auch zukommen sollte.“
Aufgrund ihrer provokanten Inszenierung hat nicht nur Stefanie Sargnagel als Person des öffentlichen Lebens, sondern auch die Hysteria als Ganzes mit Anfeindungen von Rechts zu kämpfen. Erst kürzlich hat die Burschenschaft Hansea zu Wien ein Foto der Hysteria mit dem Text „Besucherinnen vom Planeten der Unbeschlafenen“ und dem Hashtag #linkeweiberausknocken geteilt, was nicht nur das sexistische Gedankengut der Burschenschaft deutlich werden lässt, sondern auch zeigt, dass die Inszenierung der Hysteria am großen Ego der Burschenschaft kratzt. Die Hysteria hat der Burschenschaft daraufhin einen Besuch bei ihrer Bude abgestattet.
Der Hashtag #linkeweiberausknocken hat übrigens eine Vorgeschichte: Auf einer gleichnamigen Webseite wurden Gewaltaufrufe gegen Frauen veröffentlicht, die sich antifaschistisch engagieren, zum Beispiel gegen Natascha Strobl. Außerdem wurden Sticker mit der Aufschrift und ihrem Gesicht darauf in Wien verteilt.
Derartige Untergriffigkeiten von Burschenschaften gegenüber Frauen generell und der Hysteria im Besonderen seien laut Goetz der Versuch, das Fortbestehen der Geschlechterdifferenz und der eigenen Privilegien zu sichern, das durch Gruppierungen wie die Burschenschaft Hysteria mehr denn je infrage gestellt werde: „Mädelschaften und Damenverbindung stellten bislang keine Bedrohung dar, da sie im Rahmen strenger Geschlechterhierachien und klaren Aufgabenverteilungen bestehen. Aufweichungen dieser männerbündischen Strukturen, wie sie jedoch beispielsweise durch die Öffnung von Burschenschaften für Frauen* von statten gehen würden, werden folglich mit einer Bedrohung sowohl für den Fortbestand antiquierter Geschlechterbeziehungen als auch für die eigenen Privilegien in Verbindung gebracht und aktiv bekämpft.“
Die Burschenschaft Hysteria findet einen Weg, Rechte zu entlarven, ohne sich selbst (zumindest was Social Media betrifft) angreifbar zu machen. Sie spielt gezielt mit den Werten und Ansichten „weißer Männer“—denjenigen, die „unsere“ Frauen schützen wollen, aber im nächsten Moment Vergewaltigungsdrohungen auf Facebook verfassen oder die, für die weibliche Emanzipation immer noch der Feind der traditionellen Familie ist. So schafft sie es nicht nur, zu entlarven und uns bewusst zu machen, welches Welt- und Frauenbild ein Teil unserer Gesellschaft eigentlich vertritt, sondern motiviert junge Frauen auch, etwas gegen eben dieses Weltbild zu tun. Nach eigenen Angaben der Hysteria häufen sich inzwischen die Mitgliedsanfragen. Um es mit ihren Worten zu sagen: Noch nie hat Vaterlandsverrat so gut geschmeckt.
Verena auf Twitter: @verenabgnr
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